Jonathan Neale

 

Die Afghanische Tragödie

(1982)


Jonathan Neale, “The Afghan Tragedy”, International Socialism 2:12, Frühjahr 1981.
Deutsche Übersetzung: Die Afghanische Tragödie, Aurora-Verlag, Hannover, 1982.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für REDS – Die Roten.


Afghanistan erlebt gegenwärtig alle Schrecken des modernen Krieges: Napalm, Panzer, militärische Exekutionen, Flüchtlingslager, die sich langsam in Zeltstädte verwandeln. Und während die Propheten eines Kampfhubschrauber-Sozialismus von „Fortschritt“ reden, und ihre russischen Herren die Bauern bombardieren und die Studenten in den Straßen niederschießen, kämpft ein mißhandeltes Volk unter dem Banner religiösen Fanatismus und der Führung lärmender Karrieristen mutig gegen sie. Keine Seite scheint jedoch den Krieg gewinnen zu können.

Auch wenn die Ereignisse Anlaß zur Trauer sein sollten und nicht zu Schlagwörtern, verlangen sie doch eine Analyse. Es mag zwar albern erscheinen, wenn eine linke Partei Tausende von Kilometern von den Kämpfen entfernt Analysen abgibt. Und es mag sogar obszön erscheinen, die Ereignisse in Afghanistan aus der bequemen legalen Aktivität der britischen Gewerkschaftsbewegung zu kommentieren. Aber dieser Artikel befaßt sich mit der Diskussion der internationalen Linken über Afghanistan. So merkwürdig es erscheinen mag, aber diese Auseinandersetzung ist von Bedeutung. Der Grund ist, daß die afghanische Linke falsch liegt, und zwar deshalb, weil sie in ihren politischen Möglichkeiten lahmgelegt war. Dies traf auf die Studenten zu, die die Zensur übergingen, um schlechte persische Übersetzungen von Lenin und Mao zu kaufen; dies traf zu auf die zukünftigen Präsidenten Afghanistans Amin und Taraki, als sie in New York studierten.

Diejenigen, die sich in klare Richtung auf die Revolution entwickelten, hatten einfach kein klares politisches Verständnis. Es gab nur das Erbe des Stalinismus und Niederlagen in all ihren Formen. Deshalb müssen wir untersuchen, was in Afghanistan passiert, damit dies nicht wieder passiert.

Auf Seiten der internationalen Linken gab es grob gesprochen drei Reaktionen auf die afghanische Revolution von 1978 und den russischen Einmarsch.

Die erste: Die russische Invasion sei zu begrüßen, da sie SU eine progressive Kraft sei, die gegen den internationalen Imperialismus verteidigt werden müsse. Dies Argument ist für mich zu haarsträubend, als daß ich darauf noch eingehen möchte.

Die zweite: Sie wurde von Halliday [1] am besten formuliert. Er mißbilligt zwar die Fehler und Ausschreitungen der afghanischen Revolutionäre, meint aber, es sei schwer zu sehen wie die afghanische Linke oder die Russen anders hätten reagieren können. Ich meine dazu, daß es eine Alternative gab, und daß die Fehler und Ausschreitungen sich in Wirklichkeit mit bitterer Logik aus der falschen Politik ergaben.

Die dritte: Sie wird z.B. von Chaliand [2] dargeboten. Er schreibt, die afghanischen Rebellen seien Nationalisten, die durch ihren Kampf gegen den Imperialismus zu fortschrittlichen Menschen werden könnten. Ich behaupte, sie sind nicht fortschrittlich, sie sind Muslims und größtenteils rechts.

Aber dieser Artikel soll keine Polemik mit dem Rest der Linken sein. Wir werden noch genug Zeit haben, uns in unseren linken Zeitungen und sektiererischer Rhetorik und mit Hilfe von Leninzitaten zu streiten. Was ich vorhabe, ist, eine marxistische Analyse der Ursachen und Formen der afghanischen Tragödie zu entwickeln.

Ich werde mich zuerst mit den Wertvorstellungen der Bauern befassen und ihren politischen Traditionen und anschließend mit den Klassenwurzeln der afghanischen Linken, den Gründen für ihren Putsch und den Folgen der russischen Invasion. Schließlich werde ich mich der Frage zuwenden, was wir aus ihrer Tragödie lernen können und welche Haltung wir gegenüber den Rebellen einnehmen sollen. Ich beabsichtige nicht eine endgültige Einschätzung zu geben, sondern will vielmehr zeigen, was wir aus der afghanischen Tragödie lernen können.

 

 

Die afghanische Gesellschaft

Afghanistan ist ein Binnenland. Seine Einwohnerzahl liegt zwischen 15 und 20 Millionen (alle Statistiken über Afghanistan sind nur sehr annähernde Schätzungen). Vielleicht leben 2 Millionen Menschen in den Städten, eineinhalb Millionen sind Nomaden, der Rest lebt in den Dörfern. Es gibt eine winzige Arbeiterklasse irgendwo in der Größenordnung von 30.000 Menschen. Das Land hat fast keine Industrie, nur wenig Handel und Handwerk. Hauptexportartikel sind Lammfelle, Rosinen, Opium und Haschisch. Seit alters her mußten sich die Menschen hier von einem unfruchtbaren Land öder und felsiger Berghänge ernähren. Nur in wenigen Gegenden reichen die Niederschläge für den Ackerbau aus. Und nur an wenigen Stellen der Ebenen des Tieflandes können die Bauern den Wasserreichtum der Flüsse nutzen. In den Bergtälern entnehmen sie Wasser aus Flüssen, die nur zu bestimmten Jahreszeiten Wasser führen. Am Fuß der Berge legen sie Brunnenketten an. All diese Bewässerungsmethoden erfordern einen großen Arbeitsaufwand. Im ganzen sind nur zwei Prozent des Landes landwirtschaftlich genutzt. Etwas mehr wird zur Schaf- und Kamelhaltung genutzt. Aber die Weiden können nur jahreszeitlich genutzt werden, und diese Weidefläche ist nie ausreichend.

Die Völker Afghanistans unterscheiden sich sehr voneinander. Im Süden und Osten leben hauptsächlich Paschtunen. Sie sprechen eine iranische Sprache, die Herrscher Afghanistans waren immer Paschtunen, ebenso die drei Präsidenten des „kommunistischen“ Afghanistan. In der Armee und der Polizei dominieren Paschtunen. Und tatsächlich bedeutet das Wort „Afghanistan“ in der persischen Sprache „Land der Paschtunen“.

Im Zentralgebirge leben die Hasaras, die eine persische Sprache haben und mongolischer Herkunft sind. Im Norden leben verschiedene türkische Völker: Usbeken, Turkmenen, Kirgisen. Im Westen und um Kabul leben die Tadschiken, persisch sprechende Bauern. Alle diese Völker unterscheiden sich in Sprache, Sitten, Aussehen und Geschichte. Doch sind sie alle Muslims und haben eins gemeinsam: Den Mangel an Land, Weiden und Wasser.

Die meisten Bauern bewirtschaften das Land als Pächter. In den weniger fruchtbaren Gebieten behalten die Grundbesitzer zwei Drittel der Ernte für sich, in den fruchtbaren Ebenen vier Fünftel. In jedem Fall bleibt dem Pächter nur so viel Getreide, daß er gerade seine Familie ernähren kann. [3]

Zu ähnlichen Bedingungen arbeiten Schäfer bei den nomadischen Herdenbesitzern: zwei oder drei von zwanzig Lämmern eines Jahres dürfen sie behalten. Einige Afghanen arbeiten auf Staatsfarmen, andere gegen Lohn während der Erntezeit, manche arbeiten auch als Lastenträger oder Bauarbeiter in der Stadt. Aber keine dieser Gruppen verdient mehr als ein Kleinpächter, ebenso wie die Kleinbauern in den Hochtälern, die das Land an der Fruchtbarkeitsgrenze bearbeiten, und nur wenige Schafe haben.

Das am besten bewässerte Land gehört einigen wenigen hundert Großgrundbesitzern und ihren Familien (Khans [4]). Oft gehört ihnen ein ganzes Dorf oder dessen größter Teil; noch häufiger besitzen sie Land in verschiedenen Dörfern. Sie sind die lokale Macht. Viele leben in Forts, ihre Gefolgsleute sind mit tschechischen Gewehren ausgerüstet. Sie behaupten ihr Land im Grund durch Gewalt. Ihre eigenen Väter haben es oft auch mit Gewalt erworben. Selten gibt es eine effektive Kontrolle seitens der Zentralregierung.

Falls die Hauptstadt gelegentlich Steuern einziehen und Truppen in ein Gebiet schicken konnte, galt dies schon als kontrolliertes Gebiet. In einige Gegenden wurden Regierungsvertreter nie hineingelassen und nahezu überall lag die wirkliche Macht bei den örtlichen Feudalherren.

Zwischen den Feudalherren und Anteilspächtern stehen die kleinen Bauern. Diese beschäftigen einen Pächter oder bearbeiten das Land selbst mit Hilfe ihrer Söhne. Vielleicht haben sie außerdem einen kleinen Laden oder einen Sohn im Staatsdienst. Ihre Zahl ist größer als die der Großgrundbesitzer, aber sie besitzen weniger Land. Wie die Pächter hassen sie die Großgrundbesitzer. Die afghanische Gesellschaft ist sehr mannigfaltig, aber überall gibt es die drei Hauptklassen: die Feudalherren, die kleinen Bauern und die Armen. In den Stromgebieten der Ebenen sind die Feudalherren am mächtigsten. In den Hochtälern der Berge überwiegen die kleinen Bauern; hier gibt es nur wenige Herren und Pächter. Zwar besitzen die meisten Nomaden nur kleine Herden, aber auch hier gibt es einige reiche und mächtige Herren.

Obwohl die verschiedenen ethnischen Gruppen die Armut gemeinsam haben, werden sie durch diese Armut getrennt. Das Land ist nicht aufgeteilt in Gebiete nur für z.B. Hazaras und Gebiete nur für Paschtunen, es ist vielmehr vergleichbar mit einem Flickenteppich aus den verschiedenen ethnischen Gruppen und Stämmen, wo jede Gruppe gegen die andere um Land und Wasser kämpft.

Im Hazarajat dem Zentralgebirge Afghanistans z.B. sind die hohen Täler die Heimat der Shia Hazaras, die noch höheren die der Ismaili Hazaras. Die große Ebene von Bamian ist die Heimat der Tadschiken, persisch sprechender Sunniten, die die Hazaras verdrängt oder geschluckt haben. Die höheren Weiden werden im Sommer von paschtunischen Nomaden genutzt, deren Vorfahren der Regierung vor einem Jahrhundert geholfen haben, dieses Land zu erobern. Jede Gruppe haßt und verachtet die andere, jede hat um Land gegen die andere gekämpft. [5]

In einem anderen Tal wiederum im Osten des Landes leben im oberen Tal Paschai, die eine wenig verbreitete iranische Sprache sprechen, das untere Tal hingegen wurde von dem paschtunischen Safi Stamm allmählich kolonisiert, nachdem die Regierung vor ungefähr einem Jahrhundert dies Gebiet für sie erschlossen hatte. Die Paschaj sagen von den Safi, daß sie alle Diebe seien, und die Safi sagen, die Paschai seien kleine wilde Männer mit Äxten und Tieren vergleichbar. Vor ungefähr 40 Jahren unterwarf die Regierung die Safi, und damals kämpften die Paschai an der Seite der Safis. Sie behaupteten, es sei ein Krieg des Volkes gegen die Regierung. Die benachbarten Paschtunenstämme, Mohmands und Shinwar, stellten irreguläre Truppen für die Regierung. Sie hatten langdauernde Auseinandersetzungen mit den Safis, die sie den Safi-Krieg nannten. [6]

Ich könnte viele solcher Beispiele anführen [7], jedes Tal ist anders hinsichtlich seiner Menschen und seiner Geschichte. Aber überall findet man verwickelte Muster von Stammes- und ethnischen Rivalitäten um Land und Wasser. Denn die Afghanen sind zwar arm, aber ihre Armut führte dazu, daß sie sich unter der Führung ihrer Feudalherren vereinigten, um gegen andere Stämme und Völker Kriege zu führen.

Die Armen sind verbittert, sie hassen ihre Feudalherren. Sie sind aber kaum klassenbewußt.

Und sogar der arme Mann hat ein Interesse an diesem System: durch seine Frau und seine Töchter. [8] Die Frauen sind grausam unterdrückt. Sie stehen vor den Männern auf und gehen nach ihnen zu Bett, sie arbeiten ohne Pause. Wenigstens versuchen die Männer die Frauen hart arbeiten zu lassen, und sie dürfen sie schlagen, falls sie den Eindruck haben, daß sie es nicht tun. Ein Mann hat das Recht seine Frau und seine Töchter zu schlagen, obwohl er es nur aus „gerechten“ Gründen tun sollte. Die Männer schlagen ihre Frauen aus Eifersucht oder um Faulheit zu bestrafen, weil sie wütend oder neurotisch sind. Wenn Frauen vor oder in der Ehe Affären haben, dürfen sie von ihren Ehemännern oder Vätern ganz legal getötet werden. Die meisten dieser eigensinnigen Frauen werden natürlich nicht getötet, aber immerhin einige. Eine Scheidung ist theoretisch möglich, kommt aber kaum vor: die Ehe dauert gewöhnlich ein Leben lang, eine Frau kann nicht bestimmen, wen sie heiratet. Sie wird gewöhnlich der Familie des Bräutigams für einen ansehnlichen Brautpreis verkauft, der zwischen einem und 10 Jahreslöhnen eines Arbeiters liegt.

Die Frauen und Töchter der Reichen und der städtischen Mittelklasse sind vom Leben abgeschlossen. Diener und Ehemänner erledigen alle Einkäufe, holen Wasser und kaufen sogar Tuch für die Herstellung der Kleider der Frauen. Die ärmeren Leute und die Nomaden brauchen die Arbeitskraft der Frauen auf den Feldern und bei den Herden und können sie deshalb nicht ganz vom Leben isolieren. Aber von allen Frauen wird erwartet, sittsam zu sein und von den meisten Frauen, daß sie ihr Gesicht vor Fremden verhüllen.

Dies ist Unterdrückung. Die Frauen sind keine Frauenrechtlerinnen, sie sind afghanische Muslime. Aber sie wissen, daß sie unterdrückt werden. Sie hassen es, geschlagen zu werden. Ihre Affären decken sie gegenseitig und sie nehmen sich Liebhaber trotz der dauernden Furcht vor dem Messer des Vaters.

