John Molyneux

 

Marxismus und die Partei

 

4. Rosa Luxemburgs alternative Ansicht

 

Lenins Theorie der Partei hat viele Kritiker und Gegner von außerhalb und von innerhalb der Arbeiterbewegung gehabt, aber ihre wichtigste Kritikerin und die redegewandteste Befürworterin eine Alternativen Ansicht über die Partei, die auch eine revolutionäre Sozialistin war, war Rosa Luxemburg.

 

1. Polemiken gegen Lenin – die Spontaneität der Massen

Rosa Luxemburg war eine polnische Revolutionärin, die die wichtigsten Jahre ihres Lebens als theoretische Führerin des äußerst linken Flügels der deutschen Sozialdemokratie verbrachte. Im Jahre 1899 trat sie mit ihrer Broschüre Sozialreform oder Revolution? als die Hauptgegnerin des Bernsteinschen Revisionismus hervor, und danach erkannte sie zunehmend die Trägheit und den Konservatismus des kautskyanischen Zentrums und kämpfte dagegen. Aber es war ihr aufmerksames Interesse an der Entwicklung der russischen sozialistischen Bewegung [1], das sie dazu führte, die eigene unverwechselbare [charakteristische] Ansicht über die Rolle der revolutionären Partei und sein Verhältnis mit der Arbeiterklasse zu formulieren. Besorgt über die 1903er Spaltung der russischen Partei und über das, was sie als Lenins „Ultrazentralismus“ betrachtete, ließ sie sich auf eine Diskussion mit Lenin in einer berühmten Broschüre ein, die 1904 geschrieben und unter dem Titel Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie veröffentlicht wurde. [2]

In diesem Werk fängt sie an, wie eine Marxistin anfangen sollte, indem sie das Problem der Parteiorganisation fest im Zusammenhang der besonderen Aufgaben und Problem erörtert, vor denen die proletarische Bewegung als Ganzes in Rußland stand. Weil, argumentiert sie, Rußland noch nicht eine bürgerliche Revolution errungen hat und immer noch unter der Herrschaft einer absoluten Monarchie leidet, hat das Proletariat nicht den Vorteil der politischen Bildung und Organisation gehabt, die eine Periode der bürgerlichen Demokratie unvermeidlich mit sich bringt. In Rußland deshalb, schreibt sie,

ist der Sozialdemokratie die Aufgabe zugefallen, einen Abschnitt des historischen Prozesses durch bewußtes Eingreifen zu ersetzen und das Proletariat direkt aus der politischen Atomisierung, die die Grundlage des absoluten Regimes bildet, zur höchsten Form der Organisation – als zielbewußt kämpfende Klasse zu führen. Die Organisationsfrage ist somit für die russische Sozialdemokratie besonders schwierig, nicht bloß, weil sie sie ohne alle formalen Handhaben der bürgerlichen Demokratie, sondern, vor allem, weil sie sie gewissermaßen wie der liebe Herrgott „aus nichts“, in der leeren Luft, ohne das politische Rohmaterial, das sonst von der bürgerlichen Gesellschaft vorbereitet wird, erschaffen soll. [3]

In diesem Zusammenhang eines Kampfs gegen die zersplitterten Klubs und lokalen Gruppen, die für die vorherige Periode in Rußland charakteristische waren, findet sei es „naturgemäß“, daß „die Losung der neuen Phase, des vorbereiteten großen Organisationswerkes: Zentralismus“ [4] sein sollte.

Aber, warnt sie, „der Zentralismus ist ein Schlagwort, das den historischen Inhalt, die Eigentümlichkeiten des sozialdemokratischen Organisationstypus nicht entfernt erschöpft ...“ [5] Denn, obwohl „es keinem Zweifel unterliegt, daß der Sozialdemokratie im allgemeinen ein starker zentralistischer Zug innewohnt (erwachsen aus dem wirtschaftlichen Boden des seinen Tendenzen nach zentralistischer Kapitalismus)“, [6] kann man ihn zu einem Punkt tragen, wo sie die die ungehinderte Entwicklung und Initiative der Arbeiterklasse selbst hindert.

Die sozialdemokratische Bewegung ist die erste in der Geschichte der Klassengesellschaften, die in allen ihren Momenten, im ganzen Verlauf auf die Organisation und die selbständige direkte Aktion der Masse berechnet ist.

