Lindsey German

 

Theorien des Patriarchats

(1981)


Lindsey German, Theories of Patriarchy, International Socialism 2:12, Frühjahr 1981.
Übersetzung © 2001 Verein für Geschichte udn Zeitgeschichte der Arbeiterbewegung (VGZA) e.V.

Transkription und HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für REDS – Die Roten.


Die vielleicht beharrlichste und am weitesten verbreitete Theorie in der Frauenbewegung heute ist die Theorie des Patriarchats. Sie nimmt viele unterschiedliche Formen, aber die Ideen, die dahinter stecken – daß die männliche Vorherrschaft oder der Sexismus etwas ist, das nicht nur als Produkt des Kapitalismus Bestand hat, sondern als etwas ganz von der kapitalistischen Produktionsweise getrenntes, und das über den Kapitalismus hinaus Bestand haben wird –, sind so breit akzeptiert, daß eine totale Ablehnung der Theorie mit absoluter und echter Verwunderung begrüßt wird.

Solche Theorien enthalten wenig Verständnis davon, wie die Frauenunterdrückung und das Wesen der Familie sich historisch geändert haben. Noch gibt es viel Ahnung davon, wie sehr unterschiedlich diese Unterdrückung in verschiedenen Klassen ist. Statt dessen stellt man uns die „ewige Wahrheit“ vor, daß das „Patriarchat“ in einer oder der anderen Form die Ursache der Frauenunterdrückung ist.

Das wird gerechtfertigt, indem man auf das Bestehen der Frauenunterdrückung in Gesellschaften andeutete, die anders sind als die westlichen – in Gesellschaften, die dem Kapitalismus zeitlich vorangingen, sowie in den sogenannten sozialistischen Gesellschaften in Rußland, China, Kuba, Osteuropa usw.

Die Patriarchatstheorie unterstützt die in der Frauenbewegung weit akzeptierte Vorstellung, daß es eine Trennung der Kämpfe geben muß. Der Sozialismus und die Arbeiterbewegung kämpfen den Kapitalismus, die Frauenbewegung führt einen getrennten Kampf gegen das Patriarchat. Die Logik der jetzigen Trennung der Kämpfe ist die getrennte gesellschaftlichen Entwicklung der beiden Geschlechter in der Zukunft. Diese ist eine Logik, die viele Anhängerinnen der Patriarchatstheorie nicht akzeptieren würden. Aber wenn das Patriarchat wirklich etwas ist, wodurch alle Männer alle Frauen unterdrücken, wie kann es von Frauen und Männern, die zusammenhandeln, überwunden werden?

Ich will etwas ganz anderes argumentieren. Ich will die Vorstellung des Patriarchats als bestenfalls einen verworrenen Begriff ablehnen, der bloß Frauenunterdrückung bedeutet (in welchem Falle sie nicht diese Unterdrückung erklären kann), und schlimmstenfalls eine völlig idealistische Vorstellung, die keine Basis in der materiellen Wirklichkeit hat. Ich will zeigen, daß nicht Männer von der Frauenunterdrückung „profitieren“, sondern das Kapital. Ich will mich anschauen, wie die Familie sich geändert hat und wie, als sie sich geändert hat, die Vorstellung sich auch geändert hat, die Frauen von sich selbst hatten. Hoffentlich wird das zeigen, daß das Weiterbestehen der Frauenunterdrückung nicht das Ergebnis einer männlichen Verschwörung (oder eines Bündnisses zwischen männlichen Arbeitern und der kapitalistischen Klasse), sondern des Fortbestands der Klassengesellschaft in allen Teilen der Welt ist. Daraus folgt, das ich argumentieren werde, daß die „sozialistischen“ Länder nichts mehr mit dem Sozialismus gemein haben, als mit der Frauenbefreiung.

Schließlich will ich die Frage anschauen, die immer Sozialisten zugeworfen wird. Engels und die frühen Marxisten nahmen an, daß die proletarische Familie (im Gegensatz zur bürgerlichen Familie) verschwinden würde, weil sie nicht auf Eigentum beruhte. Eindeutig ist das nicht geschehen. Da ich nicht glaube, daß das Patriarchat der Grund dafür ist, will ich mich genau ansehen, genau was sie denn am Leben hält.

 

 

Verschiedene Formen der Theorie

Das Schöne bei der Patriarchatstheorie ist, daß sie der Wunschtraum aller Menschen sein kann. Sie gedeiht mit den „vagen Gefühlen“, die von Teilen der Frauenbewegung so beliebt sind, eher als mit einer materialistischen Analyse. Folglich kann sogar die Suche nach einer Definition des Begriffs schwerfallen, da es so viele gibt, aus denen man wählen kann.

Das Patriarchat kann z.B. sich auf eine bestimmte Gesellschaft beziehen, wo der Vater (der „Patriarch“) nicht nur über die Frauen in der Familie herrschte, sondern auch über die jüngeren Männer. Eine solche Gesellschaft hing von der Bauern- bzw. Handwerkerproduktion ab, die mindestens teilweise zu Hause stattfand. Die Macht des Patriarchs beruht auf seinem Besitz des produzierten Reichtums oder auf seinem Grundeigentum. Aber in den meisten Fällen bedeutet der Begriff nicht eine solche historisch spezifische Gesellschaft. auch die verschwommensten Theoretikerinnen des Patriarchats können sehen, daß wir heute nicht in einer solchen Bauerngesellschaft leben, und es geht ihnen um die heutige Unterdrückung.

Die geläufigen Versionen der Theorie nehmen zwei Formen an.

Erstens gibt es diejenigen, die das Patriarchat als etwas rein ideologisches betrachten. Juliet Mitchell sieht z.B. eine strenge Abgrenzung: „Es handelt sich um zwei autonome Gebiete, die Wirtschaftsweise des Kapitalismus und die ideologische Weise des Patriarchats.“ [1] Sally Alexander und Barbara Taylor bringen ähnliche Argumente in ihrem Aufsatz „Zur Verteidigung des Patriarchats“ vor. [2]

Eine solche Trennung des Ökonomischen und des Ideologischen muß man in Frage stellen. Es gibt immer eine Verbindung zwischen der ökonomischen Basis einer Gesellschaft und den Vorstellungen, die innerhalb dieser Gesellschaft entstehen. Man kann nicht die beiden als zwei autonome Bereiche betrachten. Wie Marx lange her darauf hinwies, wenn man die Geschichte bloß als das Ergebnis der Vorherrschaft der Ideen oder einer Reihe von Ideen betrachtet, kann man nichts über die Entwicklung der Gesellschaft erklären. Warum herrschen manche Ideen vor? Und warum ändern sich die vorherrschenden Ideen?

Wenn man die religiöse Vorstellung über die Position der Frau als etwas, das von einem (männlich-chauvinistischen) Gott bestimmt worden sei, ablehnt, dann muß man die materiellen Bedingungen suchen, die die Menschen dazu geführt haben, sich in bestimmten Weisen mit der Welt und miteinander in Verbindung zu bringen. Darin muß man die Ursprünge der Frauenunterdrückung sie auch anderer gesellschaftlicher Erscheinungen suchen. Dann kann man verstehen, wie die Ideen entstanden sind, die diese Unterdrückung rechtfertigen, und wie man sinnvoll zurückkämpfen kann.

Was Marx 1845 schrieb, gilt für die Frauenunterdrückung ebenso wie für alle anderen Erscheinungen unserer Gesellschaft: „Es wird nicht ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen, auch nicht von den gesagten, gedachten, eingebildeten, vorgestellten Menschen, um davon aus bei den leibhaftigen Menschen anzukommen; es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozeß auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt ... Die Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und die ihnen entsprechenden Bewußtseinsformen behalten hiermit nicht länger den Schein der Selbständigkeit. Sie haben keine Geschichte, sie haben keine Entwicklung, sondern die ihre materielle Produktion und materielle Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens. Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewußtsein.“ [3]

Wenn man im Gegensatz dazu das Patriarchat als „ideologische Weise“ betrachtet, betrachtet man Ideen als etwas Selbstanhaltendes an sich. Der Kampf um die Frauenbefreiung hört dann auf, mit dem Kampf gegen die materielle Ausbeutung verbunden zu sein, der ihn mit den banalen Sorgen von Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern verbinden kann. Statt dessen wird er das, was Alexander und Taylor Verlangen – einen kulturellen Kampf um die Änderung der Ideen der Menschen isoliert von der Änderung der Gesellschaft. Es ist leicht, sich daraus vorzustellen, wie Ideen über die Autonomie der Frauenbewegung entwickeln. Wenn Ideen autonom von der wirtschaftlichen Ausbeutung sind, warum soll man auch nicht autonom gegen die Frauenunterdrückung kämpfen?

