Ian Birchall

 

Arbeiterbewegung und Parteiherrschaft

 

Teil I. (1943-1953)

1. Der zweite Weltkrieg

Der zweite Weltkrieg war ein brutaler blutiger Machtkampf, den die Herrschenden Englands, Deutschlands, Rußlands, Japans und der Vereinigten Staaten untereinander austrugen, wobei sie das Schicksal von 50 Millionen Menschen, die in seinem Verlauf starben, wenig kümmerte.

Der Krieg begann am 3. September 1939, als Frankreich und England Deutschland den Krieg erklärten. Stalin hatte gerade zwölf Tage zuvor einen Nichtangriffspakt mit Hitler unterzeichnet. Der militärische Wert dieses Paktes war zweifelhaft. Als Hitler 22 Monate später in die Sowjetunion einfiel, gingen die territorialen Gewinne, die Stalin dieses Abkommen eingebracht hatte, innerhalb von Tagen verloren, und wenn Stalin Zeit zur Aufrüstung gewonnen hatte, so hatte auch Hitler Zeit gewonnen, in der er nur an einer Front Krieg führen mußte. Aber vor allem enthüllte der Pakt Stalins totale Verachtung für die Kommunistische Internationale. Fünf Jahre lang hatten ihre Sektionen in der ganzen Welt alles dem Kampf gegen den Faschismus untergeordnet. Die britischen und französischen kommunistischen Parteien unterstützten die Kriegserklärung ihrer Regierungen, und am 2. September stimmten die KPF-Abgeordneten für die Kriegskredite. Binnen einem Monat waren sie gezwungen, einen grotesken Purzelbaum zu schlagen [1] und den Krieg als „ungerecht und imperialistisch“ [2] zu charakterisieren.

Im Juni 1941 überfielen deutsche Truppen die Sowjetunion, im Dezember desselben Jahres führte der japanische Angriff auf Pearl Harbour zum Kriegseintritt der Vereinigten Staaten. Die Haltung der USA zum Krieg hatte ihr zukünftiger Präsident, Harry Truman, im Juni 1941 offenherzig, aber zynisch zusammengefaßt, als er sagte: „Wenn wir sehen, daß Deutschland gewinnt, sollten wir Rußland helfen, und wenn Rußland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen und sie auf diese Weise gegenseitig soviele wie möglich töten lassen, obwohl ich unter keinen Umständen Hitler als Sieger sehen möchte.“ [3]

Im Jahr 1943 zeichnete sich bereits deutlich ab, daß die vereinigten Streitkräfte Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA imstande waren, Deutschland niederzuwerfen.

 

 

Der sowjetische Nationalismus

Im Kampf gegen Hitlerdeutschland hatte Stalin dem sowjetischen Nationalismus ungeheure Zugeständnisse gemacht. Der Krieg wurde als „Vaterländischer Krieg“ bezeichnet und mit dem Kampf gegen Napoleon im Jahr 1812 verglichen. Das war keine bloße rhetorische Floskel. Angesichts der deutschen Siege mußte Stalin den Wünschen der Offizierskaste entgegenkommen. Die Offiziersränge waren schon in den 30er Jahren wieder eingeführt worden, jetzt wurden die politischen Kommissare aus der Armee zurückgezogen und viele Bestandteile des zaristischen Rituals, wie das Salutieren und die Schulterstücke wieder eingeführt.

Die primitivsten nationalistischen Exzesse wurden erlaubt und ermutigt. Ilja Ehrenburg – einst ein begabter Romancier – konnte in der Prawda am 24. Juli 1942 schreiben: „Wir wollen nicht reden. Wir wollen uns nicht empören. Wir wollen töten. Wenn ihr nicht mindestens einen Deutschen pro Tag getötet habt, ist der Tag umsonst gewesen. Wenn ihr einen Deutschen getötet habt, tötet einen zweiten. Es gibt für uns nichts Schöneres als deutsche Leichen. Zählt nicht die Kilometer. Zählt nur die Deutschen, die ihr getötet habt. ‚Tötet die Deutschen‘ bittet euch eure alte Mutter. ‚Tötet die Deutschen!‘ flehen euch die Kinder an. ‚Tötet die Deutschen!‘ fleht eure Heimaterde. Tötet!“

