Reinhardt Rückert

 

Grüne und Staat

(1983)


Aus Klassenkampf 16, Mai/Juni 1983.
Transkription u. HTML-Markierung: Michael Gavin für REDS – Die Roten.


Wir haben uns in den vergangenen Ausgaben des Klassenkampfes wiederholt mit den Inhalten der grün-alternativen Politik kritisch auseinandergesetzt. Wir betrachten die intensive Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck, noch ist sie als Ausdruck selbstgefälliger Besserwisserei zu verstehen. Sie ist ein Mittel Im ideologischen Streit gegen falsche, aber nichtsdestoweniger sehr in Mode gekommene Auffassungen im linken und alternativen Milieu.

Im folgenden Artikel setzen wir uns mit den unterschiedlichen Auffassungen der Grün-Alternativen zum bürgerlichen Staat im allgemeinen und zur parlamentarischen Demokratie im besonderen auseinander. Dabei werden wir das Hauptaugenmerk wie schon in früheren Artikeln wiederum auf die politischen Vorstellungen der „linken Grünalternativen“ richten, weil ihre Vorstellungen zur Zeit auf unabhängige Sozialisten und Kommunisten Einfluß haben und weil wir nur sie bzw. ihr Umfeld erreichen können und wollen.

 

Das Verhältnis der Grünalternativen zum Staat

Die Stellung der Grünalternativen zum bürgerlichen Staat und zum Parlament ist im wesentlichen durch drei Faktoren geprägt:

Die wirklich Klassenübergreifende Bedrohung menschlichen Zusammenlebens dursh Umweltverschmutzung, Atomraketen oder die „Entfremdung in der Warengesellschaft“ hat die Vertreter eines „allgemeinmenschlichen Interesses“ auf den Plan gerufen. Sie betrachten nur die allgemeinen Auswirkungen, anstatt die klassenäpezifischen Ursachen der gesellschaftlichen Krisenerscheinungen zu analysieren (abgesehen davon, daß es der Bourgeoisie allemal besser geht; sie lebt in besserer Luft und hat Atomschutzbunker).

Wird aber der Zusammenhang zwischen Ökologie und Ökonomie falsch bestimmt, dann liegt die Verklärung von Klassengegensätzen zu nicht-antagonistischen Problemen nahe („Menschheitsfragen“) und diese können und sollen dann im Parlament gelöst werden.

Das setzt allerdings voraus, daß das Parlament bzw. der Staat tatsächlich losgelöst von der kapitalistischen Ökonomie existiert bzw. – wie grüne Theoretiker es ausdrücken – mit gewaltfreien Mitteln dem Zugriff der „politischen Vertreter der Industriegesellschaft“ entzogen werden kann.

Auf der praktischen Ebene gibt es eine Vielfalt der Meinungen, die von der Aussöhnung mit dem Rechtsstaat sowie der Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols bis hin zur totalen Ablehnung der Mega-Maschine Staat reichen. Die Perspektiven zur gesellschaftlichen Umwälzung bleibt aber bei allen Strömungen nebulös:
Volksaufstand, friedlicher Übergang, Auflösung des Staates per grüne Mehrheitsentscheidung, Hinüberschlummern in ein grünes Ökotopia ... für fast jedes politische Gemüt wird etwas geboten.

Linke Verteidiger der Grünalternativen erklären die kunterbunte Vielfalt mit der uneinheitlichen Zusammensetzung der Bewegung. Deshalb könne sie keine einheitliche Strategie gegenüber dem Staat entwickeln, weil das ein gemeinsames Klasseninteresse bzw. Gesellschaftstheorie voraussetze. Die uneinheitliche Klassenzusammensetzung ist aber nicht der Kern des Problems.

Der grünalternative Pluralismus in der Staatsfrage ist nur auf die Ebene der kurz- und mittelfristigen Taktik beschränkt.

Die unterschiedlichen Taktiken sind zwar Ausdruck der spontanen Herangehensweise, aber dennoch das Resultat eines bestimmten Staats- und Demokratiebegriffs.

Die ideologische Gemeinsamkeit der scheinbar so unterschiedlichen Staatsauffassungen besteht in der Abkoppelung des Staates von seiner materiellen Basis, der kapitalistischen Produktionsweise, in der Verklärung der bürgerlichen Demokratie zum Ideal und in der falschen Bestimmung des Verhältnisses von Parlament und staatlichem Gewaltapparat. Sie gehen davon aus, daß der Gewaltapparat dem Parlament untergeordnet ist bzw. werden könnte. Die klassische Kontroverse innerhalb der Linken in der Staatsfrage war bisher die Frage nach dem Verhältnis von Reform und Revolution.

