Ian Birchall

 

Arbeiterbewegung und Parteiherrschaft

 

Teil I. (1943-1953)

2. Die stalinistisch/kapitalistische Aufteilung der Welt nach 1945

Der zweite Weltkrieg ging zu Ende mit Banketten für die Regierenden der Großmächte und mit dem Sterben Tausender, die Opfer der Experimente mit neuen Waffen waren.

Im April 1945 schrieb Winston Churchill an Stalin:

Es ist nicht sehr angenehm, sich eine Zukunft vorzustellen, wo Sie und die Länder, die Sie beherrschen, plus die kommunistischen Parteien in vielen anderen Staaten alle auf der einen Seite aufmarschiert sind, und auf der anderen diejenigen, die sich um die englisch sprechenden Nationen und ihre Verbündeten und Herrschaftsgebiete geschart haben. Es liegt wohl auf der Hand, daß ein Streit zwischen diesen beiden Blöcken die Welt in Stücke reißen würde und daß wir führenden Männer auf beiden Seiten, die wir irgend etwas damit zu tun haben, alle schandbefleckt vor der Geschichte dastünden. [1]

Hinter dem glatten Stil ist unschwer die Furcht zu spüren, was passieren könnte, wenn die Geschichte „uns führenden Männern“ aus den Händen glitte. Churchill zeigt eine große Portion kumpelhafter Übereinstimmung mit Stalin. Er beschreibt eine Episode ihrer Zusammenarbeit im Oktober 1944 so:

Ich schrieb auf ein halbes Blatt Papier: Rumänien: Rußland 90% – die anderen 10%, Griechenland: Großbritannien (in Abstimmung mit den USA) 90% – Rußland 10%, Jugoslawien 50-50%, Ungarn: 50-50%, Bulgarien: Rußland 75% – die anderen 25%. Ich schob es zu Stalin hinüber, der bis dahin der Übersetzung einer Rede zugehört hatte. Es entstand eine kleine Pause. Dann nahm er seinen blauen Federhalter, machte einen großen Haken darunter und reichte es mir zurück. Die ganze Angelegenheit dauerte nicht länger, als man braucht, um sie aufzuschreiben. [2]

Die Bedeutung dieses Vorgangs liegt nicht darin, daß das genau die „Einflußsphären“ waren, auf die man sich bei Kriegsende auf den Konferenzen in Jalta auf der Krim (Januar 1945) und in Potsdam (Juli 1945) später einigte, sondern daß an ihm der Geist deutlich wird, in dem diese Abkommen geschlossen wurden.

Die Vereinigten Staaten wollten ihren ökonomischen und politischen Einfluß festigen ihnen, besonders in Westeuropa und Fernost. Sie verfügten über einen entscheidenden Trumpf – die Atombombe. Diese wurde nicht um eines militärischen Vorteils willen gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki eingesetzt, sondern aus rein politischen Gründen. Tatsächlich berichtete der Kriegsminister Stimson dem US-Präsidenten Truman am 6. Juni 1945: „Ich fürchtete ein wenig, daß die Luftwaffe Japan so gründlich zerbombt hätte, ehe wir fertig waren, daß die neue Waffe keinen angemessenen Hintergrund mehr haben würde, um ihre Durchschlagskraft zu zeigen .“ [3]

Er hätte sich nicht zu sorgen brauchen. Im August wurden A-Bomben „erfolgreich“ angewandt. Am 10. August 1945 tadelte die italienische KP-Zeitung Unità streng alle diejenigen, die der Ansicht waren, massenhafte Bombardierungen der Bevölkerung könnten nicht im wohlverstandenen Interesse des Proletariats liegen:

Die Nachricht, daß von der amerikanischen Luftwaffe eine Atombombe abgeworfen worden ist, hat in der ganzen Weit einen enormen Eindruck gemacht und ist von allen Seiten mit dem Gefühl der Panik aufgenommen und verurteilt worden. Dies zeigt, wie uns scheint, eine merkwürdige psychologische Perversion und eine doktrinäre Fixierung an eine Art abstrakten Humanismus. Diejenigen, die heute Mitleid mit dem Schicksal Japans empfinden, bedenken nicht, daß der Abwurf der schrecklichen Vernichtungswaffe dem bitteren Krieg, der im fernen Osten ausgetragen wird, ein sofortiges Ende gesetzt hat.