Selbst taktisch war ein so krasser Nationalismus kaum zu rechtfertigen. Der russische Nationalismus konnte nur zur Stärkung des deutschen Nationalgefühls führen und so die ideologische Hauptwaffe der Nazis weiter schärfen. Von noch grundlegenderer Bedeutung war jedoch die offene und totale Zurückweisung jedes Gedankens daran, daß der Kampf gegen den Faschismus ein Klassenkampf war. Auf dem gesamten Territorium, das von Hitlers Streitkräften besetzt war, kam der Hauptwiderstand von den unterdrückten Gesellschaftsklassen – den Arbeitern und Bauern. Die Ober- und Mittelklasse war – von einigen wichtigen Ausnahmen abgesehen – imstande, sich mit der faschistischen Okkupation zu arrangieren; diejenigen, die zu den Waffen griffen, um sie zu verjagen, taten das in der Hoffnung, eine erträglichere Gesellschaftsform zu etablieren als die, welche sie nach der Arbeitslosigkeit und dem Elend der 30er Jahre in die Schrecken des Krieges und der Okkupation gestürzt hatte. Die nationalistische Linie der kommunistischen Parteien bedeutete eine völlige Absage an den Versuch, diese Gefühle einer oft unklaren Unzufriedenheit zu mobilisieren und so den Verteidigungs-Krieg in einen revolutionären Krieg zu verwandeln.

 

 

Der französische Widerstand

Eine Untersuchung der Erfahrungen des französischen Widerstands zeigt, wie die stalinistische Linie in die Praxis umgesetzt wurde. Frankreich erlitt eine rasche und schmachvolle Niederlage. Im Juni 1940 wurde Paris erobert und im stillen Provinzkurort Vichy wurde ein neues Regime unter dem alternden Marschall Pétain errichtet. Während ein Teil Frankreichs und nach dem November 1942 das ganze Land besetzt war, handelte das Regime von Vichy als Marionette Hitlers, wobei es sich auf Polizeirepression und Antisemitismus stützte. Aber es war die Arbeiterklasse, die die Hauptlast des Angriffs tragen mußte. Das erste Dekret des deutschen Generals von Stutnitz, sechs Tage nach der Einnahme von Paris, erklärte alle Streiks für illegal und fror Preise und Löhne auf dem Niveau des ersten Tages der Besetzung ein. Während der ganzen Okkupation mußten die Arbeiter Angriffe auf ihre Lebensbedingungen hinnehmen: Verlängerung des Arbeitstages, Einführung von Akkordarbeit und in den letzten Monaten vor der Befreiung massive Arbeitslosigkeit.

Die Opposition gegen das Regime von Vichy und gegen die deutsche Okkupation bestand aus zwei getrennten und zeitweise zusammenstoßenden Lagern. Ein innerer Widerstand entwickelte sich seit 1940. Er wurde zunächst von einigen Leuten isoliert getragen, verstärkte sich aber nach 1942 massiv durch den Zustrom derjenigen, die lieber Zuflucht beim Widerstand suchten, als sich der Deportation oder Zwangsarbeit auszusetzen. Wenn auch unzusammenhängend in seinen Zielen, gründete er sich doch fest auf die unterdrückten Klassen. Das andere Lager folgte der Führung von General de Gaulle, der 1940 nach London geflohen war. Die Gaullisten repräsentierten eine Sektion der Bourgeoisie, die nicht bereit war, sich mit Hitler zu arrangieren. Das stimmte sie jedoch keineswegs freundlich gegenüber der Linken. Eine der kleinen trotzkistischen Gruppen in Frankreich bezeichnete den Gaullismus als „die gerissenste, demagogischste und folglich gefährlichste politische Fraktion des französischen Kapitalismus“ [4]