Innerhalb der Grünalternativen scheiden sich die Geister an einem anderen Punkt. Ihre Hauptfrage ist, ob die gesellschaftliche Befreiung aber und mit dem Staat oder ohne und gegen den Staat erreicht werden kann. (Was von der Staatsfeindlichkeit der „Anti-Staatlichen“ zu halten ist, werden wir weiter unten noch sehen.)

 

 

Die Gewaltfrage

Die Frage nach dem Verhältnis von Reform und Revolution ist nicht ohne die Behandlung der Gewaltfrage zu lösen. Deshalb halten wir einige kritische Einwände gegen das grünalternative Grundprinzip „Gewaltfreiheit“ für angebracht. Dieses Prinzip wird in der Bewegung allgemein anerkannt. Gewiß. Teile der linken Grünalternativen tragen das aus taktischen Erwägungen mit, sie wollen salonfähig sein und bleiben. Ihr praktischer Opportunismus besteht darin, daß sie sich die Diskussion um die prinzipielle Gewaltfreiheit haben aufzwingen lassen.

Bei der Gewaltfrage wäre zu unterscheiden zwischen dem Einsatz solcher Gewaltmittel, wie sie In den letzten Jahren auch bei uns wiederholt von Demonstranten und Bauplatzbesetzern zum Selbstschutz vor Pollzeiübergriffen eingesetzt wurden, also Helmen, Stöcken, Steinen und anderen Wurfgegenständen und dem Einsatz von Waffengewalt, dem bewaffneten Kampf im weitesten Sinn als Mittel des revolutionären Umsturzes. Die Grünalternativen werfen in der Regel beides in einen Topf.

Waffengewalt ist aus der marxistischen Theorie als Mittel einzusetzen, um die herrschende Klasse zu besiegen, den Staatsapparat zu zerbrechen und damit den Weg für die soziale Befreiung freizulegen. Der bewaffnete Kampf kann dabei selbstverständlich nur bei einer bestimmten Entwicklungsstufe des Klassenkampfes eingesetzt werden.

Insofern entbehrt der Verweis auf die Erfolglosigkeit von RAF oder Rote Brigaden oder den durch diese Gruppen angeblich angerichteten Schaden jeder Grundlage. Ebenso enthält die These, wonach gewaltsame Revolutionen notwendig in der Diktatur enden müssen, kein Körnchen Wahrheit. Das Scheitern der Oktoberrevolution und antiimperialistischer Bewegungen hat andere Ursachen. Umgedreht kann allerdings mit Fug und Recht behauptet werden, daß es die Oktoberrevolution ohne bewaffneten Kampf nicht gegeben hätte.

Die aufgeklärten grünalternativen Demokraten nehmen den Anspruch, wonach Interessensgegensätze in der Demokratie gewaltfrei gelöst werden, für bare Münze. Bewaffneter Kampf ist, wenn Oberhaupt, nur in Diktaturen angebracht und Steine dürfen höchstens als demonstratives Mittel eingesetzt werden, wenn sich der Staat als schwerhörig und taub erweist. (Diese Argumentation war in den Glanzzeiten des Berliner Häuserkampfes nicht unpopulär.)

Sie übersehen, daß die gewaltfreie Konfliktlösung nur solange funktioniert, wie die gesellschaftlichen Konflikte die Herrschaft der Bourgeoisie nicht gefährden.

Nun geraten auch die Freunde der Gewaltfreiheit bei ihren Aktionen mit dem Staat und den Rechtsnormen in Konflikt. Und ein politischer Streik oder Generalstreik, ein von Grünalternativen selten propagiertes, aber mit dem gewaltfreien Konzept noch vereinbares Kampfmittel, wird von den Staatsorganen gegebenen – falls nicht nur als ungesetzliche Handlung, sondern als Aufruhr oder Hochverrat geahndet werden.

Ein Wortführer des Widerstandes gegen die Startbahn-West wurde mit ähnlicher Begründung vom Staat abgeurteilt, obwohl die beanstandete Handlung, eine Autobahnblockade, alles andere als eine reale Gefährdung der Staatsmacht in Hessen bedeutet hat. (Nebenbei bemerkt: der in 1. Instanz verurteilte A. Schubart war bei der Aktion gar nicht anwesend.)

