Jürgen Ehlers

 

Was ist dran an der Globalisierung der Weltwirtschaft?

Regierungen und Gewerkschaften nur noch Kellner des Kapitals?

(Teil 2)

 

Warenexport

Hinter den USA nimmt Deutschland noch vor Japan den zweiten Platz in der Exportstatistik unter den Welthandelsländern ein. Erst vor kurzem triumphierte ein konservativer Wirtschaftsjournalist:

Deutschland ist wieder Vizeweltmeister im Export. Trotz Aufwertung der D-Mark haben die Unternehmen ihre Position auf dem Weltmarkt gefestigt und ihren Abstand zur europäischen Konkurrenz vergrößert. Sie haben sogar Japan in die Schranken verwiesen und auf den asiatischen Wachstumsmärkten Terrain gewonnen. [12]

Der Warenexport und vor allem die ständig wachsende Bedeutung des Kapitalexports für Deutschland können nicht isoliert von der allgemeinen Entwicklung des Kapitalismus betrachtet werden.

In nur zehn Jahren von 1960 bis 1970 nahm der Bestand der Direktinvestitionen von deutschen Firmen im Ausland um 18 Milliarden von 3,1 auf 21,1 Milliarden Mark zu. Das ist eine Versiebenfachung, während sich im gleichen Zeitraum der Export nur um das 2,5fache erhöhte. [13]

Der steigende Bestand an Direktinvestitionen im Ausland als Folge des Kapitalexports ist also kein neues Phänomen, sondern zieht sich durch die ganze Entwicklung des Kapitalismus nicht nur in Deutschland, hat aber nach dem Zweiten Weltkrieg noch mehr als der Export ganz erheblich an Bedeutung gewonnen. (Tabelle 3)

Tabelle 3

Bestand an Direktinvestitionen deutscher Kapitalisten im Ausland
im Verhältnis zum Exportvolumen [14]
(in Millionen DM)

1960

1970

1980

1994

Warenexport

47.946

125.276

350.300

732.251

Bestand an
Direktinvestitionen

  3.162

  21.113

  83.000

398.300

Verhältnis Direkt-
investitionen/Export

    6,6%

  16,9%

  23,7%

  54,4%

Von 1960 bis heute ist außerdem der Anteil der Warenexporte am gesamten Bruttosozialprodukt von knapp 16% auf über 30% angestiegen. Es gibt heute also keine plötzlich anschwellende Fluchtbewegung von Kapital, das im Ausland nach profitablen Anlagemöglichkeiten im Produktions- oder Dienstleistungsbereich sucht. Die Kapitalisten versuchen vielmehr, über Beteiligungen konkurrierenden Unternehmen zu kontrollieren oder durch Aufkäufe deren Marktanteile zu übernehmen.

Der im Vergleich zum Warenexport überproportional wachsende Kapitalexport drückt die Konkurrenz auf den Weltmärkten aus. Der Entwicklungszeitraum von 1980 bis heute zeigt, daß sich diese Konkurrenzsituation verschärft hat, weil sich das Verhältnis von Kapital- zu Warenexport immer rascher zugunsten des Kapitalexports verschoben hat. Diese Veränderung ist die Folge der drei großen Wirtschaftskrisen seit Ende des Zweiten Weltkrieges von 1975, 1982 und 1993. Dem relativ langsameren Wachstum der Absatzmärkte stand ein viel höheres Wachstum an Produktionskapazitäten gegenüber. Damit verschärfte sich die Konkurrenz, die Profitraten gerieten unter Druck. Der Kapitalexport sollte dazu dienen, die eigene Wettbewerbssituation zu verbessern.

Eine Entwicklung, die nicht grundsätzlich neu ist und bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg von dem russischen Marxisten Nikolai Bucharin analysiert und zu Beginn des Krieges niedergeschrieben worden ist.

Erstens erfolgt die Akkumulation des Kapitals in einem unerhört schnellen Tempo, wenn eine großkapitalistische Produktion vorhanden ist, wenn der technische Fortschritt beständig mit Riesenschritten vorwärts marschiert und die Produktivität der Arbeit sich erhöht, wenn das Verkehrswesen sich außerordentlich entwickelt, wenn überhaupt die Zirkulationsmittel vervollkommnet werden und damit auch der Umschlag des Kapitals beschleunigt wird. Die Kapitalmassen, die Anlagen suchen, erreichen eine außerordentliche Größe.

