Florian Kirner

 

Konstantin Wecker im Gefängnis

Die Lyrik, der Rassismus, das Kokain

(1996)


Aus Sozialismus von unten (erste Serie), Sommer 1996, S.29-33
Copyright © 1996 Verein für Geschichte und Zeitgeschichte der Arbeiterbewegung (VGZA) e.V.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für REDS – Die Roten.Einde O’Callaghan für REDS – Die Roten.


Ende September wurde Konstantin Wecker zu zweieinhalb Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil ist in seiner Härte zweifellos überzogen, viele sprachen von einem politischen Urteil. Dabei ist Wecker aus Sicht der Linken das Stiefkind unter den deutschen Liedermachern. Warum ist er, der so vielen nicht links genug ist, der Justiz ein solches Skandalurteil wert? Florian Kirner, Chefredakteur der jungsozialistischen Zeitung Linksruck, schätzt Wecker politisch ein und sieht die Gründe seines Drogencrashs in politischer Orientierungslosigkeit.

Konstantin Wecker ist der erfolgreichste Liedermacher in Deutschland. Seit seinem Durchbruch 1977 mit der antifaschistischen Ballade Willy hat er eine ungeheuere Zahl von Liedern und Gedichten geschrieben und Hunderte von Konzerten gegeben, die selten unter vier Stunden abgehen. Dabei deckt er eine derart unübersehbare Bandbreite musikalischer Richtungen ab, daß es schwerfällt, ihn stilmäßig einzuordnen. Die von ihm abgedeckte Palette reicht vom Chanson über den Blues und Rock, neuerdings von Reggae und Soul bis hin zu kunstliedartigen Stücken. Die politischen Lieder sind in seinem Gesamtwerk zahlenmäßig nicht allzu dominant. Dennoch füllen sie alleine ein ganzes Buch und behandeln Neofaschismus, die Exzesse des Ordnungsstaates, Rassismus und viele andere Themen. Politisch ist Wecker trotzdem bei vielen Linken nicht besonders gut angeschrieben. Das hat nicht zuletzt mit einem stalinistisch geprägten Kulturverständnis zu tun.

 

 

Die Linke und Wecker

Dem kulturellen Rigorismus der westdeutschen K-Gruppen war erstens ein Dorn im Auge, daß Wecker, neben den Schmetterlingen der größte Innovator der neueren Liedermachergeneration der späten 70er, sich in gezielter Abgrenzung zum klassischen Liedermacherstil der 70er Jahre stets gegen politische Agitationslieder gewehrt hat. Die von Dieter Süverkrüp und Franz Josef Degenhardt in den späten 50ern und frühen 60ern begründete Liedermachertradition definierte sich immer in erster Linie über die politische Aussage. Der Text stand dabei klar über der Musik, der Inhalt über der Form. Wecker hat dagegen immer betont, daß für ihn die Kunst keineswegs nur Transportmittel der politischen Aussage ist, sondern ihr eigenes Recht hat. Für viele, die bereits eine Liebesszene in einem politischen Film zum Anlaß nehmen, den Vorwurf der entpolitisierten Darstellung zu erheben, ist Wecker darum mehr als suspekt. Er nahm zwar, wie alle Liedermacher, die Vorgaben des Brechtschen Liedes auf, blieb aber nicht dabei stehen, sondern ergänzte andere, auch klassische Stilelemente. Interessant ist im Rückblick, daß sich Weckers stärkere Betonung des musikalischen Arrangements inzwischen in der Liedermacherszene durchgesetzt hat, was beispielsweise die aktuellen CDs von Degenhardt belegen.