Vor der deutschen Invasion in die Sowjetunion war die Haltung der französischen Kommunisten, vorsichtig ausgedrückt, zwiespältig. Hinter einer revolutionären Rhetorik – de Gaulle wurde als „Werkzeug der City of London“ angeprangert – versteckte sich die de-facto-Anerkennung des Vichy-Regimes. Sie gingen sogar soweit, sich an die deutschen Machthaber in der Hoffnung heranzutasten, ihre Zeitung L'Humanité legal herausbringen zu können. (Diesbezügliche Behauptungen gründeten sich viele Jahre lang auf das Zeugnis ehemaliger KP-Mitglieder. Sie wurden schließlich in einer offiziellen Parteigeschichte bestätigt: Le parti communiste Français dans la Résistance, Paris 1967, S.73.) Das Ergebnis war eine beträchtliche Schwächung der Partei in dieser Zeit. Erstens traten viele Mitglieder aus Protest gegen die „Antipatriotische Linie“ aus: 24 von 74 Abgeordneten und eine sehr große Zahl von einfachen Mitgliedern. Zweitens hatte die unangebracht freundliche Haltung gegenüber dem Vichy-Regime eine viel zu große Unvorsicht gegenüber der Repression zur Folge.

Der Kriegseintritt der Sowjetunion trieb die KP schnell in den Widerstand. Sie war nicht nur um die Verteidigung der Sowjetunion besorgt, sondern, jetzt auch wachsender Verfolgung ausgesetzt. Am 23. August 1941 bildete die Regierung von Vichy Sondergerichte zur Aburteilung von Kommunisten.

Die wichtigste kommunistische Widerstandsorganisation war die FTP (Francs Tireurs et Partisans), an deren Spitze Charies Tillon stand, ein führender Kommunist, der schon vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion dazu aufgerufen hatte, den Widerstand aufzunehmen. Während sie ihre organisatorische Unabhängigkeit beibehielt, trat die KP dem Nationalen Widerstandsrat bei, der im Mai 1943 gebildet wurde – Zusammen mit der Sozialistischen und der Radikalen Partei, der CGT, den katholischen Gewerkschaften und verschiedenen anderen Gruppen.

Von jetzt ab kannte die nationalistische Rhetorik keine Grenzen mehr. Maurice Thorez verkündete in einer Radioansprache aus Moskau am 18. Mai 1944: „Alles, was französisch ist, atmet Haß gegen die hitleristischen Hinrichtungskommandos und ihre gemeinen Henker. Alles, was französisch ist, dürstet nach Rache. Alles, was französisch ist, kämpft oder brennt darauf, für die Befreiung und Wiederherstellung des Vaterlandes zu kämpfen.“ Die FTP verbreitete die Parole: „Chacun son boche“ („Jedem seinen gekillten Teutonen“). Die Haltung unter den einfachen Mitgliedern wird aus dem Bericht eines KP-Militanten deutlich, der beschreibt, wie er aus dem Gefängnis entkam, sich aber weigerte, Anarchisten zu helfen, die mit ihm eingekerkert waren. „Sie waren keine Patrioten ... ich hätte die Tür für einen Royalisten geöffnet, aber nicht für einen Anarchisten.“ [5]Natürlich waren manche einfachen Kommunisten von internationalistischen Prinzipien beseelt, z.B. der Pariser Ingenieur Jean Pierre Timbaud, der dem Erschießungskommando mit dem Ruf: „Lang lebe die Kommunistische Partei Deutschlands!“ gegenübertrat.

Die französische trotzkistische Bewegung, klein, in vier Bruchteile zersplittert und sowohl von den Nazis wie von den Stalinisten verfolgt, war alles andere als in der Lage, den französischen Arbeitern eine alternative Führung anzubieten. Aber zumindest auf der Ebene der Propaganda hatte sie eine Alternative zum Nationalismus der KP.

Alle Teile der trotzkistischen Bewegung bekämpften die Unterstützung terroristischer Aktionen gegen deutsche Soldaten durch die KP. La Vérité drückte es so aus: „Ein getöteter deutscher Soldat wird nicht länger für Hitler kämpfen ... aber er wird auch nie mehr gegen ihn kämpfen können.“ „Ein deutscher Soldat, der für den Kommunismus gewonnen wird, ist nicht ein Feind weniger, sondern ein Verbündeter mehr.“