Der afghanische Islam unterstützt dies bis ins letzte: „Was ist der Islam?“ fragte ich arme Nomaden, und sie sagten, es bedeute: „Das ist meine Frau und mein Kamel, und das darf njcht gestohlen werden.“ Den Frauen sind die Moscheen verboten, und in den 50er Jahren bespritzten die Mullahs die Beine unverhüllter Mädchen mit Säure. Islam bedeutet Sittsamkeit für die Frauen und das Recht auf seiten der Männer. Solch ein Islam spricht den armen Mann an.

Den armen Mann drücken nicht nur niedrige Löhne, geringe Ernteerträge und viel zu wenig Getreide, um seine Familie zu ernähren; Ihn bedrückt nicht nur die Tatsache, daß er Witwen versorgen muß, die ihm auf der Tasche liegen und daß er ohnmächtig zusehen muß, wie seine Söhne an TB sterben, weil er sich keine Medizin leisten kann; ihn quält nicht nur die Arroganz der Feudalherren und gelegentliche Gewalttätigkeiten der Polizei; er muß täglich fertig werden mit der Schande und der Gefahr der Einsamkeit.

Einsamkeit: weil ein armer Mann keine Familie haben kann. Der Brautpreis kann eine Heirat unmöglich machen oder sie bis ins mittlere Alter verschieben. Und wenn er einmal verheiratet ist, kann er durch die hohe Kindersterblichkeit alle Kinder verlieren. Ein reicher Mann ohne Kinder heiratet wieder; ein alter armer Mann ist verzweifelt.

Er kann von seiner Verwandtschaft verstoßen werden und kann nicht mehr seinen Lebensunterhalt verdienen. Vielleicht ist er gezwungen zu betteln. Bestenfalls wird er ein erniedrigter Schmarotzer in einem fremden Haus. Ein kinderloser Mann ist auch einsam.

Überall in Afghanistan wird ein unerbittlicher Streit um Land geführt. Und der Streit um Land entzweit Blutsverwandte und Nachbarn. Daher auch die Zwistigkeiten über Erbschaften oder der Diebstahl von Feldern des Nachbarn. Dieser Sachverhalt wurde mir dargelegt durch den Bericht eines Shinwari: Er und sein Cousin seien abhängig von einer Quelle, die aber nur genug Wasser für eine Familie gebe. Sie hätten daher die Sache vor Gericht gebracht. Die Richter hätten den Prozeß aber über Jahre in die Länge gezogen, um von den Parteien mehr Bestechungsgelder zu erhalten. Falls innerhalb eines Jahres ein Urteilsspruch gefällt werde, würden sie ihn akzeptieren, andernfalls würde einfach einer den anderen umbringen müssen.

Im Extrem ist dies die Position vieler. Außerhalb der Familie gibt es keine dauerhaften Freundschaften, keine wirkliche Liebe. Fremden mißtraut man, sie sind mögliche Feinde. Die Nachbarn und Verwandten machen. sich gegenseitig das Land oder den Pachtvertrag streitig oder beneiden sich um die eine gesunde Ziege. Fremde und Angehörige anderer ethnischer Gruppen sind Diebe. Nur innerhalb der eigenen vier Wände gibt es Vertrauen, Sicherheit und Liebe.

Nur ein Mann mit Söhnen findet Liebe. Die Töchter heiraten weg, die Ehe ist eine spannungsgeladene und oft feindselige Beziehung. [9] Ein Mann kann nur Söhne haben, wenn er eine Frau bekommen und auch unterhalten kann, und das ist immer ungewiß.

Um eine afghanische Wendung zu gebrauchen: Der arme Mann ißt die Schande. Es ist keine Schande, arm zu sein: aber es ist eine Schande, Gäste nicht bewirten zu können, weil man arm ist. Und es ist eine Schande, sich der Macht der Regierungsangestellten und Feudalherren zu beugen, weil das der einzige Weg ist, eine Familie zu ernähren. Und es ist eine Schande, die Nachbarn um einen Sack Getreide zu bitten und zurückgewiesen zu werden. Es ist keine Schande, arm zu sein, aber die Armen essen die Schande. Und der arme Mann ißt die Schande, weil er unfähig ist, seine Frau zu beaufsichtigen

Die Gesellschaft als ganze wird zwar von einem strengen Sittenkodex bestimmt, die Macht eines Mannes über seine Frau ist aber immer unsicher. Und weil jeder Mann sich gegen den anderen wendet, haben Männer oft Affären mit den Frauen und Töchtern anderer Männer. Es ist zwar verboten, aber auch kühn, romantisch, aufregend und verletzt den Rivalen. Aus denselben Gründen haben Frauen Affären, weil es ihren Mann sehr verletzt.

Ein armer Mann kann dagegen nichts tun. Ein reicher kann den Liebhaber und seine Frau töten und wieder heiraten. Der arme kann sich nicht vor Racheakten schützen. Er riskiert tagtäglich sein Leben bei der Arbeit und kann sich keine neue Frau leisten. Er kann nur Genugtuung verlangen, oder die Affäre dulden, oder so tun als wüßte er von nichts oder seine Töchter schnell verheiraten. Was immer er tun mag: er kann nur schäumen vor Wut und seine Schande essen.

Das Alltagsleben bringt genausoviel Schande wie der Ehebruch. Die Normen der Sittsamkeit werden von den Reichen gesetzt.

Die Armen brauchen die Arbeitskraft ihrer Frauen und Kinder auf den Feldern und bei den Tieren. Reiche leben in großen Häusern und können ihre Frauen abschirmen. Die Armen leben in Zelten oder Häusern mit nur einem Raum. Ihre Not hindert sie, ihre Frauen abzuschirmen, und das ist schändlich für sie.

Wenn Frauen nicht abgeschirmt werden können, vervielfacht sich die Schande, denn es gibt unzählige Möglichkeiten für einen Flirt am Brunnen, oder wenigstens für das Gerücht über einen Flirt am Brunnen. Für die Söhne der Feudalherren gibt es genug Möglichkeiten den Bauernmädchen nachzusteigen oder anzügliche Bemerkungen auf den Straßen der Stadt zu machen.

Aber obgleich der Arme wegen seiner Frauen nur Schande essen kann, unterstützt er die Regeln der Sittsamkeit. Denn gerade diese Regeln sind es, die die Herrschaft der Männer über die Frauen sichern, auch die des armen Mannes über seine Frau. Der arme denkt nämlich, ohne diese Vorschriften der Sittsamkeit und der Tötungsandrohung würde seine Frau mit jemand anders weglaufen oder seine Tochter ohne Brautpreis heiraten, und das befürchtet er zurecht.

Diese Furcht hindert ihn auch zu begreifen, was eine Änderung bedeuten würde. Also unterstützt er die ganze Ideologie der Schande, eine Ideologie, die um seinen Hals wie ein Mühlstein hängt und ihn herunterzieht, bis sein Gesicht im Dreck liegt.

Weil der Arme keinen Ausweg sieht, führt ihn seine Schande dazu für die Regeln der Sittsamkeit noch bornierter einzutreten: wenn nur alle Frauen sittsam wären, wenn nur alle abgeschirmt werden könnten, wenn nur die anderen Männer die Anstandsregeln beachten würden, dann würde der arme Mann nicht seine Schande erdulden müssen.

Genau dies verspricht der Islam. Wenn die Mullahs gegen die unverschleierten Frauen in Kabul wettern, mag das für den armen Dorfbewohner unerheblich sein, dessen Frau ebenfalls unverschleiert ist. Aber der Mullah wie der Dorfbewohner fühlen, daß alle Frauen abgeschirmt werden sollten. Den Frauen ist es verboten, in eine Moschee zu gehen, aber eine gute muslimische Frau betet zu Hause und benimmt sich keusch und sittsam.

Es gibt auch eine Gleichheit im Islam. Alle Männer beten zusammen als gleiche in der Moschee, alle sind nach dem Tod vor Gott gleich. Der Paschtune mag den Tadschiken hassen und der Tadschike den Turkmenen, aber in der Freitagsmoschee im Basar von Kabul beten sie Seite an Seite. Und wenn auch der Straßenklatsch dem Frauendieb gratuliert, der Islam verdammt ihn. Im reinen Islam ist es nicht die Aufgabe des Gehörnten, die Frau und den Liebhaber zu töten, es ist die Aufgabe der ganzen Gemeinschaft, sie beide zu steinigen, seien sie reich oder arm.

Natürlich steinigen die Afghanen keine Ehebrecher, aber ihre Gesinnung ist hier wichtig. Denn im afghanischen Islam steckt Wut: Wut in den Augen der Mullahs, wenn sie halbnackte Touristen sehen; Wut die sich in den Bergen um Jalalabad zeigt, wie ein Mann auf der Stelle erschossen werden kann, wenn er das Fastengesetz verletzt hat. Diese Wut wird durch die Fastenzeit noch verstärkt, wenn während eines Monates am Tage niemand ißt, trinkt oder raucht, egal was für Arbeit zu tun ist, egal wie heiß es ist. Es ist eine Religion der Verneinung in einem Land, das den Menschen seine Früchte verweigert, und das ist grausam genug. Aber die Wurzel der Wut liegt in der Engherzigkeit des armen Mannes, dem wegen der Beleidigungen der Regierungsangestellten die Tränen in den Augen stehen, oder wegen seiner hilflosen Eifersucht auf seine Frau. Die Wut ist begründet in der Schande, für die es keine Abhilfe gibt. Der Islam propagiert ein Ideal, bietet aber in Wirklichkeit nur immer strengere und beschämendere Regeln an. Der Islam drückt die Wut der Armen aus, kann diese Wut aber nicht besänftigen. Er bietet einem hart bedrückten Volk keine Erlösung an außer einer: den heiligen Krieg.

 

 

Afghanische Geschichte

Afghanistan hat eine lange Geschichte der heiligen Kriege. In den vergangenen zwei Jahrhunderten diente diese Tradition dazu, den Widerstand gegen den lmperalismus an die eigene reaktionäre Klasse zu binden. Um zu zeigen wie dies geschah, müssen wir uns die afghanische Geschichte etwas eingehender ansehen.

Das moderne Königreich Afghanistan wurde 1747 gegründet. In jenem Jahr wählten die durranischen Paschtun-Herren den Abenteuerer Schah Ahmed zu ihrem König. Er kontrollierte Kandahar, Herat und Kabul. Die durranischen Herren folgten dem König und stellten ihm Truppen, für die er sie mit Land und Geld entschädigte. Die Herren waren völlig unabhängig in ihren eigenen Gebieten. Schah Ahmed erkaufte sich ihre Treue mit den Reichtümern aus seinen Eroberungen; der fruchtbaren Ebenen von Pesshawar und Sindh und des saftigen Tales von Kaschmir. Diese Gebiete, die im heutigen Pakistan und Indien liegen, erzeugten einen Überschuß, der den afghanischen Staat am Leben hielt.

Jeder König nach Schah Ahmed benötigte einen solchen Überschuß, denn jeder mußte eine Armee versorgen, sie bezahlen und ausrüsten. Ohne die Armee oder die Khans gäbe es keinen Staat. Und ohne Geld würde es keine Waffen, keine Armee, keine Khans geben. Der König konnte nie genügend Steuern in Afghanistan selbst erheben, denn das hätte einen Angriff auf die Khans bedeutet. Die Zoll-Abgaben und Steuern der eroberten Ebenen trugen den afghanischen Staat. [10]

Mit dem Niedergang des Handels gingen die Zollabgaben zurück. Eine Folge von Kriegen der verschiedenen Herrscherhäuser riß das Reich auseinander. Durch die wachsende Macht der Sikhs im Pandschab gingen Kaschmir und Peschawar verloren, die Emirs von Sindh erklärten ihre Unabhängigkeit auch als schließlich der Emir Dost Mohammad sich als der alleinige Herrscher von Kabul und Kandahar erwies, war er dennoch nicht in der Lage, das Land wirklich zu regieren. Ohne wenigstens die Kontrolle über Peschawar zu haben, konnte er nie über genügend Überschüße verfügen um das Land zu halten. Er bat die Briten in Indien, ihm zu helfen, Peschawar zurückzuerobern. Aus Furcht vor den Sikhs weigerten sich die Briten. Als er sich an die Russen wandte, gerieten die Briten in Panik. [11]

1838 fielen sie in Afghanistan ein. Ein führender König wurde ihr Marionettenherrscher. Die meisten der Khans, und besonders die durranischen Khans, waren dem Emir Dost Mohammad feindlich gesinnt, denn als die Abgaben aus dem Ausland ausblieben, kürzte er ihre Unterstützungen und erhöhte ihre Steuern. Jeder Widerstand gegen die Briten verschwand, als diese alle wichtigen afghanischen Khans mit Gold beschenkten. Die Armee des Emirs desertierte. Die Invasion war ein Spaziergang.

Afghanischen Nationalismus gab es damals noch nicht. Einigen Mullahs gelang es, kleine Gruppen für einen heiligen Krieg auf die Beine zu bringen. Aber sie zählten nicht mehr als ein Dutzend und wurden leicht geschlagen. Emir Dost Muhammad versuchte vergeblich, die Khans für einen heiligen Krieg zu gewinnen.

Die Afghanen waren nicht von Anfang an gegen die Briten. Das waren sie erst, als die East India Company feststellte, daß sie, um Afghanistan zu halten, mehr an Unterstützung zahlen müßte, als sie Einnahmen aus dem Land ziehen konnte und darum die Zahlungen an die Grenzstämme und die Khans kürzte. Die Grenzstämme sperrten die Pässe, die Khans wandten sich von den Briten ab. Gerüchte breiteten sich aus, daß sich die Briten wegen der Unkosten zurückziehen wollten. Die Gerüchte erwiesen sich als richtig, so wurde es Zeit, die Seiten zu wechseln. [12]

Noch wichtiger war, daß die Briten eine große Armee mit entsprechendem Troß nach Kabul und Kandahar gebracht hatten. Dies verschlang einen großen Teil des ohnehin spärlichen Überschusses des Landes an Getreide. Der Brotpreis kletterte auf das Doppelte. Das nützte zwar den Khans, schürte aber bei den städtischen Massen Verzweiflung und Haß auf die Briten. [13]

Die Khans intrigierten, die Grenzstämme plünderten, die städtischen Massen wurden aufrührerisch. Der Widerstand begann sich zu einem heiligen Krieg zu vereinigen. Da die Feudalherren unglaubwürdig waren und die Stämme und Nationen sich von jeher in den Haaren lagen, konnte der Widerstand sich nur unter dem Banner des Islams formieren. Die britische Armee von 20.000 Mann wurde bis auf kleine Reste vernichtet, die sich aus Kabul zurückzogen. Die Briten kamen zwar bald wieder, um zu plündern, zu vergewaltigen und zu brandschatzen („den Afghanen eine Lehre zu erteilen“), aber sie konnten das Land nicht halten, zogen sich zurück und Emir Mohammad Dost wurde wieder auf den Thron gesetzt.