In dieser Beziehung schafft die Sozialdemokratie einen ganz anderen Organisationstypus als die früheren sozialistischen Bewegungen, zum Beispiel die des jakobinisch-blanquistischen Typus. [7]

Weil das Proletariat sein Klassenbewußtsein und seine Organisation im Verlauf des Kampfs lernt und entwickelt,

gibt es ... keine fertige im voraus festgesetzte detaillierte Kampftaktik, in die die sozialdemokratische Mitgliedschaft von einem Zentralkomitee eingedrillt werden könnte. [8]

Daraus ergibt sich schon, daß die sozialdemokratische Zentralisation nicht auf blindem Gehorsam, nicht auf der mechanischen Unterordnung der Parteikämpfer unter ihre Zentralgewalt basieren kann und daß andererseits zwischen dem bereits in feste Parteikader organisierten Kern des klassenbewußten Proletariats und der vom Klassenkampf bereits ergriffenen, im Prozeß der Klassenaufklärung befindlichen umliegenden Schicht nie eine absolute Scheidewand aufgerichtet werden kann. [9]

Lenin, argumentiert Rosa Luxemburg, hat diesen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Organisation der Sozialdemokratie und der des Jakobinismus bzw. des Blanquismus vergessen oder versteht ihn nicht. Im Gegensatz zu Lenins Spruch, daß der revolutionäre Sozialdemokrat nichts anderes ist als ein „mit der Organisation des klassenbewußten Proletariats unzertrennlich verbundene Jakobiner“, [10] schreibt sie: „Tatsächlich ist die Sozialdemokratie aber nicht mit der Organisation der Arbeiter verbunden, sondern sie ist die eigene Bewegung der Arbeiterklasse.“ [Hervorhebung im Originaltext] [11] Deshalb muß sie um jeden Preis nicht durch eine ultrazentralisierte und disziplinierte Organisationsform in eine Zwangsjacke eingesteckt werden, sondern man muß ihr Entwicklungfreiraum erlauben. Die großen Fortschritte der Bewegung, was Taktik und Kampfmethoden betrifft, werden nicht von Führern bzw. einem Zentralkomitee erfunden, sondern sind das „spontane Produkt der entfesselten Bewegung selbst“. [12]

Auch hier geht das Unbewußte vor dem Bewußten, die Logik des objektiven historischen Prozesses vor der subjektiven Logik seiner Träger. Die Rolle der sozialdemokratischen Leitung ist dabei wesentlich konservativen Charakters ... [13]

Für Luxemburg war Lenins Versäumnis dabei, diese konservative Tendenz zu verstehen, besonders gefährlich unter russischen Bedingungen, wo die proletarische Organisation jung und immer noch nicht in ihrer politischen Bildung gereift war.

In solchen Zeiten ... der Initiative des Parteigeistes Fußangeln anlegen und ihre ruckweise Expansionsfähigkeit mit Stacheldrahtzaun eindämmen zu wollen hieße die Sozialdemokratie von vornherein für die großen Aufgaben des Moments in hohem Maße ungeeignet machen. [14]

Tatsächlich liefert nichts eine noch junge Arbeiterbewegung den Herrschaftgelüsten der Akademiker so leicht und so sicher aus wie die Einzwängung der Bewegung in den Panzer eines bürokratischen Zentralismus, der die kämpfende Arbeiterschaft zum gefügigen Werkzeug eines „Komitees“ herabwürdigt. [15]

Zusätzlich zu diesen allgemeinen Warnungen vor den Gefahren des Leninschen „Ultrazentralismus“ greift sie auch die Frage des Parteistatuts und des Opportunismus auf. Sie widerspiegelt die Argumente von Trotzki (s. Kap. 2 oben) und verwirft „die Auffassung ..., den Opportunismus durch ein Organisationsstatut von der Arbeiterbewegung fernzuhalten ...“ [16] Der Opportunismus ist ein historisches Produkt und eine unvermeidliche Phase der Bewegung. Sie besteht darauf: „... es ist eine naive Illusion, sich einzubilden, daß man durch diese oder andere Fassung der Paragraphen des Parteistatuts diese anstürmende Welle zurückdämmen könnte.“ [17]

Am Schluß ihrer Kritik der Leninschen Organisationsthesen kehrt Luxemburg zu ihrem Anfangspunkt zurück und erörtert den Streit in der ganzen Entwicklung des Klassenkampfs in Rußland mit einer gewandten und denkwürdigen Passage.