Wenn die Grünalternativen staatlicher Verfolgung ausgesetzt sind, berufen sie sich auf die Grundrechte oder das in der westdeutschen Verfassung formulierte Widerstandsrecht (Art. 21GG) und werfen dem Staat undemokratisches Handeln vor.

Zum vielzitierten Widerstandsrecht: Nach dem Selbstverständnis der „wehrhaften Demokratie“ erlaubt dieser GG-Artikel den Kampf zur Wahrung der demokratischen Staatsordnung. Auf den Gedanken, daß Sich der Staat selber dieser Möglichkeit bedienen kann und will, wenn die Staatsmacht oder der erfolgreiche Gebrauch des geschützten Heiligtums „Privateigentum“ gefährdet ist, sind die aufgeklärten Demokraten wohl noch nicht gekommen. Dann wird die Demokratie eben vorübergehend aufgehoben und nichts anderes Ist der Inhalt der Notstandsgesetze. Und das ist kein Witz: Ein Militärputsch gegen eine gewählte linke Arbeiterregierung wäre durchaus verfassungskonform.

Bewegungen sollten sich nicht bei jeder x-beliebigen Aktion auf die Grundrechte oder den Widerstandsparagraphen berufen, ob nun die Staatsaktivitäten mit den Gesetzen übereinstimmen oder nicht. Dieser Bescheid wurde auch A. Schubart mit dem Urteil erteilt. Der Bau einer Flughafenstartbahn oder Wiederaufbereitungsanlagen für atomare Brennstoffe mag zwar mit erheblichen Gefahren oder Belastungen für die Bevölkerung verbunden sein, die demokratische Ordnung wird damit nicht gefährdet.

Unsere Interessen legitimieren unseren Kampf und von der sauberen Herrschaftsordnung mit ihren wohldosierten Spielregeln sollten wir uns nicht in die Schranken weisen lassen.

 

 

Basisdemokratischer Anspruch und Parlamentarismus

Die Basisdemokratie zählt zwar zu den grünalternativen Grundprinzipien, doch eine allseits anerkannte Bestimmung dieses schillernden Begriffes lassen die Grünalternativen vermissen. Der Begriff ist nur negativ definiert, er steht für die Absage an die Politik des „Blocks an der Macht“. Das Gebot zur Basisdemokratie, d.h. der politischen Anbindung der höheren Vertretungsorgane an die unteren Organisationsformen der Basis, wird von den verschiedenen politischen Strömungen der Grünen unterschiedlich interpretiert. Entsprechend dem jeweiligen politischen Selbstverständnis wollen sie die politische Anbindung nur für die Abgeordneten an die eigene Parteibasis, der grünen Partei an die grüne Wählerschaft oder an die Bürgerinitiativ-Bewegung gelten lassen. Andere möchten darüber hinaus die Basisdemokratie auf die gesamte politische Sphäre ausdehnen und der linke Flügel möchte auch die gesellschaftliche Produktions- und Reproduktionssphäre basisdemokratisch umformen.

Mögen idealistische Demokratiefans die Demokratie auch zu einem eigenständigen Wert erhöhen. Kommunisten sind politische Formen nur Mittel zum Zweck, was weder heißt, daß sie sich gleichgültig zu den Formen bürgerlicher Herrschaft verhalten, noch daß die soziale Befreiung in jeder beliebigen Form stattfinden kann.

In der kapitalistischen Gesellschaft, die auf dem antagonistischen Klassenverhältnis von Lohnarbeit und Kapital beruht, wird die staatliche Gewalt notwendigerweise einer außerökonomischen Instanz übertragen.

Die Träger der gesellschaftlichen Macht (die Kapitalisten) sind nicht identisch mit den Inhabern der politischen Macht. Die vielfältigen personellen Verflechtungen sollen nicht in Abrede gestellt werden, sie sind aber für die Erklärung des Zusammenhangs von Staat und Kapital unwichtig. Trotz der Trennung von staatlicher und ökonomischer Macht existiert der Staat nicht unabhängig von der ökonomischen Sphäre. Die Aufgabe des Staates mit seiner politischen Macht ist es, die ökonomische Herrschaft des Kapitals zu garantieren (das ist der Inhalt von „Allgemeinwohl“), und die Kapitalisten werden. sich nicht scheuen, ihre ökonomische Macht gegen eine linke Regierung einzusetzen, die sich im Reformeifer zu weit vorwagt. Als letztes Mittel bleiben immer noch die bewaffneten Formationen Militär und Polizei. Die formelle Absonderung des Staates bietet zwar gewisse Handlungsspielräume für eine alternative Politik, sie ist aber zugleich die Quelle für den gefährlichen Trugschluß, daß über den Staat eine ganz andere Gesellschaft durchgesetzt werden kann. Die unter grünen und anderen Reformisten strittige Frage, ob der Staat den Umwandlungsprozeß nur absegnen und unterstützen soll oder ob er selbst Motor und Träger des gesellschaftlichen Wandels werden soll (Verstaatlichung), ist dabei nebensächlich.