Er hatte diesmal den Vorteil einer ansehnlichen britischen Geldhilfe, die es ihm und seinem Sohn ermöglichte, den Staat zusammenzuhalten. Nach dem Abzug der Briten löste sich der afghanische Widerstand auf, aber die Erinnerung an ihn blieb zurück und wurde zum Beginn der Tradition des volkstümlichen muslimischen Widerstandes. Obwohl die Afghanen sich nicht automatisch den Briten widersetzt und sich größtenteils aus wirtschaftlichen Gründen gegen sie gewandt hätten, hatten sie sie als Ungläubige bekämpft.

Diese Tradition lebte wieder auf als die Briten 1878 zurückkehrten – aus Furcht vor den Russen, wie sie wieder sagten. Sie schickten einen Botschafter mit 300 Soldaten. Die Afghanen griffen nicht sofort an, denn das Königreich war in einem schlechten Zustand, die afghanische Armee war seit Monaten nicht mehr bezahlt worden. Gerüchte gingen um, die Briten würden die Armee bezahlen. Teile der Armee marschierten den ganzen Weg von Herat am anderen Ende des Landes und meldeten sich an den Toren der britischen Botschaft zur Bezahlung. Als sie zurückgewiesen wurden, kehrten sie in ihre Kasernen zurück, holten ihre Gewehre und vernichteten die 300 Soldaten. Der zweite afghanische Krieg begann.

Die Briten marschierten mit einer großen Truppe ein, die sich sehr brutal aufführte. Aber in der entscheidenden Schlacht von Naiwand in der Nähe von Kandahar wurden sie geschlagen und zogen sich erneut zurück. Die Situation hatte sich dennoch geändert. Auf dem Thron ließen sie einen neuen König zurück, Abdur Rahman. Er war keine britische Marionette und hatte auch persönlich nichts für Briten über. Aber die Unterhandlungen mit den Briten hatten ihm seinen Thron gesichert, und die Briten unterstützten ihn die nächsten zwanzig Jahre bis zu seinem Tod sehr großzügig.

Diese Unterstützung belief sich meistens bis zu einem Viertel des Staatsbudgets. Und genauso wichtig war, daß die Briten allein Abdur Rahman das Recht gaben über Indien Repetiergewehre und Munition einzuführen. Das Repetiergewehr hatte in den Schlachten von Gettysburgh und Sebastopol die Ära des modernen Krieges eingeleitet. Es ermöglichte nun dem Emir, jeglichen Widerstand der mit Vorderladermusketen bewaffneten Stämme zu brechen.

Der Emir hatte auch Geld genug, eine Armee zu unterhalten ohne sich auf die Khans verlassen zu müssen. Mit dem Geld und den Gewehren war er in der Lage in 20 Jahren das Meiste von dem zu erobern, was heute Afghanistan ist: Turkestan im Norden, Ghilazai im Südosten, Kunar und Nuristan im Osten, Herat im Westen, Hazarajat im Zentrum. Aber obwohl es ihm gelang, diese Gebiete unter seine Kontrolle zu bringen, war er nicht mächtig genug, die Macht der örtlichen Feudalherren und Khans wirklich zu brechen. Er herrschte notwendigerweise durch jene örtlichen Größen, die er zwingen konnte, sich mit ihm zu einigen. [14] Während er so seinen Staat aufbaute, änderte sich das soziale und wirtschaftliche Leben nicht viel.

Abdur Rahmans Staat war sehr repressiv. Die Briten nannten ihn gern den „Eisernen Emir“ und sagten, daß man schon einen starken Herrscher brauchte um ein so unregierbares Volk zu kontrollieren. Dies bedeutete in der Praxis ein so großes Netz von Spionen, daß die Minister des Königs mit Stolz behaupteten, es überträfe sogar die Zahl der Spione im zaristischen Rußland. [15] Wegelagerer wurden auf der Höhe der Pässe in Käfigen aufgehängt bis sie verhungert waren. Gefangene mußten für ihre Verpflegung selbst zahlen. Folter war an der Tagesordnung. Im Gefängnis von Kabul gab es einen Brunnen, in den Abdur Rahman seine besonderen Feinde warf. Kein Mann wurde aus ihm herausgeholt. Die noch lebenden Gefangenen saßen mit den Ratten auf den Knochen und verwesenden Körpern ihrer toten Schicksalsgenossen.

Weil sein Staat schwach war, brauchte der Emir diesen Terror. Keine wichtige gesellschaftliche Gruppe unterstützte ihn, aber die meisten nahmen seine Politik hin. Doch viele von ihnen, besonders die Nicht-Paschtunen, begannen, ihn als Despoten und den Staat als Werkzeug der Eroberung zu hassen. Und obwohl er keine Marionette war, entging es doch nicht der Aufmerksamkeit des Volkes, daß er ohne britisches Geld und ohne britische Waffen nicht in der Lage gewesen wäre, seinen Staat aufzubauen. Einige begannen, bewußt und unbewußt, die Tradition des Widerstandes gegen die Ungläubigen zu verbinden mit ihrem wachsenden Haß auf den afghanischen Staat. Unter der Herrschaft von Amanullah, des Enkels von Abdur, war der Höhepunkt dieser Entwicklung erreicht. Abdur Rahman starb 1901, und die britische Unterstützung erfolgte weiterhin an seinen Sohn Habibullah. 1919 wurde Habibullah ermordet und sein dritter Sohn Amanullah kam auf den Thron. Er führte das Land bald in einen Krieg mit dem britischen Indien. Die Briten waren durch den ersten Weltkrieg erschöpft und verloren allmählich die Kontrolle über Indien. Sie kapitulierten innerhalb weniger Tage und Afghanistan erhielt seine „Unabhängigkeit“ in der Außenpolitik.

Aber die Briten zahlten auch keine Hilfsgelder mehr, und die restliche Zeit der Herrschaft Amanullahs war eine langsam beginnende Auflösung des Staates. Denn ohne Hilfsgelder hatte Amanullah mit dem alten Problem der afghanischen Herrscher zu kämpfen: wie die Khans besänftigen und wie die Truppen bezahlen? Er tat das naheliegende und erhob Steuern, was nur dazu führte, die meisten Bauern und Herren gegen ihn zu vereinigen. 1924 schlug er eine gefährliche Rebellion in Khost im Südosten des Landes nieder. Aber die Drohung war offensichtlich, und sein führender General Nadir Khan zog sich nach Südfrankreich zurück, um seine Zeit abzuwarten.

Amanullah zog sich eine Zeit lang zurück; auf Dauer hatte er keine Chance die Macht der Khans zu brechen. Mehr noch, er mußte wie Atatürk in der Türkei das Land modernisieren. 1928 schlug er mehrere Reformen vor, unter anderem Ausdehnung des Erziehungswesens, Abschaffung des Schleiers, luftbereifte Postkutschen, westliche Kleidung für Männer usw. Wenige dieser Reformen wurden ausgeführt, die meisten hatten jedoch nur symbolischen Wert. Aber ihre symbolische Bedeutung zeigte große Verachtung für die Werte des ländlichen Afghanistans. Einige dieser Reformen kosteten die Steuerzahler eine Menge Geld. [16]

Der Versuch, in Kabul den Schleier abzuschaffen löste letztendlich die Revolte aus. Amanullah sagte den Dorfbewohnern, daß die Abschaffung des Schleiers sie nicht beträfe, denn auf dem Lande waren die Frauen ja unverschleiert. Da hatte er natürlich Recht, er verstand aber nicht die symbolische Bedeutung. Seine Reformen hätten einen Prozeß eingeleitet, der letztendlich zur Emanzipation der Frau von der Herrschaft der Männer geführt hätte. So brachte er auch mit seinen ersten kleinen Reformen die Staatsmacht in einen Zusammenhang mit der bedrohlichen westlichen Lebensart.

Schlimmer noch, der Widerstand gegen den Versuch, den Schleier abzuschaffen, wurde fast gleichgesetzt mit dem Widerstand gegen staatliche Repression. Denn in Afghanistan ist der Maßstab der Macht einer ethnischen Gruppe ihre Fähigkeit, die Töchter einer anderen ethnischen Gruppe zu heiraten. Alle ethnischen Gruppen stehen sich im Kampf um Land und Wasser feindlich gegenüber, ihre Geschichte besteht aus Kriegen und Eroberungen, Sitten und Sprache blieben immer verschieden. Die dominierende Gruppe weigert sich, ihre Töchter in eine unterlegene Gruppe zu verheiraten. Umgekehrt bewahrt sich die unterlegene Gruppe ihre Würde mit der Weigerung, ihre Töchter an die anderen zu verheiraten. [17]

Auf der persönlichen Ebene findet derselbe Prozeß statt. Frauen heiraten Männer, von gleichem oder höherem Rang, so fühlt sich ein Mann von dem Mann seiner Schwester beschämt. In dieser puritanischen und männlich-chauvinistischen Kultur bedeutet Sex mit einer Frau einen Triumph über ihre männlichen Angehörigen.

Hinter der ganzen Hierarchie der Heiraten droht Ehebruch und beängstigt die Erinnerung an Vergewaltigung: man denke an den reichen Regierungsbeamten, der sich die Töchter der armen Bauern nimmt; an Amir Abdur Rähman, der sich Frauen aus jedem unterworfenen Volk in seinen Harem bringen ließ; an Alexander Burnes, dem politischen Agenten der Briten 1838, der viele Töchter großer Herren verführte und als erster in den Aufständen umkam; an die britische Armee, die brandschatzte und vergewaltigte, um „den Afghanen eine Lehre zu erteilen“.

Der puritanische Islam hat diesen defensiven Sexismus mit der Tradition des Widerstandes verbunden. Die Rebellion gegen Amanullah im Jahre 1928 wurde von den Mullahs angeführt. Sie waren natürlich auch von den Reformen besonders bedroht, weil sie nicht nur ihren Einfluß auf das Denken der Dorfbewohner zurückzudämmen drohten, sondern ihr Erziehungsmonopol überhaupt antastete. Genau zu diesem Zeitpunkt erschien der Staat immer verwundbarer, denn als das Volk sich den Steuereinnehmern widersetzte, kam Amanullah mit den Soldzahlungen für seine Armee in Verzug.

Das Volk erhob sich, als die Regierung sich auflöste. Ein Bandit aus den Bergen um Kabul, Bach-e-Saqao, „der Sohn des Wasserträgers“, eines Kabuler Arbeiters, stürmte mit seinen Männern die von den unbezahlten Truppen nicht verteidigte Hauptstadt. Er nannte sich König Habibullah, während der alte König unterdessen mit seinem Rolls-Royce floh.

Natürlich entdeckte auch der neue Emir schnell, daß er genau dieselben Einkommensprobleme hatte wie der alte Emir. Dazu kam, daß es im Lande gärte und Habibullahs Machtbereich kaum über die Hauptstadt hinausreichte. Mehr noch, in vielen Hinsichten ging es in der Revolte ja darum, keine Steuern zu zahlen.

Aber seine Truppen mußte Habibullah natürlich bezahlen. Also besann er sich auf seine Erfahrungen als Bandit und folterte reiche Kaufleute, um die Verstecke ihres Goldes zu erfahren. Auf kurze Sicht war die Methode erfolgreich, führte aber innerhalb weniger Monate dazu, daß der Handel mit Kabul – verständlicherweise – erstarb und Habibullah keine reichen Kaufleute mehr hatte, die er foltern konnte. Mit dem Niedergang des Handels ging der Niedergang der Stadt einher, und Habibullahs Herrschaft begann zu zerbröckeln.

Nun trat General Nadir Khan auf den Plan, der mit britischem Gold und britischen Waffen [18] die Grenzstämme aufwiegelte. Als die Armee des Emir desertierte, eilten Nadir und seine Männer nach Kabul. Nadir wurde zum König erklärt, Habibullah gehängt. Die Briten nahmen ihre Geld- und Waffenhilfe wieder auf. Nadir begann eine zerstrittene und chaotische Nation zusammenzufügen.

 

 

Die Afghanische Tradition

Unsere kurze Darstellung der afghanischen Geschichte hat gezeigt, daß diese Geschichte ein Erzeugnis des Imperialismus ist. Die Briten zogen Afghanistans Grenzen so, daß gutes und fruchtbares Land außerhalb blieb. Sie schufen einen armen Staat und durch die Hilfsgelder an ihre Klienten setzen sie diese in die Lage, diesen Staat zu erhalten. Aber da diese Summen niemals groß wurden, war der König nie in der Lage, eine Staatsmaschinerie oder eine Armee aufzubauen, die die Macht der Feudalaristokraten hätte brechen können. Das war es aber gerade, wonach der Staat verzweifelt verlangte. Die Macht der Khans mußte gebrochen werden, damit das Land sich entwickeln konnte. Die Aristokraten überlebten jedoch. Noch 1930 stellte Afghanistan ein einzigartiges Land dar: in den vergangenen 150 Jahren hatte es keinen bedeutenden ökonomischen oder sozialen Wandel gegeben.

Doch wurde unter dem Banner des Islam eine Tradition des Volkswiderstandes gegen den Imperialismus aufgebaut. Not und Armut hatten diese Tradition geschaffen, und sie half dem Volk wiederholt im Widerstand gegen den eigenen Staat. Unter Amanullah vereinigte sich afghanischer Anarchismus mit Anti-Imperialismus und Sexismus.

Dies sind die zwei Gesichter des Erbes afghanischer Geschichte. Einerseits Verlangte ein unterentwickeltes feudales System dringend nach Wandel, andererseits war die politische Gesinnung des Volkes dem System zwar feindlich gesinnt, aber auf fatale Art gebunden an einen lebendigen und reaktionären Glauben.

Nadir selbst überlebte nicht lange. Ein Schuljunge erschoß ihn 1933 als er an einem Schulsporttag Preise verteilte. Sein Sohn Zahir wurde König und regierte bis 1973. Die tatsächliche Macht lag in den Händen der Premierminister der königlichen Familie. Die Familie entschied immer über jeden größeren Wandel in der Politik und wechselte die Premierminister, wenn ihr das notwendig erschien. Es gab pro-westliche Minister, einen pro-russischen, aber alle verfolgten feudale Interessen.

