Judith Orr

 

Körper im Angebot

(Juli 2003)


Aus: Socialist Worker, London, 12. Juli 2003.
Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für REDS – Die Roten.


„Entdecke Massenablenkungswaffen“, erklärt die neueste Plakattafel-Werbekampagne von Easyjet. Darüber ist ein Foto mit Frauenbrüsten in einem Bikinioberteil abgebildet. Jede Hauptstraße ist voll von solchen Bildern, mit denen CDs, Autos, Klempnerteile oder Handys verkauft werden sollen. Die Models erfüllen das gesellschaftliche Stereotyp der idealen Frauenfigur – sie sind alle mager mit großen Brüsten.

Tatsächlich sind die Models magerer als je zuvor. In den 1950ern wogen Models 8 Prozent weniger als der Durchschnitt der Frauen. Heute wiegen sie 23 Prozent weniger.

Die Easyjet-Werbung ist typisch. Sie macht sich nicht einmal die Mühe, das Gesicht oder den Kopf der Frau zu zeigen – ihr Körper verkauft die Flugtickets. Sex sells, Sex verkauft, glauben die Anzeigenkunden. Was sie tatsächlich einsetzen, ist Sexismus.

Lap-dancing-Clubs (Clubs, in denen Frauen sich erotisch auf dem Schoß einen Kunden winden) haben im ganzen Land eröffnet, und Männermagazine wie Loaded und FHM bleiben das hoffähige Gesicht der Pornografie.

Manchmal fühlt es sich an, als wäre die Uhr zurückgedreht worden in eine Zeit, bevor Frauen dagegen protestierten, einfach nur als Sexobjekt wahrgenommen zu werden. Beunruhigend an dieser neuesten Sexismuswelle ist zudem, dass viele junge Frauen glauben, das sei cool.

Junge Teenager tragen T-Shirts mit „Schlampe“ oder „Pornostar“. Popmusikvideos zeigen männliche Stars mit halbnackten Frauen, die sich um sie winden – viele setzen für ihre sehr eindeutigen Videos inzwischen nicht mehr Tänzer ein, sondern richtige Stripperinnen und Prostituierte.

Berühmtheiten greifen diese sexistische Kultur mit Begeisterung auf. Das Model Sophie Dahl trug ein T-Shirt, auf dem erklärt wird: „Pornografie rockt“. Dahl und ihre Freundin, die Schauspielerin Sadie Frost, sind Stammkundinnen in einem Lap-dancing-Club im Londoner West End, ebenso andere Trendsetter wie Kate Moss und Jade Jagger.

Sara Cox, DJ bei Radio 1, erzählt über den Äther, dass sie die „beatch“ (eine Zusammenziehung aus bitch, Hure, und beach, Strand) eines Popstars sein möchte. Ihre Vorgängerin in diesem Job, Zoe Ball, prahlte mit der Stange, die sie sich in ihr Haus hat einbauen lassen, an der sie für ihren Ehemann und Freunde tanzt.

Vor zwanzig Jahren wären Stripclubs als lächerlich und traurig gesehen worden. Heute machen die Lap-Dancing-Clubs dicke Geschäfte (es gibt jetzt über 300 Clubs in Großbritannien) und sind voll mit Yuppies und Geschäftsleuten.

Die erfolgreichste Kette, Spearmint Ghino, hat ihrem Gründer John Gray ein Nettovermögen von 38 Millionen Pfund eingebracht. Die Filiale in der Tottenham Court Road machte letztes Jahr in der Woche vor Weihnachten einen Umsatz von über 300.000 Pfund.

Diese Clubs sind jetzt so üblich, dass Banker von der City of London ihre Kunden dorthin bringen, um so die Gastfreundschaft des Konzerns zu erweisen. Eine Firma vergab Gutscheine für einen Club als Teil ihrer Weihnachtszulage. Das Gesellschaftsschundblatt für die Reichen, Tatler Magazine organisierte eine Weihnachtsfeier im Stringfellows, einem Lap-dancing-Club in London.