Zweitens: das Bestehen hoher Zölle legt dem Eindringen von Waren die größten Hindernisse in den Weg. Die Massenproduktion, die massenhafte Überproduktion machen eine Zunahme des Außenhandels erforderlich, aber dieser stößt auf die Barriere der hohen Zollsätze. Zwar entwickelt sich der Außenhandel auch weiterhin, der auswärtige Absatz nimmt zu, aber alles erfolgt ungeachtet und trotz der Hindernisse. Daraus folgt keineswegs, daß die Zölle keinerlei Wirkung ausüben. Sie wirken vor allem auf die Profitrate. Während aber die Zollschranken dem Warenexport große Hindernisse entgegensetzen so stören sie den Kapitalexport keineswegs. [15]

Aber auch der Kapitalexport ist nicht völlig frei von Gefahren für die Profitinteressen der Kapitalisten. Alle Länder beäugen die Direktinvestitionen aus dem Ausland in den eigenen Grenzen sehr mißtrauisch und legen ihnen offene oder versteckte Beschränkungen auf, um nationale Schlüsselindustrien des eigenen Staates vor fremder Einflußnahme oder vor der Konkurrenz von stärkeren ausländischen Konzernen auf dem eigenen Binnenmarkt zu schützen.

Die Verfechter der Globalisierungsthese leugnen diesen Protektionismus nicht, sie plädieren aber vehement dafür, ihn fallen zu lassen. Wenn auf der einen Seite die Konzerne über Staatsgrenzen hinweg immer mehr die Vorteile zu nutzen versuchen, die ihnen die Kooperation mit anderen Konzernen bietet, oder, wenn möglich die Konkurrenz im Ausland aufkaufen, ihr durch Beteiligungen die eigene Geschäftsstrategie aufzwingen oder neue Produktionsanlagen im Ausland aufbauen, dann muß der Staat und der von ihm geschützte Binnenmarkt nicht nur immer mehr an Bedeutung verlieren. Er wird schließlich sogar zum Hindernis für eine Weiterentwicklung des Kapitalismus und gefährdet damit neben den Profiten auch die Grundlage für den Wohlstand der gesamten Bevölkerung, so ihre Argumentation.

Standorte von Siemens

Fertigungsstandorte des Siemens-Konzerns

Der Arbeitsminister der Clinton-Regierung, der Volkswirtschaftler Robert B. Reich, ist einer der Vertreter dieser These. Die scheinbar grenzenlose Mobilität von, wie er es nennt, finanziellem und intellektuellem Kapital, nimmt in seiner Theorie von der Globalisierung des Kapitalismus eine Schlüsselstellung ein.

Die alten multinationalen amerikanischen Unternehmen wurden von ihren amerikanischen Hauptquartieren aus dirigiert ... Besitz und Kontrolle lagen unbestreitbar in amerikanischer Hand ...

Diese Form der Kontrolle von oben und des zentralistischen Besitzes gibt es in den netzartigen Organisationen des Qualitätsunternehmens nicht. Hier fließen Macht und Reichtum den Gruppen zu, die im Lösen und Identifizieren von Problemen und in der strategischen Mittlertätigkeit die wertvollsten Fertigkeiten entwickelt haben. Solche Gruppen sind in zunehmendem Maße an vielen Orten der Welt außerhalb der Vereinigten Staaten zu finden ...

Intellektuelles wie finanzielles Kapital kann von überallher kommen und augenblicklich eingesetzt werden. [16]

 

 

Spekulation

Diese Theorie abstrahiert von den Widersprüchen des Kapitalismus, die sich darin zeigen, daß nicht nur die internationalen Kapitalverflechtungen zunehmen, sondern parallel dazu auch die Bedeutung der Nationalstaaten für den internationalen Konkurrenzkampf der Kapitalisten wächst. Denn mit welcher wirtschaftlichen Stärke sie internationale Beziehungen eingehen können, die als Verflechtungen wahrgenommen werden, ist von entscheidender Bedeutung für ihre damit verbundene Gewinnerwartungen. Eine starke wirtschaftliche Position erhöht das Gewicht in Verhandlungen um Kooperationsvereinbarungen und Marktstrategien oder ermöglicht sogar die Ubernahme von Konkurrenzbetrieben im Ausland.

