Ian Birchall

 

Arbeiterbewegung und Parteiherrschaft

 

Teil I. (1943-1953)

4. Der Kalte Krieg und der Bruch zwischen Stalin und Tito

Der unsichere Friede zwischen den beiden Weltmacht-Blöcken konnte nicht andauern. Trotz der Mythologien, die auf beiden Seiten aufgebaut wurden, hatten weder die Sowjetunion noch die USA die Hoffnung oder den Wunsch, die ganze Welt zu erobern. Aber ebenso war keine Seite zufrieden mit den „Einflußsphären“, die auf den Nachkriegskonferenzen festgelegt worden waren. Beide Seiten hatten zwingende wirtschaftliche Gründe, ihre Zonen auszudehnen. Und beide hielten es für sehr nützlich, die Unzufriedenheit im eigenen Land abzulenken, indem sie das Gespenst eines raubgierigen und aggressiven Feindes an die Wand malten.

Der Versuch, die Schuld für den Ursprung des Kalten Krieges irgendwo festzumachen, ist müßig; die Art eines Krieges wird nicht durch den definiert, der den ersten Schuß abfeuert. Der erste „Schuß“ wurde tatsächlich vom US-Präsidenten Truman am 12. März 1947 abgefeuert, als er die US-Intervention in Griechenland ankündigte. Er legte fest, was später als Truman-Doktrin bekannt werden sollte: eine Verpflichtung der USA zur Intervention gegen jede Revolution, die sie für „kommunistisch“ hielten.

Das Ziel bestand im wesentlichen darin, Westeuropa für den Kapitalismus amerikanischer Prägung zu sichern. Westeuropa hatte sich noch nicht von den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges erholt; Inflation und Massenarbeitslosigkeit erzeugten massive Unzufriedenheit; in Frankreich und Italien hatten die kommunistischen Parteien einen beherrschenden Einfluß auf die Arbeiterklasse. Die Vereinigten Staaten wollten Westeuropa als Markt und politischen Verbündeten wieder aufbauen und die Basis für einen vereinigten politischen und ökonomischen Block schaffen. Wenn sie einen Keil in Osteuropa treiben konnten – um so besser; aber sie waren nicht bereit, dafür einen Krieg zu riskieren.

Und so wurde am 5. Juni der Marshall-Plan für ökonomische Hilfe an Europa verkündet. Die Marshall-Hilfe war tatsächlich das größte „Produktivitätsgeschäft“ in der Geschichte. Wirtschaftliche Hilfe wurde um den Preis politischer Konformität angeboten. Als Teil des Geschäfts wurden die KP-Minister aus den Regierungen in Frankreich, Italien und anderswo gejagt.

Der Kalte Krieg dauerte in seiner vollen Intensität bis 1953 und in abgeschwächter Form bis in die frühen sechziger Jahre. Aber zumindest in Europa waren beide Seiten entschlossen, es nicht zur vollen Konfrontation kommen zu lassen. So folgte eine nervenaufreibende Serie von Krisen, wobei jede Seite sich jeweils kurz vor dem totalen Krieg zurückzog.

Als die Marshall-Hilfe angekündigt wurde, erklärte Togliatti, der Führer der italienischen KP, daß Italien sie willkommen hieße. Und im Juli 1947 sagte die tschechische Regierung, in der auch Kommunisten und Sozialisten saßen, ihre Teilnahme an Verhandlungen über die Hilfe zu, die für ihre Wirtschaft sehr wertvoll gewesen sei. Aber als die Sowjetunion die Marshall-Hilfe am 2. August ablehnte, traten die KPs pflichtschuldig in Reih und Glied. Man mußte die Bewegung nur mal zur Ordnung rufen.

Der UdSSR lag vor allem an der Sicherung ihrer „Einflußsphäre“ in Osteuropa. Was auch immer geschah, sie konnte diesen Ländern nicht erlauben, sich zu einem separaten ökonomischen Block zu entwickeln, der ein potentieller Rivale wäre. Am 28. Januar 1948 kritisierte die Prawda öffentlich den bulgarischen Führer Dimitrov, der ein loyaler Stalinist und der Architekt der Vorkriegs-Volksfront war, weil er den ketzerischen Vorschlag einer osteuropäischen Zollunion gemacht hatte. In der Periode der Nachkriegs-„Flitterwochen“ hatten die osteuropäischen Staaten bürgerlich-„demokratische“ Verfassungen behalten, und die Kommunisten hatten sich die Regierungsgeschäfte mit Sozialdemokraten und anderen geteilt, genau wie in Frankreich und Italien.

