Jürgen Ehlers

 

Was ist dran an der Globalisierung der Weltwirtschaft?

Regierungen und Gewerkschaften nur noch Kellner des Kapitals?

(Teil 1)

 

[Einleitung]

Kaum ein Tag vergeht, an dem ein Regierungsvertreter oder ein Industriemanager von der Globalisierung der Weltwirtschaft spricht und damit seine Forderungen nach Lohn- und Sozialabbau begründet. Dies sei nötig, um die Investitionsbedingungen zu verbessern, da sonst immer mehr Arbeitsplätze uns Ausland Verlagert würden.

Die Politik muß für global agierende Konzerne die besten Rahmenbedingungen anbieten. Die Deutschen können es sich künftig nicht mehr leisten, doppelt soviel Urlaub zu machen wie andere. Schul- und vor allem Studienzeiten müssen verkürzt, die Dienstleistungen der Hochschulen und auch der Krankenhäuser kommerzialisiert werden, und der Staat muß sich auf seine Kernkompetenzen beschränken, an erster Stelle innere Sicherheit. [1]

Innerhalb der SPD sind diese wirtschaftsliberalen Positionen von Gerhard Schröders Wirtschaftsberater in Niedersachsen, Alfred Tacke, zwar heftig umstritten, aber viele glauben eine Entwicklung beobachten zu können, die den Handlungsspielraum von sozialdemokratischer Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie die Gegenwehr von Gewerkschaften einengen oder sogar ganz zunichte machen würde.

Sozialdemokratische Politik in aller Welt muß jetzt verhindern, daß die Globalisierung der Märkte die sozialen Sicherungssysteme zerstört. Dazu müssen – zunächst innerhalb der Europäischen Union und im zweiten Schritt gemeinsam mit den USA und Japan – Mindeststandards bei Sozialleistungen und Unternehmenssteuern politisch festgelegt werden. Sonst wird die rigorose Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer weitergehen. [2]

In diesem Vorschlag von Oskar Lafontaine, der auch nach wochenlanger Diskussion nur halbherzig von der Parteiführung mitgetragen wird, schwingt im letzten Satz eine unheilvolle Drohung mit. Der für solche internationalen Vereinbarungen Werbende wird kaum davon ausgehen, daß derartige Regelungen tatsächlich zustande kommen. Es ist vielmehr wahrscheinlicher, daß mit dem vorprogrammierten Scheitern dieser Bemühungen stattdessen die Begründung für eine Wirtschafts- und Sozialpolitik geliefert wird, wie sie Gerhard Schröder schon seit langem offensiv vertritt.

Was steckt also wirklich hinter der sogenannten Globalisierung? Hat der Kapitalismus tatsächlich ein Entwicklungsstadium erreicht, das die Bedeutung von Nationalstaaten erheblich schmälert und damit die sozialpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten von Regierungen gegen Null tendieren läßt? Ist die Arbeiterklasse erpreßbarer geworden, weil die Kapitalisten bei hohen Lohnkosten in zunehmendem Maße die Produktion kurzerhand ins Ausland verlegen?

Die seit Mitte der siebziger Jahre von kurzen Unterbrechungen abgesehen ständig steigende Massenarbeitslosigkeit hat der These von der Globalisierung der Weltwirtschaft als Ursache dafür immer neue Anhänger zugeführt. Hinter dem Begriff vom Globalisierungsprozeß steht die Annahme, daß der Kapitalismus in eine neue Entwicklungsphase eingetreten sei. Die Kapitalisten hätten heute im Gegensatz zu früher generell die Möglichkeit, dort zu investieren, wo die Löhne am niedrigsten sind, wo kaum Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen existieren und wo ihnen die jeweiligen Regierungen mit dem Verzicht auf Steuern am weitesten entgegenkommen.

Während die sogenannten multinationalen Konzerne noch ganz eindeutig bestimmten Staaten zuzuordnen waren, so die Theoretiker von der Globalisierung der Weltwirtschaft, seien diese Konzerne heute nicht mehr auf eine Schaltzentrale in einem Land festgelegt. Die Kapitalisten würden sich die günstigsten Orte für ihre Investitionen nach belieben aussuchen, um sich dort das notwendige technische Wissen und die entsprechenden Arbeitskräfte einzukaufen.