Die gewachsene Bedeutung der internationalen Finanzmärkte scheint nach einer sehr verbreiteten Ansicht jedoch genau das Gegenteil zu belegen.

Demnach ermöglicht erst die freie Fluktuation des Kapitals über alle nationalen Grenzen hinweg dessen optimale Verwertung. Ihr Zauberwort für diesen Vorgang heißt Effizienz. Gesteuert von der Suche nach dem höchsten Gewinn, soll das Sparvermögen der Welt stets dorthin fließen, wo es am besten eingesetzt wird.

Der finanzökonomische Kurzschluß zwischen den Staaten zwingt ihnen einen Wettlauf um niedrige Steuern, sinkende Staatsausgaben und Verzicht auf sozialen Ausgleich auf

So hat der Verzicht auf (Grenz-)Kontrollen im Kapitalverkehr eine verhängnisvolle Eigendynamik in Gang gesetzt, die systematisch die Souveränität der Nationen aushebelt ... [17]

Die Geschäfte von Devisen- und Aktienhändlern oder sogenannten Investmentfonds haben in der Vergangenheit immer wieder spektakuläre Auswirkungen gehabt. Banken drohte der Ruin, und Währungen gerieten unter Abwertungsdruck. Kleinste Kursschwankungen an den Börsen reichen den Spekulanten aus, um innerhalb weniger Minuten Millionengewinne oder Millionenverluste zu machen, so daß von Journalisten der Begriff des Kasino-Kapitalismus geprägt worden ist.

Im globalen Kasino herrscht wie in Las Vegas niemals Feierabend: Morgens eröffnet die Börse in Tokio, weiter geht s nach Hongkong, später nach Europa. Schließen Frankfurt und London, übernimmt New York – ein ewiger Kreislauf Die Summen, die dabei täglich bewegt werden, sind fast doppelt so hoch wie die Währungsreserven aller Zentralbanken. [18]

Diese Spekulationsgeschäfte spielen heute eine wesentlich größere Rolle als zu Beginn der achtziger Jahre, aber sie sind für die Kapitalistenklasse keineswegs die Quelle des Profits, denn er kann nur durch die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft geschaffen werden.

Das Geldvermögen, das um den Globus vagabundiert und nach gewinnversprechenden Anlagemöglichkeiten sucht, ist der Teil des Kapitals, der nicht in den Ausbau von Produktionskapazitäten investiert wird, und der von den Kapitalisten nicht konsumiert werden kann. [19] Lohnsenkungen, flexiblere Arbeitszeiten, vermehrte Schichtarbeit sowie Steuervergünstigungen und Gesetzesreformen zugunsten der Kapitalisten, die seit Ende siebziger bzw. Anfang der achtziger Jahre in allen westlichen kapitalistischen Staaten durchgesetzt worden sind, haben in den letzten 15 Jahren zu einem raschen Anwachsen der Geldvermögen in den Händen der Kapitalisten geführt, während immer größere Teile der Arbeiterklasse in die Armut getrieben worden sind.

Höhere Gewinnerwartungen sollten zu höheren Wachstumsraten und mehr Arbeitsplätzen führen, doch die Arbeitslosenzahlen sind seitdem weiter gestiegen, und die letzte Wirtschaftskrise von 1993, die bis heute nicht überwunden ist, konnte damit ebenfalls nicht verhindert werden. Stattdessen sind riesige Privatvermögen entstanden, mit denen unter anderem auch auf den Finanzmärkten spekuliert wird.

Während einzelne Kapitalisten ihr Vermögen ausschließlich durch Börsenspekulationen oder Beteiligungen an Fonds verzinsen können, bleibt diese Möglichkeit der Klasse als Ganzer verschlossen, denn es gibt keinen Mangel an Kapital, sondern eine Knappheit an profitablen Anlagemöglichkeiten. Genau aus diesem Grund hat sich in Deutschland in den letzten Jahren und besonders seit der Krise von 1993 der Klassenkampf verschärft. Hätten die Kapitalisten soviele Investitionsmöglichkeiten auf der ganzen Welt, wie mit der These von der Globalisierung behauptet wird, dann wäre nicht verständlich, warum sie seit Jahren in Deutschland versuchen, die Löhne zu drücken, anstatt ihr Geld woanders anzulegen.