Es bestand jedoch eine Trennung zwischen denjenigen Gruppen, die sich später zur französischen Sektion der Vierten Internationale vereinigen sollten und der Union Communiste Internationaliste (der Vorgängerin der heutigen Lutte ouvrière). Die ersteren glaubten, daß der nationale Kampf auch einen bestimmten fortschrittlichen Inhalt habe – daß die Revolutionäre „den Nationalismus der Waschfrau dem des Bourgeois“ entgegensetzen sollten. Die letzteren argumentierten, daß Frankreich, obwohl es okkupiert war, eine imperialistische Macht bliebe, daß de Gaulle und die Vichy-Regierung sich gleichermaßen der Aufrechterhaltung der französischen imperialistischen Interessen verschrieben hätten und daß deshalb alle nationalistischen Parolen zurückgewiesen werden müßten. [6]

Aber trotz des Nationalismus der KP gibt es keinen Zweifel an der Tatsache, daß ihre Militanten im Widerstandskampf enormen Mut und Selbstaufopferung bewiesen. Die Partei dürfte nicht weniger als 60.000 Kämpfer verloren haben. Ihre Führer im Widerstand waren oft Männer von unabhängigem Geist und persönlichem Mut. Charles Tillon, der Führer der FTP, war ein Veteran der Meuterei im Schwarzen Meer und hatte fünf Jahre Zwangsarbeit hinter sich.

Die KP konnte, als Ergebnis der Rolle, die sie in der Résistance gespielt hatte, ihre Verwurzelung in den Massen aus der Zeit der Volksfront konsolidieren und bedeutend erweitern. Natürlich darf man nicht dem Mythos aufsitzen, daß die Résistance die Unterstützung der breiten Mehrheit der französischen Bevölkerung hatte. Wenn auch viele der KP beitraten, weil sie den militantesten Flügel der Résistance darstellte, so traten viele andere ein, weil sie vorhersahen, daß die KP im Nachkriegsfrankreich entweder die Macht übernehmen oder zumindest eine einflußreiche Rolle spielen würde und ihnen so helfen könnte, Karriere zu machen.

Einen bedeutenden Fortschritt machte die Partei in der Industriearbeiterschaft. Während des Krieges und kurz danach gewann sie die Mehrheit in der wiederaufgebauten CGT, die alle gewerkschaftlich organisierten Franzosen mit Ausnahme der katholischen Gewerkschaftler vereinigte. In der Schlußphase der Okkupation war die KP in der Lage, sehr große Teile der Arbeiterklasse zu mobilisieren, z.B. in den Massendemonstrationen, zu denen militante Gewerkschaftler der KP in Paris am 14. Juli 1944 aufriefen. Aber rein quantitativ erzielte die Partei ihre größten Gewinne nicht unter den Industriearbeitern, sondern auf dem Land. Dies wird deutlich, wenn man die Mitgliedschaft und Struktur der Partei vor und nach dem Krieg vergleicht:

Mitgliedschaft

Industriegebiete

Halbindustrielle
Gebiete

Landwirtschaftliche
Gebiete

1937

144.383

  93.926

  54.392

1944

153.000

120.634

  97.843

1945

222.323

202.018

192.014

Parteizellen

Arbeitsplatz

Wohngebiet

1937

   041[1*]

  8.951

1944

3.917        

14.888

1945

6.927        

21.226

1946

8.363        

27.980

Quelle: M. Duverger, Political Parties, London 1959, S.32-34.

Dieses massive Wachstum in den ländlichen Gebieten kann zwei Ursachen zugeschrieben werden: Zum einen der weit zurückreichenden radikalen Tradition in vielen Teilen des ländlichen Frankreich; der Hauptzuwachs der neuen KP-Mitglieder und Wähler kam aus der Radikalen Partei und nicht aus der Sozialistischen Partei. Zum andern den unermüdlichen, wenngleich opportunistischen Anstrengungen der Partei, jedes Problem, das für das Alltagsleben der Bauern von Belang war, aufzugreifen, z.B. Preiskampagnen u.ä. zu veranstalten. Während dieser Periode gelang es der KP auch, eine bedeutende Gruppe von Intellektuellen anzuziehen, welche ihr Ansehen beträchtlich aufbesserten.