Der Frankfurter Politologe Joachim Hirsch ist einer der Verfechter dieser Theorie und faßt die sozialpolitischen Folgen aus seiner Sicht wie folgt zusammen:

Der Staat hat infolge des Globalisierungsprozesses einen wesentlichen Teil seines interventionistischen Instrumentariums eingebüßt und Standortsicherung, d.h. die Herstellung optimaler Verwertungsbedingungen für das internationale Kapital in der zwischenstaatlichen Konkurrenz ist zur politischen Leitmaxime geworden. Dies bedeutet eine Rücknahme sozialer Sicherungen, die Forcierung gesellschaftlicher Spaltungsprozesse und der Verzicht auf umgreifende Massenintegrationsstrategien. [3]

Die Einflußmöglichkeiten des Staates, auf die Hirsch hier anspielt, sind immer Illusionen gewesen, die besonders von den Anhängern des Keynesianismus gepflegt worden sind. Nicht nur in Deutschland waren die sozialdemokratischen Regierungen nicht in der Lage, die Krisen des Kapitalismus und die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das Scheitern der Sozialdemokraten hatte seine Ursachen nicht in einer massiven Kapitalflucht etwa vor höherer Besteuerung oder schärferen Umweltauflagen, sondern darin, daß die staatlichen Konjunkturprogramme zur Krisenbekämpfung nur kurze Strohfeuer entfachten und den nächsten Konjunktureinbruch nicht verhindern konnten.

Aber davon einmal abgesehen, würde eine Globalisierung, wie sie von Hirsch und anderen als Charakterisierung des heutigen Kapitalismus vertreten wird, bedeuten, daß sich die Kräfteverhältnisse ganz entscheidend zu Lasten der Arbeiterklasse und ihrer Gewerkschaften verschoben hätten. Nichts von dem, was in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erkämpft worden ist, wäre auf lange Sicht noch zu verteidigen, weil in den meisten Ländern wesentlich schlechtere soziale Absicherungen tarifvertraglich festgeschrieben sind, erheblich niedrigere Löhne gezahlt werden und weil auch in diesen Ländern die gleiche Abwärtsspirale zu beobachten ist wie in Deutschland. Deswegen ist die Frage, ob die These von der Globalisierung einer genaueren Betrachtung standhält, von so großer Bedeutung.

 

 

Schwellenländer

Der Kapitalismus hat sich bereits in den vergangenen 100 Jahren zu einem die ganze Welt umspannenden System entwickelt. Relativ neu ist, daß es in einigen unterentwickelten Gebieten heute Länder gibt, die nach dem Fall der alten Kolonialunterdrückung einen Industrialisierungsprozeß von sehr unterschiedlicher Intensität durchlaufen haben.

In einer ganzen Reihe von Staaten, den sogenannten Schwellenländer wie zum Beispiel Brasilien, Mexiko, Korea, Singapur und Malaysia, ist in den zurückliegenden 30 bis 40 Jahren von den dortigen herrschenden Klassen mit eiserner Faust diese Industrialisierung vorangetrieben worden. Die politischen Rahmenbedingungen und ökonomischen Voraussetzungen für diese Politik waren in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich, aber die Methoden waren überall sehr ähnlich.

Niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten bildeten die Grundlage für eine hohe Ausbeutungs- und damit hohe Akkumulationsrate, die von der herrschenden Klasse in Verbindung mit einer zentralistischen Planwirtschaft dazu benutzt wurde, die notwendige Infrastruktur für den Aufbau weiterer Industrieunternehmen zu finanzieren. Charakteristisch für diese Länder ist, daß Gewerkschaften entweder ganz verboten oder durch Gesetze in ihrer Interessenvertretung sehr stark beschnitten waren und zum größten Teil immer noch sind.

Seit Jahrzehnten werden besonders lohnintensive Tätigkeiten aus den hochindustrialisierten Ländern dorthin verlagert. Den Anfang machte die Textil- und Bekleidungsindustrie, gefolgt von der Elektronik- und Automobilindustrie. Nicht alle diese Schwellenländer sind auf der Stufe einer verlängerten Werkbank stehengeblieben, doch nur einige wenige wie zum Beispiel Südkorea [4] verfügen heute über eine eigene Industrie, die in Teilbereichen wie dem Schiffs- und Automobilbau auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist.

Andere Länder wie Brasilien oder Mexiko sind heute hoch verschuldet und immer noch verlängerte Werkbänke oder Rohstofflieferanten der US-amerikanischen, japanischen oder europäischen Konzerne. Die Niederlassungen in diesen Schwellenländern erreichen bis heute nicht die Produktivität und die Qualität der Hauptwerke. Die durchrationalisierte Produktion ohne Lagerhaltung, die zuerst in Japan entwickelt wurde und heute auch in Westeuropa zum Standard vor allem in der Automobilindustrie gehört, ist nicht nur auf ein dichtes Netz von Zulieferbetrieben, sondern auch auf eine gut ausgebaute und zuverlässige Verkehrsinfrastrukur angewiesen.