Einige Frauen haben einen Widerspruch hier anerkannt und haben deshalb kürzlicher versucht, materialistische Theorien des Patriarchats zu entwickeln. Sie argumentieren, daß Männer (alle Männer) von der Frauenunterdrückung profitieren, und daß sie das wegen der grundsätzlichen biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern machen können. Als Roberta Hamilton es zusammenfaßt: „Die feministische Analyse hat sich an die patriarchalische Ideologie gerichtet, diejenige patriarchalische Weise, die das System der männlichen Vorherrschaft und der weiblichen Unterwerfung in der Gesellschaft bestimmt. Aber [die Ideologie] ... gründet sich auf den biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern, die ihr eine eigene historische Basis gibt“. [4]

Christine Delphy bringt ein solches materialistisches Argument vom Standpunkt des radikalen Feminismus in ihrem Buch Der Hauptfeind vor. [5] Einen ähnlichen Versuch, der aber marxistische Kategorien verwendet, hat Heidi Hartmann gemacht. [6] Diese letzte Version will ich mir relativ ausführlich anschauen. Wenn man zeigen kann, daß Argumente dieser Art fehlerhaft sind, dann fällt der ganze Versuch, die „Patriarchatstheorie“ und den Marxismus zu verbinden, auseinander.

 

 

Sind Männer die Ausbeuter von Frauen?

Hartmann definiert das Patriarchat als „einen Satz von sozialen Verhältnissen zwischen Männern, die eine materielle Basis haben, und die obwohl hierarchisch eine wechselseitige Abhängigkeit und Solidarität unter Männern bilden oder schaffen, die es ihnen ermöglichen, Frauen zu beherrschen.“ Sie argumentiert weiter: „Die materielle Basis, worauf das Patriarchat beruht, liegt am grundsätzlichsten in der Kontrolle der Männer über die Arbeitskraft der Frauen ..., [es] beruht nicht bloß auf dem Kinderkriegen in der Familie, sondern auf den ganzen Gesellschaftsstrukturen, die es Männern ermöglichen, die Arbeit der Frauen zu steuern.“ „ Die Kontrolle wird dadurch aufrechterhalten, daß man Frauen den Zugang zu produktiven Ressourcen verwehrt und die Sexualität der Frauen einschränkt.“ [7]

Indem sie Frauen den Zugang zu diesen ökonomisch produktiven Ressourcen verwehren, bilden Männer ein Bündnis mit dem Kapital. Als Beweismaterial dafür zitiert sie die Entwicklung des Kapitalismus und die Reaktion der Arbeiterklasse auf ihre Probleme in der Form von Forderungen nach Schutzgesetzen und dem Familienlohn. Das Argument lautet: Männliche Arbeiter kämpften um beide, um daraus zu profitieren, indem die Frauen ins Zuhause gesteckt wurden, wo sie Männer dienen sowie von ihnen sexuell gesteuert [kontrolliert] werden konnten. Aber stimmt diese Interpretation der Ereignisse?

Die Entwicklung des Kapitalismus in Großbritannien hatte die Auswirkung, daß sie die Produktion im Haushalt zerstörte und Frauen und Kinder zusammen mit den Männern ins Fabriksystem zwang. Das hatte eine verheerende Auswirkung auf die Reproduktion der Arbeiterklasse. Die Säuglingssterblichkeitsrate erreichte entsetzliche Niveaus wegen der Tatsache, daß (wie Marx im Kapital zeigte) Mütter lange Stunden weg vom Haushalt arbeiten mußten. Kinder wurden mit etwas älteren Kindern gelassen, oder mit Kinderbetreuerinnen, die sie oft vernachlässigten oder sie mit Gin oder Laudanum ruhig hielten. Als sie alt genug wurden, um Maschinen zu bedienen, wurden sie auch in die Fabrikproduktion eingezogen. Wie Marx sagte: „Dies gewaltige Ersatzmittel von Arbeit und Arbeitern verwandelte sich damit sofort in ein Mittel, die Zahl der Lohnarbeiter zu vermehren durch Einreihung aller Mitglieder der Arbeiterfamilie, ohne Unterschied von Geschlecht und Alter, unter die unmittelbare Botmäßigkeit des Kapitals.“ [8]

Die Bedingungen, die hier von Marx beschrieben werden, sowie von Engels in seinem Buch Die Lage der arbeitenden Klasse in England [9], zeigen, wie entsetzlich das frühe Fabriksystem war. Die Wirkung des neuen Systems Riß die alte vorkapitalistische Familie auseinander, als alle Mitglieder der Familie Lohnarbeiter wurden. Die kapitalistische Ausbeutung legte aber trotz ihrer Brutalität die Basis dafür, daß die Männer und die Frauen der besitzlosen Klasse, des Proletariats, gleich sein könnten. Das war der Grund, warum Engels so sehr zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Familie unterschied. Es schien, als ob es eine Tendenz dazu gab, daß die Arbeiterfamilie zu existieren aufhören würde. Dabei hatte Engels recht.

Aber er verstand nicht die Auswirkung des Fabriksystems auf den Reproduktionsprozeß selbst. In Manchester, vielleicht dem fortgeschrittensten Zentrum der Fabrikproduktion, gab es 25.125 Todesfälle auf 100.000 Kinder unter einem Jahr; [10] das Dreifache der Sterblichkeitsrate in einigen nichtindustrialisierten Gebieten. Die weitestblickenden Mitglieder der herrschenden Klasse konnten sehen, daß die künftige Versorgung der Arbeitskräfte für das System in einem Vernichtungsprozeß war.

Aus diesen Bedingungen entstanden die Forderungen nach Schutzgesetzen und dem Familienlohn. Sie paßten in die sich verändernden Bedürfnisse des Kapitalismus, aber sie entstanden auch aus den wirklichen Sorgen der Männer sowie der Frauen in der Arbeiterklasse über eine besseren Lebensstandard, sichere Schwangerschaften, gesündere Kinder und saubere Wohnungen.

Theoretikerinnen des Patriarchats wie Hartmann argumentieren, daß die Männer sich mit dem Kapital verbündeten, um Frauen aus bestimmten Stellen auszuschließen. Es gab zwar Versuche, das zu machen. Facharbeiter verwendeten ihre Gewerkschaften, um Frauen aus bestimmten Branchen auszuschließen. Aber sie schlossen nicht nur Frauen aus. Die Kinder von ungelernten Arbeitern sowie von ausländischen Arbeitern konnten ebensowenig die Aussicht haben eine Lehrlingsstelle in einer solchen Branche zu bekommen, wie die Frauen, und die Ausgeschlossenen waren alle, die „ihre Lehre [nicht] durchgemacht“ hatten. Es dehnt die Vorstellung des Patriarchats bis zur Absurdität aus, wenn man wie Hartmann ihr die Bedeutung „weißen männlichen Suprematismus [supremacism = Theorie der Rassenüberlegenheit] – und es geht über die Grenzen der Absurdität hinaus, wenn man versucht, sie den historischen Tatsachen anzupassen, indem man sie als „weißen männlichen Facharbeitersuprematismus“ interpretiert, der nicht bloß gegen alle Frauen und alle Einwanderer diskriminiert, sondern auch gegen die meisten „einheimischen“ Arbeiter.

Außerdem waren einige der wichtigsten Bereiche, aus denen Frauen ausgeschlossen wurden, Bereiche, wo die Gewerkschaften schwach waren oder nicht existierten und keineswegs in der Lage waren, jemanden auszuschließen. Der gesetzliche Ausschluß von Frauen aus bestimmten Industrien wurde von bürgerlichen Parlamenten durchgeführt, weil die Bedingungen in diesen Industrien als schädlich für die Erzeugung der nächsten Arbeitergeneration betrachtet wurden (entweder direkt, wo schwangere Frauen mit Prozessen arbeiteten, die Föten schaden könnten, oder indirekt, wo sie Stunden arbeiteten, die ihnen daran hinderten, ihre Rolle in der Sozialisierung ihrer Kinder zu spielen). Die Triebkraft für den Ausschluß lag nicht mit „patriarchalischen Männern“, sondern mit den Ansichten des Kapitals über seine langfristigen Bedürfnisse.

Die Theorie, daß der Familienlohn – ein Lohn, der dem Mann bezahlt wurde, der dafür genügte nicht nur sich selbst, sondern auch seine Familie zu unterhalten – eine patriarchalisch-kapitalistische Verschwörung war, um die Frauen aus der Arbeit zu zwingen, hält nicht stand.