Stalin seinerseits hatte klare Ziele. Er wollte den Balkan fest in seiner Einflußsphäre halten, und er wollte massive Reparationen für die kolossalen Kriegsschäden, die die Sowjetunion erlitten hatte. Die Sowjetunion hatte ursprünglich erwogen zu fordern, daß zehn Millionen deutsche Arbeiter für den Wiederaufbau nach Rußland geschickt und 80% der deutschen Industrie demontiert würden. Diese Forderungen wurden zwar zurückgenommen, doch mußten Deutschland, Rumänien und Ungarn massive Reparationen leisten. [4]

Um seinen Willen in Osteuropa zu bekommen, war Stalin bereit, in den Verhandlungen freundlich und verbindlich zu sein. Vor allem war Stalin in der Lage, den bremsenden Einfluß der kommunistischen Parteien in den Ländern außerhalb seiner „Einflußsphäre“ zu kontrollieren, obwohl er sich dazu natürlich nicht formell verpflichtete.

 

 

Die Befreiung Frankreichs

Zwischen Juni und November 1944 wurde Frankreich von der deutschen Okkupation befreit. An den Kämpfen waren nicht nur die Alliierten Armeen, sondern auch große Teile des französischen Volkes beteiligt. Erhebungen in verschiedenen Industriestädten zeigten die Entschlossenheit der Arbeiterklasse, bei der Niederwerfung des Faschismus eine Rolle zu spielen. Ein Streik der Eisenbahnarbeiter im August legte das Land lahm und förderte die Massenmobilisierung gegen die Besatzungsmacht. Wo die Deutschen hinausgeworfen wurden, nahmen die Leute die Macht in ihre eigenen Hände. Es wurden Befreiungskomitees gebildet, die die effektive Kontrolle der Gemeinden übernahmen. In Marseille begannen die örtlichen Behörden mit einem Programm regionaler Nationalisierungen, ohne Paris auch nur zu fragen. Volksgerichte wurden gebildet und begannen, Recht zu sprechen; besonders die Résistance war nicht willens, auf eine formale Prozedur zu warten, um Kollaborateure abzuurteilen. Mindestens 11.000 Menschen wurden erschossen, möglicherweise weit mehr.

Die Volksaktion war konfus und bruchstückhaft, und da eine revolutionäre Führung fehlte, blieb sie das auch. Eine revolutionäre Organisation mit einem klaren Programm hätte die Entwicklung von Organen der Arbeiterdemokratie fördern und den Weg für einen Griff nach der Staatsmacht bereiten können.

Die KP spielte diese Rolle bei weitem nicht. Stattdessen trat sie in die von de Gaulle gebildete Regierung ein. Das war noch nicht einmal Taktik, im Gegenteil, alles wurde der bürokratischen Logik der Teilhabe untergeordnet. Nach einem langen Kampf mit de Gaulle vor der Befreiung hatte die KP akzeptiert, daß er, und nicht die Partei, die KP-Minister auswählen sollte. Die Mitglieder der Partei wurden nicht einmal gefragt, ob man sich an der Regierung beteiligen solle. Die Hauptstrategie der KP bestand darin, zu einer Zusammenarbeit mit der Sozialistischen Partei zu kommen und zu verhindern, daß die Sozialistische Partei sich mit der anderen Hauptpartei, der MRP (Christdemokraten) verbündete. Jetzt fanden, eher als in den dunklen Tagen der Okkupation, die wirklichen Mitgliedergewinne statt. Reichlich viel Opportunisten strömten in die Partei.

Niemand in der KP-Führung scheint in dieser Zeit für einen Versuch, die Macht zu ergreifen, eingetreten zu sein. (André Marty sollte dessen beschuldigt werden, bestritt das jedoch heftig). Aber einige Mitglieder der Führung – namentlich Tillon und Lecoeur, die äußerst aktiv im Widerstand gekämpft hatten – waren unglücklich über die Strategie, die Maurice Thorez verfolgte, der im November 1944 nach Paris zurückgekehrt war. Sie schloß nicht nur die Teilnahme an de Gaulles Regierung ein, sondern auch die Auflösung der patriotischen Miliz und das Beharren darauf, daß die Befreiungskomitees nicht die Autorität der Regierung untergraben durften. [5] Thorez’ Politik war zusammengefaßt in der Parole: „Ein Staat, eine Armee, eine Polizeimacht“. Er war von einer wirklich internationalistischen Strategie so weit entfernt, daß er für den Einsatz deutscher Zwangsarbeiter in Frankreich plädierte, die beim Wiederaufbau helfen sollten. [6]

Vor allem sah die KP ihre Rolle darin, beim Wiederaufbau der französischen Wirtschaft durch Ankurbelung der Produktion mitzuhelfen. Der starke Einfluß von KP-Mitgliedern in der wichtigsten Gewerkschaft, der CGT, half dabei. Die Art und Weise, wie die KP an die Sache heranging, verdeutlichen einige Auszüge aus einer Rede, die Thorez vor Bergarbeitern in Waziers im Juli 1945 hielt:

Es ist richtig, daß nur wir, die Kommunisten, genügend Autorität hatten, um die Streiks im Juni 1936 zu beenden, und daß nur wir vor fünf Monaten genügend Autorität hatten, um zu sagen: Wir müssen aufhören, mit dem Bürgerkrieg zu spielen, und wir dürfen keine Provokationen gegen die Arbeiterklasse und unser Land zulassen.