Zweitens ist Weckers Heimat die Schickeria. Er ist verglichen mit dem Arbeiterkult der anderen Liedermacher ein unerträglicher Kleinbürger. Darüber hinaus – das liegt auf einer ähnlichen Ebene – ist Wecker vielen Linken schlichtweg zu lyrisch. Seine poetischen Gedichte und Liebeslieder passen einfach nicht ins Konzept der Kulturstalinisten, die nicht wahrhaben wollen, daß auch Brechts Gedichte manchmal „nur“ schön sind. Zumal man Weckers Lyrik mögen muß oder auch nicht, da sie auf sehr eigene Weise die abstrakte Exzentrik eines Gottfried Benn mit der schmachtenden Romantik eines Georg Trakl oder J. W. Goethe zu vereinen versuchen. Meiner Ansicht nach hat Wecker exzellente Lieder und Gedichte geschrieben, wobei einige seiner Liebeslieder sein großes musikalisches und enormes lyrisches Talent meisterhaft vereinen. Allerdings muß Wecker aufpassen: Bei allzuviel Pathos und Herzensleid gerät er musikalisch oft gefährlich in die Nähe glatter Musicalballaden.

Der dritte Grund für das zwiespältige Verhältnis der Linken zu Wecker ist ganz einfach, daß Wecker nicht nur einige der großartigsten antifaschistischen Lieder in deutscher Sprache geschrieben hat, sondern auch eine ganze Menge Unsinn. Wenn er beispielsweise meint, es gäbe für ihn „keine Feinde, sondern nur Menschen“ ist das angesichts der Zustände in dieser Welt mitsamt ihrer zynischen Elite eine recht eitle und selbstgefällige Position, die die eigene, zur Schau gestellte Nächstenliebe über die offensichtliche Realität stellt. Daß er andererseits kein Problem damit hat, in einem aktuellen Lied, den Umgang mit Holcaustrevisionisten betreffend, auszurufen: „Mach Dich stark und bring Dich ein – zeig es diesem dummen Schwein!“ beweist, daß er sein eigenes Gerede über nichtexistente Feinde dann auch wieder nicht so ernst nimmt, wenn es zum Beispiel um Nazis geht.

Das Problem besitzt also zwei Seiten. Einerseits hat sich in der stalinistisch geprägten radikalen Linken ein Kunstverständnis festgesetzt, das alles, was nicht 100% auf Linie und ausschließlich politisch motiviert ist, strikt dem feindlichen Lager zurechnet. Dabei gestattet man einem Liedermacher nur einen gewissen Prozentsatz an Liebesliedern, sonst gehört er nicht mehr zum Club. Diese Auffassung stammt aus der Vereinigung der stalinistischen Tradition des sozialistischen Realismus (Bauer mit Pflug) mit einer reduktionistischen Interpretation Bertolt Brechts aus derselben stalinistischen Ecke.

Andererseits ist Wecker selbst in seinem politischen Ansatz ambivalent genug, um Fragen aufzuwerfen. Kirchengegner und Katholik gleichzeitig – nur einer der zahlreichen Weckerwidersprüche (er bezeichnet sich zudem als Anarchist und möchte König Ludwig II. von Bayern ein Musicaldenkmal setzen). Allerdings ist er in seinen zentralen politischen Inhalten sehr konstant. In Fragen wie Militarisierung, Polizeigewalt oder Asylkompromiß ist Wecker eine Bank – da kann er noch so sehr mit Rudolf Scharping befreundet sein. Allerdings ist Wecker weder Marxist noch Revolutionär, und das merkt man eben auch. Ihm fehlt letztlich jegliche Klassenanalyse, und daß er jede Form der „Ideologie“ als „dogmatisch“ ablehnt, macht ihn oft für emotional begründete Schwankungen anfällig, wobei er aber nicht zwischen rechts und links schwankt, sondern zwischen eitler Politromantik und echter, wahrer Wut.

Was aber oft nicht verstanden wird: Bei aller politischen Ambivalenz ist Wecker für die CSU beispielsweise immer noch nervig genug, beispielsweise für ein Skandalurteil. Wecker ist Teil jener linken Kulturszene, die eng mit Namen wie Dieter Hildebrandt oder Hanns Dieter Hüsch zusammenhängt und gegen die die Rechte seit Jahrzehnten hetzt.