Er war aber im Interesse des Kapitals, als die Entwicklung der Produktivkräfte die Schaffung von genügend Wert ermöglichte, um die Reproduktionskosten der ganzen Familie zu decken und einen ausreichenden Überfluß zu liefern. Verheiratete Frauen aus der Arbeiterklasse konnten sich dann der Hausarbeit und der Kinderbetreuung widmen, was sicherstellte, daß männliche Arbeiter erfrischter und produktiver waren und daß die nächste Arbeitergeneration gesunder und besser sozialisiert waren. Aber trotzdem deckte der Familienlohn nie die ganze Arbeiterklasse, und eine wachsende Zahl von verheirateten Frauen waren weiter an bezahlter Arbeit beteiligt (auch wenn es eine relative Verringerung ihrer Zahl im Vergleich mit Männern gab). Und die älteren Kinder mußten für die Familie arbeiten gehen.

Aber Männer profitierten nicht vom Familienlohn. Er deckte nicht mehr als die Mindestkosten der Reproduktion: den notwendigen Betrag für die Unterhaltung der ganzen Familie. Er hob nicht das Konsumniveau des männlichen Arbeiters an, da im allgemeinen er beträchtlich weniger war als das gemeinsame Familieneinkommen, das verdient worden wäre, wenn seine Frau und Kinder auch gearbeitet hätten. Der männliche Arbeiter bekam zwar die Lohntüte, die den Familienlohn enthielt. aber gesetzliche und ideologische Zwänge aller Art wurden angewandt, um zu ermuntern, daß man ihn für die Unterhaltung der ganzen Familie ausgab, und nicht für das eigene Vergnügen.

Wenn man die höheren Löhne der Männer – den Familienlohn – als einen Vorteil der Männer betrachtet, versteht man nicht die Gesamtheit des Lohnsystems. Man sieht den Form, aber nicht den Inhalt. Man läßt sich durch die Erscheinungsformen unter dem Kapitalismus verwirren, wo der Lohnverdiener anscheinend ein souveränen [unabhängigen] Konsument ist, der ein bestimmtes Einkommen hat, das er nach Belieben ausgeben kann, und erkennt nicht an, daß man das Einkommen für die Reproduktion der Fähigkeit ausgeben muß, für das Kapital zu arbeiten. Unter dem System des Familienlohns leidet die verheiratete Frau, insofern sie aus der direkten kapitalistischen Produktion ausgeschlossen ist, und deshalb wird ihr wie dem Arbeitslosen auch der Anschein abgelehnt, eine Souveräne [unabhängige] Konsumentin zu sein. Das ist ein wichtiger Teil davon, was wir meinen, wenn wir sagen, Hausfrauen sind unterdrückt, während Arbeiter ausgebeutet sind. Aber es bedeutet nicht, daß männliche Arbeiter von der Frauenunterdrückung profitieren. Natürlich gab es eine Alternative zur Forderung nach dem Familienlohn. Das wäre ein Kampf um ausreichende Kinderbetreuungsgelegenheiten, Mutterschaftsurlaub und gleiche Löhne gewesen. Laut Hartmann: „Anstatt für gleiche Löhne für Männer und Frauen zu kämpfen, verlangten männliche Arbeiter den Familienlohn, weil sie die Dienstleistungen ihrer Ehefrauen zu Hause halten wollten. In der Abwesenheit des Patriarchats hätte eine vereinigte Klasse den Kapitalismus konfrontieren können, aber patriarchalische soziale Verhältnisse spalteten die Arbeiterklasse und ließen einen Teil (Männer) auf Kosten des anderen (Frauen) kaufen.“ [11]

Aber war diese wirklich die gestellte Alternative? Erstens war die (männliche) Arbeiterklasse kaum die großartig organisierte monolithische Klasse, die Hartmann behauptet. Die Mehrheit der Arbeiter war nicht einmal gewerkschaftlich organisiert. Eine Zeitlang nach dem Niedergang des Chartismus kämpften sie überhaupt kaum um Forderungen einer verallgemeinerten Art. Sie akzeptierten die Ideen und den Rahmen des Kapitalismus, einschließlich der vorherrschenden Ideologie über Frauen. Man kann kaum von ihnen erwarten, daß sie um die größere Vergesellschaftung der Kinderbetreuung hätten kämpfen sollen, wenn sie kaum um überhaupt etwas kämpften.

Zweitens gab es für die Frauen der Arbeiterklasse das Problem der Gefahr und der Häufigkeit des Gebärens. Heute lehnen Frauen in fast jedem fortgeschrittenen Land es ab, viele (wenn überhaupt) Kinder zu haben. Unser Zugang zur Empfängnisverhütung, wie auch immer unzulänglich, ist etwas, das vor unserer Generation nicht zu träumen war. Für diese Frauen gab es keine Alternative zu einem Leben der häufigen und oft ungewollten Schwangerschaften als die Enthaltung. Für Menschen in der Arbeiterklasse von beiden Geschlechtern war das Gebären eine harte Tatsache, und unter solchen Umständen wollten sie beide normalerweise, daß die Frau geschützt sein sollte. Das erklärt in einer viel zufriedenstellenderer Weise als jede Theorie der männlichen Verschwörungen, warum gerade die Frauen die Fabrik bei der Ehe ließen und warum der Familienlohn ein Männerlohn war.

Tatsache bleibt, daß diese Züge einen Schlag den Chancen der Frauen versetzten, ihre untergeordnete soziale Position zu überwinden. Der Kapitalismus hatte das Potential für die Gleichheit Geboten, aber diese Gleichheit ließ sich nicht innerhalb des Systems verwirklichen. Im Interesse der Reproduktion der Arbeitskraft wurden Frauen zu Hause isoliert und atomisiert. Ihre Arbeit wurde als das Dienen der Ehemänner und der Kinder betrachtet. Ihnen wurde die finanzielle Unabhängigkeit vorenthalten. Dieses „Ideal“ war nie die Wirklichkeit für alle Frauen in der Arbeiterklasse; viele beteiligten sich immer an der Lohnarbeit. Aber die herrschenden Ideen propagierten die Idee der Familie als etwas heiliges, indem sie das Stereotyp [die Klischee der bürgerlichen Familie auf die Arbeiterklasse projizierten als ein Mittel dafür, die Reproduktion sicherzustellen. Und Frauen und Männer in der Arbeiterklasse akzeptierten genau dieses Stereotyp [diese Klischee] als die „Norm“, auch wenn es [sie] nicht zur eigenen persönlichen Realität paßte.

Auch heute, wo die Entwicklung des Kapitalismus die Mehrheit der Frauen in den Arbeitsmarkt hineingezogen hat, ist diese Ansicht über Frauen nicht verschwunden, obwohl sie schwer unterminiert worden ist. Meinungen über Frauen, sowie die der Frauen über sich selbst, sind enorm unter der kombinierten Auswirkung der Kontrolle über Empfängnisverhütung und des Eintritts in die Arbeiterschaft fortgeschritten. Wie veränderte materielle Bedingungen Meinungen geändert haben, ist selbst ein Argument gegen die die Betrachtung der Unterdrückung als Ergebnis irgendwelcher mystischen männlichen ideologischen Gewalt, die sich nie ändert.

Hartmann argumentiert, daß Männer von der Arbeit der Frauen im Haushalt profitieren. Sie fragt: „Wer profitiert von der Frauenarbeit? Sicherlich die Kapitalisten, aber auch sicherlich die Männer, die als Ehemänner und Väter persönlich gestaltete Dienstleistungen zu hause bekommen. Der Inhalt und Ausmaß dieser Dienstleistungen sind vielleicht unterschiedlich aufgrund Klasse oder ethnischer bzw. rassischer Gruppe, aber die Tatsache, daß sie sie bekommen, unterscheidet sich nicht. Männer haben einen höheren Lebensstandard als Frauen, was Luxus, Konsum, Freizeit und persönlich gestaltete Dienstleistungen betrifft.“ [12]

Nun stimmt es natürlich, daß die Frauen die Hauptlast der Kinderbetreuung und der Hausarbeit im Haushalt tragen. Aber folgt daraus, daß Männer von der Frauenarbeit „profitieren“? Die Arbeitsteilung ist ja doch eine Teilung der Arbeit, wo Männer andere Arbeit machen, im Betrieb sowie zu Hause. Aber wenn man sagt, daß das Schweißen besser oder schlimmer ist als die Hausarbeit, betrachtet man beide in einer völlig subjektiven und unmeßbaren Weise. Das Gleiche gilt für die Freizeit. Männer haben strenger definierte Freizeit, die dazu neigt, sozial zu sein (die Kneipe, Fußball), genau wie sie dazu tendieren, strenger definierte Arbeitszeit zu haben. Aber man kann nicht einfach sagen, daß sie mehr ist – sie ist anders.