Übrigens ist es nicht wahr, daß die Bergarbeiter ihre Arbeit nicht lieben. Ihr wißt, daß ich aus einer Bergarbeiterfamilie komme... Alte Bergarbeiter lieben ihre Arbeit wie Matrosen die See.

Ich möchte auf die Frage des Absentionismus zurückkommen. Es werden viele Gründe und Vorwände für die Abwesenheit (vom Arbeitsplatz – d.Ü.) gegeben. Ich muß sagen, liebe Genossen, daß ich von den Gründen, die zur Rechtfertigung der Abwesenheit gegeben werden, nicht völlig überzeugt bin.

Ich will Euch sagen, liebe Genossen, daß im Loire-Becken im Winter dieselbe Frage auftauchte, als dort die Grippe grassierte und die Nahrungsmittel knapp waren. Die Gewerkschaft holte die Delegierten des Wohlfahrtsfonds zusammen und sagte ihnen: „Prüft die ärztlichen Atteste und diskutiert mit den Ärzten“, und man sagte ihnen: Diese Ärzte sind zum größten Teil nicht eure Freunde. Sie geben die Atteste zu leicht. Sie, die lange Feinde der Arbeiterklasse und der Nationalisierung gewesen sind, geben leicht Atteste, sie ermutigen die Desorganisation.

Man erzählte mir neulich, daß in der Grube von Escarpelle 15 Jungen baten, um 6 Uhr Schluß machen und tanzen gehen zu dürfen. Das ist unzulässig. [7]

Natürlich sah sich Frankreich einer ökonomischen Krise gegenüber, es litt Hunger, Brennstoff war knapp. Die beste Lösung wäre gewesen, den Enthusiasmus und die Initiative der Arbeiterklasse zu mobilisieren durch Errichtung der Arbeiterkontrolle über die Produktion, die sie von Entfremdung und Arbeitsdisziplin befreit hätte. Aber dies war nicht das Spiel, das Thorez spielte; seine Hauptsorge war die Politik der internationalen Aufteilung.

 

 

Italien

In Italien war die Situation ähnlich. Zwanzig Jahre faschistischen Herrschaft hatten den Mut der Arbeiter in den großen Städten des Nordens, in Turin und Mailand, nicht gebrochen. Sie standen immer noch in der Tradition der großen Fabrikbesetzungen von 1920.

Am 24. April 1945 revoltierten in Mailand nach einer Serie von Streiks 60.000 Arbeiter und bildeten Arbeiterräte zur Leitung der Fabriken. Auch in Turin übernahmen sie die Macht. In kurzer Zeit wurden 20.000 Faschisten und Kollaborateure erschossen. Auch hier schien die Machtergreifung der Arbeiterklasse auf der Tagesordnung zu stehen. Im Juli 1943 war Mussolini durch eine Palastrevolte gestürzt und durch Marschall Badoglio ersetzt worden. Im September schloß Badoglios Regierung, die nur einen Teil Süditaliens kontrollierte, während der Rest in deutscher Hand blieb, einen Waffenstillstand mit den Westmächten. Badoglio hatte 1935 den blutigen Überfall auf Äthiopien geleitet und prahlte stolz, gemeinsam mit Pétain einer der drei ältesten Marschälle in Europa zu sein. Politisch repräsentierte er genau dasselbe wie Mussolinis Faschismus; seine Machtübernahme war einfach eine Anpassung an das veränderte Gleichgewicht der Kräfte in Europa. Im März 1944, als das Abkommen über die „Einflußsphären“ noch unvollständig war, erkannte die sowjetische Regierung das Badoglio-Regime an. Im folgenden Monat kehrte der KP-Führer Togliatti nach Italien zurück. Er stimmte Badoglio zu, daß vor Kriegsende keine Notwendigkeit bestand, die Abschaffung der Monarchie zu diskutieren, und erklärte, daß die KP dann in die Regierung eintreten würde. Die Italienische Sozialistische Partei bezog in mancher Hinsicht eine radikalere Position als die Kommunisten und verschrieb sich Land- und ökonomischen Reformen. Aber sie war nicht imstande, der großen und besser organisierten KP den Rang abzulaufen. Togliatti half dem italienischen Regime, den Sturm zu meistern, arbeitete bei der Entwaffnung der Partisanen mit den alliierten Autoritäten zusammen und enthielt sich jedes Aufrufs zur außerparlamentarischen Aktion.