Erst als Antwort auf die Marshall-Hilfe begannen die Russen und ihre Verbündeten einen radikaleren Prozeß des politischen und wirtschaftlichen Wandels einzuleiten. Das staatliche Außenhandelsmonopol war eine notwendige Erwiderung auf den Marshall-Plan; zur gleichen Zeit verschluckten oder beseitigten die KPs, die die bestorganisierten politischen Kräfte waren und die ihre Gegner notfalls durch einen Wink mit dem Zaunpfahl, d.h. mit der drohenden Ungnade der Russen zur Räson bringen konnten, die anderen politischen Gruppierungen.

Die neuen Regimes wurden als Volksdemokratien bezeichnet, die der ungarische KP-Führer Rákosi mit einem kurzen, aber entlarvenden Ausdruck als „Diktatur des Proletariats ohne die Räteform“ definierte. Mit anderen Worten: als Arbeitermacht ohne die Organe der Arbeitermacht.

Die Errichtung der Volksdemokratien sah nach einer eindrucksvollen Stärkung des sowjetischen Blocks aus. Aber es war eine Stärkung, die die Saat der Schwäche in sich barg. Bis dahin hatten die kommunistischen Führer in der ganzen Weit ihre Legitimität und ihr Ansehen aus dem Bündnis mit dem Mutterland der Oktoberrevolution bezogen.

Jetzt verfügte eine Reihe von ihnen über einen eigenen Staatsapparat, obwohl sie immer noch sehr stark unter dem politischen und ökonomischen Druck der Sowjetunion standen. Das war ein Widerspruch, der in den folgenden zwanzig Jahren reiche Frucht tragen sollte.

 

 

Das Kominform

Die neue Herausforderung durch den Westen zwang die sowjetischen Führer, mit einer scheinbar „linkeren“ Politik zu reagieren. Das führte im Oktober 1947 zur Gründung des Kommunistischen Informationsbüros (Kominform). Es bestand aus nur neun Parteien – sieben aus Osteuropa (Sowjetunion, Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Tschechoslowakei, Jugoslawien) plus den zwei westeuropäischen Massenparteien (Frankreich und Italien). Ausgeschlossen waren bemerkenswerterweise die KP China (die binnen zwei Jahren die Macht übernehmen sollte), die griechische KP (die zu jener Zeit in einen grausamen und verzweifelten bewaffneten Kampf verstrickt war) und die albanische KP (die sich später am meisten dem Andenken der Stalin-Ära verschrieb; sie wurde auf Drängen der Jugoslawen ausgeschlossen). Die britische Partei brüstete sich später damit, niemals Mitglied des Kominform gewesen zu sein; zu dieser Zeit unterstützte sie aber loyal die Kominform-Resolution, und der volle Text von Der britische Weg zum Sozialismus wurde in der Kominformzeitung veröffentlicht. Das Hauptziel der neuen Organisation war die Disziplinierung der Bewegung. Auf der Gründungskonferenz galt das Schwergewicht der Angriffe den westlichen Parteien. Sie wurden rundweg wegen der Kompromisse und Zugeständnisse angeprangert, die sie in der Zeit der Nachkriegs-„Flitterwochen“ gemacht hatten. Hauptankläger waren ironischerweise die Jugoslawen Djifas und Kardelj.

Die erste Konferenz legte eine neue Analyse der Weltsituation vor. Dieser Analyse zufolge existierten zwei Lager, das „imperialistisch-antidemokratische“, und das „antiimperialistisch-demokratische“. [1] In vieler Hinsicht bezeichnete diese Rhetorik eine Rückkehr zur „Dritten Periode“ [2] von 1929-34. Aber die Gleichsetzung der Sozialdemokratie mit dem Faschismus wurde vermieden; stattdessen unterschied man sorgsam zwischen „rechten“ und „linken“ Sozialisten; den letzteren, einschließlich der italienischen SP, den prokommunistischen Sozialisten in Osteuropa und verschiedener Splittergruppen anderswo, wurde eifrig der Hof gemacht.