Hausarbeit ist definitionsgemäß Arbeit, die nicht dem von der kapitalistischen Ausbeutung im Betrieb oder im Büro aufgezwungenen Tempo untergeordnet ist. Sie bedeutet nicht intensive Anstrengung für eine bestimmte Stundenzahl, gefolgt von einer Erholungsperiode, um die Verwendung einer anderen bestimmten Periode der intensiven Arbeit zu ermöglichen. Es gibt deshalb keine Weise, wie man den Maß an Arbeit , der in ihr steckt, gegen den Maß an Arbeit, der in der Fabrikarbeit steckt, messen kann. Alles, was man mit Sicherheit sagen kann, ist, daß die Fabrikarbeit sowie die Hausarbeit lähmend [schwächend] sind – die eine führt zu Berufskrankheiten ( das ist der Grund, warum Symptome wie chronische Bronchitis viel häufiger unter männlichen Arbeitern sind als unter Hausfrauen), schrecklichen Unfällen, akuter Ermüdung [Erschöpfung] und oft einem frühen Tod; die andere führt zu Demoralisierung, Atomisierung, Unsicherheit und einer Vielfalt von Beschwerden, die normalerweise von Ärzten unbeachtet werden. Der große Nachteil, unter dem Hausfrauen leiden, besteht nicht darin, daß sie irgendwie von Männern ausgebeutet sind, sondern darin, daß sie atomisiert und von der Teilnahme an der kollektiven Tätigkeit abgeschnitten sind, die das Selbstvertrauen dafür geben kann, gegen das System zurückzukämpfen.

Eigentlich taucht das Problem der „Vorteile“ erst wirklich auf, wenn es eine Abweichung von der alten klischeehaften Arbeitsteilung zwischen dem „männlichen Arbeiter“ und der weiblichen „Hausfrau“ gibt. Als verheiratete Frauen immer mehr in die Arbeiterschaft hineingezogen werden, finden viele Frauen heraus, daß sie vollzeitig bezahlte Arbeit leisten und daß es trotzdem erwartet wird, daß sie den Haushalt betreiben [organisieren]. Sie haben viel weniger Zeit übrig, um ihre Arbeitskraft wiedergutzumachen [zu erholen] als ihre Ehemänner, weil sie Arbeit und Hausarbeit miteinander verbinden müssen. Dennoch ist es auch in dieser Situation zweifelhaft, ob der Ehemann mehr als geringfügig profitiert. Die anstrengendsten und lähmendsten [schwächendsten] Aspekte der Hausarbeit sind diejenigen, die mit der Kinderbetreuung verbunden sind. Der große „Parasit“ auf der Frauenarbeit im Haushalt ist die Kinderbetreuung. Trotzdem ist der Ehemann nicht deinige, der vom Bestehen des Kindes profitiert, sondern das Kapital, das dadurch eine künftige Quelle des Mehrwerts garantiert wird. Bloß deswegen, weil die Frau an einer Doppelbelastung der unmittelbaren Produktion des Mehrwerts im Betrieb oder im Büro und der Reproduktion der künftigen Quellen des Mehrwerts zu Hause leidet, folgt es nicht, daß die Einzelbelastung der männlichen Arbeiter weniger ist.

Ich würde deshalb nicht nur argumentieren, daß Männer nicht von der Arbeit der Frauen in der Familie profitieren (vielmehr profitiert das ganze kapitalistische System), sondern auch, daß es nicht stimmt, daß Männer und das Kapital sich verschworen, um Frauen den Zugang zur wirtschaftlichen Produktion zu verhindern.

Wir leben in einer Periode, wo in den meisten fortgeschrittenen Ländern eine größere Anzahl Frauen als je zuvor in der Geschichte arbeitet. Die Stellen, die sie haben, unterscheiden sich von denen der Männer; in diesem Sinne ist die sexuelle Arbeitsteilung ebenso lebendig wie immer. Und ihre Belohnung ist weit davon entfernt, gleich zu sein. Der Grund dafür ist, daß immer noch (normalerweise) das Arbeitsleben der Frau vom Geburt unterbrochen wird (obwohl viel seltener als vor einigen Generationen), und daß es erwartet wir, daß sie die Hauptrolle bei der Betreuung der Kinder spielt, zusätzlich zur Arbeit.

Aber die Struktur der Frauenarbeitsstellen hat mehr mit der Periode der kapitalistischen Entwicklung zu tun, wo sie der Arbeiterschaft beitraten (besonders mit der Ausdehnung des Dienstleistungssektors), als mit irgendwelcher männlichen Verschwörung. Das wird besonders deutlich gezeigt, wen man die Stellen der Frauen mit denen der Einwanderer beider Geschlechter vergleicht. Die beiden Gruppen sind (mit einigen Ausnahmen wie Gießereiarbeit) in der Reinigung, der Verkehr, der Gastronomie, der Leichtindustrie und in der Nahrungsmittelverarbeitung konzentriert, weil beide der Arbeiterschaft zu einem ähnlichen Zeitpunkt beiträten. Die Geschlechtertrennung bei der Arbeit hat für Frauen nichts mit ihrer Rolle im Haushalt zu tun. Manchmal wird argumentiert, daß Frauenstellen die Mutterschaft und die Hausarbeit widerspiegeln. Man kann nicht die Füllung von Konservendosen mit Erbsen als Erweiterung der Sachen behandeln, die Frauen im Haushalt machen. Noch kann man es mit den Stellen von Bankkassiererinnen, Tippistinnen, Registraturangestellten, Telefonistinnen, Kassiererinnen machen. (In Büros spielen nur die privilegierten Elitesekretärinnen die Rolle der Ersatzhausfrau für die (männlichen) Leiter – die Masse der Angestellten überhaupt nicht.)

Noch hat die gegenwärtige Rezession so ausgewirkt, daß die Frauen massenhaft aus der Arbeiterschaft vertrieben werden. „Es ist ein Symptom [symptomatisch] von der männlichen Vorherrschaft, daß unsere Arbeitslosigkeit nie als eine Krise betrachtet wurde. In den 1930er Jahren wurde man mit der riesigen Arbeitslosigkeit fertig, indem man Frauen aus Stellen aller Art ausschloß – eine Lohnstelle pro Familie, und die Stelle gehört dem Mann.“ [13]

Das ist einfach falsch [Das stimmt einfach nicht]. Eine Untersuchung der Arbeit in den USA während der Periode 1930-40 zeigt, daß eine größere Anzahl Frauen in diesem Jahrzehnt der Lohnarbeit beitrat als in jedem anderen in der amerikanischen Geschichte. [14] Das war trotz der Rhetorik einiger Männer, einschließlich Gewerkschaftsbürokraten wie Samuel Gompers, und war eine Widerspiegelung der Auswirkung der Krise. Ähnlich stieg in Deutschland während der großen Wirtschaftskrise, obwohl alle Parteien (außer den Kommunisten) dafür waren, daß verheiratete Frauen ihre Arbeitsplätze aufgeben sollten, der weibliche Anteil der Gesamtarbeiterschaft zwischen 1928 und 1932 von 35,3 Prozent auf 37,3 Prozent – und der Grund dafür war die steigende Zahl der verheirateten Frauen die arbeiteten. [15] Als die Männer aus den traditionellen Industrien ausgeworfen wurden, wurden die Frauen auf den Arbeitsmarkt zu egal welchen Preisen gedrängt.

Eine ähnliche Tendenz ist heute zu betrachten. Selbstverständlich bedeutet das nicht, daß das Kapital frauenfreundlich und männerfeindlich geworden ist. Aber was es sehr wohl bedeutet, ist, daß das Kapital die Ideologie, daß der Platz der Frau am Herd ist, verwenden wird, um niedrige Löhne, schlechte gewerkschaftliche Organisation und schlechte Bedingungen aufzuzwingen. Die Frage, die die Theoretikerinnen des Patriarchats antworten müssen, ist folgende: Wenn das Kapital und Männer wirklich verbündet sind, warum werden Frauen nicht aus der Arbeit hinausgeworfen und durch arbeitslose Bergarbeiter, Stahlarbeiter und Hafenarbeiter ersetzt?

 

 

Ist die Familie unveränderlich?

Die häufige Behauptung aller Theorien des Patriarchats besteht darin, daß die männliche Vorherrschaft ohne Rücksicht auf andere Änderungen der Gesellschaft gleich bleibt. Folglich dauert das Patriarchat fort und der Kampf dagegen ist etwas getrenntes vom Kampf gegen den Kapitalismus. In den biologischen Theorien wird das Problem auf das der Unterschiede zwischen Männern und Frauen reduziert. Es ist ziemlich leicht, diese Argumente abzutun, und sie haben wenig Einfluß mindestens in Großbritannien.