 

 

Griechenland

In Griechenland waren die Auseinandersetzungen sehr viel heftiger. Die KP hatte einen dominierenden Einfluß in der EAM (Nationale Befreiungsfront), über die ein zeitgenössischer Beobachter schreibt: „Zur Zeit der Befreiung zählte die EAM ungefähr zwei Millionen Mitglieder bei einer Gesamtbevölkerung von über sieben Millionen... Nichts schien sich ihr in den Weg stellen zu können.“ [8]

Die KP hatte eine solide Basis in der Arbeiterklasse, deren größter Teil Opfer einer katastrophalen Arbeitslosigkeit war. Mit der Niederlage der Naziarmee flackerten scharfe Kämpfe auf. Am 3. November 1944 berichtete die Londoner Evening News zum Beispiel, daß in Athen zweitausend Textilarbeiter ihre Fabrik übernommen und ein „Verwaltungskomitee“ ernannt hätten.

Churchill und Stalin hatten sich schon geeinigt, daß Griechenland in die englische Einflußsphäre fallen sollte, aber Churchill ging keine Risiken ein. Als die Deutschen abzogen, marschierten britische Truppen in Griechenland ein, und am 2. Dezember befahl der kommandierende britische General Scobie, die EAM zu entwaffnen. Ein brutaler Krieg folgte, der bis zum Februar des folgenden Jahres dauerte.

Churchill war peinlich bemüht, sich nicht mit Stalin anzulegen, und kommentiert in seinen Memoiren, daß „Stalin sich strikt und buchstäblich an unser Abkommen vom Oktober hielt. In all den langen Wochen des Kampfes gegen die Kommunisten in den Straßen von Athen kam kein einziges vorwurfsvolles Wort von der Prawda oder Isvestia.“ [9] Im Gegensatz zur französischen und italienischen KP kämpfte die griechische Partei; sie mußte es, wenn sie überleben wollte. Aber sie hatte sich nicht auf die Machtübernahme vorbereitet. Im August 1943 hatte der KP-Sekretär Siantos erklärt, daß „Griechenland zu einer Region Europas gehört, für die die Briten alle Verantwortung übernehmen“ [10], und noch im gleichen Jahr hatte die KP gemeinsam mit anderen Parteien Pläne für eine Regierung unter Erzbischof Damaskinos unterstützt. Das Parteimanifest vom 20. Oktober 1944 erklärte:

Es ist jedermanns erste nationale Pflicht, Ordnung und ein reibungsloses politisches Leben im Land sicherzustellen. Hütet euch, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen, da die Bestrafung der Kollaborateure und anderer Verbrecher in den Händen der Vereinten Nationalen Regierung bleibt. [11]

Unter den sechs EAM-Ministern in der Regierung der Nationalen Einheit waren Kommunisten gewesen, und erst angesichts von Scobies Entwaffnungsultimatum traten sie zurück.

Der Krieg wurde mit einem am 12. Februar 1945 unterzeichneten Abkommen beendet (also zur selben Zeit wie die Konferenz von Jalta). Eine Amnestie für die Widerstandskämpfer schloß die gewöhnlichen Gesetzesübertretungen nicht ein; de facto bedeutete das, daß die Führung sicher war, die einfachen Mitglieder aber weiterhin der Verfolgung ausgesetzt blieben. Einzige Fraktionen der KP einschließlich einiger ihrer hervorragendsten Widerstandskämpfer, wie Aris Veloukhiotis, waren nicht willens, dies hinzunehmen. Der Guerillakampf wurde wieder aufgenommen. Aber die KP machte kurzen Prozeß mit ihrer Opposition; im Juni 1945 wurde Veloukhiotis als angeblicher ehemaliger Agent von Metaxas (dem faschistischen Vorkriegsdiktator) aus der Partei ausgeschlossen. Dies spielte dem rechtsradikalen Terror, der nun wütete, in die Hände, und kurz darauf konnten rechtsextremistische Soldaten das aufgespießte Haupt von Veloukhiotis vorzeigen. Trotz der Zugeständnisse der KP waren künftige Konflikte unvermeidlich.