 

 

Wecker und Politik

Wecker besteht nicht aus Politik. Aber er kann eben künstlerisch auch nicht unabhängig davon existieren. Seinen Durchbruch feierte er mit Willy, einem Achtminutenhammer über einen Nazimord an einem Freund und 68er-Aktivisten. So, wie der Willy ihn stets begleitet hat, hat es auch die Politik getan, wenngleich sie selten im Vordergrund seines Schaffens stand. Gegen politische Agitationslieder hat sich Wecker immer gewehrt. So war dann auch Willy ein politisches Lied anderer Art. Nicht agitatorisch im Stil, sondern persönlich, mehr mit Emotion als mit Argument arbeitend. Herausgekommen ist dabei eines der politisch effektvollsten Lieder der Nachkriegszeit und mit Sicherheit eines der wichtigsten antifaschistischen Lieder deutscher Sprache. Wer den Willy hört, spürt einen so instinktiven Haß gegen den Faschismus und seine kleinen, schmierigen Gehilfen, wie ihn tausend Analysen und Artikel nicht hervorrufen können.

Der Willy zeigt jedoch auch, wie nahe Konstantin Wecker die politische Entwicklung geht. Er hat einen tiefen und für seine Kunst sehr wichtigen Bezug zur Politik. Allerdings hat er diesen Bezug aus seiner Stellung der linken Schickeria heraus. Zwar singt er auch mal bei der IG Metall, aber als es in den 80er Jahren mit der Arbeiterbewegung bergab ging, zog sich Wecker auf private Themen zurück und feierte – aus der Toskana nach München zurückgekommen – damit große Erfolge. Es sind daher eher die zynisch als „weiche Themen“ bezeichneten Politikfelder, die bei Wecker anschlagen, wenngleich er auch eine soziale Ader besitzt. Und so war es der Aufschwung des Neofaschismus und die von ihm ausgehende rassistische Gewaltflut, die Wecker erneut in die Politik gestoßen hat – und in die Drogensucht.

Der Zusammenbruch des Ostblocks war für Wecker, der trotz allem enorme Illusionen in den „real existierenden Sozialismus“ hatte, noch kein eigentlicher Grund, frustriert zu sein. Was ihm das Ende des Kommunismus an „Utopie“ raubte, gab ihm die Art des Zusammenbruchs postwendend zurück (er singt: „Was war das doch für ein Triumph / als Mauern bröckelten zu Sand“). Dennoch, so äußerte er in einem Interview 1994, war damit natürlich das Modell, die einigermaßen konkrete Zielvorstellung, abhanden gekommen.

Es sollte sich aber sehr schnell herausstellen, daß auf die Revolutionen im Osten keine neue Ära des Friedens und Wohlstands folgte. Wecker kommentierte im bereits zitierten Wendelied Prost Deutschland:

Und wo versteckt man heute die
die kürzlich wirklich vorneweg
in neuer klarer Melodie
die Füße stemmten in den Dreck?
Wer hat das alles eingeheimst?
In welchen Schlund fiel diese Zeit?
Fiel dieser viel zu kurze Herbst
der Wärme und der Einigkeit?

Die Krise der Weltwirtschaft, verantwortlich für den Zusammenbruch des Ostblocks, hatte nun auch im Westen ihre Folgen. Ohne hier auf den genauen Ablauf eingehen zu können, kann man zweifellos feststellen, daß es die durch jene Krise hervorgerufene Zunahme von Armut und Massenarbeitslosigkeit war, die zu jener unerhörten und beispiellosen Welle des Rassismus führte. Aber eben nicht automatisch. Es war zunächst einer skrupellosen Kampagne der CDU/CSU gedankt, welche in ihrer gnadenlosen Hetze gegen Flüchtlinge von ihrer brutalen Politik der Verelendung ablenken wollte, die die Lawine des Rassismus auslöste. Die einmal mehr unfaßbare Schwächlichkeit der SPD kam hinzu. Anstatt sich der rechten Propaganda entgegenzustellen, schwieg die SPD lange Zeit, um dann zwei Tage nach dem rassistischen Pogrom von Rostock in der Frage des Asylrechts umzufallen. Es folgten die Mordtaten von Mölln und Solingen.