In den ersten Jahren erhielt die Regierung noch britische Hilfe. [19] Der kalte Krieg jedoch bescherte Afghanistan eine derarig hohe Auslandshilfe, so daß man von Afghanistan als einem „wirtschaftlichen Korea“ [20] sprechen konnte. In den 50er- und 60er-Jahren hatte das Land die höchste Pro-Kopf-Rate an Entwicklungshilfe in der Welt. Die Regierung blieb neutral, betonte die strategische Position des Landes und strich von beiden Seiten Geld ein.

Die Hilfe machte ca. 80% des Entwicklungshaushaltes und vielleicht die Hälfte des ganzen Haushaltes aus. Mit der Militärhilfe wurde ein 150000 Mann-Heer aufgestellt mit einer modernen Panzer- und Luftwaffe. Die Flugzeuge waren (russische) MIGs, die Piloten wurden oft in Texas ausgebildet.

Für diesmal hatte der Staat sein finanzielles Dauerproblem gelöst, mehr als gelöst, und so konnte der Staat in die Offensive gehen. Er gebrauchte seine Flugzeuge und seine Armee in einer ganzen Serie von kleinen Kriegen gegen das Volk.

Die Verschiebung der Macht zum Staat hin war entscheidend. Die feudalen Herren wurden zum größten Teil ihrer militärischer Macht und politischen Unabhängigkeiten beraubt, aber damit verloren auch die Völker in den verschiedenen Regionen ihre Macht und Unabhängigkeit. Die Zentralregierung baute nun die Macht eines regionalen Herren auf, wo es früher um die Macht konkurrierender Khans gegeben hatte.

Ein Beispiel: Das vorhin beschriebene Tal von Kunar wurde wirklich erst nach dem 2. Weltkrieg von der Regierung unterworfen. Schon bald erhob der größte Grundbesitzer Anspruch auf die Verfügung des Wassers in diesem Tal. Früher entschied ein Rat der Dorfbewohner über die Verwendung des Wassers. Und sie hätten den Grundbesitzer ob seiner Tollkühnheit einfach beseitigt. Nun mußten sie in Kabul vor Gericht gehen, wo der Großgrundbesitzer genügend Einfluß hatte und genug Bestechungsgelder bezahlen konnte, um den Streit für sich zu entscheiden. Er bekam nicht nur jedes Jahr eine Drittel Million Afghanis für das Wasser, er kontrollierte auch den Zugang zum Wasser und damit die Menschen. [21]

Dies ist nur ein Beispiel für den Prozeß, der im ganzen Land stattfand. [22] Der Staat unterstützte die Herren im Großen und im Kleinen. Der Lehrer, der den Sohn eines Herren durchfallen ließ, wurde versetzt. Gerichte ergriffen Partei für den Feudal-Herren der das Land des kleinen Bauern stahl. Auf nationaler Ebene waren die Parlamente der 60er- und 60er-Jahre von den lokalen Herren und ihren Männern dominiert. 1973 war Afghanistan ein Feudalstaat, in dem die wirkliche politische Macht bei den Feudalherren lag, die ihren Forts auf dem Lande lebten.

Eine derartige Feudalmacht legte die wirtschaftliche Entwicklung lahm. Afghanistan hatte die Probleme der meisten armen Ländern, eine Entwicklungskommission nach der anderen katalogisierte sie. [23] Nur wenig Staatsgelder wurden in die industrielle Entwicklung investiert. Die private Industrie hatte große Probleme. Der Staat hatte eine feindliche Haltung gegenüber Basarkaufleuten, die eine private Bank und mit ihr verbundene Industrien zu entwickeln versuchten. Investitionen waren eine zweifelhafte Angelegenheit, denn die Gerichte waren dermaßen korrupt und das Gesetz so rückständig, daß jedes erfolgreiche Unternehmen Gefahr lief, von einem Minister oder einem Mitglied der königlichen Familie einfach übernommen zu werden. Die Elite verachtete Sachverstand, der Staatsapparat war unwissend und unwirksam.

Außer drei Prestigeobjekten, die mit ausländischer Hilfe funktionierten, gab es auch keinen Versuch der Regierung die Landwirtschaft zu entwickeln. Das grundlegende Problem war nämlich, daß der Staat und die königliche Familie gegen jeden wirtschaftlichen und sozialen Wandel als solchen waren. [24] Sie nahmen natürlich gern Geld und gaben es ebenso gern aus. Aber sie hatten nicht die geringste Absicht eine ländliche Großbauernklasse oder eine städtische Arbeiterklasse zu schaffen. Ihre Macht ruhte auf den ländlichen Feudalherren, und jeder Wandel konnte nur der Macht jener Herren schaden. Stattdessen investierten sie Geld in die Armee, die Erziehung und eine Staatsbürokratie. So zogen sie sich eine gebildete Mittelklasse heran und das sollte ihr Verderben sein.

Denn zum Aufbau eines modernen Heeres benötigt man eine ausgebildete Offiziersklasse die Panzer und Flugzeuge führen kann. Viele von ihnen mußten im Ausland ausgebildet werden. Der Staat eröffnete überall im Lande höhere Schulen. Es gab anfangs zwar Widerstand von Seiten der Mullahs, als die Bauern jedoch sahen, daß der Schulbesuch zu einem Arbeitsplatz im Staatsdienst führte, schickten sie ihre Söhne zur Schule. Die Hilfsprogramme schufen diese Regierungsjobs zu tausenden, für Lehrer und Beamte, die in ihren Büros herumsaßen und nichts taten. Im Volksmund hießen diese Jobs „Papierflieger falten“.

In einer entwickelteren Wirtschaft wären diese Offiziere, Lehrer und Beamten aus den Reihen der Großgrundbesitzer und Kaufleute gekommen. Aber in Afghanistan waren diese Klassen so klein, daß die Studenten zum größten Teil Söhne der kleinen Bauern waren; nicht der Anteilspächter, aber der Bauern, die das Land selbst bearbeiten und vielleicht noch einen Anteilspächter einstellten. Die kostenlose Erziehung ermöglichte es ihnen, ihre Söhne zur Schule zu schicken.

Diese Kinder waren die ersten in der Familie oder sogar aus dem Dorf, die zur Schule gehen konnten. Nachdem sie so gebildet wurden, kamen sie dazu, die Lebensweise ihrer Väter zu verachten oder sich ihrer zu schämen. Aber den Haß ihrer Väter gegen den Staat, die königliche Familie und die Feudalherren behielten sie auch in der Stadt bei. Während ihrer Ausbildung kamen ihre eigenen Frustrationen zu diesem ererbten Haß.

Denn sie vor allem waren es, die die Folgen der ausbleibenden Entwicklung des Landes zu spüren bekamen. Sie waren auch an asiatischem Standard gemessen schlecht bezahlt. In vielen Fällen verdienten sie weniger als ihre Väter und viel weniger als die Feudalherren. Ihre Jobs waren bedeutungslos und frustrierend. Sie sollten Erziehung und Entwicklung vorantreiben und sahen sich einem Staat konfrontiert, der sich in einem Zustand der Unwissenheit und Stagnation befand. Sie ekelten sich vor der Korruption, zu der sie sich selbst getrieben fanden. Da sie als Klasse von demselben Staat abhängig waren, den sie haßten, entrüsteten sie sich über die Beschränkungen, die dieser Staat seinem Wachstum auferlegte.

In den 60er-Jahren erreichte die damalige Studentenbewegung Afghanistan. [25] In Afghanistan kam in dieser Bewegung sich entwickelndes Klassenbewußtsein des vom Staat abhängigen Kleinbürgertums zum Ausdruck. Denn mit der Ausweitung des Erziehungswesens waren die Studenten selbst ein großer Teil dieser Klasse geworden, sie fürchteten sich weniger vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes als die Staatsangestellten, und die Aussichten auf einen Arbeitsplatz für sie selbst wurden geringer.

Die politischen Überzeugungen der Studenten waren demokratisch und anti-feudal.

Im Schewa-Tal im Osten des Landes gab es zum Beispiel zwei höhere Schulen mit über 1000 Schülern. Innerhalb zweier Jahre in den früheren 70er Jahren demonstrierten sie gegen die Unfähigkeit der Regierung, sie mit Lehrbüchern zu versorgen, gegen einen unfähigen Lehrer, gegen den Direktor, gegen eine Korruptionsaffäre innerhalb der Regierung, bei der Gelder verschwanden, die für Lebensmittel eines Arbeitsprogrammes in der Region bestimmt waren. 200 Schüler taten sich auch schon mal zusammen, um dem Arzt der Gegend Bescheid zu stoßen, der Geld für Medikamente verlangte, die die Regierung umsonst geliefert hatte. Ihre Väter verboten ihnen zwar zu demonstrieren, da sie Angst vor dem Zorn der Regierung hatten, aber die Schüler meinten, sie seien im Recht und müßten kämpfen. Und sie hatten oft Erfolg. Der Direktor wie der unfähige Lehrer wurden versetzt, doch die Lieferung von mehr Lehrbüchern konnten sie nicht durchsetzen.

Aber die meisten Studenten gab es in Kabul, wo auch die Landesuniversität war. Hier gingen die Studenten aus politischen Gründen auf die Straße. 1967 z.B. demonstrierten sie gegen die Zensur und für wirkliche Demokratie. Ein Student und ein Arbeiter wurden dabei getötet. Auch die Studentinnen der Mädchenoberschule demonstrierten gegen die Regierung und wurden von der Polizei verprügelt. Die Studentinnen führten auch den Kampf für die Emanzipation der Frau; sie demonstrierten nicht für Empfängnisverhütung und Abtreibung, sondern einfach gegen den Schleier.

Gerade als die Studenten aktiv wurden, Ende der 60er Anfang der 70er Jahre, kürzten die Amerikaner ihr Hilfsprogramm beträchtlich. Diese Kürzungen bedrohten die Stabilität des Staates, der einen Ausgleich nur in höheren Steuern finden konnte. Aber das war unmöglich: Das Parlament der lokalen Feudalherren hatte gerade die Viehsteuer abgeschafft und würde neue Steuern nicht hinnehmen. Auch wagte die Regierung nicht, Kürzungen im Angeselltenbereich oder bei der Armee vorzunehmen – aus Furcht, diese könnten sich gegen sie wenden. So konnte sie zu einem Ausgleich nur auf Kosten der Mittelklasse kommen: Einfrieren der Löhne für die Bürokratie und nur wenige neue Arbeitsplätze für die Schulabgänger. Überdies waren durch das Ausbleiben von Hilfsgeldern auch Arbeitsplätze im Handel und im Baugewerbe betroffen.

Ohne, daß die Russen ihre Zahlungen erhöhen mußten, gaben sie nun die meiste Hilfe. Das Ergebnis war, daß die pro-russischen Kreise in dem Lande und der königlichen Familie mehr politisches Gewicht erhielten. Das war vor allem Cousin und Schwager des Königs, Mohammed Daud. Daud war während der 50er Jahre Premierminister. Er stand in dem Ruf, staatlichen Unternehmungen vor privaten zu begünstigen, ein heftiger Nationalist zu sein, russenfreundlich zu sein und jeden Widerstand gewalttätig unterdrückt zu haben. In seiner Zeit als Premierminister wurden viele politische Opponenten des Nachts aus ihren Wohnungen geholt und erschossen, und oft starben ihre Söhne und Töchter mit ihnen. Ein linker Lehrer sagte 1972: „Unter Daud hatten wir Unterdrückung; nun haben wir Demokratie: Sie haben uns nur die Augen herausgenommen.“

Dauds Augenblick war nun gekommen. Als der Regen zwei Jahre hintereinander ausblieb, spitzte sich die Entwicklung während der Hungersnot von 1972/73 zu. Es gab zwar Getreidelieferungen aus dem Ausland, aber korrupte Offiziere und Kaufleute sorgten dafür, daß sie die Hungernden nicht erreichten. Im Norden und im Zentrum des Landes verhungerten viele Menschen, die Regierung wurde allgemein gehaßt.

Da die Regierung finanziell und moralisch ausgespielt hatte, gelang Daud 1973 ein Millitärputsch. [26] Es gab zwar keine großen Veränderungen: Daud war Mitglied der königlichen Familie, der König und seine näheren Verwandten kamen sicher und mit einem großen Teil ihrer Reichtümer davon. Aber die Proklamierung des „Islamischen Sozialismus“ nach dem Coup bedeutete zweierlei: Verschärfte Unterdrückung Im Innern und in der UNO die Stimme für Rußland. Denn dies war die einzige Hoffnung für das alte System: Vermehrte russische Hilfe und eine Terrorherrschaft im Innern um Angriffe auf den zunehmend schwächer werdenden Staat begegnen zu können.

Dies erwies sich als zerbrechliche Hoffnung. Dauds Coup war deshalb so leicht, weil niemand viel Liebe für den König übrig hatte, aber genausowenig wurde auch Daud geliebt. Schon nach einem Jahr gab es überall Gerüchte über einen neuen Coup. Die Russen steigerten ihre Hilfsleistungen nicht, und die Repression trieb die Opposition nur in den Untergrund. Von den Kräften, die die Monarchie in den Untergang getrieben haften, wurde Daud in den Untergang getrieben. Im April 1978 kam der Schlag in Form eines kommunistischen Putsches.

 

 

Afghanischer „Kommunismus“ und die PDPA

Die afghanischen „Kommunisten“ hatten ihren Ursprung in der Studentenbewegung und in dem vom Staat abhängigen Kleinbürgertum. Die meisten Studenten hatten anfangs republikanische und parlamentarisch-reformistische Ideen. Aber als die Bewegung anwuchs Wurde es klar, daß es keine Möglichkeiten für Reformen gab. Die Regierung war repressiv und reaktionär, für eine „sozialdemokratische“ Bewegung gab es keine Basis: Es gab keine Klasse von Bedeutung die größeres Interesse daran gehabt hätte, mit der herrschenden Klasse zu verhandeln. Die herrschende Klasse mußte durch eine Revolution gestürzt werden.

Für eine Revolution gab es Gründe genug: Die Armut, die Korruption, die Brutalität, die arroganten Tyranneien der Khans, die überall gegenwärtige Geheimpolizei, die Prügeleien, die Folter, der Hungertod, Beschießungen der Bevölkerung, die Erniedrigung der Frauen, die Unterdrückung der Nationalitäten, die niedrigen Löhne und katastrophalen Lebensbedingungen der Arbeiter. All dies schrie nach einer Revolution. Und die Studenten waren nicht bloß Repräsentanten einer Aufsteigenden Klasse. Sie waren Idealisten, die politisch bewußten Männer und Frauen, die besten ihrer Generation. So wandten sie sich dem Kommunismus zu. Sie gingen aufs Land zurück, von dem sie kamen, um die Bauern gegen die Khans und die Regierung zu organisieren.