Einflußreicher sind die Arten Argument, die von Menschen wie Hartmann vermittelt werden, die den Kapitalismus und das Patriarchat als zwei verschiedene Kräfte betrachten, die sich miteinander gegen Frauen verbünden. Sie erklärt uns: „Marxisten ... unterschätzten die Stärke der vorher vorhandenen patriarchalischen gesellschaftlichen Kräfte, mit denen das neuentstandene Kapital fertig werden mußte und das Bedürfnis des Kapitals, sich diesen Kräften anzupassen.“ [16] Aber das setzt voraus, daß die vorkapitalistische Familie intakt ohne Änderung in den Kapitalismus übergegangen ist. Und als solche ist es Teil ihres allgemeineren Arguments, daß innerhalb der Klassengesellschaft es zwei Formen der Produktion gibt – Arbeit und Familie. Die eine faßt eine Produktionsweise um, die andere eine Reproduktionsweise. Sie rechtfertigt diese Behauptung mit einem Zitat aus Engels erstem Vorwort zu seinem Buch Die Ursprünge der Familie, des Privateigentums und des Staats: „Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens ... Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion ...“ [17]

Sie betrachtet die beiden „Weisen“ als gleich wichtig (und kritisiert Marxisten, dafür, daß sie von der ökonomischen Produktion als die Weise sprechen), und sie argumentiert, „es gibt anscheinend keine notwendige Verbindung zwischen Änderungen in der einen Seite der Produktion und Änderungen in der anderen.“ [18] Mit anderen Worten, jede „Weise“ der Produktion könne sich unabhängig von der anderen ändern. Den Kapitalismus könne man abschaffen, während das Patriarchat intakt bleibe.

Marxisten haben immer etwas ganz anderes argumentiert. Engels sagt in seinem Vorwort zum Ursprung der Familie weiter, daß, als die Klassengesellschaft sich entwickele, es immer weniger der Fall sei, daß die beiden nebeneinander bestehen, und daß das, was entsteht, „eine Gesellschaft [ist], in der die Familienordnung ganz von der Eigentumsordnung beherrscht wird ...“ [19] Als der Kapitalismus sich als Weltsystem, als Totalität entwickelt, hüllt sie alle vorkapitalistischen Strukturen ein und ändert sie, einschließlich der Familie.

Das Wesen der Familie wird umgewandelt. Es könnte kaum anders sein. Sie hätte nicht den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus überleben können, ohne daß sie sich grundsätzlich geändert hätte. Denn dieser Übergang war nicht etwas friedliches, sondern eine revolutionäre Umwälzung im Leben der Menschen. Er bedeutete die Zerstörung alter Lebensweisen, der alten Produktionsformen im Haushalt, der Situation, wo die Frau vom Man in der Familie für ihren Unterhalt abhing, und ihre Ersetzung durch verallgemeinerte Lohnarbeit. Selbstverständlich dauert die Familie durch die Geschichte fort im sinne, daß die Reproduktion des Lebens weitergeht. Der biologische Prozeß bleibt der gleiche. Aber die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse ändern sich völlig. Jede neue Form der Familie wird von der herrschenden Klasse neugeschaffen, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Und die neue vom Kapitalismus geschaffene Familie kann nicht unabhängig von der kapitalistischen Produktionsweise existieren.

Wenn man anders andeutet, leugnet man, daß die materiellen Bedingungen die Ideen bzw. die Strukturen der Gesellschaft ändern können. Sheila Rowbotham macht den gleichen Fehler, wenn sie argumentiert, daß die kapitalistische Familie Elemente der feudalistischen Produktionsformen enthalte und deshalb „eine Weise innerhalb einer Weise“ sei. [20] Dennoch bleiben die innerhalb des Kapitalismus fortdauernden Spuren des Feudalismus überhaupt nicht gleich wie früher. Die Monarchie ist ein Überrest der feudalen Gesellschaft, aber sie ist vom Kapitalismus so völlig umgewandelt worden, daß sie wirklich wenig Beziehung zu ihrer früheren rolle hat. So auch mit der Familie. Sie sieht vielleicht gleich aus (obwohl das sich bezweifeln läßt), aber ihre Rolle und Funktionen, ihr Fundament sind vom Kapitalismus völlig umgewandelt worden. Die Reproduktion durch die Familie ist nicht eine getrennte Weise, sondern ein Teil des Überbaus des Kapitalismus. die Abschaffung des kapitalistischen Systems – ein revolutionärer Umsturz der Gesellschaft – bedeutet, daß das kapitalistische Reproduktionssystem, die Familie nicht intakt bleiben kann.

Hartmann behauptet: „Eine Gesellschaft könnte den Übergang von z.B. dem Kapitalismus zum Sozialismus durchmachen und patriarchalisch bleiben.“ [21] Aber sie könnte nicht. Denn mit der Abschaffung der Klassengesellschaft würde die Sozialisierung der Kinderbetreuung und der Hausarbeit bedeuten, daß die materielle Basis der kapitalistischen Familie zerstört würde. Das bedeutet nicht, daß es keine Probleme am Tag nach der Revolution geben wird. Die Probleme, mit denen die russische Arbeiterklasse konfrontiert wurde, als sie versuchte, diese Sachen zu machen, waren riesig. Revolution und Bürgerkrieg hatten eine massive Wirkung auf das Leben von Männern und Frauen. Schließlich scheiterte die Revolution, weil die Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen Ländern dem russischen Beispiel nicht folgte. Das führte der Reihe nach zu schweren Rückschlägen für die Position der Frauen. Aber in den frühen Jahren sahen sie die Schimmer der gleichen Arbeit, der sozialisierten Hausarbeit und einer viel freieren Sexualität, die durch den revolutionären Sturz der alten Gesellschaft ermöglicht wurde.

Die Tatsache, daß die Frauenunterdrückung offensichtlich in den sogenannten sozialistischen Ländern existiert, ist kein Beweis für das Patriarchat. Im Gegenteil ist sie ein Beweis für die Nichtexistenz des Sozialismus. Es ist kein wunder, daß eine Gesellschaft, die auf der Akkumulation beruht, nicht bereit ist, Ausgaben für die Kinderbetreuung zu erlauben. Statt dessen ist die Belastung der Frauen ebenso groß wie im Westen. Es wird zwar behauptet, daß Kindertagesstätten breit verfügbar sind, aber die am weitesten verbreitet Form der Kinderbetreuung in Rußland ist die Großmutter, oder die Kinderbetreuerin, was keine Investition des Kapitals seitens der Kapitalistenklasse braucht – eine bekannte Geschichte, nicht wahr? Wenn man theoretisch akzeptiert, daß diese Länder irgendwie besser als der westliche Kapitalismus sind, führt es zur Annahme von Theorien des Patriarchats: Wenn die Frauen da offensichtlich ungleich sind, müssen die Männer daran Schuld sein, und nicht das Wirtschaftssystem.

Die Familie ist kein historisch Gegebenes, sondern ändert sich mit der Entwicklung der Produktivkräfte. Und nicht nur das. auch innerhalb des Kapitalismus ist die Familie nicht konstant geblieben. [22]

Die vorkapitalistische Familie wurde vom Aufstieg der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zerstört, die eine Klasse der besitzlosen Lohnarbeiter schufen. Der Reihe nach schuf das mindestens das Potential für die Ausgleichung der Verhältnisse zwischen Männern und Frauen. Engels deutet genau darauf hin in seinen kontroversen Schriften über das Thema hin. Im Frühkapitalismus, vor der Vorherrschaft des Fabriksystems, bedeutete das Außenarbeitssystem, daß die beiden Geschlechter als gemeinschaftliche Produzenten handeln konnten. Es wäre falsch, diese Periode zu idealisieren, weil es deutlich ist, daß sie keineswegs eine Blütezeit war, aber sie gab Frauen eine relative Freiheit von den früheren Massen an sexuelle und ökonomische Kontrolle durch Männer. Aber der Anstieg des Fabriksystems bedeutete nicht nur, der einzelne Lohnarbeiter bzw. die einzelne Lohnarbeiterin nicht mehr seine bzw. ihre Arbeit kontrollierte, sondern daß das ganze System der Reproduktion der Arbeiterklasse in Gefahr gebracht wurde, wie so deutlich von Marx und Engels geschildert wurde. [23]