In diesem ängstlichen Bestreben eines Teiles der russischen Sozialdemokratie, die so hoffnungsvoll und lebensfreudig aufstrebende russische Arbeiterbewegung durch die Vormundschaft eines allwissenden und allgegenwärtigen Zentralkomitee vor Fehltritten zu bewahren, scheint uns übrigens derselbe Subjektivismus mitzureden, der schon öfters dem sozialistischen Gedanken in Rußland einen Possen gespielt hat. Drollig sind fürwahr die Kapriolen, die das verehrte menschliche Subjekt der Geschichte in dem eigenen geschichtlichen Prozeß mitunter auszuführen beliebt. Das von dem russischen Absolutismus ekrasierte, zermalmte Ich nimmt dadurch Revanche, daß es sich selbst in seiner revolutionären Gedankenwelt auf den Thron setzt und sich für allmächtig erklärt – als ein Verschwörerkomitee im Namen eines nichtexistierenden „Volkswillens“. Das „Objekt“ zeigt sich aber stärker, die Knute triumphiert bald, indem sie sich als der „legitime“ Ausdruck des gegebenen Stadiums des geschichtlichen Prozesses erweist. Endlich erscheint auf der Bildfläche als ein noch legitimeres Kind des Geschichtsprozesses – die russische Arbeiterbewegung, die den schönsten Anlauf nimmt, zum erstenmal in der russischen Geschichte nun wirklich einen Volkswillen zu schaffen. Jetzt aber stellt sich das „Ich“ des russischen Revolutionärs schleunigst auf den Kopf und erklärt sich wieder einmal für einen allmächtigen Lenker der Geschichte – diesmal in der höchsteigenen Majestät eines Zentralkomitees der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Der kühne Akrobat übersieht dabei, daß das einzige Subjekt, dem jetzt diese Rolle des Lenkers zugefallen, das Massen-Ich der Arbeiterklasse ist, das sich partout darauf versteift, eigene Fehler machen und selbst historische Dialektik lernen zu dürfen. Und schließlich sagen wir doch unter uns offen heraus: Fehltritte, die eine wirklich revolutionäre Arbeiterbewegung begeht, sind geschichtlich unermeßlich fruchtbarer und wertvoller als die Unfehlbarkeit des allerbesten „Zentralkomitees“. [18]

So war für Luxemburg Lenins ganzer Organisationsplan eine subjektivistische bzw. voluntaristische (philosophisch gesehen, idealistische) Abweichung von einem historisch materialistischen Ansatz, die durch die Kombination einer unreifen proletarischen Bewegung und der riesigen vor ihr stehenden Aufgaben. Gegen Lenins Betonung auf der Rolle der Partei und ihrer Führung betonte sie die potentiell konservative Rolle einer solchen Körperschaft und stellte sie der revolutionären Spontaneität der Massen im Kampf gegenüber.

Rosa Luxemburg entwickelte diese Themen weiter in ihrer Broschüre Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, die 1906 geschrieben wurde, um der deutschen Arbeiterklasse die Bedeutung der Ereignisse des vorigen Jahres in Rußland zu erklären. Sie zeigt, wie viele der Ideen die theoretisch und allgemein im Werk Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie zur konkreten Realität in der gewaltigen revolutionären Umwälzung wurden, die Rußland im Jahre 1905 war. Vor allem ist sie eine Verherrlichung der Initiative und der Kühnheit, womit die Arbeiterklasse Lösungen zu Problemen findet, die für die Theoretiker seit Jahrzehnten Rätsel waren.

Das Jahr 1905, zeigte Luxemburg, war bloß die Zuspitzung von fünf Jahren von Aufruhr, wo Rußland ständig mit Massenstreiks in Flammen stand. Diese Streiks waren der äußere Ausdruck der inneren Reifung der Revolution selbst. Oft begannen sie ohne Vorbereitung oder sogar eine Streikkasse, und im Gegensatz zu allen früheren Schemen waren sie nicht eine Folge der gewerkschaftlichen Organisation, sondern eher davor kamen und ihr einen heftigen Anstoß gaben. Oft auch war die unmittelbare Ursache eine kleinere Beschwerde; der Massenstreik von Januar 1905 in St. Petersburg, der zum Marsch auf den Winterpalast führte, begann über die Entlassung von zwei Männern beim Putilow-Werk. Was all diese Aktionen vereinigte, war ihre Spontaneität. Sie hatten keinen im voraus bestimmten Plan und wurden nicht von einer Partei oder Körperschaft von Führern aufgerufen, sie waren nur deswegen möglich, weil die Revolution selbst vorher unerhörte Initiative, Mut und Selbstaufopferung in den Massen entfesselt hatte. Ein Versuch des Zentralkomitees der SDAPR, bemerkte Luxemburg, gegen Ende der Bewegung, einen Massenstreik über die Eröffnung der Duma aufzurufen, scheiterte kläglich.