 

 

Aufbäumen und Zusammenbruch

Konstantin Wecker reagierte auf die Ereignisse. Zunächst sang er auf seinen Solokonzerten nach einer Pause von vielen Jahren seinen Willy und das antifaschistische Stück Vaterland. Bald reichte ihm das jedoch als Antwort auf die rassistische Flut nicht mehr aus. Er erweiterte sein antirassistisches Repertoire erheblich und warf sich auf seine Weise in den Abwehrkampf. Noch bevor die Antirassismus-Bewegung, die später in Form der Lichterketten Millionen Menschen auf die Straße trieb, ganz abgehoben hatte, war Wecker zur Stelle. Anläßlich eines Auftritts im Scheibenwischer legte er unter dem Eindruck des Rostocker Pogroms eine Neufassung des Willy auf. Die Ballade von Antonio Amadeo Kiowa, der Willy II über einen 1993 in Eberswalde ermordeten Flüchtling aus Angola, ist ein musikalisches Fanal gegen den rassistischen Terror. Mit großer Leidenschaft lehnte sich Wecker gegen den Zeitgeist. Wütend und schonungslos attackiert er dabei das Verhalten der SPD, seiner SPD.

Seine Enttäuschung über den auch für viele SPD-Skeptiker überraschenden Um- falber der Sozialdemokraten in der Asylfrage, gegen den zum Parteitag 1993 150.000 Menschen demonstrierten, muß maßlos gewesen sein. Während er nämlich in Sachen Utopie gewisse Illusionen in den Ostblock hatte, war er in der konkreten Politik stets auf SPD gepolt. Damit war ihm neben dem Fernziel (Ostblock) auch das Nahziel – Veränderung durch SPD-Wahlsiege – geraubt. Für Wecker, der seit Jahrzehnten regelmäßig auf über die SPD-Künstleragentur Aufruf zur Phantasie vermittelten Konzerten singt, muß der Ausverkauf des Asylrechts ein wahrer Genickschlag gewesen sein.

Wecker befand sich also in einer Zwickmühle. Einerseits die katastrophale politische Entwicklung mit ihren Hetzkampagnen und Morden. Andererseits wurde offensichtlich, daß die SPD diese Lawine nicht aufzuhalten gewillt war.

Weckers Antwort war eine Politisierung seiner Kunst. Auf seiner CD Uferlos finden sich neben der Ballade über Amadeo gleich noch drei weitere, unmittelbar antirassistische Lieder. Des weiteren brach Wecker bewußt mit seiner Haltung zu politischen Agitationsliedern. Sag nein! ist ein kompletter Stilbruch, mit dem Wecker gezielt versucht, die Widerstandsaktivität des Hörers zu mobilisieren. Wecker hat diesen Stilbruch ganz bewußt begangen, und er hat auf seinen Konzerten auch erklärt, warum: weil es „in einer Zeit, in der ein deutscher Bundeskanzler zu feige und zu arrogant ist, bei einer Trauerfeier zu erscheinen, nämlich in Solingen, aus Angst vor deutschen Eiern und davor rechte Wähler zu verlieren; in einer Zeit, wo all die Politiker die dieses schreckliche Brandstifterklima seit Jahren mit angeheizt haben, nichts anderes tun, als schleimig von ihrer Betroffenheit zu sabbeln und Grundgesetze zu ändern“, einfach notwendig sei.

Die Uferlos-Tour stellt einen Höhepunkt antirassistischer Kunst dar. Auch andere Künstler meldeten sich zu Wort. Die Toten Hosen mit ihrem Sascha, auch Udo Lindenberg (Panikpanther) und andere. Aber Wecker stellte eine ganze Tournee in den Dienst des Antirassismus. Man hat das Gefühl, sämtliche Liebeslieder und Sommerballaden seien nur um den eigentlichen Kern der Konzerte, den Block antirassistischer Lieder, herumgruppiert. Die CD Uferlos in Salzburg vermittelt einen lebendigen Eindruck der großartigen Atmosphäre, die Wecker so erzeugte. Die Live-Aufzeichnungen für ORF (4 Stunden Live-Übertragung!) und ZDF sind noch unmittelbarere Dokumente dieser antirassistischen Wecker-Festivals.