 

 

Der Bruch mit Tito

Das Kominform erreichte jedoch sein Ziel, die Erhaltung des internationalen stalinistischen Einheitsblocks, nicht. Am 28. Juni 1948 gab das Kominform, dessen Hauptquartier hastig von Belgrad nach Bukarest verlegt worden war, folgende Erklärung ab:

Das Informationsbüro verurteilt die antisowjetische Haltung der Führer der Kommunistischen Partei Jugoslawiens als unvereinbar mit dem Marxismus-Leninismus und als tauglich nur für Nationalisten.

Was waren die Ursachen für diesen ernstesten Bruch in der kommunistischen Weltbewegung seit der Niederlage der „Linken Opposition“ in den zwanziger Jahren? In erster Linie hatte Jugoslawien gegen den sowjetischen Versuch rebelliert, seine ökonomische Entwicklung den Erfordernissen der Sowjetischen Wirtschaft unterzuordnen.

Natürlich wurde nicht nur Titos Jugoslawien durch diese ökonomische Unterordnung ausgebeutet. Aber Tito konnte mit dem gewagten Spiel, Stalin herauszufordern, ungestraft davonkommen, weil er, gestützt auf eine Massenbewegung im eigenen Land, zur Macht gekommen und relativ unabhängig von russischer Unterstützung war. Genau das lag dem wichtigsten politischen Vorwurf des Kominform gegen Tito zugrunde: Er habe die Rolle der Partei heruntergespielt und sie in Wirklichkeit zugunsten der Volksfront liquidiert. Eine solche Anschuldigung könnte merkwürdig klingen, da die Volksfront doch viele Jahre im Mittelpunkt der kommunistischen Strategie gestanden hatte. Aber wenn Tito in Zukunft als Führer einer nationalen jugoslawischen Massenbewegung regierte und nicht als Kommunist, so war das eine Herausforderung an die gesamte internationale Hegemonie des sowjetischen Kommunismus.

So etablierte sich der Titoismus als eine alternative Strömung in der internationalen Arbeiterbewegung. Aber er war nur eine andere Version des bürokratischen Stalinismus und keineswegs eine Wiederbelebung der Arbeiterdemokratie. Wohl hatte die jugoslawische Nationalversammlung im Juni 1950 ein Gesetz verabschiedet, das „Arbeiterräte“ in den Fabriken einrichtete, da das zentralistische sowjetische Wirtschaftsmodell sich in Jugoslawien als ein Fehlschlag erwiesen hatte. Um die Wirtschaft konkurrenzfähiger zu machen, wurde beschlossen, den Produktionseinheiten ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zu gestatten und materielle Anreize einzuführen. Aber ein Streikrecht existierte weder vor noch nach dem Gesetz Vom Juni 1950; und das Arbeitsbuch – ein versiegelter Bericht über seine bisherige Führung, den jeder Arbeiter bei einem Stellenwechsel vorzeigen mußte – wurde beibehalten.

Auch Titos Außenpolitik war nicht revolutionär. Der Ostblock brach alle Beziehungen zu Jugoslawien ab; besonders Albanien konnte sich damit wieder das sowjetische Wohlwollen erwerben. Tito war gezwungen, den Handel mit dem Westen zu entwickeln, den er auch diplomatisch unterstützte, besonders durch die Billigung der UNO-Intervention in Korea.

Jenen Bürokraten, deren eigener Status und Legitimität von der sowjetischen Vorherrschaft in der Bewegung abhing, entging die Bedeutung des Bruchs zwischen Stalin und Tito nicht. Das erklärt die ausgesprochene Bitterkeit und Hysterie, die für die Veröffentlichungen des Kominform bezeichnend waren. Am 1. September 1949 brachte die Kominform-Zeitschrift Für einen dauernden Frieden, für eine Volksdemokratie einen Leitartikel mit der krassen Überschrift: Faschistische Bestien laufen Amok. Darin hieß es:

Die bürgerlich-nationalistische Tito-Clique in Jugoslawien, die einen antisowjetischen, antimarxistischen Weg eingeschlagen hat, ist am logischen Ende ihres Antikommunismus angekommen – dem Faschismus

Am 7. Juli des folgenden Jahres erklärte ein anderer Artikel in derselben Zeitung:

Die Tito-Clique hat einen weiteren Schritt zur Restauration des Kapitalismus in Jugoslawien gemacht.