Auch zentral zu Luxemburgs Kritik der etablierten Vorstellung des Klassenkampfs war ihr Angriff auf die mechanische Trennung der ökonomischen und der politischen Kämpfe (eine Dichotomie, die im Was tun? deutlich vorhanden war). Die russischen Arbeiter hatten sich auch nicht mit diesen Kategorien gedeckt.

Allein die Bewegung im ganzen geht nicht bloß nach der Richtung vom ökonomischen zum politischen Kampf, sondern auch umgekehrt. Jede von den großen politischen Massenaktionen schlägt, nachdem sie ihren politischen Höhepunkt erreicht hat, in einem ganzen Wust ökonomischer Streiks um. Und dies bezieht sich wieder nicht bloß auf jeden einzelnen von den großen Massenstreiks, sondern auch auf die Revolution im ganzen. Mit der Verbreitung, Klärung und Potenzierung des politischen Kampfes tritt nicht bloß der ökonomische Kampf nicht zurück, sondern er verbreitet sich, organisiert sich und potenziert sich seinerseits in gleichem Schritt. Es besteht zwischen beiden eine völlige Wechselwirkung.

Jeder neuen Anlauf und neue Sieg des politischen Kampfes verwandelt sich in einen mächtigen Anstoß für den wirtschaftlichen Kampf ... Und umgekehrt. Der unaufhörliche ökonomische Kriegszustand der Arbeiter mit dem Kapital hält die Kampfenergie in allen politischen Pausen wach ...

Mit einem Wort: Der ökonomische Kampf ist das Fortleitende von einem politischen Knotenpunkt zum andern, der politische Kampf ist die periodische Befruchtung des Bodens für den ökonomischen Kampf. Ursache und Wirkung wechseln hier alle Augenblicke ihre Stellen, und so bilden das ökonomische und das politische Moment in der Massenstreikperiode, weit entfernt, sich reichlich zu scheiden oder gar auszuschließen, wie es das pedantische Schema will, vielmehr nur zwei ineinandergeschlungene Seiten des proletarischen Klassenkampfes in Rußland. [19]

Wie wir sehen kann paßt die Massenstreik-Broschüre ganz genau der Polemik gegen Lenin. Genau wie Lenins Organisationsplan subjektivistisch war, so sind diejenigen, die Massenstreiks planen wollen. Ihr Hauptthema in beiden Werken besteht darin, vor der Überschätzung der Fähigkeiten der Partei und besonders der Parteiführung zu warnen.

Ferner sind dabei der Initiative und der bewußten Leitung ganz bestimmte Schranken gesteckt. Gerade während der Revolution ist es für irgendein leitendes Organ der proletarischen Bewegung äußerst schwer, vorauszusehen und zu berechnen, welcher Anlaß und welche Momente zu Explosionen führen können und welche nicht. Auch hier besteht die Initiative und die Leitung nicht in dem Kommandieren aus freien Stücken, sondern in der möglichst geschickten Anpassung an die Situation und möglichst engen Fühlung mit den Stimmungen der Massen. [20]

Zwölf Jahre später kehrte Rosa Luxemburg zu den im wesentlichen selben Ideen, als in ihrem Werk Zur russischen Revolution sie die Bolschewiki für ihre Beschränkungen auf der Demokratie kritisierte.

Die stillschweigende Voraussetzung der Diktaturtheorie im Lenin-Trotzkischen Sinn ist, daß die sozialistische Umwälzung eine Sache sei, für die ein fertiges Rezept in der Tasche der Revolutionspartei liege, das dann nur mit Energie verwirklicht zu werden brauche. Dem ist leider – oder je nachdem: zum Glück – nicht so ... Das sozialistische Gesellschaftssystem soll und kann nur ein geschichtliches Produkt sein, geboren aus der eigenen Schule der Erfahrung, in der Stunde der Erfüllung, aus dem Werden der lebendigen Geschichte ... Die ganze Volksmasse muß daran teilnehmen. Sonst wird der Sozialismus vom grünen Tisch eines Dutzends Intellektueller dekretiert, oktroyiert. [21]

 

 

2. Die Rolle der Partei

Welche Schlußfolgerungen zog Rosa Luxemburg über die Rolle und Wesen der revolutionären Partei aus dieser leidenschaftlichen Betonung auf der Selbstaktivität und der Initiative der Arbeiterklasse, die ihre ganzes politisches Denken und Aktion dominierte? Um diese Frage zu antworten, ist es zuerst notwendig, über die Schlußfolgerungen klar zu sein, die sie nicht zog, denn sie so oft in dieser Hinsicht von Möchtegernanhänger sowie -kritiker falsch dargestellt worden ist.