Die Rätedemokratie – die einzig wirkliche basisdemokratische Form politischer Herrschaft ist hingegen mit der kapitalistischen Klassengesellschaft unvereinbar. Ebenso ist eine Gesellschaft, die die soziale Ungleichheit abgeschafft hat, mit dem Fortbestehen eines abgesonderten Staatsapparates und parlamentarischer Demokratie nicht zu vereinbaren. Ein abgesonderter Staatsapparat würde sich über, die Gesellschaft erheben und alle gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Macht unterwerfen. Nichts anderes ist in den „realsozialistischen“ Staaten abgelaufen.

Das Ziel der klassischen Reformisten der Sozialdemokratie ist die sozial-gerechte Gesellschaft. Ihre Kritik setzt an der sinnlich wahrnehmbaren Erfahrung an, daß sich allgemeines Wohlbefinden in der Gesellschaft nicht einstellen will und die Früchte der Arbeit recht einseitig verteilt werden. Sie fordern vom Staat eine die gröbsten Ungerechtigkeiten ausgleichende Sozialstaatstätigkeit unter Wahrung der bestehenden Eigentumsverhältnisse und die etwas radikalere Fraktion (DKP) will sich im Staat einnisten, die Macht der Monopole brechen und Banken sowie Schlüsselindustrien verstaatlichen, damit sich das Allgemein-. wohl tatsächlich einstellt bzw. alle Staatsbürger gleichermaßen davon profitieren. Sie Verkennen das bürgerliche Gleichheitsprinzip, verklären es zum Ideal, wenn sie den politischen Gleichheitsbegriff auf die gesellschaftliche Sphäre ausdehnen wollen. Sie mögen von der Verfassungskonformität ihrer Argumentation überzeugt sein oder sie für< besonders gewitzt halten, der Staat erklärt sich, je nach politischer Gesamtlage, für diese Gleichmacherei nicht zuständig oder behandelt sie gar als staatsfeindliche Aktivität.

Die Grünalternativen verwerfen die politische Konzeption des klassischen Reformismus. Die überwiegende Mehrheit will die gesellschaftliche Veränderung, d.h. den Wandel. zur ökologischen und sozialen Gesellschaft (zur Kritik der grünen Wirtschafts- und Sozialpolitik siehe Klassenkampf Nr.15) nicht mit dem Staat, aber auch nicht an ihm vorbei. Die Zweckverwendung des Staates für ihre Ziele, den „Reformismus von oben“ lehnen sie ab. Eine logische Begründung für die anti-staatliche Einstellung wird in der Regel nicht geliefert. Die Kritik der bürokratischen Formen des Staates, der Appell für die individuelle Freiheit und der Verweis auf die wenig segensreichen Folgen der „realsozialistischen“ Staatswirtschaft reichen für die Ablehnung aus. Und jener Flügel, der die Klassengegensätze überhaupt noch aufgreift (insbesondere die GAL-Hamburg) und, wenn auch in widersprüchlicher Form, weitergehende wirtschaftspolitische Forderungen im Sinne des Arbeiterwohls an den Staat erhebt, sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt.

Die grünalternative Mehrheit will, daß der Staat sich ganz oder weitgehend auf die politische Sphäre zurückzieht. Welche klassenpolitischen Ziele der Staat bei seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Tätigkeit verfolgt und durchsetzt, interessiert sie nicht weiter, es reicht, daß die Ergebnisse ökologisch und sozial nicht wünschenswert sind.

Nun ist den Grünalternativen aufgefallen, daß der Staat über ansehnliche Geldmittel verfügen kann. Und da ihr Ideal, die alternative Produktionskommune angesichts einer übermächtigen Konkurrenz kapitalistischer Unternehmen in allen Wirtschaftszweigen nicht so recht lebensfähig ist, haben sie eine alternative Steuer-, Finanz- und Subventionspolitik entworfen. Die anti-staatlichen Grünen leisten sich den Widerspruch, daß sie staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik ablehnen und zugleich von eben diesem Staat Mittel für den Ausbau der Alternativproduktion fordern. Sie konkurrieren mit anderen Gruppen um staatliche Leistungen, rechtfertigen ihre Ansprüche mit dem Verweis auf den ökologisch-sozialen Nutzen, obwohl sie dem gleichen Staat vorwerfen, daß er ihr Anliegen nicht teilt, sondern durch sein Handeln die Apokalypse mitverursacht.