Die Politik der Partei während der Okkupation war im wesentlichen eine Fortsetzung der Volksfrontlinie mit eher noch größeren Zugeständnissen an den Nationalismus. Und die Früchte, die die Volksfront der Partei in den 30er Jahren eingebracht hatte, reiften nun in noch größerer Zahl. Die KP hatte ihren Einfluß auf jeden Sektor des nationalen Lebens ausgedehnt, und es würde keiner politischen Kraft in der Nachkriegsperiode möglich sein, sie zu ignorieren. Aber die sich festigende Herrschaft der Partei über die Arbeiterbewegung stellte auch sicher, daß es, für den Augenblick zumindest, keine Möglichkeit zur unabhängigen Aktion der Arbeiterklasse ohne die KP, geschweige denn gegen sie gab.

Frankreich war zwar eines der Länder, in denen die KP am meisten wuchs, aber die Entwicklung verlief in allen Gebieten Europas unter deutscher Besetzung ähnlich. Vor dem Juni 1941 waren die KPs überall schwach und kompromittiert. Nach dem Juni 1941 nahmen sie jede Gelegenheit wahr, die Führung in den Widerstandsbewegungen zu übernehmen.

 

 

Griechenland

In Griechenland z.B., wo die KP eine bedeutende Rolle beim Aufbau der Nationalen Befreiungsfront (EAM) und der Volksbefreiungsarmee (ELAS) gespielt hatte, war sie tief im nationalen Leben verwurzelt. Ein britischer Tory, C.M. Woodhouse, der als Agent in Griechenland arbeitete, zollte der EAM folgenden Tribut: „Nachdem sie fast das ganze Land, mit Ausnahme der Hauptnachschublinien der Deutschen, unter ihre Kontrolle gebracht hatten, gaben sie ihm Dinge, die es nie zuvor gekannt hatte. Die Nachrichtenverbindung in den Bergen durch Funk und Telefon war niemals, weder vorher noch nachher, so gut, sogar Autostraßen wurden von der EAM-ELAS ausgebessert und benutzt ... die Segnungen von Zivilisation und Kultur sickerten erstmals in die Bergwelt ein. Schulen, örtliche Verwaltung, Gerichtshöfe und öffentliche Dienste, die der Krieg außer Funktion gesetzt hatte, arbeiteten wieder. Theater, Fabriken, parlamentarische Versammlungen entstanden zum ersten Mal. Ein Gemeindeleben wurde organisiert an Stelle des traditionellen Individualismus der griechischen Bauern. Ihre Kinder wurden in die EPON (Jugendorganisation) gesteckt, ihre Notgroschen für Notstandsarbeiten und ihre Boote für die Marine der Nationalen Befreiungsfront (ELAN) beschlagnahmt.“ [7]

 

 

Wachstum der KPs

Als der Krieg sich seinem Ende näherte, begann die Arbeiterklasse wieder selbständig zu handeln. Im März 1943 markierte ein Streik in der Fiat-Mirafiori-Fabrik in Turin die erste größere Herausforderung der Arbeiterklasse an die faschistischen Achsenmächte.

Im Sommer 1944 erschütterte ein Generalstreik das besetzte Dänemark und erreichte größere Zugeständnisse.

Aber die Kommunisten, welche eine führende Rolle in solchen Kämpfen spielten, kämpften auf einer nationalistischen Basis und orientierten sich nicht eindeutig genug an den Interessen der Arbeiterklasse. Togliatti sprach in einer Sendung von Radio Moskau davon, daß alle Klassen in Italien dieselben Interessen hätten:

Vom Sturz Hitlers haben wir Italiener alles zu gewinnen. Und versteht mich richtig: Italiener aus allen sozialen Schichten! Zumindest denken jene Industriellen so, die ihr Geschäft durch den brutalen Wettbewerb ruiniert sehen. Die Geschäftsleute, denen heute durch die Herrschaft der deutschen Eindringlinge alle europäischen Märkte verschlossen sind, denken so. Die Katholiken, die im deutschen Faschismus den Feind ihrer Tradition und ihres Ideals der Brüderlichkeit sehen, denken so. Jede italienische Mutter, der Mann und Söhne weggenommen und unter der Hakenkreuzfahne in den Tod geschickt werden, denkt so. Das Volk, für das der Krieg Mühsal, Entbehrung und Hunger bedeutet, denkt so. Alle Italiener, die danach streben, ein freies Volk zu sein, denken so. [8]