 

 

Deutschland

Nach zwölf Jahren Naziherrschaft war die deutsche Kommunistische Partei enorm geschwächt; und sogar diejenigen ihrer Führer, die in die Sowjetunion geflohen waren, waren dort nicht sicher gewesen, denn während der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes waren viele an die Gestapo ausgeliefert worden.

Nichtsdestoweniger trafen die vorrückenden russischen und westlichen Armeen, als das Hitlerregime im Frühjahr 1945 zusammenbrach, auf örtliche Komitees, in denen die Kommunisten oft eine führende Rolle spielten. Die englischen und amerikanischen Truppen lösten die Komitees kurzerhand auf; die Russen gingen vorsichtiger vor. Aber Walter Ulbricht, der Führer der deutschen Kommunisten, ordnete bald die Auflösung spontan gebildeter Gruppen an.

Die KP gab ein Programm heraus, das den Namen Marx nicht erwähnte, und wies ihre Mitglieder nachdrücklich an, das Absingen der Internationale zu unterlassen und keine „sektiererschen“ Phrasen zu benutzen. Die Russen wollten sicher gehen, daß ihnen keine Initiative von örtlichen Kommunisten bei der großen Aufteilung, die mit dem Westen arrangiert wurde, in die Quere kam. [12]

 

 

Großbritannien

In Großbritannien war die KP, deren Mitgliederzahl seit dem Stand von 1942 bereits wieder zu sinken begonnen hatte, weder in der Lage, einen revolutionären Anschlag auf die Staatsmacht durchzuführen, noch ihn aufzuhalten. Für die Russen war die britische KP ein unbedeutender Faktor. Dennoch stutzte die Parteiführung ihre Politik so zurecht, daß sie sich demselben Muster anpaßte, das anderswo in Europa aufoktroyiert wurde. Ihre Perspektive war ausgerichtet auf eine Art breiter Koalition mit kommunistischer Beteiligung, die sich auch in verschiedenen anderen europäischen Ländern durchgesetzt hatte.

Im Wahlkampf vom Juli 1945 machte die KP den Fehler, zum einen die anschwellende Flut der pro-Labour-Stimmung zu unterschätzen, zum anderen ihre eigene Bedeutung zu überschätzen. Ihre Hauptparole war die Forderung nach einer „Mehrheit der Labour Party und der fortschrittlichen Kräfte“. Sie hoffte, daß die Labour Party in einer Reihe von Wahlkreisen verzichten und Kommunisten wählen lassen würde, von denen dann einige ein Ministeramt anstreben könnten. Das Etikett „fortschrittlich“ wurde niemals auf jene linksradikalen Kräfte ausgedehnt, die dem Krieg kritisch gegenübergestanden hatten, aber es wurde bald weit genug gefaßt, um die Tories einzuschließen. Im März 1945 hatte Churchill, der seine Niederlage kommen sah, der Labour Partei eine Nachkriegskoalition vorgeschlagen. Am 20. März brachte der Daily Worker eine Erklärung der Parteiexekutive unter der Überschrift „Eine nationale All-Parteien-Regierung ist nach der Wahl unbedingt erforderlich“. Eine Broschüre des Londoner Bezirkskomitees im April ging darauf mit folgenden Worten ein:

Die Labour-Partei sollte dann eine neue Nationale Regierung bilden und andere, schließlich Tories wie Churchill und Eden, einladen, sich an ihr zu beteiligen.

Die Führer der Labour Party waren gewitzter, erfaßten die Situation besser und wiesen die Annäherungsversuche sowohl der Tories wie der KP zurück. Sie wurden mit einer nie dagewesenen Mehrheit gewählt, während die KP nur zwei Sitze ergatterte.

Fünf Tage nachdem das Wahlergebnis bekanntgegeben worden war, schickte die Labour-Regierung Truppen in den Londoner Hafen, um einen Bummelstreik der Hafenarbeiter zu zerschlagen. Am nächsten Tag, dem 1. August, widmete der Daily Worker eine Viertelspalte seiner sechsspaltigen Titelseite einem ideologisch neutralen Bericht „Truppen übernehmen die Verantwortung im Londoner Hafen“. Die KP war, trotz der ernüchternden Erfahrung der Wahl, noch nicht willens, den Waffenstillstand zwischen den Klassen aufzukündigen.