Man gibt uns also zu verstehen, daß zwar schon seit einiger Zeit eine faschistische Clique in Jugoslawien an der Macht ist, aber gerade erst dazu kommt, den Kapitalismus zu restaurieren – dazwischen war es vermutlich ein „faschistischer Arbeiterstaat“.

 

 

Die Säuberungen in Osteuropa

Aber Worte allein, wie ätzend auch immer, reichten nicht aus, um den Virus des Titoismus zu isolieren. Von 1948 bis 1953 wurde Osteuropa von einer Serie von Prozessen und Säuberungen erschüttert, mit denen alle potentiell nationalistischen Tendenzen in den Parteiführungen ausgemerzt werden sollten. Unter denen, die in dieser Zeit hingerichtet wurden, waren Kostov (Generalsekretär der bulgarischen KP), Slansky (Generalsekretär der tschechoslowakischen KP), Clementis (tschechoslowakischer Außenminister) und Rajk (ungarischer Außenminister). Gomulka (Generalsekretär der polnischen KP) und Anna Pauker (rumänische Außenministerin) wurden verhaftet und ihrer Ämter enthoben.

Die Prozesse zeigten eine nur noch von den Moskauer Prozessen der dreißiger Jahre übertroffene Verachtung für ein Mindestmaß an gesetzlichem Verfahren. Viele der Verurteilten hatten eine lange revolutionäre Vergangenheit; viele waren darüber hinaus ergebene Schreiberlinge von anti-titoistischen Tiraden gewesen.

Rudolf Slansky zum Beispiel hatte die Leser von Für einen dauernden Frieden ... mit Artikeln verwöhnt, deren Titel etwa lauteten: Belgrader Spione ohne Maske. [3]Das bewahrte. ihn und seine Mitangeklagten nicht davor, als „trotzkistisch-titoistische, zionistische, bürgerlich-nationalistische Verräter und Feinde des tschechoslowakischen Volkes“ verunglimpft zu werden. [4]

In den späteren Prozessen wurden die Beschuldigungen des Titoismus und Nationalismus oft durch die des Kosmopolitismus und Zionismus ersetzt, und die Opfer waren meist Angehörige nationaler Minderheiten, vor allem Juden. Hier gab es allerdings einen komplizierten Umstand. Als der Staat Israel 1948 gegründet wurde, hatte die Sowjetunion ihn nachhaltig unterstützt. Israel geriet jedoch schnell in den Sog des US-Imperialismus, und man mußte sowohl Sündenböcke für den Linienwechsel finden, wie sich auch von all denen befreien, die, dadurch verwirrt, in Loyalitätsschwierigkeiten gerieten. Die antisemitische Säuberung erstreckte sich auch auf die Sowjetunion selbst. Unter den Opfern waren viele jüdische Schriftsteller und Schauspieler – aber auch Leute wie Salomon Losowskij, russischer Sozialdemokrat seit 1901, der die Konferenz von Zimmerwald [5] unterstützt hatte und von 1921 bis 1937 Generalsekretär der Roten Gewerkschaftsinternationale gewesen war. Im Alter von 74 (!) Jahren wurde er erschossen.

 

 

Der Titoismus im Westen

Die Hexenjagd gegen den Titoismus erstreckte sich über die regierenden KPs hinaus auf die Parteien in ganz Europa. Im Verlauf des Jahres 1950 berichtete die Zeitschrift Für einen dauernden Frieden regelmäßig über den Ausschluß von Titoisten in Frankreich, Deutschland, Italien, Norwegen usw. Die griechische KP verdammte Tito ganz linientreu zu einem Zeitpunkt, als sie im militärischen Kampf stand und für ihren Nachschub entscheidend von Jugoslawien abhing.

Die westlichen Kommunisten äfften nicht nur ihre östlichen Herren nach. Ihre Sorge war vor allem, daß Teile der proamerikanischen sozialdemokratischen Parteien sich an Jugoslawien ausrichten könnten.