So sehr sie die reale staatliche Politik auch ablehnen, so haben sie offenbar doch die Hoffnung, daß sie über/mit oder neben dem bestehenden Staat eine neue, andere Gesellschaft einrichten können.

 

 

Grüne und Parlamentarismus

Das verweist auf ihre Einschätzung von Parlamentarismus und Staatsmacht. An dieser Frage scheinen sich die grün- alternativen Geister zu scheiden. Die Bewegung teilt sich in verschiedene Strömungen auf. Die Fraktionen sind allerdings in der Praxis nicht scharf voneinander abgegrenzt, es gibt Querverbindungen und individuelle Wanderungsbewegungen zwischen den Lagern. Zunächst zu den „Wertkonservativen“:

Sie bejahen den bürgerlich demokratischen Staat einschließlich der bestehenden Formen wie parlamentarisches Repräsentativsystem, Gewaltmonopol, Rechtsstaat usw.

Sie gehen davon aus, daß im Rahmen bürgerlicher Demokratie Konflikte und Interessensgegensätze gewaltfrei geregelt werden.

Durch Appelle an die ökologische Vernunft sowie entsprechende Aufklärungsarbeit soll sich die grüne Gesellschaft irgendwann (wenn der innere Schweinehund des Menschen überwunden ist) einstellen. Außerparlamentarische Aktionen sind nur als DemonstrationsmIttel bzw. Aufklärungsinstrument einzusetzen. Sie sollen weder die grüne Parlamentsarbeit behindern noch die Staatsmacht herausfordern. Entsprechend dem bürgerlichen Ideal hat der Staat sich aus der Produktionssphäre herauszuhalten bzw. nur ökologisch sinnvoll einzugreifen.

Gegen die Erweiterung des Parlamentarismus um Formen unmittelbarer Demokratie wird der Verweis auf mögliche Mehrheiten für reaktionäre Maßnahmen angeführt. Der Gedanke, daß die hohe Politik ein Geschäft für die aufgeklärte Elite sei, ist unverkennbar. Das staatliche Gewaltmonopol gefällt ihnen, weil ansonsten das Chaos eintreten könnte.

Im Rechtsstaat erkennen sie den Vorteil, daß staatliches Handeln an Gesetze gebunden ist und nicht willkürlich abläuft. Daß auch der bürgerliche Rechtsstaat nur mit Hilfe von Polizei- und Justizgewalt herrschen kann, mithin die Unterdrückungsfunktion seine Hauptaufgabe ist, das übertrifft wohl ihr Vorstellungsvermögen.

 

 

Die „Reformdemokraten“

Sie haben manches an der Demokratie, so wie sie heute praktiziert wird, auszusetzen. Deshalb treten sie als Befürworter einer Re-Demokratisierung auf.

Sie befürchten eine, reaktionäre Formierung der Gesellschaft, die Bildung eines autoritären Konsenses innerhalb des „Blocks an der Macht“, bei gleichzeitiger Entpolitisierung der Mehrheit und politischer Isolation von Minderheiten sowie der gesellschaftlichen Opposition. In ihren Reihen kursiert die These, wonach der Parlamentarismus aus sich selbst heraus nicht lebensfähig sei. Für das Funktionieren des demokratischen Parlamentarismus braucht es ihrer Meinung nach eine inhaltliche Alternative. Damit können sie aufwarten. Sie plädieren für den konstruktiven Einstieg in die Parlamentsarbeit. Die grüne APO, die für sie keine antiparlamentarische Bewegung ist, soll ihre Bemühungen auf institutioneller Ebene – vor allem in den Parlamenten – unterstützen, ohne darin aufzugehen.

Natürlich stehen die Reformdemokraten auf dem Boden des Grundgesetzes, das sie voll ausschöpfen wollen. Dem „Block an der Macht“ werfen sie eine einengende Auslegung der Verfassung vor.