Zu diesem Zeitpunkt gab es unter ihnen drei Richtungen. Der kleinste und am weitesten linke Flügel waren die Maoisten. Sie waren besonders stark unter den Studenten und unter den nicht paschtunischen Gruppen des Nordens, denn sie waren ganz klar gegen die Dominanz der Paschtunen. Genauso klar waren sie gegen Rußland, und als der russlandfreundliche Daud 1973 an die Macht kam, gingen sie sofort in den Untergrund, wo sie außer einer kurzen Zeit der Legalität seither geblieben sind. Sie kämpfen nun gegen die Russen.

Die zwei größeren Gruppen waren die „Banner“-Gruppe und die „Volk“-Gruppe [27], deren Namen von den linken Zeitungen herkommen, die sie in der kurzen Periöde der Legalität in den 60er-Jahren veröffentlichen konnten. Ihre Differenzen waren anfangs persönlich und kleinlich, weniger politischer Natur. Beide Gruppen sahen in der Sowjetunion das Vorbild für einen afghanischen Sozialismus. Im Laufe der Zeit jedoch entwickelten sie unterschiedliche Richtungen, wobei die Anschauungen der „Volk“-Gruppe viel radikaler wurden, als die der „Banner“-Gruppe. In den 60er- und frühen 70er-Jahren waren diese beiden Gruppen keine straff disziplinierten Parteien; sie waren mehr politische Zirkel, um die sich viele Leute mit Zeitungen und Führern sammelten. Die meisten der Studenten, die aufs Land gingen, waren nicht Mitglieder einer Gruppe, sondern fühlten sich einer größeren Linken zugehörig. Anfangs haften sie auch beträchtlichen Erfolg.

Sie waren dabei sehr mutig. Zum Beispiel in Laschkargah in der Nähe von Kandahar streikten im Jahre 1971 die Schüler und gingen auf die Straße. [28] Redner standen auf Kisten in den Straßen und forderten öffentlich den Tod des Khans. Das war keine unbestimmte Parole, meinte sie doch ganz bestimmte Männer in dieser Gegend, die alle politische Macht in den Händen hielten. Die Bauern hörten den Schülern zu, fühlten sich zu ihnen gezogen, hatten aber Angst sich ihnen öffentlich anzuschließen. Im ganzen Schewa hatten die Väter Angst vor den Konsequenzen der Militanz ihrer Söhne, aber insgeheim nahmen viele großen Anteil an ihrem Kampf. Ein armer Arbeiter erzählte mir vergnüglich, wie die Schüler den Arzt dieser Gegend verprügelt hatten.

Aber letztendlich waren sie doch erfolglos. Geführt von den Mullahs, mobilisierte die Rechte gegen sie und behauptete, die Linken seien keine Muslim. In Kabul fochten linke Studenten gegen rechte Studenten der theologischen Fakultät regelrechte Schlachten aus. Als z.B. einmal ein linker Student während des Fastenmonats Ramadan Brot kaufte, behauptete er, er wolle es aufheben, um es nach Sonnenuntergang zu essen, wenn jeder, wie üblich, das Fasten brach Die Rechten behaupteten, er lüge und verprügelten ihn. Darauf mobilisierte er die Linken; es entwickelte sich eine 12 Stunden dauernde Straßenschlacht in Kabuls größtem Basar. Eine Auseinandersetzung entstand über die Frage – in einer Philosophieklasse der Universität – ob es zu Zeiten von Moses und David erlaubt gewesen sei, Alkohol zu trinken und dies nur zu Zeiten Mohameds verboten gewesen sei (die linke Position) oder ob es immer verboten gewesen sei (die rechte Position). In dem folgenden Kampf, der mit Schußwaffen und Knüppeln ausgetragen wurde, wurden viele linke und ein rechter Student getötet. In den höheren Schulen Kabuls wurden ähnliche Meinungsverschiedenheiten mit Äxten ausgetragen.

Dies alles mag als Streit um Nebensächlichkeiten erscheinen, was es in gewisser Weise auch war. Doch es ging um etwas sehr viel ernsteres: die Macht des Islam. Viele linke Studenten waren gläubig, nur wenige waren – insgeheim – Atheisten. Aber alle vertraten eine Auslegung des Islam, die die Macht der Mullahs bedrohte. Noch ernster war, daß dadurch die Werte bedroht wurden, nach denen die meisten afghanischen Bauern lebten. Als die Linken auf die Dörfer kamen, sahen sie sich einem Islam gegenüber, der aus Armut und Schande geboren war und gehärtet wurde in großen heiligen Kriegen gegen die Ungläubigen und kleineren begrenzten Kriegen gegen die Regierung. Die Linken kannten diese Ideologie. Sie haften sie in ihren eigenen Dörfern und bei ihrem Vater erlebt und sie fand bei ihnen selber starken Widerhall. Mehr oder weniger war ihnen auch klar, daß diese Ideologie ihr Feind war. Sie konnten sie natürlich nicht offen angreifen. Das wäre töricht gewesen und würde sie nur ihren Zuhöreren entfremden, auch würden sie jene Linken verunsichern die selbst gläubig waren. Aber sie kannten den Feind, was sie auch ausdrückten, indem sie von der „Unwissenheit“ ihres Volkes sprachen. Teilweise selbst durch Erziehung befreit, sahen sie in der Erziehung das Mittel die alte Ideologie aufzubrechen. Sie sahen ihre Hauptaufgabe klar darin, die Macht dieser reaktionären Ideologie über ihr Volk zu zerbrechen.

Es war klar, daß man dazu den König und die Khans angreifen mußte. Falls sie gingen, würde die alte Ordnung zerbröckeln und es würde vielleicht möglich sein, sich öffentlich mit den alten Ideen auseinanderzusetzen. Zwar war dies eine redliche Strategie. Viele Linken waren Atheisten und waren für die Emanzipation der Frau, einige waren Frauen. Sie unterstützten diese Ziele im Kreise von Vertrauten und traten in den Städten auch manchmal öffentlich dafür auf. Aber auf dem Lande traten sie nicht gegen den Islam auf. Dies mag uns so wie die Strategie westlicher Revolutionäre vorkommen, die sagen, Klassenkampf komme zuerst, in Wirklichkeit aber meinen, der Kampf der Frauen komme niemals. Zweifellos war es für einige afghanische Linke auch so. Aber die meisten dieser Männer und Frauen arbeiteten unter großer Gefahr, oft im Untergrund, immer heimlich und im Angesicht einer feindlichen mächtigen Ideologie. Sie gaben ihr bestes, aber sie scheiterten. In den Städten konnten sie sich halten, aber in den wichtigeren Gebieten auf dem Lande wurden sie in die Defensive gedrängt und fast überall verjagt. Einige Dörfler in Schewaki in der Nähe von Kabul erklärten es mir so: Zuerst haften sie Babrak Karmal als ihren linken Parlamentsabgeordneten unterstützt, weil die Studenten sagten, sie würden dann Land bekommen, was sie natürlich gerne hörten. Dann aber sei ihnen klar geworden, daß die Studenten keine Muslims seien, und sie zogen ihre Unterstützung zurück. So ähnlich war es überall. Die Linke scheiterte, weil sie gegen eine Ideologie, die fest verankert war im Feudalismus und männlichen Chauvinismus und die sich durch den Widerstand gegen Unterdrückung auszeichnete, kämpfte. Es war eine widersprüchliche Ideologie, die aber gerade durch ihre Widersprüchlichkeit Stärke und Grausamkeit zu gewinnen schien.

Es hätte der Entwicklung eines Kapitalismus bedurft, um diese Ideologie zu brechen. Aber gerade das war ohne eine Revolution nicht möglich. Das feudale Regime hemmte jegliche Entwicklung. Eine islamische Reaktion gibt es auch in Pakistan und im Iran, aber dort gibt es auch eine Arbeiterklasse, die langsam und ungleichmäßig, ihre Lektionen gelernt hat. Viele sehen, wie klar auch immer, den Zusammenhang zwischen dem Islam auf dem Lande und ihrer eigenen Armut innerhalb des Systems. Des Säkularismus hat zwar nicht den Sieg davongetragen, aber für die einfachen Leute gab es Möglichkeiten der Diskussion. In den 60er- und frühen 70er Jahren gab es in Afghanistan diese Möglichkeiten nicht.

Die Mullahs konnten deshalb sagen, daß die Linken Werkzeuge der Russen seien. Daß die Russen Ungläubige seien, noch schlimmer als die Briten, weil diese wenigstens ein heiliges Buch hätten. Im Radio konnten sie verkünden, daß wenn die Russen Kinder haben wollten, Männer und Frauen eine nächtliche Orgie veranstalteten und neun Monate später die Babies in Maschinen gesteckt würden, in denen sie aufgezogen würden. [29] Sie behaupteten, daß keine Menschen auf dem Mond gelandet seien, weil der Koran dies für unmöglich erklärt habe. Die Menschen glaubten nicht alles, was die Mullahs erzählten. Aber sie glaubten doch die allgemeine Richtung, und es war der Linken darum unmöglich, auf den Dörfern zu arbeiten.

Die eine Richtung der „Kommunisten“, die „Banner“-Gruppe (Parcham), versuchte mit Dauds Regime zusammenzuarbeiten. Die andere, die „Volk“-Gruppe (Khalk), ging in den Untergrund.

Schon bald ging Daud gegen die „Banner“-Gruppe vor. Sie schlossen sich der „Volk“-Gruppe im Untergrund an, wo die beiden Fraktionen die Peoples Dernocratic Party of Afghanistan (PDPA – Volksdemokratische Partei Afghanistans) formierten. Aus den Dörfern verjagt, gingen sie in die Stadt. Sie hatten das Beispiel von Dauds Coup vor Augen, und arbeiteten konspirativ in der Armee. Jedoch nicht unter den gemeinen Wehrpflichtigen. Zwar waren sie zu arm, um sich Strümpfe für die kalten Winter in den Bergen leisten zu können, aber sie waren ja auch die Söhne – in Uniform – eben jener Bauern, die gerade die Kommunisten abgewiesen haften. Die PDPA arbeitete vielmehr unter den Offizieren, denn genau wie sie waren diese Teil der neuen gebildeten Klasse, von gleichen Interessen und gleichem sozialen Hintergrund.

Im April 78 war es soweit: Daud wollte die PDPA beseitigen, aber sie war stark genug ihm mit einem Putsch zuvorzukommen. [30] Die April-Revolution unterschied sich von anderen Staatsstreichen. Die PDPA verkündete im Rundfunk, Daud und seine Familie sei „ausgelöscht“. In Jalalabad gab es schwere Kämpfe. Die neue Regierung verkündete sofort eine Reihe von Gesetzen, deren Wirkung einer Zerschlagung des Feudalsystems gleichgekommen wäre. Durch eine Landreform sollte alles Land über 6 Hektar an die Armen verteilt werden. Damit hätten sie den Feudalherren das Land weggenommen und das Land der kleinen Bauern unangetastet gelassen. Wenn etwas die afghanischen Bauern zu einen vermocht hätte, schien es eine solche Reform zu sein. [31]

Eine zweite Serie von Gesetzen ordnete mehr Erziehung für Mädchen an und reduzierte den Brautpreis auf ein annehmbares Maß. Z.B. in Kopenhagen wären dies keine revolutionären Maßnahmen, aber in Kabul waren sie es und auch als solche gemeint: Sie standen für eine Revolutionierung der Beziehung zwischen den Geschlechtern.

Diese Maßnahmen zeigten, daß die PDPA in einem Todeskampf mit dem Feudalismus stand, und sie hatte nicht die geringste Chance. Nicht, weil sie Fehler machte oder Exzesse beging, sondern weil sie durch die Offiziere zur Macht kam, nicht durch die einfachen Soldaten. Sie kam hinter dem Rücken der Bauern an die Macht. Sie hatte nicht von der gesellschaftlichen Basis aus gearbeitet, sondern hatte den Staat erobert und versuchte von oben herab zu wirken. Und da sie schon einmal den Kampf auf dem Land verloren hatte, hatte sie auch jetzt keine Möglichkeiten, ihre Reformen wirksam werden zu lassen.

Stattdessen brachen auf dem Land viele kleine Aufstände aus. Mal erschoß man einen Polizisten hier, woanders einen Soldaten, denn es war der Bevölkerung klar, daß der Staat plötzlich schwach war. Für die meisten afghanischen Bauern war die Aussicht, ohne den Staat zu leben, eine attraktive Alternative und keineswegs utopisch: Ihre Väter hatten vor der Unterwerfung so gelebt und die Grenzstämme lebten immer noch so. [32] Sie hätten dann zwar noch die Feudalherren und die Unterdrückung gehabt, aber wenigstens keinen Staat und keine Steuern. So versuchten die Bauern wie schon so oft einen schwachen Staat loszuwerden. [33]

Ihre Rebellion war eine Islamische Rebellion. In zahlreichen Gegenden führten die Mullahs die Menschen in Demonstrationen gegen die Erziehung der Frauen, gegen die PDAP, gegen die gottlosen Russen und gegen die Emanzipation der Frau.

Die KP hatte dies wahrscheinlich erwartet. Sie hatte nur drei Möglichkeiten dem zu begegnen und alle waren gleich schlecht: die Parteikader, die Polizei, die Armee. Da die Partei keine Basis unter den Bauern hatte, mußte sie ihre Kader schicken. [34] Aber das waren dieselben Leute, die die Bauern schon einmal abgewiesen hatten. Die Kader waren oft die Söhne der kleineren Bauern, nicht der Anteilspächter. Sie erschienen oft in westlicher Kleidung, manchmal kamen sie mit Regierungsjeeps. Sie kamen wie die örtlichen Regierungsoffiziere vor ihnen als Repräsentanten des Staates, den die Bauern so haßten wie kaum je ein Volk einen Staat gehaßt hat. Soweit sie sich erinnern konnten, war der Staat immer als Eroberer erschienen, hatte Bomben auf sie geworfen und sie mit Gewalt und Folter überzogen. Es wäre wahrscheinlich anders gewesen, hätten sie das Gefühl, sie hätten den Staat gewonnen. Aber das war nicht der Fall, andere hatten sich des Staates bemächtigt. So kamen die Kader, traten selbstherrlich auf und gingen dann wieder – der Islam und die Mullahs blieben. Die Bauern fürchteten die Wiederkehr der Feudalherren, falls sie deren Land bearbeiten würden. Die Landreform scheiterte, die Tradition des heiligen Krieges lebte wieder auf.