Weil es in Krisenzeiten nur begrenzte profitable Anlagemöglichkeiten für die Kapitalisten gibt, ist der Nationalstaat auch kein Anachronismus, sondern der Garant dafür, daß die entsprechenden wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für die Ausbeutung der Arbeiterklasse wie zum Beispiel eine hochwertige Infrastruktur und der Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln im eigenen Land gesichert werden. Diese Bedingungen schaffen erst die Voraussetzungen, um international konkurrieren zu können. Ihre Absicherung basiert auf einem engen Vertrauensverhältnis zwischen Kapitalisten und „ihrem“ jeweiligen Staatsapparat, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Diese Strukturen sind ein Standortfaktor von unschätzbarem Wert für die Kapitalisten, den sie um keinen Preis aufgeben.

Die Beziehung zwischen den Kapitalisten und ihrem Nationalstaat hat sich verändert, seitdem immer größere Teile des Kapitals im Ausland angelegt werden. Es ist nicht der Staatsapparat mit seinen Ministern und Staatssekretären an der Spitze, der mit der sogenannten Globalisierung um seine Bedeutung fürchtet und sich mit Handelsbeschränkungen, Subventionierungen oder sogar militärischem Engagement zu beweisen sucht, es sind die Kapitalisten selbst, die ihm eine größere Bedeutung beimessen.

Edward N. Luttwak, Direktor am Zentrum für Internationale und Strategische Studien in Washington, faßt diese Entwicklung ganz treffend wie folgt zusammen:

Daß sich das Klima im Welthandel verschlechtert, ist nicht verwunderlich. Die internationale Wirtschaft wird zunehmend vom strategischen Kalkül einer Handvoll Staaten bestimmt, die bereits geo-ökonomisch und nicht mehr nur ökonomisch denken und handeln. ... Heute untergräbt der geo-ökonomische Wettstreit um die industrielle Technologieführerschaft zwischen Amerikanern, Japanern und Europäern sehr rasch ihre alte Bündnissolidarität, und die Spannungen unter ihnen bekommen auch die anderen Handelsnationen zu spüren. [20]

Die sogenannte Globalisierung der Märkte wird von den Regierungspolitikern im Bund und in den Ländern als eine fadenscheinige Ausrede für immer neue Kürzungen im Sozialbereich benutzt. Die verschärfte internationale Konkurrenz schlägt voll auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik in allen Ländern durch, unabhängig davon, ob sie von Sozialdemokraten oder Konservativen regiert werden.

Der zu Beginn zitierte Vorschlag Oskar Lafontaines, eine international verbindliche Sozialcharta zu vereinbaren, um eine weitere Zerstörung von Absicherungen und Senkung von Einkommen zu verhindern, erinnert an die während des Ersten Weltkriegs entwickelten Vorstellungen des deutschen Sozialdemokraten Karl Kautsky. Er versuchte nachzuweisen, daß der Kapitalismus mit der wachsenden internationalen Verflechtung ein Entwicklungsstadium erreicht habe, das die Überwindung von nationalstaatlicher Konkurrenz und der daraus resultierenden Kriegsgefahr ermöglichte. So wie heute Lafontaine hegte auch Kautsky die Illusion, daß der politische Wille .von Regierung ausreichen könnte, die zerstörerischen Kräfte des Kapitalismus zu bändigen.

... Kautsky und seine Anhänger sagen, daß der Prozeß der kapitalistischen Entwicklung selbst das Wachstum jener Elemente begünstige, auf die sich ein Ultraimperialismus stützen könnte; und zwar erzeuge die Zunahme der internationalen Verflechtung des Kapitals die Tendenz zur Aufhebung der Konkurrenz unter den verschiedenen nationalen kapitalistischen Gruppen. ... So trete an die Stelle des raubgierigen Imperialismus der sanfte Ultraimperialismus.