Fast überall ergab sich ein Bild massiven Wachstums. In Österreich wuchs die KP von 16.000 Mitgliedern im Jahr 1935 auf 150 000 im Jahr 1948, in der Tschechoslowakei von 60.000 Mitgliedern 1935 auf mehr als 1.000.000 1946. In Finnland stieg der Stimmenanteil der KP zwischen 1930 und 1945 von 1,0 auf 23,5%, und in Italien wuchs die Mitgliedschaft auf 402.000 im Jahr 1944 und auf mehr als 2.000.000 bis Ende 1946. Die belgische KP verzehnfachte ihre Mitgliederzahl zwischen 1939 und 1946, während die KPs in Dänemark, Holland und Norwegen ihre Vorkriegsstimmenzahl um das Drei- bis Zwölffache steigerten. [9]

 

 

Großbritannien

In Großbritannien, wo es die KP nicht mit einer faschistischen Okkupation zu tun hatte, war die Linie im wesentlichen die gleiche. Ab Juni 1941 wurde Churchills Koalitionsregierung vorbehaltlos unterstützt. Die Parteizeitschrift World News and Views brachte eine regelmäßige Leserspalte mit dem Titel Unsere nationalen Traditionen, in der sich ein Leser über den Gebrauch von Fremdworten wie „Comrade“ (Genosse) beklagte und ein anderer in der KP die Erbin von „Königin Elisabeth und ihren Piraten“ sah. Die KP profitierte von dem wachsenden Mißtrauen gegenüber der Koalitionsregierung und auch von der starken Welle prosowjetischer Stimmung. Die Zahl der Parteimitglieder stieg sprunghaft auf 56.000 im Jahr 1942 und lag 1945 immer noch bei über 45.000, verglichen mit 12.000 im Juni 1941. Zu diesem Wachstum trug eine offenere und weniger diskriminierende Einstellung gegenüber Neumitgliedern bei.

Die britische Partei erreichte niemals die Massenbasis ihrer französischen und italienischen Bruderparteien, aber sie spielte eine bedeutende Rolle in der Industrie. Vor dem Juni 1941 hatte die Partei mit Hilfe einer Front operiert, die sich „Volkskongreß“ nannte und deren Ziele u.a. eine „Volksregierung“ und ein „Volksfrieden“ waren. Nach dem Juni 1941 ließ der „Kongreß“ diese Ziele fallen und konzentrierte sich darauf, die Zusammenarbeit in der Industrie zu fördern, besonders in gemeinsamen „Produktionskomitees“. Er veröffentlichte eine Broschüre von Jack Owen mit dem Titel Die Fabrikfront, die von D.N. Pritt, einem Anhänger des „Kongresses“, folgendermaßen zusammengefaßt wird: „Die Hauptthese war, daß, solange die Arbeiter bei der Fabrikorganisation ihre Hand im Spiel hatten und bei allen Produktionsfragen beteiligt wurden, die Erhöhung des Arbeitstempos für die Sache des Fortschritts nutzbar gemacht werden konnte.“ [10]

In der Industrie wandten sich die Kommunisten gegen alle Streiks; sie führten Kampagnen gegen den Absentismus (Abwesenheit vom Arbeitsplatz) durch und stellten sich in den Kohlegruben sogar gegen Arbeitsniederlegungen nach tödlichen Unfällen. Sie sprachen sich darüber hinaus für Produktionssteigerung aus. All das half der KP bis zu einem gewissen Grad, aus der Isolation auszubrechen, in die sie bis dahin durch die Existenz einer sozialdemokratischen Massenpartei, der Labour Party hineingezwungen war. Am 24. Mal 1943 rief das Zentralkomitee dazu auf, die Kampagne für eine enge Verbindung der KP mit der Labour Party zu intensivieren. Aber noch wichtiger war, daß der Gewerkschaftskongreß von Southport 1943 das ‚schwarze Rundschreiben‘ zurücknahm, das die Gewerkschaften drängte, Kommunisten von allen Ämtern auszuschließen. Dieser Akt der Dankbarkeit für die in den „gemeinsamen Produktionskomitees“ erwiesenen Dienste half der Partei, ihren Einfluß in der britischen Arbeiterbewegung bedeutend zu erweitern.