Wo die Kader hilflos waren, schickte die Regierung die Polizei. Die Regierung benahm sich immer mehr wie alle Regierungen vor ihr: sie hatte ihre Heere von Spionen, ihre Gefängnisse, ihre Folterkammern, die mitternächtlichen Erschießungen. Das waren keine „Fehler“ oder „Exzesse“, wie manche uns gerne glauben machen möchten: dies war die einzige Möglichkeit der KP, eine ihr feindlich gesinnte Bevölkerung in Schach zu halten. [35]

Aber auch die Polizei scheiterte – der Staat verlegte sich auf die Armee mit ihren Gewehren, Panzern und Flugzeugen, um die Dörfer zu bombardieren und zu beschießen. Polizeiterror kann noch selektiv sein, Terror aus der Luft bedeutet Krieg zwischen der Regierung und dem Volk. Gerüchte besagten, daß die Flugzeuge von Russen geflogen würden. Dies mag wahr oder falsch gewesen sein – wichtig war, daß es geglaubt wurde.

Mit ihrer Polizei und den Flugzeugen scheiterte die Regierung ebenso: denn dies ließ die KP wie jedes frühere Feudalregime erscheinen. Es war nur logisch: der stärker werdende Widerstand rief eine verstärkte Repression hervor, die noch mehr Widerstand hervorrief. Im Sommer 79 behauptete die Regierung nur noch 6 der 26 Provinzen, und auch in größeren Provinzen nur die Straßen und größeren Städte.

In dieser ausweglosen Situation spaltete sich die Volksdemokratische Partei wieder in die „Banner“-Gruppe und die „Volk“-Gruppe. Die „Banner“-Gruppe spürte die Notwendigkeit, die Revolution zu mäßigen um die Bauern zu gewinnen. Die „Volk“-Gruppe hingegen war für eine Verschärfung des revolutionären Tempos, denn das Durchpeitschen der Landreform würde die Bauern für die Revolution gewinnen.

Weil beide Gruppen sich irrten, wurde der Streit so verbissen. Durch Mäßigung lassen sich die islamischen Fundamentalisten nicht tauschen, und mit Gewalt kann man die Bauern nicht bekehren. So sah jede Gruppe klar die Fehler der anderen Gruppe. Im Herbst 78 wurden die Leiter der „Banner“-Gruppe aus Afghanistan verbannt, indem die „Volk“-Gruppe sie einfach als Botschafter ins Ausland schickte. Im Sommer 79 wurden die „Banner“-Gruppen in den Städten durch die Geheimpolizei und Schlägertrupps zerschlagen.

Zu diesem Zeitpunkt mischen sich die Russen mehr ein. Es gibt zwar keinen handfesten Beweis für die Beteiligung am Putsch vom April 78. Ich vermute eher, daß er für sie auch überraschend kam, denn kaum etwas in der russischen Geschichte läßt die Annahme zu, daß sie ein labiles und wirklich revolutionäres Regime dem von Daud vorgezogen hätten. Denn was immer Daud sonst noch war, er war ein treuer Freund der Russen. Wie dem auch sei, die Russen hatten kaum eine andere Alternative, als den Putsch zu unterstützen, nachdem er einmal stattgefunden hatte.

Mit zunehmender Heftigkeit des Bürgerkrieges wurde die PDPA immer mehr von russischer Hilfe abhängig: In Form von russischem Geld, russischen „Beratern“, russischen Ersatzteilen und russischem Öl. Und so wie sie mit jedem Tag mehr an die Russen gebunden wurden, so wurden die Russen gleichfalls an die PDPA gebunden.

Und den Russen schien es, als seien die Tage der KP gezählt. Sie versuchten, die „Volk“-Gruppe zu einer gemäßigten Politik zu bewegen – vergeblich. Nach blutigen Schießereien wurde Amin – Verfechter der harten Linie – Präsident und tötete seinen Vorgänger Taraki. Die Russen fürchteten die Folgen einer Niederlage der PDPA. Es wäre das erste Mal, daß eine von den Russen unterstützte Regierung gestürzt würde, und das hätte natürlich Wellen im ganzen russischen Imperium geschlagen. Nicht zuletzt würde es seinen Eindruck auf die türkisch und persisch sprechenden Muslim im sowjetischen Zentralasien nicht verfehlen. Die Russen gerieten in Panik, und im Dezember 79 rollten ihre Panzer in Kabul ein. [36]

 

 

Die Folgen der Invasion

Die Russen erschossen Amin und setzten Babrak Karmal als Präsident ein. Karmal war Führer der „Banner“-Gruppe; im Jahr zuvor war er noch im russischen Exil gewesen. lsarmal und die Russen verfolgten drei Ziele: Einigung der PDPA, Beschwichtigung der Rebellen und Zerschlagung des Widerstandes an der Basis. Doch sie scheiterten zum größten Teil mit ihrer Strategie.

Die neue Regierung machte bedeutende Zugeständnisse. Karmal begann alle seine Reden mit der Anrufung Allahs. Er prangerte frühere Morde durch den Staat an und machte dafür den von ihm ermordeten Amin verantwortlich. Er entließ fast alle politischen Gefangenen, füllte dafür die Gefängnisse gleich mit neuen. Er bot den Rebellen eine Amnestie an und ließ Mullahs im Fernsehen das Regime loben. Alles das hatte natürlich keinen Erfolg. Die afghanischen Bauern mögen zwar des Lesens und Schreibens unkundig sein, aber so dumm waren sie doch nicht. So hatte die Invasion zur Folge, daß der Widerstand geeint und verbreitert wurde.

In den Augen der Bauern hatten die Mullahs recht behalten: der Bürgerkrieg war zu einem Krieg gegen die Ungläubigen geworden, gegen ihre Soldaten, gegen ihre Panzer. Die Russen setzten zuerst Einheiten ein, die sich aus den muslimischen Minderheiten der UdSSR rekrutierten. Sie hofften, die Afghanen würden sehen, daß die Invasoren auch Muslims waren. Eine Gefahr jedoch bestand darin, daß viele der Muslimeinheiten dieselbe Sprache hatten wie die afghanischen Bauern. Und tatsächlich konnten sich die Afghanen in vielen Fällen mit den Soldaten verständigen, während die slawischen Offiziere nichts mitkriegten. Die Muslimeinheiten sind inzwischen größtenteils zurückgezogen worden.

Es war, wie der Krieg gegen die Briten, ein Krieg gegen die Ungläubigen. Letztlich haben die Russen noch jedem feudalen Regime Geld und Waffen gegeben. Die Invasion hat den Afghanen zweifellos vor Augen geführt, daß die Russen genauso zynische lmperialisten sind, wie die Briten und die Amerikaner.

Zweifellos warfen die Russen Napalm- und Splitterbomben. Sie beschossen Dörfer und setzten natürlich Panzer und Kam fhubschrauber ein – und sie waren damit erfolgreich gewesen. [37] Zwar haften die Vietnamesen gezeigt, daß man gegen derartige Waffen – der Amerikaner – Siegen kann. Aber sie hatten auch Raketenwerfer, Flug- und Panzerabwehrgeschütze, ein fruchtbares Hinterland mit guter Wasserversorgung, die Lebensmittel- und Waffenhilfe der UdSSR und China. Nicht zuletzt haften sie erfahrene, disziplinierte und opferbereite Kader. Es gab eine Anti-Kriegs-Bewegung im Land des Feindes, eine am Ende gebrochene amerikanische Armee und in der Entscheidungsschlacht halfen ihnen überdies noch die nordvietnamesischen Panzer. Doch trotz allem war es ein Kampf, der unvorstellbaren Mut verlangte, und insgesamt 40 Jahre dauerte.

Außer Zeit und Mut haben die afghanischen Widerstandskämpfer nichts dergleichen. Vor allem haben sie keine wirksamen Waffen. Als man sie in Pakistanischen Lagern interviewte, baten sie immer wieder um Waffen, nicht um Lebensmittel. [38] Sie brauchen panzerbrechende Waffen und Boden-Luft-Raketen: moderne Waffen für einen modernen Krieg. Diese Waffen, ohne die sie hilflos sind, haben sie bis jetzt von niemandem bekommen.

Die afghanischen Widerstandskämpfer hatten angenommen, daß sie von den USA Waffen und Geld erhalten würden. [39] Nichts dergleichen geschah. Die finanzielle Unterstützung ist nicht der Rede wert, hingegen machte der CIA viel Theater. Saudi-Arabien gab mit amerikanischer Billigung mehrere Millionen Dollar zum Kauf von chinesischen Waffen, die dann über Pakistan ins Land geschmuggelt wurden. Aber direkt unternahmen die USA nichts, und die chinesischen Waffenlieferungen umfaßten weder Panzerabwehrwaffen noch Boden-Luft-Raketen. Es gibt mehrere Gründe für das Verhalten der Amerikaner. Sie haben von der russischen Invasion großen Nutzen. Von einem Sieg der Rebellen würden sie nicht profitieren. Die Invasion hat das Ansehen der Russen in der 3. Welt und in vielen muslimischen Ländern sehr geschädigt. Sie belasten die russische Wirtschaft und den Militärapparat: eine Invasion Polens ist nun schwieriger geworden; die Amerikaner konnten sich auch leichter in El Salvador einmischen. Solange der Krieg dauert, ist er Wasser auf die Propagandamühlen der USA, während die Russen – militärisch wie wirtschaftlich – zur Ader gelassen werden.

Andererseits: Würden die USA die Afghanen wirklich unterstützen, könnten die Russen zu folgenschweren Handlungen getrieben werden. Zu viele westliche Länder sind zu sehr im Handel mit Rußland engagiert, zu viele westliche Banken haben Polen Kredite gegeben. Und falls die Rebellen siegen würden, hätten sich die Amerikaner ein Regime aufgehalst, gegen das der Ayahtollah im Iran wie Mary Poppins aussehen würde. Es wäre ein Regime der „verrückten Mullahs“, für das die USA verantwortlich wären. Und es würde innerhalb weniger Wochen zusammenbrechen, wenn die verschiedenen Stämme und ethnischen Gruppen zum wiederholten Mal versuchen würden, sich von dem neuen Staat freizukämpfen.

Auch die Iraner haben die Afghanen nur wenig unterstützt. Die iranischen Führer hielten scheinheilige Reden über den afghanischen Kampf. Aber sie richteten keine Flüchtlingslager ein und gestatteten den Rebellen auch nicht, lokale Büros einzurichten, wie es die Pakistaner getan haben. Sie ließen es auch nicht zu, daß Waffen über die iranische Grenze nach Afghanistan gelangten. Die Iraner sind natürlich gut beraten, die Freunde der Russen zu bleiben, solange sie Feinde der USA sind. Aber wesentlicher ist wohl, daß zu beiden Seiten der afghanisch-iranischen Grenze die Völker der Turkmenen und Beludschen leben. Und diese hält nur der Waffenmangel davon ab, sich aus dem iranischen Staatsverband zu lösen. Außer schönen und vielen Worten bekommen die Rebellen nichts von den Iranern.

Die Pakistaner tun ziemlich viel für die Rebellen. Sie lassen den Schmuggel chinesischer Waffen zu, sie unterhalten Flüchtlingslager, sie versuchen, die UNO-Lebensmittel zu verteilen. Sie behandeln die Rebellen wohlwollend: offiziell dürfen sie nicht von pakistanischem Boden aus operieren, aber sie haben hier ihre Büros, sie kontrollieren die Flüchtlingslager und sie können ständig ungehindert die Grenze überqueren.

Aber Pakistan versucht verzweifelt, Lebensmittel für die Rebellen aufzutreiben, und das ganze Land wartet nervös auf den Sturz der Regierung des General Zia, der dicht bevorzustehen scheint. Die ihm folgende Regierung wird allem Anschein nach von den Bhuttos (Mutter und Tochter) geführt werden. Sie werden wahrscheinlich irgendeinen Handel mit Karmal und den Russen machen [40], dessen genauen Inhalt man natürlich nur schwer voraussagen kann: Sie könnten sicherlich den Waffenschmuggel stoppen; die Rückführung von Millionen Flüchtlingen wäre ein ungeheures Problem; sie könnten sich einem Bürgerkrieg in der nordwestlichen Grenzprovinz gegenübersehen, falls sie versuchen sollten, die Rebellen dort militärisch zu schlagen. Aber irgendein derartiges Abkommen wäre schon möglich. Es wäre andererseits natürlich auch möglich, daß sich die Amerikaner entschließen würden, den Rebellen chinesische Boden-Luft-Raketen zu geben: Der CIA ist dagegen: die Rebellen seien unzuverlässig und solche Waffen würden nur heftige lange Bombardements provozieren wie in Vietnam. Aber Reagan steht weit rechts vom CIA, und seine Emotionen könnten sich gegen die nüchterne Betrachtungsweise des CIA durchsetzen.

Im Augenblick sind die Rebellen in den Flüchtlingslagern und Verstecken durch die weltpolitische Lage gelähmt. Obwohl ein militärischer Sieg außerhalb ihrer Möglichkeiten zu liegen scheint, ist das Regime Karmals politisch schwächer denn je, denn es wird sogar von den Studenten und Staatsangestellten nicht mehr gestützt.

Im Frühjahr 1980 begannen die Demonstrationen in Herat, der drittgrößten Stadt Afghanistans. Herat liegt nahe der iranischen Grenze, und die Bevölkerung spricht größtenteils persisch. Die Demonstrationen waren der Art wie die, die zum Sturz des Schahs führten. Am Tag waren die Läden im Basar geschlossen; nachts riefen Männer von den Dächern „Gott ist groß“ und riskierten mit ihrer Frömmigkeit, daß die Armee sie erschoß. Diese Demonstrationen breiteten sich innerhalb von Tagen über die Hauptstraße nach Kandahar aus, einer Paschtunenstadt und der zweitgrößten Stadt im Lande. Von hier aus gelangten die Demonstrationen weiter nach Kabul.

In Kabul änderte sich ihr Charakter, da Kabul eine ganz anders geartete Stadt ist. Die Studenten gingen am Tage auf die Straße. Viele Staatsangestellte blieben ihren Büros fern. Die Textilarbeiter im Norden Kabuls streikten. Die Studentinnen der Mädchenoberschule schlossen sich den Demonstrationen an und forderten ihre Männer zum Kampf auf, und sie brachten sie durch Beschämung zum Kämpfen, genau wie es ihre Großmütter bei den Stammeskriegern getan hatten. Es war dieselbe Schule deren Schülerinnen den Kampf gegen den Schleier angeführt hatten, die jüngeren Schwestern der Mädchen, die gegen Schah Zahir demonstriert hatten. Die Studenten und Staatsangestllten waren dieselbe Klasse, die die Basis der PDPA war; nun standen sie in den Städten an der Spitze des Kampfes gegen sie. Obwohl die Studenten in den Straßen niedergeschossen wurden, wiederholten sich die Demonstrationen. Auch der Basar streikte wiederholt.