Es erfolgt ein Prozeß der Verwandlung des in nationale Gruppen zersplitterten Kapitals in eine einheitliche Weltorganisation, in einen allgemeinen Welttrust ... [21]

 

 

Weltwirtschaftskrieg

Der erfolgreiche Versuch der Airbus-Industrie, ein Konsortium, an dem Frankreich, England, Spanien und Deutschland beteiligt sind, mit den beiden marktführenden US-amerikanischen Flugzeugherstellern Boeing und McDonnell-Douglas auf dem Weltmarkt zu konkurrieren, ist eines der bekanntesten Beispiele für die Bedeutung von staatlicher Subventionspolitik. Diese wurde gegen den erbitterten politischen Widerstand der US-Regierung durchgeführt, die um die Monopolstellung „ihrer“ beiden Flugzeugkonzerne fürchtete.

Die Entwicklung des Airbus A300, des ersten Flugzeugs des europäischen Firmenkonsortiums, wurde mit 800 Millionen Dollar subventioniert, das zweite Modell, der Airbus A310, mit einer Milliarde, das nächste mit 2,5 Milliarden Dollar. Die Konstruktion der beiden letzten Modelle des A330 und des A340 wurden mit zusammen 4,5 Milliarden Dollar von den beteiligten Staaten unterstützt. Der Airbus Industrie gelang es so, von 1971 bis heute einen Weltmarktanteil bei Passagiermaschinen von über 25% zu erkämpfen. Die deutschen Kapitalisten sind an diesem Geschäft über die Dasa, eine Tochter des Daimler-Benz-Konzerns beteiligt.

Ein weiteres Beispiel ist die Eroberung des chinesischen Marktes, die ebenfalls mit massiver staatliche Unterstützung erfolgt, wie die Auftragserteilung für den U-Bahnbau in Schanghai an deutsche Firmen gezeigt hat.

Bei Daimler, Siemens und ABB knallen die Sektkorken. Gegen starke internationale Konkurrenz haben die Konzerne den Folgeauftrag für die Metro in Schanghai ergattert ... Mit stolzen 780 Millionen Mark an billigen Krediten steht letztlich der deutsche Steuerzahler für das Geschäft gerade. [22]

Das Ziel ist es, den Markt zu kontrollieren das heißt die Konkurrenz auf dem Weltmarkt und die Konkurrenz auf dem „eigenen“ Binnenmarkt möglichst zu beschränken, um die Preise heraufsetzen zu können, ohne Marktanteile einzubüßen und bei der nächsten Krise nicht bankrott zu gehen. Diese Kontrolle praktizieren zum Beispiel die Mineralöl- und die Pharmaindustrie ganz offen. Deswegen werden von allen Ölkonzernen die Benzin- und Heizölpreise fast gleichzeitig heraufgesetzt, und deswegen sind die Arzneimittelpreise in Deutschland durchweg höher als im benachbarten Ausland.

Die fünf größten Autokonzerne in der Europäischen Gemeinschaft kontrollieren zwei Drittel des europäischen Marktes, die fünf größten Elektronikkonzerne kontrollieren ebenfalls zwei Drittel ihres Branchenmarktes, in der Chemieindustrie ist etwa die Hälfte des Marktes in Europa in der Hand von fünf Anbietern, und in der Pharmaindustrie liegt der entsprechende Marktanteil der Branchenführer bei knapp einem Drittel. [23]

Der Konkurrenzkampf auf nationaler Ebene führt zu einer wachsenden Konzentration wirtschaftlicher Macht in der Hand von großen Konzernen. Der Umsatz von Daimler Benz zum Beispiel ist in den letzten 40 Jahren um das 33fache gestiegen, während sich im gleichen Zeitraum das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands nur verzehnfacht hat. [24]

Der Abstand der Giganten ist geschrumpft: War 1966 die Nummer eins der USA, General Motors, am Umsatz gemessen rund zehnmal so groß wie der damals größte deutsche Industriekonzern, nämlich VW so ist GM heute nur noch doppelt so groß wie die Daimler-Benz-Gruppe, die VW vom Spitzenplatz in Deutschland verdrängt hat. [25]

„Die Konzerne unterliegen auf dem Weltmarkt den gleichen Widersprüchen, mit denen sie auf den nationalen Märkten konfrontiert waren. Doch während beim Konkurrenzkampf auf dem Binnenmarkt der Staat höchstens durch Handelsabkommen mit dem Ausland in Erscheinung tritt, nimmt er jetzt auch die Interessenvertretung der eigenen Kapitalisten auf der ganzen Welt wahr.“

Das beginnt bei Handelsabkommen und kann beim Einsatz von Militär enden.