 

 

Osteuropa

In Stalins „Einflußsphäre“ waren die Widerstandsbewegungen allgemein viel schwächer. Die große Ausnahme bildete Jugoslawien, wo Titos Partisanen die Macht ohne Unterstützung der Roten Armee übernahmen. Tatsächlich hatten die Partisanen 1943 ein Telegramm mit folgendem Wortlaut an Stalin geschickt: „Wenn Sie uns schon keine Hilfe schicken können, dann behindern Sie uns wenigstens nicht.“ [13]

Titos Partisanen führten einen tapferen und verwegenen Guerillakampf im günstigen Gelände der jugoslawischen Berge. Aber gerade weil sie in diesem Gebiet kämpften, war ihre Basis überwiegend bäuerlich. Und ihr Programm war im Grunde konservativ. Im November 1942 nahm der antifaschistische nationale Befreiungsrat ein Programm an, das die „Unverletzlichkeit des Privateigentums und die Öffnung aller Möglichkeiten für die Privatinitiative in Industrie, Handel und Landwirtschaft“ einschloß.

Titos wirkliche Stärke war sein Nationalismus; er wollte das Fundament für eine Föderation all der verschiedenen Völker Jugoslawiens legen. Entgegen dem sowjetischen Rat bildete Tito eine Provisorische Regierung, die die Monarchie ablöste und übernahm bei Kriegsende die Macht.

Im übrigen Osteuropa – mit Ausnahme von Polen vielleicht – kann man kaum von revolutionären Entwicklungen sprechen. Erstens deshalb nicht, weil diese Länder von größter strategischer Bedeutung für die Sowjetunion waren. Die gesellschaftliche Verfassung des jeweiligen Regimes kümmerte Stalin wenig; dem polnischen nationalistischen Führer Mikolajczyk sagte er schlicht: „Der Kommunismus ist nichts für die Polen. Sie sind zu individualistisch ... Polen wird ein kapitalistischer Staat sein.“ [14]

Zweitens waren die osteuropäischen Länder, mit Ausnahme der Tschechoslowakei, ökonomisch noch sehr zurückgeblieben. Die vorhandene Industrie wurde von ausländischem Kapital beherrscht und wies extreme Unterschiede im Entwicklungsniveau auf.

Daß es in dieser Situation wenig direkte Aktionen durch die Arbeiterklasse gab, ist nicht überraschend. In der Tschechoslowakei, dem am meisten industrialisierten Land, das in den zwanziger Jahren eine KP mit Massenbasis gehabt hatte, folgte der Befreiung durch die Rote Armee die Übernahme von Fabriken und die Schaffung von Arbeiterräten. Angesichts der Opposition der KP dagegen existierten sie jedoch nicht lange; in anderen Ländern war die Arbeiterklasse noch passiver.

Stalins Furcht vor jeder Art von spontaner Aktion trat im August 1944 deutlich zu Tage, als in Warschau ein bewaffneter Aufstand gegen die Deutschen ausbrach. Obwohl der Beschluß dazu von Exilpolen in London gefaßt wurde, stellte der Aufstand eine großartige Demonstration von Mut und Massenaktivität dar. Stalin weigerte sich nicht nur, die auf langwierige Operationen angelegten Pläne der Roten Armee zur Befreiung Warschaus zu ändern, er weigerte sich sogar, den britischen Flugzeugen die Benutzung sowjetischer Flughäfen zu gestatten, um den Aufständischen Waffen und Vorräte zu bringen. So hatten die Deutschen freie Hand, alles in Schutt und Asche zu legen und ein Blutbad anzurichten. Die Gefühllosigkeit der sowjetischen Führer kann nur damit erklärt werden, daß es ihnen darum ging, um jeden Preis die Entstehung einer Anti-Nazibewegung zu verhindern, die nicht ihrer politischen Kontrolle unterlag.

Die KP-Strategie zielte in Osteuropa, wie im Westen, auf breite Koalitionsregierungen. In Bulgarien trat die KP in eine Regierung unter der Führung von General Kimon Georgiev ein, der 1934 einen Militärputsch angeführt hatte, mit dem der Parlamentarismus abgeschafft und die Gewerkschaften illegalisiert wurden. In Rumänien trat die KP in die Regierung von General Radescu ein, wobei sie seine Bedingung, die bewaffnete Miliz aufzulösen, akzeptierte. Die KPs, bis dahin meist sehr klein, konnten nun rapide wachsen, indem sie massenhaft Funktionäre und Schieber anzogen, die Zugang zum Staatsapparat suchten. Für den Augenblick gab es kein Anzeichen dafür, daß die Kommunisten die Macht übernehmen wollten. Aber kommunistische Minister, die die Polizei und die Armee kontrollierten, bauten sich langsam Machtpositionen auf, und wenn nötig, konnten russische Truppen herbeigerufen werden.