 

 

Die koloniale Welt

Der skandalöseste Aspekt der Politik der internationalen kommunistischen Bewegung während des Krieges war ihre Haltung gegenüber den Völkern der kolonialen und unterentwickelten Länder. In Europa kämpften die Kommunisten wenigstens, um faschistische Regimes zu stürzen, aber man kann kaum behaupten, daß der Sieg der Alliierten den kolonialen Völkern in irgendeiner Weise nützte. Im Gegenteil. England war die größte Kolonialmacht, und auch die Vereinigten Staaten streckten ihre wirtschaftlichen Fangarme zunehmend in der ganzen unterentwickelten Welt aus. Churchill erklärte im September 1941, daß die Atlantische Charta (die er selbst und Roosevelt im Monat zuvor unterzeichnet hatten und die allen Völkern Selbstbestimmung versprach) auf Indien keine Anwendung finden sollte [11], und 1945 führte er in Jalta aus, daß sie für das Britische Imperium überhaupt nicht gelte.

Wo die KPs in der kolonialen Welt erstarkten, da geschah es eher aufgrund ihrer Unterstützung der Kriegsanstrengung der jeweiligen Regierungen als aufgrund ihres Kampfes gegen den Imperialismus. Die indische KP gab an, ihre Mitgliederzahl in der ersten Hälfte des Jahres 1943 vervierfacht zu haben, aber ihre Hauptaktivitäten waren Produktionskonferenzen in den industriellen Zentren und eine Kampagne für den verstärkten Anbau von Nahrungsmitteln. In der Zeit nach dem Verbot des nationalistischen Kongresses war die KP tatsächlich die einzige Kraft, die den Engländern bei der Organisierung der indischen Arbeiter helfen konnte. Die KPs in der kolonialen Weit versäumten nicht nur die Gelegenheit, den Krieg in Europa zur Entfaltung des antiimperialistischen Kampfes zu nutzen; die Illusionen, die durch ihre Strategie in dieser Zeit erzeugt wurden, behinderten auch das Erstarken der Befreiungsbewegungen noch lange, nachdem der Krieg vorbei war.

 

 

Anmerkungen

1. Dieser „Purzelbaum“ war eine Konsequenz des Hitler-Stalin-Paktes. Die KPs im Westen unterstützten jeden außenpolitischen Kurswechsel der SU bedingungslos und stellten daher bis zum faschistischen Überfall auf die SU nicht Deutschland, sondern England und Frankreich als die Hauptschuldigen am Krieg dar. Daß der Kurswechsel erst mit einigen Wochen Verspätung in den KPs durchgesetzt werden konnte, erklärt sich aus seiner Ungeheuerlichkeit, die selbst für überzeugte Stalinisten schwer verdaulich war. (A.d.Ü.)

2. Daily Worker, vom 12. Oktober 1939

3. New York Times vom 24. Juni 1941

4. La Lutte de Classes, 13. Juni 1943

5. Baudouin: Histoire des Groupes Francs (MUR) des Bouches-du-Rhone de septembre 1943 à la Libération, S. 119, zit. bei D. Caute: Le Communisme et les Intellectuels Francais, Paris 1967, S.182-83

6. Vgl. J. Roussel: Les Enfants du Prophète, Paris 1972, S.25-33

7. Zitiert bei C. Tsoucalas: The Greek Tragedy, London 1969, S.61-62

8. Zitiert bei A. Pozzolini: Che Cosa ha veramente detto Togliatti, Rom 1970,S. 51

9. G. Kolko: The Politics of War, London 1969, S.32

10. D.N. Pritt: From Right to Left, London 1965, S.274

11. Vgl. B.N. Pandey: The Break-up of British India, London 1959, S.161

 

Anmerkung von REDS – Die Roten

1*. Anscheinend fehlen hier einige Ziffer. Da die englische Ausgabe nicht vorhanden ist, können wir dies nicht korrigieren. Falls jemand die englische Ausgabe hat, wären wir sehr dankbar, die fehlenden Ziffer zu bekommen. Wir sind zu erreichen über webmaster@marxists.de.

 


Zuletzt aktualisiert am 3.8.2001