Der Nationalstaat hat, entgegen der Theorie von der Globalisierung der Weltmärkte, also nichts von seiner zentralen Bedeutung für die Kapitalisten eingebüßt. Es handelt sich vielmehr um einen widersprüchlichen Prozeß. Denn gerade die Internationalisierung der Produktion durch die Direktinvestitionen im Ausland führt zu einer wachsenden Bedeutung von staatlichem Handeln in Form von finanzieller und politischer Hilfestellung für die Konzerne, damit sich diese gegenüber der Konkurrenz durchsetzen können.

Während der Abbruch von Handelsbeziehungen durch ein Land im schlimmsten Fall unbezahlte Rechnungen zur Folge hat, ist der der Verlust von ganzen Produktionsanlagen oder Krediten durch Verstaatlichung, Betriebsbesetzungen oder anderen Ereignissen wesentlich kostspieliger. Deswegen gewinnen die politischen Beziehungen im Zusammenhang mit den ökonomischen an Bedeutung, um die politischen Rahmenbedingungen für den Kapitalexport abzusichern.

Die Vertreter der Globalisierungstheorie sehen in der Internationalisierung der Produktion die Ursache für eine Verschärfung der weltweiten Konkurrenz, anstatt die wieder beginnende, alle Länder umfassende Krise des Kapitalismus als Motor für die sogenannten Globalisierung zu erkennen. Mit dem Ende des Kalten Krieges beginnt die ökonomische Konkurrenz, auch die politischen Kräfteverhältnisse in der Welt zu verschieben. Deutschland sei ein ökonomischer Riese, aber leider nur ein politischer Zwerg, bedauerten vor allem die Konservativen die durch die beiden Militärblöcke über Jahrzehnte eingefrorenen internationalen politischen Kräfteverhältnisse, die den wirtschaftlichen schon lange nicht mehr entsprachen.

Seit der Wiedervereinigung ist die herrschende Klasse in Deutschland bemüht, aus dem ökonomischen Riesen auch einen politischen zu machen. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr und das Streben nach einem Sitz im UN-Sicherheitsrat sind die sichtbarsten Zeichen dafür.

Ein weiterer Irrtum der Globalisierungstheoretiker ist, daß sie glauben, der Kapitalismus sei vor seiner sogenannten Globalisierung ein politisch regulierbares Wirtschaftssystem gewesen. John Kenneth Galbraith, ein US-amerikanischer Volkswirtschaftler und einer der bekanntesten Anhänger des Keynesianismus, stellte in den sechziger Jahren einen wachsenden Anteil des Staates am nationalen Wirtschaftsgeschehen fest, der sich nicht nur, aber zu einem sehr großen Teil aus Rüstungsausgaben zusammensetzte. Das war für ihn die Basis einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik:

Hinzu kommt noch, daß seit der sogenannten Keynesschen Revolution der Staat in die Wirtschaft eingreift und Einfluß auf den für Güter und Dienstleistungen verfügbaren Teil des Volkseinkommens nimmt. Er bemüht sich, eine für den jeweiligen Ausstoß der Produktionsbetriebe ausreichende Kaufkraft sicherzustellen. Im Zuge der daraus resultierenden Vollbeschäftigung versucht er außerdem ... zu verhindern, daß Löhne und Preise in einer endlosen Spirale einander gegenseitig hochtreiben. Die Güterproduktion erreichte in der jüngsten Vergangenheit einen bemerkenswert gleichmäßigen Höchststand – vielleicht ein Ergebnis dieses Arrangements, vielleicht aber auch ein Prüfstein dafür, wo der unerschütterliche Optimismus des Menschen seine Grenzen hat. [26]

Doch auch in dieser ökonomischen Stabilitätsphase in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg waren es die Kapitalisten, die die Politik des Staates bestimmt haben, und nicht umgekehrt. Die wenig später folgenden Krisen sind der Beweis dafür, daß die Widersprüche des Kapitalismus nicht aufgehoben waren. Die massive Aufrüstung hatte lediglich dazu geführt, daß der Fall der Profitrate abgebremst worden war. Der Rüstungswettlauf diente aber überhaupt nicht diesem Ziel, sondern der militärischen Konkurrenz mit dem Ostblock und damit den politischen Interessen der Kapitalisten.