Schließlich schloß die Regierung die Schulen, die Bewegung erstarb. Als die Rebellen im Winter 80/81 in Kabul anläßlich anläßlich des Jahrestages der Invasion zum Generalstreik aufriefen, geschah nichts. Es gab keine Demonstrationen, die Leute gingen zur Arbeit. Das liegt in der Natur von Massenbewegungen auf den Straßen: sie schwellen an und werden schwächer. Aber die Demonstrationen im Frühjahr haben gezeigt, daß die Regierung ihre Basis verloren hat: die Opposition ist jetzt allgemein.

Die afghanische Armee lost sich auf. Bis zu welchem Ausmaß ist schwer zu sagen: Die CIA-„Quellen“ und die Propaganda der Rebellen lügen so hemmungslos, daß es schwer ist, Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden. Sicherlich rebellierten die Armeeeinheiten in Ghasni und in Bala Hissar in Kabul. Ebenso gab es Massendesertionen aus der Armee. Denn die Soldaten waren immer schlecht bezahlt und bestanden aus dienstverpflichteten Bauern, die aufs Äußerste erbost darüber waren, ihre Zeit abdienen zu müssen. Sie glauben nicht an den Krieg und möchten wahrscheinlich auch nicht gern in einem Krieg umkommen. In dem Maße, wie die Armee sich auflöst, vergrößert sich die militärische Last der Russen, besonders entlang der pakistanischen Grenze, um Kabul und im Norden.

Unter diesem Druck zeigt auch die PDPA Auflösungserscheinungen. Viele Kader sind tot: einige kamen in den Kämpfen um, viele wurden in Pogromen umgebracht, die die Rebellen veranstalteten; und viele starben auch durch die Hand der Geheimpolizei. [41] Die „Volk“-Gruppe bekundet nun, daß sie Nationalisten seien, und daß alles ein Fehler der „Banner“-Gruppe sei. Da mag zwar viel Wahres dran sein, aber da sie ohne russische Präsenz nicht zwei Wochen überleben würden, läßt sie die Angst an der Regierung festhalten. Karmal, Präsident und Führer der „Banner“-Gruppe, drohte den Russen mit Rücktritt, wenn er seine Partei nicht so säubern könnte, wie er es für richtig hielt. Eine besondere Kommission begann ihre Arbeit in der Führungsspitze, indem sie den überlebenden Führer der „Volk“-Gruppe als Botschafter nach Ulan Bator abschob. Seit damals scheint Karmal keine Exekutionen mehr angeordnet zu haben, aber in den Straßen gab es allem Anschein nach noch Schießereien zwischen den beiden Gruppen.

Man ist leider versucht, diese Parteizwistigkeiten zu bespötteln. Aber die Afghanen in der PDPA sind unerträglichen Widersprüchen ausgesetzt, die eben diese Zwistigkeiten hervorbringen und die ihnen solche Heftigkeit geben. Denn jede Fraktion wird von den Widersprüchen hin und her gestoßen, keine weiß einen wirklichen Ausweg, und beide leben mit ihren gescheiterten Hoffnungen und unter dem Eindruck ihrer blutigen Opfer.

Es wäre natürlich etwas anderes für sie, wenn sie Heuchler wären, wie die Breschnjews oder die Kossygins. Aber sie sind es nicht, sondern wirklich mutige Männer und Frauen, die Blüte ihrer Generation. Sie haben jahrelang öffentlich und im Untergrund Feudalismus, Reaktion, Korruption und die Unterdrückung der Frau bekämpft. Sie allein wagten es, als die Umstände günstig erschienen, die Kräfte der Trägheit, Rückständigkeit, Bigotterie und Unwissenheit zurückzudrängen. Sie kämpften gegen eines der reaktionärsten Regime unter den ungünstigsten Bedingungen, in denen Revolutionäre sich je befanden. Und nun ist es soweit gekommen, daß sie bis zu den Achseln im Blut ihres Volkes stehen, hilflose Gefangene eines Kampfhubschrauber-„Sozialismus“, von ihrem eigenen Volk als Verräter beschimpft. So ist es nicht verwunderlich, daß sie in ihrer Verwirrung und in ihrem Zorn sich gegenseitig zerfleischen.

Im Basar von Kabul geht das Gerücht um, daß Präsident Babrak Karmals Vater seinem Sohn für immer verboten hat, die Schwelle seines Hauses zu übertreten. Das ist wahrscheinlich wahr. Ein anderes Gerücht besagt, daß Karmal im Jahr 1980 versuchte, Selbstmord zu begehen, aber von den Russen daran gehindert wurde. Das ist wahrscheinlich nicht wahr. Aber es zeigt, daß in den Augen der Einwohner Kabuls Karmal immer noch der geachtete Mann ist, den sie ins Parlament gewählt hatten und der die Opposition gegen Schah Zahir seit den 40er Jahren führte. Niemand in Kabul würde Karmal verachten, wenn er diesen Ausweg des Selbstmordes wählte.

Was ist mit dem afghanischen Volk, dessen Leidensweg erst begonnen hat? Die Russen haben „Freie-Feuer-Zonen“ geschaffen, indem sie die Bevölkerung ganzer Gebiete durch Bombardierungen vertrieben. Sie haben Napalm- und Splitterbomben eingesetzt. Das ist militärisch sinnvoll, denn so steht es in den Handbüchern über die Bekämpfung von Guerillatruppen. Die Rebellen bezichtigten die Russen noch größerer Verbrechen: des Einsatzes von Nervengas und der Verscharrung Verwundeter mit Bulldozern. Im Augenblick ist die Bevölkerung Kabuls angeschwollen auf anderthalb Millionen Menschen, und Kabul war schon überbevölkert, als es nur eine halbe Million Einwohner hatte. Nur wenige dieser Menschen haben Arbeit, doch die Russen versuchen aus Furcht vor Hungerunruhen den Brotpreis niedrig zu halten. In Pakistan befinden sich über eine Million Flüchtlinge, deren Zahl noch steigt. [42] Die Pakistani sollen die Flüchtlinge anfangs freundlich aufgenommen haben, einige sollen sogar sich selbst als Flüchtlinge ausgegeben haben, wie dem auch sei, die Flüchtlinge wurden versorgt. Es wird aber nun immer offensichtlicher, daß die Flüchtlinge noch Jahre bleiben werden. Entlang der gesamten Grenze gibt es jedoch zu wenig Lebensmittel, zu wenig für Viehhaltung nutzbares Land und zu wenig Arbeit für zu viele Menschen. Die Spannungen zwischen den afghanischen Flüchtlingen und der pakistanischen Dorfbevölkerung wachsen. [43]

Es ist natürlich von hier aus schwer zu beurteilen, was in Afghanistan passiert. Die Russen und die Reste der afghanischen Armee kontrollieren die Städte und die Landstraßen. Auf sich gestellt, wäre dies der PDPA nicht möglich gewesen. Es scheint auch keine großangelegten militärischen Angriffe zu geben, sondern eher Nadelstiche in Form einzelner Guerillaüberfälle: Opfer und Kosten für die Russen, aber nichts, was sie nicht verschmerzen könnten. Größere Kämpfe scheint es im Norden zu geben, weniger entlang der pakistanischen Grenze. Das Ausmaß dieser Kämpfe läßt sich schwer beurteilen. In vielen Gebieten ist die Einbringung der Ernte gefährdet; die Nomaden sehen ihre Lebensgrundlage bedroht, da ihre Wanderungen zu unkontrollierbar für die Regierung sind, als daß sie sie erlauben könnte. Aber wenn sie nicht wandern, um der glühenden Hitze zu entgehen, verenden ihre Herden.

Jetzt aber sitzen die Flüchtlinge entlang der pakistanischen Grenze in ihren weißen Armeezelten, die im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt sind. Krankheiten und Seuchen drohen, die Flüchtlinge reden über den Islam, vergangene Schlachten, besinnen sich auf ihr Heldentum. Die Paschtunenmänner gestatteten ihren Frauen, sich in der Nähe des Dorfes frei zu bewegen, da sie als arme Männer ihre Arbeitskraft brauchen. Da es aber in den Lagern keine Arbeit gibt, brauchen sie ihre Arbeitskraft nicht. Und überall sind Männer, die ihre Frauen ansehen können, sie verführen können und ihnen so Schande bringen können. Deshalb sperren sie Ihre Frauen in die Zelte ein; enge heiße Gefängnisse ohne Waschgelegenheiten. Die Paschtunenmänner prahlen sogar damit, daß ihre Frauen nicht einmal ein Arzt zu sehen bekommt. Dies geschehe wegen der Ehre, ihrer Ehre als Männer und der Ehre des Islam. [44] An der Lage der Frauen in den Zelten kann man das genaue Ausmaß des Scheiterns der PDPA ermessen.

Natürlich könnte man die Politik der PDPA entschuldigen. Man könnte sagen, daß der Putsch die Antwort auf die mörderische Unterdrückung sei, daß die Rebellen vom CIA unterstützt würden, daß ohne die russische Invasion die PDPA beseitigt und durch ein übles rechtes Regime ersetzt worden wäre. Dies alles hat natürlich etwas für sich. Man könnte sogar noch weitergehen und Folterungen und Bombardierungen von Dörfern als „Irrtümer“ und „Auswüchse“ bezeichnen. Aber diese „Irrtümer“ und „Auswüchse“ ergaben sich mit grimmiger Logik aus dem von der PDPA eingeschlagenen Weg, nachdem sie sich einmal für den Offiziersputsch entschieden hatte.

Die PDPA sah sich einem Volk mit reaktionärer und anti-imperialistischer muslimischer Tradition gegenüber, und sie kannte diese Tradition. Sie wußte, daß ihr Volk in einem Sumpf von Armut, Verbitterung, Klassenhaß, ethnischen Rivalitäten, männlichem Chauvinismus, Anti-Imperialismus, sexuellem Neid und Hunger gefangen war. Die Aufgabe war, das Volk aus diesem Sumpf zu befreien. Dies wäre nur möglich gewesen in einem Jahre dauernden Kampf gegen den Staat, durch Unterstützung von Frauendemonstrationen, durch Unterstützung sich befreiender ethnischer Gruppen, durch Unterstützung von Streiks, so daß sich die Menschen allmählich von den reaktionären Bestandteilen ihrer Lebensumstände hätten lösen können. Ein derartiger langer Marsch, hätte für die meisten der afghanischen Linken den Tod bedeutet. Und es wäre eine Arbeit enttäuschter Erwartungen: denn das Land steckte so tief im Feudalismus, daß es nach einer Revolution schrie und die feudalen Verhältnisse machten gleichzeitig diese Revolution unmöglich. So muß es der PDPA als höchst utopisch erschienen sein, sich den Mühsalen dieses Weges zu unterziehen, wenn ein Putsch von Armeeoffizieren möglich war. Aber die Folgen des Putsches waren derart, daß das afghanische Volk nur noch tiefer in den reaktionören Sumpf gestoßen wurde. Die Bauern und die städtischen Klassen wurden noch mehr in die Arme des Islam und der Reaktion getrieben. Hätte die afghanische KP vorausgesehen, daß sie zu Verkündern und Kerkermeistern des „Kampfhubschrauber-Sozialismus“ würde, hätte sie diesen Weg nicht eingeschlagen. Nun befindet sie sich auf diesem Weg und ihre Überlebenden sind geradezu besessen von dem Glauben, es sei der richtige Weg.

 

 

Die Lehren

Welche Lehren kann die westliche Linke aus der afghanischen Tragödie ziehen? Welche Haltung sollen wir gegenüber den Russen einnehmen?

1. Hinter dem Rücken eines Volkes kann man keinen Sozialismus aufbauen. Entweder wird der Sozialismus mit dem Volk oder gegen das Volk aufgebaut. Sozialismus mit dem Volk aufbauen heißt aber, die Unterstützung des Volkes gewinnen. Sozialismus gegen das Volk aufbauen heißt Krieg gegen die Bevölkerung: das Ergebnis ist dann in keinem Fall Sozialismus, sondern ein Polizeistaat.

2. Wir müssen gegen die russische Invasion sein. Die Invasion hat afghanische Rechte vereinigt; sie hat jede Basis, die die afghanische Linke im Volk gehabt haben mag, zerstört. Dem afghanischen Volk hat sie eine Katastrophe gebracht; sie hat die Linke In Pakistan und im Iran zurückgeworfen. Auch hier wird einem die Invasion vorgehalten. In Ländern, die den Kämpfen näher sind, wurde durch sie der Sozialismus zu etwas das mit Panzern zu tun hat.

3. Unsere Haltung gegenüber den Rebellen?

Ihre Führer sind ganz eindeutig Rechte. Es sind fromme Kleriker In sauberen, gebügelten Kleidern, wohlgenährte Großgrundbesitzer, die mit Patronengurten über die Schultern herumlaufen, westlich erzogene Karrieristen mit der Unterstützung des CIA. Sie repräsentieren nicht das Volk, das sie zu führen beanspruchen, und das Volk weiß dies. Falls sie je in einem „Freien Afghanistan“ an der Macht wären, wären sie untereinander unheilbar zerstritten, vereint nur in ihrer Verachtung gegen die Armen. Unter dem Druck von ethnischem Separatismus und islamischem Utopismus würde dieser Staat viel schneller auseinanderbrechen, als es heute schon der Fall ist.

Wir sollten auch nicht zu viele Illusionen über das Volk haben, die „Moujahedin“; sie waren schon vorher religiöse Fanatiker und sind jetzt noch schlimmer. Ihre Vorstellungen sind nicht schnell oder leicht zu ändern. Sie sind mutige Frelheitskämpfer, die ihr Leben für den Kampf gegen den Imperialismus aufs Spiel setzen. Sie sind aber such arme Männer, die für ein System kämpfen, das die Armen immer mißbraucht und erniedrigt hat.

Auch wenn wir uns die Herrschenden ansehen, erscheint die Lage aussichtslos. Die Überreste der PDPA sind gezwungenermaßen die Marionetten der Russen, anders können sie nicht überleben. Es sind nicht mehr viele übrig, und auch sie werden immer weniger. Diejenigen, die weiter in einem russischen Satellitenstaat herrschen wollen, werden ausgewechselt werden und verschwinden. Wir kennen das aus der Vergangenheit. Die ausgedünnten Reihen der Kader werden durch Karrieristen, Bürokraten und Leute, die Geld brauchen, aufgefüllt werden. Auch das kennen wir aus der Vergangenheit.