Die Schaltzentrale des japanischen Kapitalismus, das Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (MITI), veröffentlichte erst vor kurzem eine Studie, in der festgestellt wird, daß die Verlagerung von Produktion ins Ausland dazu führen kann,

daß die Qualität von Forschung und Entwicklung leiden könnte, weil die Produkte, die in Übersee hergestellt werden, im wesentlichen in Japan entwickelt wurden. Sollten sich aber die Beziehungen zwischen der Fertigung in Übersee und den Entwicklungszentren in Japan zunehmend lockern, könnten sie das Niveau von Forschung und Entwicklung ungünstig beeinflussen. [5]

Gerade die enge Verzahnung von Produktion und Entwicklung ist bisher die Stärke der japanischen Automobilindustrie gewesen, weil viel früher als in Europa und den USA der Abbau von innerbetrieblichen Hierachien als Chance begriffen wurde, Probleme im Produktionsablauf und Schwächen an den Autos schneller als die Konkurrenz zu bemerken und zu beseitigen.

Das sind einige Gründe, die erklären, warum nicht bereits in den letzten Jahrzehnten die Industrieproduktion massenhaft in sogenannte Billiglohnländer ausgelagert worden ist. Ein Blick auf die Entwicklung der Beschäftigtenstruktur einiger der größten deutschen Konzerne zeigt, daß es in den letzten 25 Jahren aber dennoch erhebliche Veränderungen gegeben hat. Während in fast allen Konzernen die Beschäftigtenzahlen im Inland zum Teil erheblich zurückgegangen sind, stiegen sie gleichzeitig im Ausland überproportional an. Angesichts von über 6 Millionen Arbeitslosen und einem anhaltend starken Trend, im Ausland zu investieren, ist das eine Entwicklung, die bestens geeignet ist, Ängste zu schüren. (Tabelle 1)

Tabelle 1

Entwicklung der Beschäftigtenzahlen von deutschen Konzernen
im In- und Ausland 1971 und 1995 [6] (Angaben in Tausend)

Inland

Ausland

1971

1995

Veränderung

1971

1995

Veränderung

Siemens

234

211

–11%

72

162

+125%

BASF

  78

  64

–  8%

15

  43

+187%

VW

160

142

–11%

42

100

+138%

Hoechst

97

62

–36%

45

100

+122%

Während zu Beginn der siebziger Jahre noch 75 bis 90% der gesamten Belegschaft von deutschen Konzernen im Inland konzentriert waren, sank dieser Anteil bis 1995 auf nur noch 40 bis 60%. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und den Investitionen der deutschen Konzerne im Ausland ist aber dennoch nicht herzustellen.

Eine Gegenüberstellung des im Ausland investierten Kapitals und der Handelsbeziehungen nach Ländergruppen zeigt, daß drei Viertel des deutschen Außenhandels mit anderen Industrieländern abgewickelt werden und daß auch genau dorthin fast 90% des Kapitalexports in Form von sogenannten Direktinvestitionen gehen. In diesen Ländern ist die Arbeitslosigkeit trotz des Kapitalimports aus Deutschland teilweise sogar noch höher als hier. (Tabelle 2)

Tabelle 2

Außenhandel Deutschlands und Bestand der Direktinvestitionen
nach Ländergruppen für 1995 [7]

Import

Export

Direkt-
investitionen

Europäische Gemeinschaft

54,1%

56,7%

50,6%

USA

  7,0%

  7,5%

21,1%

andere Industrieländer

14,2%

11,7%

15,4%

Industrieländer insgesamt

75,3%

75,9%

87,1%

sogenannte Reformländer
wie China, Rußland etc.

11,6%

  9,8%

  2,7%

Entwicklungsländer und OPEC-
Länder sowie südostasiatische
Schwellenländer

12,1%

13,6%

10,2%

davon nur südostasiatische
Schwellenländer

  5,5%

  5,7%

  2,6%

Im Vergleich zu 1980 ist der prozentuale Anteil des Handels mit den sogenannten Entwicklungsländern, einschließlich der in der OPEC organisierten erdölfördernden Staaten und der Schwellenländer, bis heute beim Import von 27,7% auf rund 12 und beim Export von 22,1% auf rund 10% zurückgegangen, nachdem er bis dahin über Jahrzehnte kontinuierlich angestiegen war. In diesen Zahlen drückt sich aus, daß es neben einigen der sogenannten Schwellenländern, die sich Marktanteile in Deutschland erobern konnten, eine sehr viel größere Zahl von armen Ländern gibt, die im Laufe der letzten Jahre in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung noch weiter zurückgefallen sind.