Daher die Verbesserung des Lebensstandards, die Schutzgesetze und der Familienlohn. Diese waren im Interesse des Kapitals, aber es stimmte auch, daß die Arbeitenden beider Geschlechter den Wegzug der Frauen aus den Fabriken begrüßten.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat die Familie sich noch einmal drastisch geändert. die zugenommene Rolle der Frauen, verbunden mit der größeren Fähigkeit, unsere Körper zu kontrollieren (Empfängnisverhütung, legale Abtreibung), hat zur Entwicklung einer ganze Reihe von neuen Einstellungen geführt. Die Ehe nimmt nicht ab [stirbt nicht aus], aber die Zahl der Scheidungen wächst dramatisch. Männer und Frauen lehnen nicht die Institution der Ehe ab, aber sie fühlen nicht mehr, daß sie lebenslänglich gelten muß. Die Kontrolle über die Reproduktion und ein Ausmaß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit für Frauen bedeutet, daß mehr als ein Partner (oder überhaupt keiner – man muß nur an das Wachstum der Anzahl der Familien mit alleinerzeihenden Müttern denken) eine Möglichkeit wird. [24]

Die Geburtsraten in fast allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern (einschließlich Osteuropa) sind dramatisch gefallen, ein Hinweis dafür, daß, wo Frauen eine Wahl haben, sie nicht darin besteht, das ganze Leben mit dem Gebären von Kindern zu verbringen. Die Abwanderung ist auch ein Merkmal des Spätkapitalismus. Als alte Industrien zurückgehen, werden die Arbeiter innerhalb der fortgeschrittenen Kapitalismen dazu gezwungen, ihre Familien zu verlassen, um Arbeit zu suchen. Als bestimmte Industrien wachsen werden Arbeiter bzw. Arbeiterinnen aus Südeuropa und Asien zu den industriellen Kernländern gebracht, um die Nachfrage nach billigen fügsamen Arbeitskräften zu füllen. Solche Bewegung hat große Auswirkungen auf traditionelle Ideen, einschließlich Ideen über die Familie. Trotzdem bleibt die Familie ein beengender lähmender Platz, wo Einstellungen und Rollen gelehrt und gelernt werden, wo Vorurteile und Werte durch die Generationen vermittelt werden. sie ändert sich, um die Bedürfnisse des Kapitals zu befriedigen, aber verschwindet nicht. Es wird eine Umwälzung außerhalb der Familie benötigen, um damit anzufangen, das zu erreichen.

 

 

Was hält die Familie am Leben?

Also was hält die Familie heute zusammen? Falls man nicht akzeptiert, daß es das materielle Interesse der Männer ist, was ist es denn? Ihr Bestehen hängt von zwei grundsätzlichen Faktoren ab, obwohl es auch viele andere damit verbundene Nebensachen gibt.

Erstens müssen wir die wirtschaftlichen Interessen des Kapitals an die Aufrechterhaltung der Familie. die Rolle, die die Familie in die Reproduktion der bestehenden Arbeiterschaft und der nächsten Arbeitergeneration spielt, ist reichlich dokumentiert worden. [25] Das bestehen des Familienlohns (auch wenn er heute kaum die Reproduktion der Familie deckt und von Staatsgeldern und von der überwiegend Teilzeitarbeit der Frauen aufgebessert werden muß) sowie die unbezahlte Arbeit im Haushalt lassen die Reproduktionskosten sehr billig tragen.

Wenn das System dazu fähig wäre, sich über viele Jahrzehnte wirtschaftlich ausdauernd auszudehnen, dann könnten theoretisch [hypothetisch] die wirtschaftlichen Funktionen der Familie durch andere Mechanismen ersetzt werden. Wie Irene Bruegel unwiderlegbar demonstriert hat, wäre es für das System möglich, den Gesamtmehrwert zu steigern, wenn meiste (wenn nicht alle) Hausarbeit und Kinderbetreuung durch kapitalistisch organisierte bezahlte Arbeit durchgeführt würden, was alle Frauen „befreien“ würde, Wert und Mehrwert für das Kapital zu produzieren. [26] Aber eine solche Umorganisierung der Reproduktion würde massive Ausgaben für die Investition in neuen Angelegenheiten für Kinderbetreuung sowie wahrscheinlich eine völlige Umstrukturierung des Wohnungsbestands bedeuten. So etwas wird nicht in der gegenwärtigen von Krisen geplagten Phase des Systems unternommen – besonders deswegen, weil die Reservearmee der arbeitslosen schon ausreichend groß genug für die wahrscheinlichen Arbeitsbedürfnisse des Systems ist.

Und so läßt man den Frauen die Verantwortlichkeit für das Geburt und die Kinderbetreuung. Das erklärt vor allem, warum die Familie und die Frauenunterdrückung fortdauern. Die Rollen der Frauen als Mütter und Kinderaufzieherinnen gestalten ihr ganzes Leben. die Teilzeitarbeit ist ein Produkt ihrer Rolle als Mütter. die ungleiche und allgemein niedrige Belohnung ist ein Produkt davon, daß sie nicht als Geldverdienerinnen betrachtet werden. Vom Anfang ihres Lebens in der kapitalistischen Gesellschaft wird behauptet, daß sie etwas anders als die Männer sein werden. Der Gipfel ihrer Leistung wird als die Mutterschaft und die Ehe vorgestellt.

Theoretisch gibt es keinen Grund, warum die Frauen die Kinder betreuen und den größten Teil der Hausarbeit machen sollten, bloß weil sie die Kinder gebären. Aber in einer Welt der privatisierten Reproduktion, der strengen Arbeitsteilung, wo ihre Stellen nicht zum gleichen Satz wie dem der Männer belohnt werden, gibt es für die meisten Familien wirklich keine Alternative. Es „macht Sinn“, daß es die Frau ist, die zu hause bleibt, und so dauert der Kreis fort.

Das Reden über die Teilung der Hausarbeit, über die Übernahme der rolle der „Hausfrau“ seitens der Männer in so einer Welt ist nur möglich für eine winzige Minderheit der Menschen, wo die Frau einen Beruf oder eine Fertigkeit hat, der bzw. die es ihr ermöglicht, ebensoviel oder mehr als der Mann zu verdienen. Auch dann ist es schwierig, die Ideen einer Gesellschaft zu bekämpfen, die auf der Ungleichheit der Frauen beruht. Für die Masse der Arbeiter ist eine solche Rollenteilung blanker Utopismus.

Die materielle Bedeutung der Familie für den Kapitalismus ist durch ideologische Überlegungen verstärkt. Dadurch meine ich nicht, daß Kapitalisten männliche Chauvinisten sind (obwohl sie normalerweise das sind). Vielmehr liefert die Familie einen Teil des ideologischen Zements, der das System Zusammenhalt.

Bei jeder Stufe seiner Entwicklung hat das System Strukturen bilden müssen, die zu ihm diejenigen verbinden, die es ausbeutet. Diese bestehen bei späteren Entwicklungsstufen weiter, wenn seine eigene wirtschaftliche Dynamik neue Strukturen fordert. Die Familie ist in einem komplizierten Netzwerk solcher Strukturen integriert. Diese nutzen die Weise aus, wie Hausfrauen, die isoliert im Haushalt und getrennt von der breiteren Kollektivitäten sind, die sich um die industrielle Produktion bilden, unveränderliche Ideen über „den eigenen Platz in der Gesellschaft“ zugänglich sind; von ihren Ehemännern für ihren Unterhalt abhängig kann man sie überzeugen, daß jede Form der gesellschaftlichen Änderung ihre Familie und ihre Sicherheit bedroht. Oder Außerdem verlassen sich diese Strukturen auf die Weise, wie der männliche Arbeiter, indem er sich um die Sicherheit seiner Frau und seiner Kinder sowie seiner selbst persönlich sorgen muß, möglicherweise es noch einmal überlegt, bevor er sich für einen Streik, eine Besetzung bzw. einen Aufstand engagiert. Die Parole „Verteidigung der Familie“ wird eine Parole, mit der man Arbeitende zur Verteidigung der bestehenden Verhältnisse mobilisieren kann. Also auch wenn der Kapitalismus nicht mehr direkt irgendein Element der in der Vergangenheit mit der Familie verbundenen Strukturen benötigt (er braucht z.B. nicht mehr Gesetzgebung gegen Abtreibung, da er sich nicht mehr auf einer abermillionenstarken Armee verläßt, um sich gegen seine Konkurrenten zu verteidigen), gibt er dieses Element nur unter Riesendruck auf. Denn er kann es nicht leisten, Strukturen aufzugeben – egal wie unwesentlich für seine zentralen ökonomischen Interessen –, die ihm dabei helfen, Arbeiter mit der gegenwärtigen Gesellschaft zu verbinden.