Ich selbst, wäre ich ein Afghane, würde in den Straßen demonstrieren oder an Sehe der Rebellen in den Bergen kämpfen. Ohne die Vertreibung der Russen, sehe ich für die afghanische Linke keinen Ausweg aus der Sackgasse. Und das heißt, für sie muß man kämpfen. Wenn nur irgendein bedeutender Teil der Linken an der Seite der Rebellen kämpfen würde, würde dies der Linken Glaubwürdigkeit genug, geben, weiterzuarbeiten. Genauso wie die iranische Linke heute glaubwürdig ist, wegen ihres langen Kampfes gegen den Schah.

Im Augenblick scheint es eine solche Linke nicht zu geben. Sicherlich sind einzelne aus der „Volk“-Gruppe zu den Rebellen übergelaufen, und es gibt sicher dort auch kleine maoistische Gruppen. Aber sie scheinen im Augenblick in keiner Weise bedeutsam zu sein, und durch das Schreiben von Artikeln kann ich diese Linke auch nicht heraufbeschwören. Letztendlich wird diese Linke wohl nur unter dem Einfluß der iranischen, pakistanischen oder russischen Arbeiterklasse zustande kommen.

Wir in Europa können nur so argumentieren, daß das afghanische Regime gestürzt werden muß, wenn irgend ein Fortschritt möglich sein soll, und daß die Russen vertrieben werden müssen. Und wir sollten offenbleiben für jene Afghanen, Iraner und Pakistani, die auch nur ein vages Interesse haben mit uns zu diskutieren.

Die afghanische Tragödie gibt uns aber auch die Möglichkeit unsere eigene Politik zu klären. Es ist kein Geheimnis, daß lange Zeit etwas wirklich falsch war in der Politik der internationalen Linken. Am allerwenigsten aber ist dies ein Geheimnis in der internationalen Arbeiterklasse: Denn wir haben zu lange unwidersprochen die Behauptung hingenommen, es könne Arbeiterdemokratie geben ohne freie Wahlen am Arbeitsplatz. Haufenweise wurden einseitige Beweisführungen dafür hervorgebracht und viele von uns haben dies hingenommen. Für einige ist Demokratie Schmuckwerk, Rußland ist etwas besonderes, die Vietnamesen haben ihre ganz eigenen Probleme usw. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die Verwirrung ist einfach zu lösen: Niemand kann ein anderes Volk befreien, weder durch Erziehung noch durch Staatsmacht, noch durch Putsche und amtliche Dekrete. Wir sind unsere eigenen Befreier.

Es ist höchste Zeit, daß wir in der internationalen Linken uns einige Dinge klarmachen. Denn wenn wir wissen wollen, wie weit wir es drei Generationen nach der bolschewistischen Revolution gebracht haben: sehen wir auf Afghanistan.

 

 

Anmerkungen:

1. Fred Halliday, “Revolution in Afghanistan”, New Left Review, Nr.112, S.3-44 (1978) und New Left Review, Nr.119, S.20-41.

2. Gerard Chaliand, Artikel in New Statesman 12 und 19 von Dezember 1960 und in New York Review of Books, 2.4.1981.

3. Dies ist eine Verallgemeinerung. Dupree meint in den American Universities Field Staff Reports, No.23, 1960, daß eine Hälfte für Feudalherr und Anteilspächter die gewöhnlichere Verteilung war, und daß der Anteilspächter oft betrog, um seinen Anteil zu vergrößern. Ich glaube schon, daß er betrog, bezweifele aber, daß sein Anteil gewöhnlich die Hälfte der Ernte ist. Wie dem euch sei: die tatsächlichen Abmachungen über des Land waren höchst kompliziert und unterschieden sich sehr voneinander. Was aber überall zutraf war, daß der Pächter kaum genug zum Leben hatte.

4. Dies ist eine annähernde Angabe. Es gibt keine genaue afghanische Zählung, geschweige denn eine politisch bedeutsamere Aufstellung des Besitzern an Grundeigentum. Mehr noch, die Statistiken über den individuellen Landbesitz verschleiern die politisch wichtigere Tatsache des Familienbesitzes.

5. Robert Leroy Canfield, “Faction and Conversation in a Plural Society: Religious Alignments in the Hindu Kush”, in Anthropological Papers, Museum of Anthropology, University of Michigan, Nr.50.

6. Dies stützt sich auf meine eigenen Untersuchungen in den Jahren 1971-73, die z.T. in meinem gerade herauskommenden Buch Poverty and Sexual Politics in Afghanistan beschrieben werden.

7. Beispiele kann man finden in a) Asger Christensen, “The Pushtuns of Kunar: Tribe, Class und Community Organization”, in Afghanistan Journal (Graz, Österreich) 7,3 S.79-92 (1980), b) Artikel in Jon W. Anderson u. Richard F. Strand (Hrsg.) “Ethnic Process and Intergroup Relations in Contemporarv Afghanistan”. Occasional Papers of the Afghanistan Council of Asia Society, Nr.15, New York 1978, hier besonders die Artikel von Strand und Bartield; c) Nancy Tapper, “Marriage and Social Organization among Durrani Pushtuns in Northern Afghanistan”, unveröffentlichte Dissertation, University of London, 1979.

8. Die folgende Darstellung der Geschlechterbeziehungen ist am speziellen Beispiel paschtunischer Nomaden entwickelt in Neale: Poverty ... (siehe Anm. 6) Eine ähnliche Situation bei den Nomaden und Bauern im Norden Afghanistans ist bei Tapper, a.a.O. noch ausführlicher beschrieben. Canfield (a.a.O.) beschreibt genau dasselbe bei den Völkern in den Bergen des Hesarajat. Ebenso Inger W. Boesen, “Woman, Honour and Love: Some Aspects of the Pushtun Woman’s Life in Eastern Afghanistan”, in Afghanistan Journal, 7,2, S.50-59, 1980 über die Frauen In den Dörfern des östlichen Afghanistan.

9. Canfield (a.a.O.) beschreibt sehr gut die Spannungen innerhalb der Familie und zwischen Nachbarn

10. Die erhebliche Bedeutung der verschiedenen Einkommen zu diesem Zeitpunkt ist im Detail beschrieben bei Mountstuart Elphinstone, An Account of the Kingdom of Caubul, Bd.2, Karatschi, 1972, Nachdruck der Ausgabe von 1839.

11. Dies ist meine Interpretation der Verhandlungen. Sie waren sehr lange Gegenstand einer Kontroverse. Eine Zusammenfassung gibt John William Kaye, History of the War in Afghanistan, 4. Ausgabe, Bd.1, London 1978, S.166-210.

12. J.A. Norris, The First Afghan War, 1838-1842, Cambridge 1967, Kapitel 14.

13. Siehe dazu die Artikel von M.E. Yapp über den ernten afghanischen Krieg in Bulletin of the School of Oriental and African Studies, London, Bde.62, 63, 64 (1962-1964), bes. Bd.64.

14. Zu dieser Darstellung kommt man, wenn man vorsichtig die Arbeit von Hassan Kekar, “The Consolidation of Central Authority in Afghanistan under Abd Al-Rahmen 1880-1896” liest. Dissertation, School of Orientel and African Studios, University of London, 1968, später veröffentlicht in Kabul 1971.

15. S. Mohammed, The Life of the Amir Abdul Rahman, London 1900.

16. Leon Poullada meint in Reform and Rebellion in Afghanistan, 1919-1929, Ithaca (New York) 1973, ziemlich überzeugend, daß es in dem Krieg mehr um die Macht der Stämme als um die Reformen ging. Er läßt aber die symbolische Bedeutung der Reformen außer acht.

17. Tapper (a.a.O.) diskutiert dies detailliert bei den Beziehungen zwischen den Völkern des Nord-Westens, ebenso Neale (a.a.O.)

18. Ich kann nicht beweisen, woher das Geld und die Waffen kamen, aber ich bin mir sicher. Das vielsagendste Zeugnis ist vielleicht, daß der Bruder von Nadir in seinen Memoiren nie sagt, woher Waffen und Geld kamen, Siehe Shah Wall, My Memoirs, Kabul 1970.

19. Und natürlich auch ansehnliche Hilfe der Achsenmächte: Deutschland, Japan, Italien. Siehe Louis Dupree, Afghanistan, 1960, Princeton.

20. Diesen Ausdruck gebraucht Dupree.

21. Dieses Beispiel stammt aus meinen eignen Untersuchungen.

22. Für eine detailierte Darstellung eines Falles aus der Sicht des Feudalherren siehe M. Nazil Mohib Sharani, The Kirghiz and Wakhi of Afghanistan: Adaption to Closed Frontiers, Seattle 1979.

23. Maxwell J. Fry zählt sie in The Afghan Economy, Leiden 1974, auch alle auf. Ich persönlich find Fry’s Ökonomie etwas merkwürdig, aber ich bin auf keine genauere Darstellung der Fehler der Afghanischen Wirtschaft unter Zahir Shah gestoßen.

24. Fry ist meines Wissens der einzige, der diese augenfällige Tatsache euch in seinen Schriften betont. So etwas diskutieren Ökonomen nur untereinander, nicht öffentlich.

25. Die Darstellung der Studentenbewegung gründet sich auf meiner eigenen Untersuchung in den Jahren 1971-73.

26. Eine gute Darstellung von Dauds Putsch und dessen Hintergrund gibt MIke Barry, Afghanistan, Paris 1974 (in französisch), S.166-183. Siehe auch Dupree, Afghanistan, Epilog.

27. Ober die Parteien mehr bei Halliday, 1978 und Dupree, Afghanistan

28. Wieder meine eigene Untersuchung.

29. Oder so ähnlich wurde es mir erzählt.

30. Diese ziemlich überzeugende Folgerung ist von Halliday, 1978, S.31/32.

31. Seit 1978 gibt es ein Problem mit den Nachrichtenquellen, auf das wir jetzt spätestens zu sprechen kommen sollten. Reporter sind meistens nicht ins Land gelassen worden, und jene, die hineinkamen, verstanden entweder die Sprache oder die Leute oder beide nicht. Die afghanischen Regierungsmeldungen sind Lügen, genauso wie die Verlautbarungen der Rebellen oder die meisten CIA-Quellen die an Journalisten weitergegeben werden. Wie dieser Nebel der Desinformation zustande kommt, beschreibt Philip Jacobsen, “How they feed the Afghan Newshounds”, Sunday Times, London, 27 JuIy 1980. Den größten Teil der westlichen Berichterstattung findet man im vierteljährlichen Afghanistan Council Newsletter, der von der Asia Society, 112 East 64th Street, New York NY 10021, herausgegeben wird. Einige Vorgänge kann man nach diesen Berichten rekonstruieren, wenn man sie sehr sorgfältig liest und die Quellen gegeneinander ebenso sorgfältig abwägt. Eine bessere Quelle ist die Reihe von Louis Dupree’s American University Field Staff Reports, die mehrmals im Jahr erscheinen. Dupree ist die führende wissenschaftliche Autorität in Sachen Afghanistan. Er kennt dort viele Leute und hat 20 Jahre in Afghanistan gelebt. Seine Berichte müssen zwar nicht nach Lügen hin untersucht werden, aber man sollte doch auf Vorurteile und gewisse politische Naivitäten echten. (So meint er z.B., daß Afghanistan ein egalitäres Land ist.) Eine andere verläßliche Quelle ist die Pariser Tageszeitung Le Monde, wenn die Berichte von bestimmten Korrespondenten stammen, die das Land kennen. Die folgende Darstellung basiert auf all diesen Quellen, die ich gegeneinander abgewogen habe. Ich habe versucht, mir ein Bild zu machen von dem, was passiert ist und meine, daß es im großen und ganzen korrekt ist. Einzelheiten können aber dennoch fehlerhaft sein.

32. Für eine Beschreibung dieser Stimme In den 70er jahren siehe Akbar S. Ahmed, Pushtun Economy and Society, London 1979.

33. Interessanterweise brachen die ersten Rebellionen In Nuristan und Pakhtia aus, Gebiete, die auch unter der jüngst gestürzten Monarchie am aufrührerischsten waren.

34. Eine Beschreibung über die Ausführung dieser Reformen siehe bei Halliday, 1980 und Dupree, Reports, 1980, Nr.23.

35. Halliday, 1980, irrt sich hier. Dupree beschreibt in seinen Reports von 1980, Nr.28 und 29 einige Repressionsaktionen der Polizei.

36. Ich habe mich hier nicht detailliert mit den Gründen der russischen Invasion befaßt. Das hat bereits sehr anschaulich Hillel Ticktin In “The Afghan War and the Crisis in the USSR”, Critique, Glasgow Nr.12, S.13-26, 1980 getan. In einer nicht sehr überzeugenden Diskussion dieser Gründe macht Dupree den wichtigen Hinweis, daß mindestens den russischen Militärs die Invasion gelegen kam, da sie seit dem Ende des 2. Weltkrieges keinerlei militärische „Praxis“ hatten, während Amerika und seine Nato-Partner beträchtliche Erfahrungen, vor allem im Guerillakrieg sammeln konnten, die UdSSR aber auf diesem wichtigen Gebiet über keinerlei Praxis verfügt. Siehe Reports, 1980, Nr.37.

37. Eine nüchterne Darstellung der militärischen Situation kann man bei Gerard Chaliand, “Bargain War”, The New York Review of Books, April 2, 1981, S.31-32, finden. Ich glaube, er unterschätzt aber das jüngste Ausmaß des Widerstandes im Norden.

38. Afghan Exodus, produziert von Andre Singer, Grenada Television International, London and New York, colour videocasette, 1980. Siehe auch Mike Barrys Berichte in Le Monde im Sommer 1960.

39. Die folgenden geopolitischen Überlegungen basieren auf „Quellen“ und meiner eigenen Interpretation von wahrscheinlichen Motiven unbestreitbarer Handlungen.

40. Die Flugzeugentführung nach Kabul mag wenigstens bedeuten, daß einige Teile der Bhutto-Partei PPP Karmal bereits einen Handel versprochen haben.

41. Siehe hierzu noch einmal Duprees Darstellung, Reports, 1980, Nr.28 u. 29, und Halliday, 1980.

42. Zur Situation der Flüchtlinge siehe Afghan Exodus und den Newsletter des Afghan Refugee Information Network, London, Nr.1 bis 5.

43. Afghan Exodus. Siehe auch die Artikelreihe über die Flüchtlinge in RAIN, the Royal Anthropological Institute Newsletter, London 1980.

44. Ebenda.

 


Zuletzt aktualisiert am 21.12.2001