Daß sie, wenn sie nicht bei einer alternativen Verfassungsinterpretation stehen, bleiben und dem Staat bei der Verfolgung seiner Ziele zu sehr behindern, vom Staat daran erinnert werden, wer für die Auslegung der Verfassung zuständig ist, ziehen sie vielleicht noch ins Kalkül, ist für sie aber nur ein Beleg für antidemokratisches Verhalten des Staates. Und da sie der Fiktion aufsitzen, daß der Staat demokratische Legitimationsprobleme hätte, überschätzen sie den Handlungsspielraum für alternative Politik im gegebenen Machtsystem gewaltig und können sich nur schwer vorstellen, daß die bürgerliche Herrschaft auch auf die parlamentarische Form der Herrschaftsausübung, verzichten kann, wenn es zur Sicherung des Kapitalismus zweckmäßig erscheint.

Sie gehen offenbar davon aus, daß alle Gewalt vom Volke ausgeht und das Parlament der Träger der Volksgewalt sei. Die Möglichkeit eines militärischen Putsches schließen sie zwar nicht aus, wollen sie aber durch entsprechende vielfältige Überzeugungsarbeit und überlegtes, nicht überzogenes Handeln verhindern (wie just die Eurokommunisten).

Sie fordern eine basisdemokratische Strukturreform der staatlichen Institutionen und des politischen Willensbildungsprozesses.

Sie setzen an dem Widerspruch an, daß konkrete Einzelprojekte- und Mäßnahmen in der Bevölkerung nicht mehrheitsfähig sind, sich aber auf den staatlichen Entscheidungsebenen immer eindeutige Mehrheiten für deren Durchsetzung finden.

Die Grünalternativen fordern deshalb die Dezentralisierung der politischen Entscheidungen, die Kompetenzverlagerung von der Zentralmacht auf die untere Ebene bin zu den Kommunen und die Einführung des Volksentscheids bei Projekten, die nicht kritiklos von der Bevölkerung akzeptiert werden und gleichzeitig einen tieferen Eingriff in ihre Lebenssituation beinhalten.

Sie hoffen, daß durch solche politischen Reformen Staatsaktionen blockiert werden können und verstehen sie als wichtige Bindeglieder auf dem Weg zur Selbstverwaltung. Aber zu ihrer Durchsetzung brauchen sie eine verfassungsändernde Mehrheit von 2/3 der Abgeordneten im Bundestag und im Bundesrat.

Eben weil sie staatliches Handeln blockieren könnten, sind diese Veränderungen im bürgerlichen Staat nicht durchsetzbar. Das wird von den Propagandisten allerdings übersehen.

 

 

Die „ökologische Fundamentalopposition“

Die Staatsfrage wird von ihnen umgangen. Sie, flüchten sich in einen ökologischen Utopismus. Sie behaupten, daß die bürgerlichen Herrschaftsinstitutionen eine Ökologisierung der Gesellschaft verhindern. Folgt man ihren Aussagen, dann ist die staatliche Macht weder durch Gewalt noch Ober das Parlament abzubauen.

Sie betreiben praktische Handwerkelei in den Parlamenten, obwohl das angeblich nichts bringt und träumen von einer Revolution, die nicht stattfinden kann. Eine Lösung der Widersprüche haben sie nicht anzubieten. Kurt, sie betreiben einen rigiden Moralismus. Es ist fraglich, ob sich diese Position längerfristig halten kann, sie erfreut sich aber heute gerade in Kreisen resignierter Spontis relativ großer Beliebtheit.

 

 

Spontis mit parlamentarischer Perspektive

Eines ihrer Lieblingsthemen ist die angeblich bevorstehende Schlacht zwischen den Grünen und der SPD um die Mehrheit im Reformlager. Mit ihrer Orientierung auf die SPD liegen sie nicht unbedingt verkehrt. Die entscheidende Frage ist aber, wofür die sozialdemokratische Anhängerschaft gewonnen werden soll, für die Reform oder die Revolution.

Die parlamentarischen Spontis entwickeln eine Art Doppelstrategie. Die eigentliche gesellschaftliche Befreiung soll unabhängig vom Staat verlaufen. Dieser Befreiungsprozeß, der Ausstieg aus der herrschenden und der Einstieg In die neue Gesellschaft, hat für sie bereits begonnen und im Alternativmilieu konkrete Gestalt angenommen. Der Übergang soll durch die parlamentarische Tätigkeit abgesichert werden, sehen sie doch die Gefahr, daß die Staatsmacht sie am Auszug aus der kapitalistischen Gesellschaft hindern könnte. Sie ziehen aus der (richtigen) Erkenntnis den (falschen) Schluß, ihre außerparlamentarischen Aktionen durch konstruktive Parlamentsarbeit zu ergänzen., ohne sich gleich an alle parlamentarischen Spielregeln gebunden zu fühlen. Die radikale Verweigerungshaltung (im Parlament oder gegenüber dem Parlament), die viele von ihnen früher auf ihre Fahnen geschrieben hatten, lehnen sie inzwischen ab. Eine stichhaltige Begründung für die bemerkenswerte Neubewertung des Parlamentarismus steht bisher noch aus.