Wiederum könnte das System hypothetisch, wenn es eine unbegrenzte ökonomische Ausdehnung für eine lange Periode gäbe, neue ideologische Strukturen entwickeln, um diejenigen zu ersetzen, die mit der Erhaltung der gegenwärtigen Familie identifiziert sind. Aber das System befindet sich überhaupt nicht in diesem Zustand. Heute klammert er sich an jeder Stütze, die er finden kann – deswegen hat er sich in Süditalien oder Nordirland nicht von archaischen Strukturen wie die Mafia oder die Orange Order [einer Organisation, die versucht, die protestantische Vorherrschaft zu wahren] befreien können. Es ist noch weniger wahrscheinlich, daß er es überlegt, eine Struktur wie die Familie aufzugeben, die ihm mit bestimmten ökonomischen Dienstleistungen liefert.

Die marxistische Theorie der Familie versucht, die fortdauernde Frauenunterdrückung im Zusammenhang der Rolle der Frau als Kinderkriegerin und -auzieherin zu erklären. Hartmann behauptet, der Marxismus sei „geschlechtsblind“; mit anderen Worten, er könne erklären, warum Menschen in bestimmten Plätzen sind, aber nicht, warum diese Menschen Frauen sind. Doch die Theorie macht genau das. Sie ortet die Frauenunterdrückung historisch oder ortet ihr Fortbestehen in der Einzelverantwortung für die Reproduktion, die der Reihe nach das ganze Leben der Frau strukturiert. Sie stellt auch eine Lösung dieses Problems in einen Sozialismus, der damit anfangen würde, die materiellen Bedingungen, die die Frauenunterdrückung schaffen, sowie die daraus entstandenen Vorstellungen zu überwinden – Vorstellungen, die uns so bekannt sind, über die Natürlichkeit der Familie und der Kinderbetreuung, darüber, daß es natürlich ist, daß die Frau zu Hause ist. Er kann das machen, indem er die Verantwortung für die Kinderbetreuung vom Individuum auf die Gesellschaft als Ganze überträgt. Allein das würde eine neue Welt für Millionen Frauen eröffnen und uns erlauben, uns als Gleiche in einer neuen Gesellschaft zu verhalten.

 

 

Schlußfolgerung

Theorien des Patriarchats sind eigentlich nicht Theorien der Frauenbefreiung. Anstatt mit einer Einschätzung der materiellen Lage der Frau in der kapitalistischen Gesellschaft anzufangen, fangen sie mit groben biologischen Einschätzungen der Lage von Männern und Frauen an. Sie deuten auf keinen Weg nach vorne für die Frauenbefreiung hin. Warum denn sich sie so beliebt geworden? Hier müssen wir kurz anschauen, wie die Frauenbewegung sich seit ende der 1960er Jahre entwickelt hat.

Die Frauenbewegung fing Ende der 1960er Jahre als Ergebnis der sich ändernden Rolle der Frau in der Gesellschaft an. Der eintritt der Frauen in die Arbeiterschaft sowie die größere Kontrolle über die Empfängnisverhütung bedeuteten, daß Frauen neue Vorstellungen über ihre Rolle, ihre Karrieren, ihre Hoffnungen [Ziele] hatten. Solche Vorstellungen wurden von einer riesigen Ausdehnung der Hochschulausbildung ernährt und entwickelt, die, obwohl sie in vielen Bereichen gegen Frauen diskriminierte, bedeutete, daß für das erste Mal Frauen in relativ gutbezahlte Berufe mit mindestens nominell gleicher Belohnung eintreten konnten [durften?]. Für die meisten Frauen war das ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der Lebensweise ihrer Mütter und Großmütter.

Aber alte Vorstellungen über Frauen blieben hinter der Realität zurück. Zwar änderten sich Vorstellungen über Sex und Sexualität, aber die alte Ansicht der Frau als Hausfrau und Mutter beharrte immer noch. Gesetzliche Besonderheiten aller Art bedeuteten, daß Frauen oft kaum besser als Kinder behandelt wurden, als sie versuchten, Waren auf Raten zu kaufen oder Hypotheken zu bekommen. Die Werbung zeigte immer noch eine idealisierte Ansicht der Frauen im Haushalt, die wenig Berührung mit der Wirklichkeit hatte.

Die Ideen der Frauenbefreiung entstanden aus dem Konflikt zwischen dieser ökonomischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit und den alten Idealen. Frauen fühlten irgendwie, daß sie ebenso gut waren wie irgendein Mann und daß die Wirklichkeit ihres Lebens darin bestand, daß sie tatsächlich normalerweise mehr als die meisten Männer machten, indem sie auch im Haushalt belastet wann.

Während der frühen Jahre der Frauenbewegung herrschte das Gefühl, nicht nur daß alles ändern könnte, sondern auch daß die Änderung schon im Gange war. Ein großer Teil der Ideen, die von Frauen in der Frauenbewegung (überwiegend gebildeten Frauen in den freien Berufen und ähnlichen Stellen) vorgebracht wurde, stießen auf Verständnis unter Frauen in der Arbeiterklasse. Es ist schwierig, Änderungen im Bewußtsein zu messen, aber ein schneller Blick auf die Zeitschriften mit Massenauflage, Woman und Woman’s Own, während der letzten fünfzehn Jahre zeigt den Ausmaß, zu dem Sex, Arbeitslosigkeit, Tampons und viele andere soziale Fragen neben den normalen Beiträgen über Filmstars und die Königliche Familie behandelt werden. Es gab immer eine große Kluft zwischen der Frauenbewegung und Frauen aus der Arbeiterklasse sowie wenig Berührung zwischen den beiden, aber mindestens redete die Frauenbewegung darüber, sich in der Arbeiterklasse zu organisieren.

Heute sind die Dinge etwas anders. Der Mangel an allgemeinen wirtschaftlichen Kämpfen während der letzten fünf Jahre und der Mangel an politischem Selbstvertrauen in der Arbeiterklasse hat zur weitverbreiteten Demoralisierung unter Teilen der während der 1960er und Anfang der 1970er Jahre Radikalisierten geführt. Die Frauenbewegung hat anscheinend besonders akut daran gelitten. Jetzt findet man nicht Nachrichten über die neuesten Streiks, an denen Frauen sich beteiligen, in den Seiten von Spare rieb, sondern kann man vielmehr darin überlegen, ob das Zölibat die persönliche Antwort auf die Probleme dabei sei, mit Männern zu schlafen. Die neueste Abtreibungskampagne gegen den Corrie-Gesetzentwurf hätte sich nicht ohne sozialistische Organisationen und die (oft männliche) Gewerkschaftsbewegung durchgehalten. Eine Besetzung von 200 Frauen bei Lee Jeans ist zum großen Teil von der Frauenbewegung ignoriert worden.

Das Gefühl ist, daß es unmöglich ist, etwas zu erreichen, so daß alles, was wir machen können, darin besteht, unsere eigenen Ideen in Ordnung zu bringen. folglich werden Argumente über die Veränderung der ganzen Gesellschaft durch Ermahnungen zur Änderung des eigenen Lebensstils ersetzt. Statt der Tätigkeit wird man mit einem abstrakten Moralismus konfrontiert, der fordert, daß die kleine Anzahl von Männern (und Frauen), die die Ideen der Frauenbefreiung akzeptieren, sich von allen „Abweichungen“ reinigen, als Ersatz für die Änderung der Gesellschaft. Die Logik lautet: Wenn wir die Einstellungen der Männer ändern, können wir die Welt ändern – als ob Männer und nicht der Kapitalismus daran Schuld wären. auf diesen Ideen hat sich die Theorie des Patriarchats entwickelt und jetzt verstärkt sie der Reihe nach diese Ideen wieder.

Wie gesagt, zeigt sie uns überhaupt keinen Weg nach vorne dazu, wie wir uns befreien. Statt dessen fordert sie theoretische Korrektheit von den wenigen, während sie die Untätigkeit der vielen akzeptiert. Einige Frauen heute ziehen die logische Schlußfolgerung aus der Theorie und argumentieren für getrennte Lebensstile innerhalb des Kapitalismus – getrennte Wohnungen, Einzelgeschlechtsschulen, getrennte Freizeitsaktivitäten. Nicht nur sind diese „Lösungen“ unfähig, die Verbindung zwischen dem materiellen Sein und dem Bewußtsein sowie der Weise zu betrachten, wie das Bewußtsein sich ändert, sondern sie sind auch zutiefst elitär. Sie setzen ein bestimmtes Einkommensniveau voraus, das ein bestimmtes Wohnungsniveau und eine bestimmte Auswahl davon bedeutet, wo man wohnt, wohin man die Kinder in die Schule schickt und so weiter. Für die meisten Frauen gibt es überhaupt keine Wahl. Wenn Hartmann darüber redet, wie die Scheidungsrate sich zwischen den Klassen ausgleicht, denkt sie nicht daran, wie unglücklich das Leben für Frauen sowie Männer in der Arbeiterklasse war, die für Generationen nicht scheiden konnten [durften]. Auch heute, wo es relativ leicht ist sich scheiden zu lassen, muß es Hunderttausende von Paaren geben, die aus materiellem Zwang zusammenbleiben (sie können nicht zwei Hypotheken leisten, die Stadtverwaltung [Gebäudewirtschaft?] wird sie nicht unterbringen, wenn der bzw. die eine die Ehewohnung [Familienwohnung?] läßt, es gibt fast keine billigen privaten Mietwohnungen). Für die Masse der Arbeiterklasse sind solche Lösungen einfach utopisch und wir sollen sie so behandeln.