Eine Autorin, die sich mit Werbung beschäftigt hat, Judith Williamson, hat dieses Phänomen „Retrosexismus“ genannt, oder „Sexismus mit einem Alibi“. Was sie meint, ist, dass heute Leute sagen: „Natürlich weiß ich Bescheid über Sexismus, das ist ein alter Hut. Heute sind Frauen gestärkt, viele entwerfen diese Anzeigen sogar selbst, und Bauchtänzerinnen verdienen tausende von Pfund pro Woche – was ist daran so unterdrückend?“

Der neue Sexismus wird für „ironisch“ gehalten, witzig, nicht degradierend und beleidigend, weil Frauen angeblich die Gleichstellung erreicht haben. Tatsächlich gibt es eine Menge Geschichten in der Presse darüber, wie „jetzt Männer unterdrückt sind“.

Die Realität ist allerdings, dass Frauen immer noch im Schnitt 20 Prozent weniger verdienen als Männer. Nur 18 Prozent der Parlamentsmitglieder sind Frauen. Von Frauen wird immer noch erwartet, die Verantwortung für die Kinder in der Familie zu übernehmen.

Natürlich unterscheidet sich das Leben von Frauen heute deutlich von dem ihrer Großmütter. In den vergangenen 50 Jahren gab es den dramatischsten und schnellsten Wandel in der Geschichte. Wir haben sehr viel gewonnen, aber selbst das wird durch das System entstellt und verwertet.

Der Kapitalismus versucht alles zu erobern und aufzusaugen, um es in eine Ware zu verwandeln und an uns zurückzuverkaufen. Das Widerstandsgefühl gegen das System wird an uns zurückverkauft in Form von Turnschuhen mit Friedenssymbolen – eine Art antikapitalistischer Chic.

Das sexuelle Selbstbewusstsein von Frauen wird benutzt, um BHs zu verkaufen, und Fernsehwerbung präsentiert Produkte, die den Ehemännern der „befreiten“ Frauen, die zur Arbeit gehen, die Hausarbeit erleichtern.

Jeder Aspekt unseres Lebens wird benutzt, um uns zum Kaufen zu bewegen und Profite zu machen.

Jedes menschliche Gefühl wird vom System entstellt – sogar die privatesten Aspekte unseres Lebens wie Liebesgefühle, Freundschaft und unsere sexuellen Bedürfnisse.

Frauen haben also das Gefühl, dass sie wie die Airbrush-Abbildungen der 45-Kilo-Models aussehen sollen, um attraktiv zu sein.

Gleichzeitig sollen sie eine gute Arbeit haben, beweisen, dass sie ihre Familie lieben, indem sie jeden Abend ein Gourmetessen improvisieren, und ihre Weißwäsche säubern.

Die Unsicherheiten der Männer werden auf gleiche Weise benutzt. Männer werden angeregt zu glauben, sie sollten „Hengste“ sein, die jede Nacht eine Frau „flachlegen“.

Fehlt einem Mann das Selbstbewusstsein, mit einer Frau auch nur zu reden, wird ihm vorgemacht, dass Frauen bei ihm Schlange stehen werden, um in der Kneipe mit ihm zu tanzen, wenn er Lynx Aftershave kauft.

Aber der grobe und weit verbreitete Einsatz von Frauenkörpern als Ware spiegelt die Wirklichkeit ihrer Position in der Gesellschaft als Menschen zweiter Klasse.

Würden ein Verbot von Stripclubs und Zensur von sexistischen Bildern und Pornografie helfen, wie manche Frauen fordern? Nein. Sozialisten sind gegen Zensur. An aller erster Stelle: Wer entscheidet, was in Ordnung ist? Möchten wir, dass die New-Labour-Regierung oder ein konservativer Richter entscheiden, welche Bücher wir lesen oder welche Bilder wir sehen?

In der Vergangenheit wurden solche Kontrollen gegen das benutzt, was unsere Machthaber als nicht hinnehmbar empfinden (zum Beispiel sehr eindeutige schwul-lesbische Literatur), und zeigten somit nur ihre eigenen Vorurteile.

Ian Paisley, der frömmelnde unionistische Politiker aus Nordirland verurteilte sogar Line-dancing (Volkstanz in Reihen), weil er offensichtlich Lust hervorrufe!

In der gesamten Geschichte hat die herrschende Klasse versucht, der übrigen Gesellschaft ihr „Moral“ aufzudrücken. Und dies niemals aus irgendeinem Bedürfnis heraus, Frauen respektvoll als Gleiche behandelt zu sehen – vielmehr war sie ein Mittel, uns niederzuhalten. Denn sie haben sich nie an ihre eigenen Regeln gehalten.