Immerhin sprechen sie selber davon, daß der Staat die besetzten Freiräume wieder vernichten könnte. Sie halten außerdem ihre alternative Lebenspraxis für unwiderstehlich und hegen die feste Überzeugung, daß die. Mehrheit der Bevölkerung sich ihnen langfristig anschließen wird. Sicher eine Illusion. Aber wenn sie ihre Illusionen konsequent zu Ende denken worden, dann müßte auch ihnen aufgehen, daß sie irgendwann an das Eingemachte der kapitalistischen Gesellschaft stoßen und dann die Machtfrage auf der Tagesordnung stehen würde. Dann nutzen ihnen auch keine eventuellen parlamentarischen Mehrheiten.

Ihre vielgepriesene Dialektik von Reform und Revolution löst sich in schnöden Reformismus und ein „alternatives“ Sichabfinden mit den Widrigkeiten der Gesellschaft auf. Der Umstieg in die Alternativwirtschaft mag zwar einen radikalen Bruch in der individuellen Lebenspraxis darstellen. Eine Revolution der Gesellschaft wird noch lange nicht daraus.

 

 

Spontis ohne parlamentarische Perspektive

Unter diesem Titel finden sich die Grünalternativen mit anarchistischer Gesinnung und jene, die von den Ergebnissen der parlamentarischen Praxis enttäuscht sind, zusammen.

Sie lehnen die konstruktive Mitarbeit in den Parlamenten ab. Soweit sie sich überhaupt an parlamentarischen Aktivitäten beteiligen, fordern sie von den grünalternativen Abgeordneten eine konsequente Verweigerungspolitik. Die grüne Fraktion soll die Negation der bürgerllchen Herrschaft repräsentieren.

Sie haben die (richtige) Einschätzung, daß die Institutionen des heutigen Staates einschließlich des Parlaments bürgerliche Herrschaftsinstrumente sind, die nicht „besetzt“ oder als Mittel für die soziale Befreiung eingesetzt werden können. Ihnen geht es darum, außerhalb der Institutionen die in der Gesellschaft aufbrechenden Gegensätze zu verschärfen und ihnen organisatorischen Ausdruck zu geben. Der organisierte Dissens soll weder eine ökonomische (gewerkschaftliche), noch eine politische Gegenmacht, sondern eine gesellschaftliche Gegenmacht verkörpern.

Wie das Verhältnis von gesellschaftlicher Gegenmacht zur herrschenden politischen Staatsmacht aussieht, wie die gesellschaftliche Gegenmacht die Staatsmacht Oberwinden und bezwingen kann, wird nicht ausgeführt. Uns scheint es, als handele es sich hier eher um eine Lebensphilosophie der radikaleren Spontis als um eine Revolutionstheorie. Sie werfen die Machtfrage auf, ohne die Frage zu beantworten, wie der Staat tatsächlich beseitigt werden kann.

 

 

Die „Öko-Sozialisten“

Ihre Hochburg ist die GAL Hamburg und mit Einschränkung die AL Westberlin.

Sie gehen (zu Recht) davon aus, daß die Mehrheit der Wählerschaft der Alternativen Hoffnungen auf die Veränderbarkeit der Gesellschaft durch die Parlamente setzen. Die Mehrheit der grün- alternativen Wählerschaft sieht (noch) nicht die Systembedingtheit der gesamten Krisenerscheinungen, sie will durch permanente Reformen eine bessere Gesellschaft erreichen.

Die Ökosozialisten verstehen ihre parlamentarische Arbeit als taktische Aufgabe.

Sie glauben zwar, daß die Parlamentsfixierung durch die Arbeit grünalternativer Abgeordneter zunächst einmal neue Nahrung erhalten wird. Sie halten dieses Durchgangsstadium für unvermeidbar, weil sie befürchten, daß die gehegten Reformhoffnungen in Resignation und Passivität umschlagen könnten. Sie wollen die Massen auf die Systembedingtheit stoßen und somit an den Punkt heranführen, von dem aus darin die Systemfrage aufgeworfen werden kann.