In den letzten Jahren hat besonders der Export nach China und Südostasien für Deutschland an Bedeutung gewonnen. Gegenüber 1992 stieg das Exportvolumen nach China um 86% während sich die Importe aus diesem Land nur um 37% erhöhten. Eine ähnliche Entwicklung gab es im Handel mit den südostasiatischen Schwellenländern. Die Exporte dorthin nahmen in den zurückliegenden vier Jahren um 60% zu, die Importe nur um bescheidene 14%. Im gleichen Zeitraum weitete sich der gesamte Auslandshandel Deutschlands in wesentlich geringerem Umfang aus, beim Import stagnierte er fast, und der Export legte um 9% zu.

 

 

Kapitalexport

Obwohl es in einer Vielzahl von Ländern eine unübersehbare Schar von billigen Arbeitskräften gibt, ist die Neigung der Kapitalisten in Deutschland, sich das zunutze zu machen, sehr gering. Sie konzentrieren sich mit ihren Auslandsinvestitionen vielmehr auf die Länder, in die bereits seit Jahrzehnten der größte Teil der Warenexporte gegangen ist. Der Kapitalexport folgt dabei den Verbindungen und Beziehungen, die über den Warenexport entstanden sind.

Die massive Konzentration der wirtschaftlichen Beziehungen auf die hochindustrialisierten Länder prägt heute den Kapitalismus. Die Entwicklung neuer Produkte und neuer Fertigungstechniken ist mit steigenden Kosten verbunden, da die hohe Produktivität ebenso wie die technisch immer anspruchsvolleren Produkte entsprechend lange Entwicklungszeiten benötigen. Deswegen gehen die Konzerne über die Landesgrenzen hinweg zum gegenseitigen Nutzen strategische Bündnisse auf Zeit ein, um sich Entwicklungskosten zu teilen oder um partiell und befristet die Konkurrenzsituation aufzuheben mit dem Ziel, höhere Preise erzielen zu können.

Deswegen ist der Kapitalexport in Form von Direktinvestitionen in die USA im Vergleich zur Warenausfuhr etwa dreimal so hoch. Hierin drückt sich auf der einen Seite das Bemühen des deutschen Kapitals aus, durch Übernahmen, Beteiligungen und Aufbau von Zweigwerken den dortigen riesigen Binnenmarkt noch weiter für sich zu erschließen, und auf der anderen Seite das Bestreben des US-Kapitals, sich durch Zölle vor Warenimporten zu schützen, die den eigenen Profit schmälern.

Die Produktionsverlagerung in die USA ist die einzige Möglichkeit für deutsche und andere ausländische Kapitalisten, diese Importzölle oder direkten Handelsbeschränkungen zu umgehen und sich von den Schwankungen des Dollarkurses unabhängig zu machen. In einem Interview begründete der BMW-Chef Eberhard von Kuenheim 1992 die Entscheidung, in den USA ein großes Tochterwerk aufzubauen, wie folgt:

Wir gehen in die Vereinigten Staaten aus einer Vielzahl von Gründen. Das ist vor allem eine marktstrategische Entscheidung, die wir für unsere Aktivitäten auf den Weltmärkten für wichtig halten. Darüber hinaus spielt dann natürlich die Entwicklung des Wechselkurses zwischen Dollar und Mark eine Rolle sowie die Diskussion um Handelsbeschränkungen in den USA. [8]

Dem Kapitalexport nach Südostasien und China wird, gemessen am Handelsvolumen, ein viel geringerer Stellenwert beigemessen. Diese Gewichtung unterstreicht, daß es beim Kapitalexport nicht vorrangig darum geht, die Produktion in Länder zu verlagern, in denen das Lohnniveau wesentlich niedriger ist als in Deutschland.

Das bedeutet nicht, daß dem Kapitalexport in die sogenannten Schwellenländer keine wachsende Bedeutung zukommt. Aber dabei geht es eben nicht vorrangig um die Verlagerung von lohnintensiven Produktionszweigen, sondern um die Ausweitung und Sicherung von Absatzmärkten, ein Unterfangen, bei dem im Prinzip mit den gleichen Schwierigkeiten zu rechnen ist wie auf dem heimischen Binnenmarkt, wie das Beispiel von Daimler-Benz in Brasilien zeigt.