 

 

Asien

Außerhalb Europas wurde die Aufteilung mit noch weniger Rücksicht auf die Interessen der betroffenen Völker durchgeführt. Stalins Interesse an den KPs in der unterentwickelten Welt war gering. 1944 sagte er zum amerikanischen Botschafter Harriman: „Die chinesischen Kommunisten sind keine wirklichen Kommunisten. Sie sind ‚Margarine Kommunisten‘, Trotzdem sind sie wirkliche Patrioten und wollen gegen Japan kämpfen.“ [15] Und in einem Interview erklärte Mao Tse-tung, der chinesische KP-Führer, im Juni 1944:

Die chinesische Kommunistische Partei hat niemals geschwankt in ihrer Politik der Unterstützung von Generalissimo Tschiang Kai-shek; der Politik der Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen der Kuomintang und der Kommunistischen Partei und dem ganzen Volk, und der Politik des Sieges über den japanischen lmperialismus und des Kampfes für den Aufbau eines freien, demokratischen China. [16]

Dies war eine ziemlich merkwürdige Behauptung in Anbetracht der Tatsache, daß von 1927, als Tschiang die Schanghaier Kommunisten massakrierte und alle Parteimitglieder aus der Kuomintang ausschloß, bis 1937, als die Einheitsfront angesichts der japanischen Invasion wieder errichtet wurde, die Partei tatsächlich dem nationalistischen Führer ihre Unterstützung entzogen hatte. Die Leichtigkeit, mit der zehn Jahre bittere Erfahrung für die chinesische Kommunistische Partei vertuscht werden konnten, ist umwerfend.

In Indochina landeten im September 1945 britische Truppen, um den Teil, den man ihnen auf der Potsdamer Konferenz zugesprochen hatte, zu übernehmen. Sie sahen sich einem bewaffneten Aufstand gegenüber.

Die ärmeren Vorstädte fielen in die Hände der Rebellen, und viele französische Kolonialisten wurden hingerichtet. Und wenn die britischen und französischen Truppen die „Ordnung“ wieder herstellen konnten, dann weitgehend wegen der Bereitschaft des KP-kontrollierten Vietminh zu verhandeln und auf Mäßigung zu dringen. Tatsächlich war die KP schon mit verschiedenen anderen Parteien an einer Koalitionsregierung beteiligt. Als besitzlose Bauern sich Land nahmen, erklärte ein KP-Führer namens Nguyen Van Tao: „Unsere Regierung ist, ich wiederhole es, eine demokratische und Mittelklassen-Regierung, auch wenn die Kommunisten jetzt an der Macht beteiligt sind.“ [17] Die indochinesische KP löste sich im November formell auf und wurde durch eine „Gesellschaft zum Studium des Marxismus“ ersetzt. Bevor das Abkommen vom 6. März 1946 unterzeichnet werden konnte, das die Rückkehr französischer Truppen und die Aufnahme Vietnams in die französische Union zuließ, mußte die KP die Führer der trotzkistischen Opposition Ta Thu Thau, Tran Van Thao und andere umbringen.

In Lateinamerika war die Geschichte ähnlich. 1943 trat Juan Marinello, der Vorsitzende der Kubanischen KP, in die Regierung Batistas ein desselben Batista, der ungefähr 16 Jahre später von Castro gestürzt werden sollte.

 

 

Die USA

Ein interessantes Streiflicht auf die Strategie des Weltkommunismus in dieser Zeit wirft eine merkwürdige Episode der Kommunistischen Partei der USA. Mit höchstens 80.000 Mitgliedern war die KPUSA natürlich überhaupt nicht in der Lage, die herrschende Ordnung in Frage zu stellen; und da die Partei immer noch das „Antistreikabkommen“ der Kriegszeit unterstützte, war sie unfähig, eine führende Rolle bei der Springflut industrieller Militanz zu übernehmen, die bei Kriegsende ausbrach.