Sozialdemokratie plus ein sozialistisches Mutterland – das wäre ein furchtbarer Konkurrent. Morgan Philips von der britischen Labour-Partei und Guy Mollet von der französischen Sozialistischen Partei besuchten Belgrad in den frühen fünfziger Jahren. Aber die italienische Sozialistische Partei, die enge politische Verbindungen mit den Kommunisten hatte, blieb loyal; eine Gruppe von Mailänder Sozialisten, die Jugoslawien besucht hatte, wurde aus der SP ausgeschlossen,

In der französischen KP nahm der Kampf gegen den Titoismus verschiedene Formen an. Mitglieder, die ihren Urlaub in Jugoslawien verbracht hatten, wurden ausgeschlossen, und Militante wurden diszipliniert, weil sie einem Fußballspiel Frankreichs gegen Jugoslawien zugesehen hatten. Eine andere Zielscheibe waren führende Résistance-Kämpfer der Partei, bei denen man „nationalistische“ Tendenzen, die denen Titos verwandt waren, befürchtete.

Aber der heftigste Schlag für die französische KP war die Affaire Marty-Tilion im Herbst 1952. André Marty und Charles Tillon waren hervorragende Veteranen der kommunistischen Bewegung. Beide hatten die politische Bühne zur Zeit der Meutereien betreten, mit denen die Matrosen zu verhindern suchten, daß die französische Marine gegen die russische Revolution eingesetzt wurde; beide hatten in Spanien gekämpft (und sich durch einen üblen Antitrotzkismus ausgezeichnet). Marty hatte eine führende Rolle in der Komintern gespielt und ihren Auflösungsbeschluß unterzeichnet; Tillon hatte geholfen, den Widerstand gegen die Nazis in Frankreich zu organisieren (schon vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion) und in verschiedenen Nachkriegs-Koalitionsregierungen gedient.

Aber gerade ihr hohes Ansehen machte sie zu einer Bedrohung für die etablierte Parteiführung. Marty war ein scharfer Kritiker der seiner Ansicht nach zu seichten Haltung der Partei im lndochinakrieg gewesen. Marty und Tillon wurden aus ihren Führungspositionen entfernt, und Martys Verhalten mit dem „Trotzkistischer Polizeiagenten“ verglichen. Auch in Italien bestand Ansteckungsgefahr. Anfang 1951 wurden zwei KP-Abgeordnete, Magnani und Cucchi, wegen Titoismus ausgeschlossen, nachdem sie erklärt hatten, Kommunisten hätten die vorrangige Pflicht, das nationale Territorium gegen Aggressionen von welcher Seite auch immer zu verteidigen.

In England wurde der Denunzierung des Parlamentsabgeordneten Konni Zilliacus viel Energie gewidmet, den das Kominform als „Agent der Kriegshetzer“ [6] bezeichnete. Zilliacus war gerade wegen seiner Opposition gegen die NATO aus der Labour-Partei ausgeschlossen worden; aber das zählte nicht angesichts seiner Sympathie für Belgrad. Eine massive Anti-Tito-Propagandakampagne wurde inszeniert. James Klugman in England und Pierre Hervé in Frankreich produzierten jeder ein Opus mit dem Titel Von Trotzki zu Tito. Hervé, der 1956 aus der französichen Partei ausgeschlossen wurde, behauptete später, zu jener Zeit nichts von Klugmans parallelem Unternehmen gewußt zu haben. [7] Tatsächlich gelang es der Anti-Tito-Kampagne, den Virus zu isolieren. Es wurden einige Versuche unternommen, titoistische Konkurrenzparteien aufzubauen, vor allem in Westdeutschland. Aber Titos Revolte war ihrem Wesen nach bürokratisch, und er hatte nicht die Absicht, eine alternative Internationale zu schaffen. Eine solche Anstrengung wäre ziemlich unvereinbar gewesen mit seinem Bemühen, mit westlichen Sozialdemokraten und verschiedenen fortschrittlichen Kräften Freundschaft zu schließen.