Im letzten Jahr wurden dort 1.600 der 16.300 Automobilarbeiter bei Mercedes-Benz do Brasil entlassen, weil sich der Absatzmarkt für Lastwagen und Omnibusse in Südamerika nicht so wie gehofft entwickelt hatte und weil rationalisiert werden sollte, um die Produktivität zu erhöhen. [9] Daraufhin kam es zu größeren Protesten der Belegschaft. Wäre es dem Management des Konzerns bei dem Aufbau der Nutzfahrzeugherstellung in Brasilien um eine Produktionsverlagerung gegangen, dann hätte es sich angeboten die ungenutzten Kapazitäten für den Export von dort nach Deutschland zu nutzen.

Das ist nicht geschehen, weil die Automobilproduktion in Deutschland profitabel ist. Das gilt auch für andere Branchen, denn sonst wäre der Anteil Deutschlands am gesamten Welthandel seit Jahrzehnten trotz der relativ hohen Löhne und relativ kurzen Arbeitszeiten nicht so hoch. Dieser Anteil lag 1970 bei 11% sank 1981 auf 8,9% stieg Ende der achtziger Jahre auf über 12% an und lag 1995 bei 10,8%. [10] Eine Betrachtung des deutschen Außenhandels zeigt außerdem, daß alle Länder mehr deutsche Waren importieren, als sie selbst nach Deutschland exportieren.

Zu den Ländern mit einer solchen negativen Handelsbilanz gehören auch die sogenannten Schwellenländer in Südostasien. Die jüngste Entwicklung zeigt ganz deutlich, daß nicht sie es sind, die den europäischen, japanischen und US-amerikanischen Konzernen die Schlagzahl vorgeben, sondern daß sie sich in einer viel schwächeren Position befinden und daß davon unter anderem die deutschen Kapitalisten profitieren.

Um bei der Infrastruktur und Energieversorgung aufzuholen, können die Tigerstaaten in der nächsten Zeit kaum auf kräftige Importe verzichten. ... Bisher konnten die asiatischen Schwellenländer ihren Importhunger weitgehend mit den Devisen finanzieren, die boomende Exporte in ihre Kassen spülten. Doch die weltweite Nachfrage nach den Exportprodukten der Region lahmt. Vor allem der Einbruch bei den Elektronikartikeln macht den Staaten zu schaffen ... Vor allem schwindet ein Wettbewerbsvorteil: die niedrigen Arbeitskosten. Der Arbeitskräftemangel ließ die malayischen Löhne im vergangenen Jahr dreimal so stark steigen wie die Arbeitsproduktivität. [11]

 

 

Anmerkungen

1. Frankfurter Rundschau, 28.08.96

2. Frankfurter Rundschau, 29.08.96

3. Joachim Hirsch, Vom Sicherheits- zum nationalen Wettbewerbsstaat, in: links 4/94, S.32f.

4. Trotz der starken Repressionen, denen Gewerkschaften in Südkorea ausgesetzt sind, konnte es die Regierung nicht verhindern, daß das Lohnniveau dort heute höher ist als in den Nachbarstaaten. Die beiden großen Konzerne Hyundai und Samsung verlagerten deswegen einen Teil besonders lohnintensiver Produktionsbereiche dorthin. Südkorea exportiert aber nicht nur in diese Länder Kapital, auch in Europa und den USA werden inzwischen Produktionsanlagen errichtet bzw. sind in Planung. Trotzdem befinden sich die südkoreanischen Kapitalisten nach wie vor in einer vergleichsweise schwachen Position, weil das Land weiterhin auf die Einfuhr von Produktionsanlagen und Infrastruktureinrichtungen angewiesen ist, während sich die Nachfrage nach den eigenen Exportprodukten nicht so stark wie geplant entwickelt hat. Südkorea weist deswegen eine negative Handelsbilanz auf.

5. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.05.96

6. Angaben von 1971 aus: Folker Fröbel u.a., Die neue internationale Arbeitsteilung, Hamburg 1977, S.392; Angaben für 1995 aus: Die Zeit, 09.08.96

7. Deutsche Bundesbank, Monatsberichte, Frankfurt 1996

8. Der Spiegel, 29.06.92

9. Frankfurter Rundschau, 27.09.95

10. Letzter Wert aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.08.96, übrige Werte aus: WSI Mitteilungen 4/1984, S.237

11. Wirtschaftswoche, 05.09.96

 


Zuletzt aktualisiert am 20.8.2001