Die verschärfte Konkurrenzsituation, die sich hinter der sogenannten Globalisierung verbirgt, führt in allen Ländern zu Angriffen auf die Arbeiterklasse, weil die Kapitalisten nicht einfach mit der kompletten Produktion in die sogenannten Billiglohnländer ausweichen können. Die einzige Chance für die Arbeiterklasse, ihre Interessen zu wahren, besteht darin, in ihrem Land den Widerstand gegen die Auswirkungen des zerstörerischen Kapitalismus aufzubauen und aus diesen Kämpfen die Kraft und die Organisation für seinen Sturz zu gewinnen.

 

 

Anmerkungen

12. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.08.96

13. M. Holthus (Hrsg.), Die deutschen Multinationalen Unternehmen, Frankfurt 1974, S.181 u. 182

14. ebenda und Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, eigene Zusammenstellung

15. Nikolai Bucharin, Imperialismus und Weltwirtschaft (geschrieben 1915), Reprint: Frankfurt 1969, S.105

16. Robert B. Reich, Die neue Weltwirtschaft, Frankfurt 1996, S.125f.

17. Hans-Peter Martin und Harald Schumann, Die Globalisierungsfalle, Hamburg 1996, S.90f.

18. Der Spiegel, 39/96

19. Die Immobilienpreise in Japan z.B. stiegen aufgrund von Spekulationsgeschäften in schwindelerregende Höhen und brachen dann Anfang der neunziger Jahre jäh zusammen. Rund 23 Milliarden Mark mußten die Banken daraufhin als Verluste abschreiben, weil die Verlierer dieses Pokerspiels zahlungsunfähig geworden waren (nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 01.10.96).

20. Edward N. Luttwak, Weltwirtschaftskrieg, Hamburg 1994, S.430f.

21. Nikolai Bucharin, Imperialismus und Weltwirtschaft, S.151 .Die Thesen von Karl Kautsky wurden veröffentlicht in: Nationalstaat, imperialistischer Staat und Staatenbund, sowie in Aufsätzen, die für die Neuen Zeit in den Jahrgängen 1914/15 geschrieben wurden.

22. Frankfurter Rundschau, 02.08.96. Der Chef von Siemens, Heinrich von Pierer, hatte bereits im Jahr davor erklärt: „Für einen Global-Player ist das Asiengeschäft eine Überlebensfrage“ und damit die Erwartung verbunden, daß die Bundesregierung entsprechende Maßnahmen einleiten würde, um den zweitgrößten deutschen Konzern, der bereits 1994 einen Jahresumsatz von über 80 Milliarden Mark erzielte, gezielt zu unterstützen. Die Bundesregierung gründete den Asien-Pazifik-Ausschuß (APA), der eine enge Abstimmung der Außenpolitik mit den Interessen der Wirtschaft verfolgt. Die Wirtschaftswoche schrieb am 23.02.95:

Ganz im Sinne des APA ist zum Beispiel der verstärkte Einsatz von Entwicklungshilfe zur Finanzierung von Großaufträgen auch in den wohlhabenderen Schwellenländern der Region. Noch wichtiger: Die Neufassung der Hermes-Exportkreditvergabe vom August 1994 kommt in erster Linie dem Asiengeschäft zugute, für das die Gebühren um rund ein Drittel gesenkt wurden.

23. IHK Frankfurt am Main, Mitteilungen, 15.02.90

24. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.07.96

25. Wirtschaftswoche, 18.09.92

26. Kenneth Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft, München 1968, S.10 u. 11

 


Zuletzt aktualisiert am 20.8.2001