 

 

Tito und die Revolutionäre

Der Titoismus war der erste Sprung im stalinistischen Einheitsblock. Leider bot er keinerlei unmittelbare Aussichten für den Aufbau einer revolutionären Alternative. Zum Teil ist das erklärbar aus der extremen Schwäche der revolutionären Bewegung zu dieser Zeit, zum Teil aber auch aus der Tatsache, daß viele Revolutionäre Titos Antistalinismus für bare Münze nahmen und ihm viel zu unkritisch gegenübertraten. Ein Beispiel:

Die Russische Revolution war das Sprungbrett, von dem aus die Dritte Internationale ihren historischen Flug antrat. Die jugoslawische Revolution kann das Sprungbrett werden, von dem die Vierte ihren Sprung zur Eroberung der Massen unternimmt. [8]

Ausgewogener gingen jene englischen Trotzkisten an die Frage heran, die Rußland als "staatskapitalistisch" analysiert hatten. Sie betonten, daß es „die erste Pflicht von Sozialisten-Internationalisten ist, für die Unabhängigkeit Jugoslawiens zu kämpfen; für die Verteidigung Jugoslawiens gegen eine russische Aggression.“

Es wurde aber auch betont, daß der Titoismus seiner Natur nach zwiespältig war und keinen klaren Bruch mit dem Stalinismus bedeutete;

Revolutionäre müßten gegenüber einer titoistischen Strömung in der Arbeiterbewegung flexibel sein, zugleich aber prinzipienfest:

Eine titoistische Partei außerhalb Jugoslawiens wird die Befreierrolle der sowjetischen Armee entschieden verneinen und betonen müssen, daß „die Arbeiterklasse jeden Landes sich selbst befreien kann“, daß kleine Länder selbständig denken und handeln können. Dies zusammen mit der inneren Logik des Kampfes gegen die existierende anmaßende KP-Bürokratie wird den einfachen Mitgliedern der titoistischen Partei ein „eigenes Gewicht“ gegen jede Form von Bürokratismus geben. Andererseits wird die Abhängigkeit der titoistischen Partei von der herrschenden Bürokratie sie zu den Zickzackbewegungen der Außenpolitik verdammen, zum Einbleuen von Halbwahrheiten usw., gegen die die Erfahrungen der von der KPdSU geführten Komintern eine grimmige Warnung sein sollten. Der zwangsläufige Doppelcharakter einer titoistischen Partei außerhalb Jugoslawiens wird den Trotzkisten die Möglichkeit geben, sie als einen Schritt vorwärts beim Aufbau der revolutionären Partei zu nutzen. Dazu müssen die Trotzkisten, bei taktischer Flexibilität (die unter bestimmten Bedingungen den Eintritt in eine titoistische Partei als organisierte Fraktion nicht ausschließt, unnachgiebig an ihren Prinzipien festhalten: gegen den „Sozialismus in einem Land“ als konterrevolutionäres Konzept, für Rätedemokratie usw. usw. [9]

 

 

Anmerkungen

1. World News and Views vom 11. Oktober 1947

2. In der „Dritten Periode“ verfolgte die Komintern einen „linksradikalen“ Kurs; die Welt wurde in ein „revolutionäres“ Lager – das von den „bolschewisierten“ KPs geführte Proletariat, und in ein „konterrevolutionäres“ Lager – Bourgeoisie, Faschismus, „sozialfaschistische“ Sozialdemokratie sowie alle möglichen ausgeschlossenen oppositionellen KP-Fraktionen umfassend, eingeteilt. Unter dem Eindruck des bedrohlichen Vormarschs des Faschismus in Europa wurde dieser Kurs auf dem 7. Weltkongreß der Komintern 1935 durch eine scharfe „Rechts“wendung korrigiert: Die Volksfrontstrategie des Bündnisses der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien mit den „antifaschistischen“ Teilen der Bourgeoisie zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie. (A.d.Ü.)

3. 22. Dezember 1950

4. Für einen dauernden Frieden ... vom 21. November 1961

5. Auf der Zimmerwalder Konferenz im September 1915 kamen sozialistische und revolutionäre Kriegsgegner zusammen. Der „linke Flügel“ von Zimmerwald wurde 1919 zum Kern der kommunistischen internationale. (A.d.Ü.)

6. Für einen dauernden Frieden ... vom 30. Dezember 1949

7. Vgl. P. Hervé: Lettre à Sartre, Paris 1956 S.16

8. G. Bloch: Quatrième internationale, März-April 1950

9. T. Cliff: On the Class Nature of the People’s Democracies, Juli 1950, in: The Fourth International, Stalinism and the Origins of the International Socialists, London 1971, S.56, 59-60

 


Zuletzt aktualisiert am 3.8.2001