Drei Aspekte sind am ökosozialistischen Ansatz positiv zu bewerten. Für sie besteht der Klassengegensatz zwischen Kapital und Lohnarbeit immer noch (was in den Reihen der Grünalternativen keine Selbstverständlichkeit ist), sie betreiben keine ausgesprochene „Szene-Politik“ und sie versuchen am Bewußtseinsstand von klassenbewußtesten Teilen der Lohnabhängigen anzusetzen.

Ihnen unterlaufen dennoch einige schwerwiegende Fehler.

Zur Lösung der vielfältigen gesellschaftlichen Probleme richten sie einen umfangreichen wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungskatalog an den Staat. Die Bewegung soll durch außerparlamentarische Aktionen den notwendigen Druck für die Durchsetzung der Forderungen erzeugen. Sie geben vor, daß durch entsprechende staatliche Maßnahmen Probleme wie Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung Wohnungsbaumisere oder soziales Elend beseitigt werden könnten.

Und wenn sich die heut Regierenden dafür nicht ins Zeug legen, dann braucht es halt eine GAL-Mehrheit.

Die meisten GAL-Aktivisten werden diesen Gedankengang weit von sich weisen, aber das ist die innere Logik ihrer Taktik. Sie verstärkt nicht nur vorübergehend die Fixierung auf den Staat. Nun ist es nicht grundsätzlich verkehrt, Forderungen an den Staat zu erheben, wenn sich dadurch, vorausgesetzt, die Forderung wird durchgesetzt, die Lebenslage der Lohnarbeiter vorübergehend verbessert oder die Kampfbedingungen für die Arbeiterklasse günstiger werden. (vgl. dazu den Artikel Stahlkrise: Verstaatlichung – eine Lösung? in Klassenkampf Nr.15)

Allerdings darf der Hinweis auf die begrenzte Reichweite eventueller Reformen nicht fehlen, weil es eben in dem System keine grundsätzliche Lösung gibt. Es nützt wenig, wenn die GAL-Aktivisten die Systembedingtheit erkannt haben. Diese Erkenntnis muß auch in der Praxis vermittelt werden.

Auch die öko-sozialistische Richtung geht nicht über die Grenzen des kapitalistischen Systems hinaus.

Abschließend eine kurze Nachbemerkung zur Parlamentarisierung der Linken, die heute über erheblichen Einfluß innerhalb der grünalternativen Bewegung verfügt. Eine nicht unwichtige Bedingung für ihre Parlamentarisierung war neben der Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kräften und dem Zustrom junger unerfatirener Kräfte die Passivität der Arbeiterklasse. Deren politische Rückständigkeit ist zugleich ein Grund für die tiefe Kluft zwi~chen Grünalternativen und der Arbeiterklasse als auch für die Orientierung der Einpunktbewegungen auf den Staat.

Der mangelnde Widerstand der ehemals kommunistischen Linken gegen den grünalternativen Zeitgeist, bzw. ihr weitgehendes Aufgehen in den klassenunspezifischen Protestbewegungen war und ist auch ein Beweis, daß die ehemals gehegten Revolutionserwartungen zu kurz gegriffen waren und daß die Aneignung der marxistischen Theorie durch die Studentenbewegung und deren Nachfolgeorganisationen nur bruchstückhaft blieb. Auch die Fehleinschätzung des Massenbewußtseins, die Verklärung der Massen an sich zum Idol („Dem Volke dienen“), wie sie von den Kommunistischen Organisationen der 70er Jahre lange Zeit verbreitet wurden, sind ebensolche Voraussetzungen für die heutige Abkehr von der außerparlamentarischen Opposition.

War die radikale Linke in der Bundesrepublik in den 70er Jahren ihrem Selbstverständnis nach Avantgarde der Arbeiterklasse, berufen diese zu organisieren und zu revoltieren, so ging sie mit dem weitgehenden Ausbleiben von Arbeiterkämpfen in der Krise und dem Aufkommen der klassenunspezifischen Öko- und Alternativbewegungen mit fliegenden Fahnen in den neuen Protestbewegungen auf; soweit sie ihre ehemals marxistischen Theoriefragmente nicht ganz über Bord warf wendete sie diese revisionistisch, zog ihnen den revolutionären Stachel, anstatt sie kritisch zu überprüfen und zu korrigieren. Die positiven Ansätze zu einer Theorie des Klassenkampfes und der Revolution gingen dabei weitgehend verloren.

Solange der Klassenkampf in der Bundesrepublik nur von oben betrieben wird und Arbeiterkämpfe im größeren Maß ausbleiben, wird sich an dieser Situation wenig ändern.

 


Zuletzt aktualisiert am 15.7.2002