Victorianische Archäologen, die das berühmte Pompeji in Süditalien ausgruben, beschlagnahmten die vielen offen sexuellen Wandmalereien und Statuen (die zu jener Zeit, als der Vulkan die Stadt unter sich begrub, sehr populär waren) und brachten sie in einer geheimen Ausstellung unter Verschluss. Frauen, Kinder und die nicht Gebildeten erhielten keinen Zugang. Es gab allerdings einen sehr teuren illustrierten Katalog zu der Ausstellung, für diejenigen, die sich ihn leisten konnten.

Lady Chatterley’s Lover, ein Roman über eine Affäre zwischen einer Adligen und ihrem Wildhüter mit offen sexuellen Szenen, durfte jahrelang nicht als billige Ausgabe erscheinen. Das würde die Moral der einfachen arbeitenden Menschen zu sehr gefährden. Die Leute mit Geld konnten sich dagegen immer die teure Ausgabe leisten.

Es geht nicht darum, nach Kontrolle bei sexuell eindeutigen Dingen zu rufen. Sozialisten wollen mehr Offenheit beim Thema Sex, nicht weniger. Wir kämpfen für klare und ehrliche Sexualkunde in den Schulen. Das Gekichere und die Prüderie, mit denen Sexualität gesellschaftlich behandelt wird, führen zu Ignoranz und Konfusion. Das ist einer der Gründe, warum Großbritannien die höchste Zahl von Teenagerschwangerschaften in Europa hat.

Gesellschaften, in denen Zensur gegen sexuelle Offenheit vorherrscht, sind im Allgemeinen in jeder Hinsicht repressiv und spiegeln einen Mangel an Freiheit für alle Normalsterblichen, einschließlich der Frauen.

Die Bilder in Magazinen sind nicht die Ursache für Frauenunterdrückung oder der Grund, warum Frauen wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Sie sind nur ein Symptom, eine Auswirkung dieser Unterdrückung. Frauen waren schon lange unterdrückt, ehe Plakattafeln erfunden wurden.

Diese Unterdrückung setzt sich bis heute fort – wenn auch in veränderter Weise im Vergleich zu früheren Generationen. Jetzt arbeiten die meisten Frauen ebenfalls außer Haus, aber von ihnen wird nach wie vor erwartet, ohne gesellschaftliche Unterstützung die häuslichen Verantwortlichkeiten zu managen.

In allen Hochphasen von Kämpfen, Revolutionen und Protesten wurden solche Definitionen der Frauenrolle angegriffen. In Zeiten sozialen Aufruhrs eröffnen sich für Frauen und Männer Möglichkeiten, auf andere Art zu leben. Noch in den 1960er und 1970er Jahren gab es weltweite Bewegungen, die das System erschütterten und die auch die moderne Frauenbewegung hervorbrachten.

Es war eine neue Ära – Frauen hatten zum ersten Mal in der Geschichte Zugang zu zuverlässigen Verhütungsmitteln. Die Wirtschaft expandierte, und so viele Frauen wurden in die gehobene Ausbildung und den wachsenden Arbeitsmarkt gezogen. Mit diesen Veränderungen entstanden andere Erwartungen für ihr Leben – gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Kindererziehung, Abtreibungsrechte, und wie sie in der Gesellschaft dargestellt werden.

Dass Sexismus heute immer noch wuchert, zeigt, dass wir immer noch im Kapitalismus und einer Klassengesellschaft leben. Die Veränderungen, die wir gewannen, waren höchst willkommen, sie haben jedoch das System, das Frauenunterdrückung überhaupt schuf, intakt gelassen.

Leo Trotzki war einer der Führer der Russischen Revolution von 1917, der versuchte, die Frauenbefreiung umzusetzen: Er sagte: „Wir brauchen einen tiefpflügenden Pflug, um die schwersten Erdschollen zu heben.“

Er meinte, dass Frauenunterdrückung gesellschaftlichen Wandel im Ausmaß einer Revolution erfordert, um sie aufzuheben. Das bedeutet (für uns heute), dass wir im Verlauf des Kampfes für eine bessere Welt, die nicht zu verkaufen ist, eine neue Welt schaffen werden, in der auch unsere Körper nicht zum Verkauf stehen.

 


Zuletzt aktualisiert am 16.3.2004