Wir sollen nicht nur die Theorie des Patriarchats und all das begleitende idealistische Gerede ablehnen; wir müssen erklären, daß als Marxisten wir eine Theorie der Frauenbefreiung haben, die errungen werden kann und die zur Befreiung der ganzen Menschheit von der kapitalistischen Ausbeutung und Entfremdung führen kann. Um das zu machen, müssen wir die den Theorien des Patriarchats zugrundeliegende Vorstellung der „Kleinen-Frau“-Analyse, die, wie von Joan Smith beschrieben, „Frauen beim Herd, Männer auf dem Schlachtfeld“ darstellt. [27] Diese Darstellung paßte nie ganze Teile der Arbeiterklasse und beruhte vielmehr auf der Familie „des Bankiers, des mittleren Managers, des Industriellen und deren Angestellten sowie Facharbeiter“ als auf der Familie „des Gelegenheitsarbeiters, des Handwerkers und des ausländischen Arbeiters“. [28]

Falls es damals nicht paßte, ist es heute eine offensichtlich absurde Vorstellung der Frauen. Die typische Frau heute arbeitet als Lohnarbeiterin für die Mehrheit ihres erwachsenen Lebens. Typischerweise hört sie für die Periode auf, bis ihre Kinder in die Schule gehen, und dann geht sie zurück zur Vollzeitsarbeit. Auch 20 Prozent der Frauen mit Kindern unter 5 Jahren machen regelmäßige Teilzeitarbeit. Die vollzeitige Hausfrau ist ein Mythos, wo 40 Prozent der Arbeiterschaft aus freuen bestehen und wo Frauen schneller als Männer in die Arbeiterschaft einsteigen. Frauen treten auch den Gewerkschaften viel schneller als Männer bei.

Der Mythos hat einige Vorteile für das Kapital. er ermöglicht es ihm, schlechte Belohnung, Bedingungen und Arbeitsstunden Frauen aufzudrängen. Er läßt Frauen fühlen, daß ihre Arbeitsstelle nicht „wahre“ Arbeit ist, was es unwahrscheinlicher macht, daß sie sich bei der Arbeit organisieren, und es wahrscheinlicher macht, daß sie sich der Arbeitslosigkeit fügen. Er fördert die Doppelbelastung der Lohn- und der Hausarbeit für Frauen. Aber er ist trotzdem ein Mythos.

Wenn wir Frauen als Arbeiterinnen und nicht als isolierte Hausfrauen betrachten, wird unsere Reaktion anders. Wir sehen, daß Frauen als teil der Klasse in Betrieben organisiert den Zusammenhalt und das Selbstvertrauen dafür aufbauen können, den Kapitalismus herauszufordern und schließlich zu stürzen. Das muß unser Ziel sein und im Prozeß des Aufbaus einer revolutionären Partei, die die Klasse zum Sturz des Kapitalismus führen kann, müssen wir ein Bild von der Klasse haben, das Frauen als integeren Teil der Arbeiterschaft enthält. Aber, wird normalerweise argumentiert, das löst nicht das Problem, daß Männer auch in der Partei sowie auch nach der Revolution sexistisch seien. Niemand könnte die Wahrheit davon leugnen. Aber unsere Lösung dazu hängt davon ab, ob wir den Kampf gegen den Sexismus als etwas getrennt vom Klassenkampf betrachten oder als einen integeren Teil davon. Wenn wir ihn als letzteren akzeptieren, kann es nicht unsere Strategie sein, eine autonome Bewegung getrennt von der Partei aufzubauen. Wir müssen es so machen, daß die Partei und die sozialistische Revolution Frauenhoffnungen und -forderungen widerspiegeln als Teil der Forderungen der Klasse. Das bedeutet die Anerkennung der Realität der Frauenunterdrückung, die es oft für Frauen schwieriger macht, sich an allen Ebenen des politischen Lebens zu beteiligen, und die ihnen die Doppelbelastung der Kinderbetreuung und der Hausarbeit sowie der Lohnarbeit auferlegt.

Um diesen Nachteil zu überwinden, unter dem alle Frauen leiden, brauchen wir besondere Mechanismen, eine Frauenzeitung, Frauenveranstaltungen, Versuche, Frauen zu fördern, so daß sie eine aktive und führende Rolle in allen Aspekten unserer Arbeit spielen können. Alle diesen erkennen die wirklichen Probleme an, die Frauen haben, und versuchen auch, sie in einer materiellen Weise und nicht durch Ermahnungen zu überwinden. Was klar ist, ist, daß Zugeständnisse an irgendeine Theorie des Patriarchats oder an die Vorstellung, daß Männer der Feind seien, nicht nur undurchführbar sind, sondern auch auf das falsche Problem andeuten, auf die Erscheinungsformen der Gesellschaft eher als auf seine Wurzeln. Allein die sozialistische Revolution, die Abschaffung der Klassengesellschaft bietet eine Antwort darauf, wie wir unsere Befreiung gewinnen können.

 

 

Anmerkungen:

1. Juliet Mitchell, Psychoanalysis and Feminism, London 1975.

2. Sally Alexander u. Barbara Taylor, In Defence of Patriarchy, New Statesman, Januar 1980.

3. Marx u. Engels, Ausgewählte Schriften (später MEAW), Bd.I, Berlin 1986, S.212-3.

4. Roberta Hamilton, The Liberation of Women, London 1978, S.11.

5. Christine Delphy, The Main Enemy, 1977.

6. Heidi Hartmann, The Unhappy Marriage of Marxism and Feminism, Capital and Class, Nr.8, Sommer 1979.

7. ebenda.

8. Marx, Das Kapital, Bd.I, Berlin 1982, S.416.

9. Marx u. Engels, Ausgewählte Schriften, Bd.I, Berlin 1986, S.135–95.

10. Kapital, Bd.I, S.420

11. Hartmann, a.a.O.

12. ebenda.

13. ebenda.

14. Ruth Milkman, Women’s work and economic crisis: some lessons of the Great Depression, in Review of Radical Political Economy, 1976.

15. Helen Brak, in Bessel u. Feuchtwanger, Social Change and Political Development in Weimar Germany, London 1981, S.161-2.

16. Hartmann, a.a.O.

17. Engels, Die Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, in Marx u. Engels, Werke, Bd.21, Berlin 1962, S.27-8.

18. Hartmann, a.a.O.

19. Engels, a.a.O., S.28.

20. Sheila Rowbotham, Women’s Consciousness, Man’s World, London 1973.

21. Hartmann, a.a.O.

22. Die von mir vorgestellten Argumente verdanken sehr viel dem ausgezeichneten Artikel von Johanna Brenner, Women’s Self-Organization, a Marxist Justification, Against the Current, New York Fall 1980.

23. Marx, Das Kapital, Bd.I, Berlin 1982; Engels a.a.O.

24. Hartmann tut die angewachsene Scheidungsrate als bloß einen Ausgleich zwischen den Klassen ab. Auch wenn das stimmte, warum sollte es jetzt passieren? Weil zum ersten mal Frauen in der Arbeiterklasse die Möglichkeit haben, das zu tun, was Frauen aus der herrschenden Klasse immer tun konnten: sie haben einigermaßen ökonomische Unabhängigkeit – wie Elend auch immer – und sind nicht zu einem erschöpfenden Leben des Gebärens und der Angst vor Schwangerschaft verbunden. (Es ist interessant, sich daran zu erinnern, daß in all den jüngsten Abtreibungskampagnen eins unserer größeren und erfolgreichsten Argumente gewesen ist, daß Frauen in der Arbeiterklasse erst wegen des 1967er Abtreibungsgesetzes das bekommen, was reiche Frauen immer hatten – sichere legale Abtreibungen.)

25. Insbesondere die Diskussion in International Socialism (alte Serie) 101 u. 104 sowie International Socialism 2:1 u. 2:3 zwischen Joan Smith und Irene Bruegel.

26. Irene Bruegel, What keeps the family going?, International Socialism 2:1.

27. Joan Smith, Women’s Oppression and Male Alienation, International Socialism 2:3.

28. ebenda.

 


Zuletzt aktualisiert am 20.6.2001