Aber Weckers Aufbäumen, gepaart mit politischer Orientierungslosigkeit, war auf die Dauer nicht durchzuhalten, jetzt machte sich das Fehlen einer „Ideologie“, einer Weltanschauung, die in der Lage ist, Entwicklungen zu erklären, bemerkbar. Einige weitere Schläge – das Platzen seiner Musicalpläne, privater Streß – ließen die Situation eskalieren. Der Crash kündigte sich künstlerisch an:

Der vierte Uferlos-Titel, der sich mit der rassistischen Welle beschäftigt, Ich habe Angst, ist bereits die Brücke von seinem politischen Aufbäumen zu seinem persönlichen Zusammenbruch. Er singt:

Und wenn Du, wie früher, von mir
Lieder der Hoffnung verlangst
da ist zwar ein Sehnen in mir
aber eigentlich habe ich Angst.

Diese Angst, diese bei allem Aufbäumen scheinbar siegreiche Hoffnungslosigkeit, war es wohl, die Wecker in die erneute Sucht trieb. Zwar hat er wohl auch in den Jahren zuvor gekokst. Aber als Zeitraum für die Eskalation seines Drogenkonsums zur unkontrollierbaren Sucht gibt er genau jene Zeit an.

Und so zeigt sich der Übergang vom antirassistischen Aufbäumen zum kokainschnupfenden Zusammenbruch plastisch auf der Uferlos-CD. Denn Ich habe Angst ist inhaltlich bereits der Übergang zu einem Songpaar, das bereits den parallel zu seinem Kraftakt stattfindenden Niedergang thematisiert: Die Rauschphantasie Tropenträume und ein weiteres Lied: Kokain!!

 

 

Häme, Knast und Afrika

Die Aburteilung Weckers wurde auf der Rechten mit kaum verhohlener Häme begrüßt. Endlich war der, der so oft und publikumswirksam den Finger in die Wunden gelegt hatte, zur Strecke gebracht. Das Urteil ist bestens geeignet, Wecker auf Jahre hinaus zu ruinieren. Eine Bewährungsstrafe, die zweifellos vertretbar war, hätte ihm die Möglichkeit gegeben, seine ein bis zwei Millionen Mark Schulden abzubauen und wieder auf die Beine zu kommen. Er ist inzwischen clean, seine Frau erwartet im Januar einen Sohn, er war geständig und hat, wie die Süddeutsche Zeitung kommentiert, niemand anderem geschadet als sich selbst. Während ein Harald Juhnke seine Alkoholexzesse weiterhin öffentlich zur Schau stellt, sitzt Konstantin Wecker nun im Knast. Ein Paradebeispiel dafür, wie mit Suchtkranken umgegangen wird. Welche heilsame Wirkung soll der Knast wohl auf Drogenkranke haben?

Wecker wird Berufung einlegen, aber seine Chancen sind nicht besonders gut. Ob er wieder auf die Beine kommt, ist ungewiß, wenn auch bei Wecker eher anzunehmen als ein stilles Siechtum. Immerhin geht er auf der neuen, kurz vor dem Prozeß erschienenen CD Gamsig neue musikalische Wege. Auch wenn noch nicht alles ausgereift ist und einige Lieder mißlangen, hat das Experimentieren mit Reggae und Soul, unterstützt von einem Chor aus Kamerun, Perspektive. Daß Wecker wegen des schwarzen Chors Drohbriefe von Nazis bekam und in Mannheim die NPD vor seinem Konzert gegen Drogensüchtige demonstrierte, zeigt, daß Wecker politisch nicht von allen für harmlos gehalten wird. Ob man seine Musik mag oder mit seiner Lyrik etwas anfangen kann, sollte darum nicht die Empörung über das Urteil der Justiz beeinträchtigen. Es bleibt ein politisches Schandurteil gegen einen fortschrittlichen Künstler.

 


Zuletzt aktualisiert am 21.8.2001