Der Führer der KPUSA, Earl Browder, verfolgte eine Linie, die dem entsprach, was überall in der Welt die Logik der Kommunistischen Strategie zu sein schien. Auf einer Versammlung der KPUSA am 21. Mai 1944 wurde die Partei aufgelöst und durch die „Kommunistische Politische Vereinigung der USA“ ersetzt. Zur Vorbereitung dieser Veränderung hatte Browder dem Nationalen Komitee der KPUSA berichtet:

Im Inneren sind die organisierten Marxisten einer der festesten Stütz und Orientierungspunkte für das ganze demokratisch-fortschrittliche Lager; in den Außenbeziehungen stellen sie der Nation wesentliche Erfahrungen zur Verfügung bei den erforderlichen Verhandlungen mit Kommunisten in anderen Ländern, wie China, Jugoslawien, Italien und Frankreich, wo die Zusammenarbeit mit den Kommunisten absolut unverzichtbar ist, wenn Europa und Asien in einer Periode von relativem Frieden und Ordnung reorganisiert werden sollen. [18]

Im Klartext benutzte also Browder seine internationalen Verbindungen, um irgendein Regierungsamt für sich zu fordern, das er sich aufgrund seiner Stärke im eigenen Land nie hätte einhandeln können. Aber im April intervenierte Jacques Duclos, ein führendes Mitglied der französischen KP und ein Mann, dessen Wort in der internationalen Bewegung Gewicht hatte, mit einem Artikel in den Cahiers du Communisme. [19] Er kritisierte scharf die Liquidierung der KPUSA, und mit Hilfe dieses wertvollen Verbündeten konnte William Z. Foster die Führung der wiedererrichteten Partei übernehmen.

Im Februar 1946 wurde der unglückliche Browder aus der KPUSA ausgeschlossen. Er hatte die Rhetorik für bare Münze genommen und nicht erkannt, daß gar nicht die Absicht bestand – was für Zugeständnisse die KPs auch überall in der Welt machten – den Apparat aufzulösen. Die Zeiten konnten sich bald ändern.

 

 

War die Revolution möglich?

Die Grundfrage, der sich die Arbeiter 1944-1945 gegenübersahen, war: Existiert eine revolutionäre Situation? Kann die derzeitige Welle von Massenaktivität in eine Sozialistische Weltrevolution transformiert werden?

Die Antwort der Kommunistischen Parteien war ein unzweideutiges „nein“. Selbstverständlich führten sie Stalins Politik der Aufteilung Europas durch. Aber darüber hinaus repräsentierten die Führer der KPs eine bürokratische Haltung, die der Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse grundsätzlich mißtraute. Nach Lenin mußte auch ein Arbeiterstaat die unabhängige Gewerkschaftsorganisation der Arbeiterklasse zulassen, um ihre Rechte zu schützen, aber als die KP-Minister in bürgerliche Regierungen eintraten, bekämpften sie jede Äußerung der Selbstverteidigung der Arbeiterklasse und versuchten, die Gewerkschaften in Anhängsel der Regierung zu verwandeln.

Niemand war in der Lage, dem eine realistische Alternative entgegenzusetzen. Die revolutionäre Linke war geschwächt und isoliert aus dem Krieg hervorgegangen und nicht imstande, unabhängig einzugreifen. Hätte eine revolutionäre Führung existiert, dann hätte das Bild ganz anders aussehen können. In Griechenland, und wahrscheinlich auch in Frankreich und Italien, wäre es möglich gewesen, den bürgerlichen Staat zu stürzen. Jeder revolutionäre Akt birgt ein Risiko in sich. Kein Sieg ist im voraus garantiert! Aber jeder Akt der Selbständigkeit der Arbeiterklasse, selbst wenn er mit einer Niederlage endet, ist Teil des Prozesses, der schließlich zur Arbeitermacht führen kann. Durch ihre Politik in den Jahren 1944-45 machten die KPs klar, daß sie diesem Prozeß den Rücken zugekehrt hatten.

 

 

Anmerkungen

1. Zit. bei C. Wilmott: The Struggle for Europe, London 1959, S.11

2. W.S. Churchill: The Second World War, VI, London 1954, S.198

3. Zit. bei Kolko, op. cit., S.540

4. Y. Gluckstein: Stalin’s Satellites in Europe, London 1952, Teil 1, Kap.4

5. Vgl. L’Humanité, 3. Februar 1945

6. Rede In Waziers am 21. Juli 1945, in: M. Thorez: Oeuvres Choisies, II, Paris 1966, S.386

7. ebenda, S.374, 390, 397-98

8. W.H. McNeill: The Greek Dilemma, London 1947, S.111

9. Zit. bei Tsoucalas, op. cit., S.89

10. ebenda, S.83

11. Zit. bei Kolko, op. cit., S.185

12. ebenda, S.508-9

13. zit. ebenda, S.135

14. zit. ebenda, S.148

15. zit. ebenda, S.234

16. World News and Views vom 18. November 1944

17. zit. bei D. Jennes: War and Revolution in Vietnam, New York 1965, S.8

18. World News and Views vom 10. Juni 1944

19. Übersetzt in Labour Monthly, August 1945

 


Zuletzt aktualisiert am 3.8.2001