Sie legte nicht, wie häufig behauptet worden ist, eine Theorie der rein spontanen Revolution dar, wo die revolutionäre Partei und politische Führung belanglos sind. Das ist leicht zu beweisen, denn ihre ganze politische Karriere und fast alles, was sie schrieb, zeigen das Gegenteil. Von der Zeit, wo sie, kaum mehr als eine Schülerin, der polnische Partei Proletariat antrat, bis zum ende ihres Lebens war sie immer Mitglied einer Partei. Tatsächlich war die SDKPL, die von ihrem engen Genossen Leo Jogiches unter Bedingungen organisiert wurde, die sich denen in Rußland ähnelten, eine äußerst strenge, zentralisierte und verschwörerische Organisation. In Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie schrieb sie: „... Die Sozialdemokratie ist von Hause aus eine ausgesprochene Gegnerin jedes Partikularismus und nationalen Föderalismus ... Sie hat überall die natürliche Bestrebung, alle ... Gruppen der Arbeiterklasse zur einheitlichen Gesamtpartei zusammenzuschweißen ...“ [22]

Im Massenstreik widmete sie einen Teil der Broschüre dazu, die Notwendigkeit der gemeinsamen Aktion zwischen den Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei unter der allgemeinen Leitung der Partei zu argumentieren. [23] Nach 1914 und dem Zusammenbruch der Zweiten Internationale in den Chauvinismus, befürwortete Luxemburg wie Lenin den Aufbau einer zentralisierten im Gegensatz zu einer föderalen [föderativen] Internationale. Am Ende der Junius-Broschüre schrieb sie im Anhang, Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie:

3. In der Internationale liegt der Schwerpunkt der Klassenorganisation des Proletariats. Die Internationale entscheidet über die Taktik der nationalen Sektionen im Frieden in bezug auf Fragen des Militarismus, der Kolonialpolitik, Handelspolitik, Maifeier, ferner über die gesamte im Kriege einhaltende Taktik.

4. Die Pflicht der Disziplin gegenüber den Beschlüssen der Internationale geht allen anderen Organisationen voran. Nationale Sektionen, die den Beschlüssen der Internationale im Kriege zuwiderhandeln, stellen sich dadurch außerhalb des internationalen Proletariats und entbinden ihre Mitglieder von allen Verpflichtungen sich gegenüber. [24]

Daraus ist es klar, daß Rosa Luxemburg ebensosehr wie Lenin die Notwendigkeit erkannte, daß die Arbeiter von einer revolutionären Partei geführt werden sollte. Es war in der Vorstellung, welche Art von Partei diese sein sollte und was ihre Aufgaben sein sollten, daß die Unterschiede mit Lenin lagen. Wegen ihres äußerstes Vertrauen an den Fähigkeiten der Arbeiter im Kampf betrachtete sie die Hauptaufgaben der Partei eher als Frage der politischen Führung im Gegensatz dazu, Aufrufe zur Aktion auszugeben und den eigentlichen Kampf zu organisieren. „Statt sich mit der technischen Seite, mit dem Mechanismus der Massenstreiks fremden Kopf zu zerbrechen, ist die Sozialdemokratie dazu berufen, die politische Leitung auch mitten in der Revolutionsperiode zu übernehmen.“ [25]

Im wesentlichen ist das eine propagandistische Vorstellung der Aufgaben der Partei und das hat Implikationen für den Grad des Zentralismus und der Disziplin, die von der Parteiorganisation verlangt werden. Die von Lenin geforderte strenge Disziplin war vor allem dazu, Einheit in der Aktion zu erringen. Eine Partei, die sich im allgemeinen auf Propaganda beschränkte, würde nicht ein solches strenge Regime brauchen. Das freie Spiel der Ideen wäre viel wichtiger. Eins der besten Beispiele des Unterschieds zwischen Luxemburg und Lenin in dieser Hinsicht ist der Gegensatz in ihrer Haltung zur Verwaltung und Routine der Partei. Lenin beteiligte sich immer intensiv an allen Details der Parteiorganisation, der Finanzen und der Organisation der Kongresse, aber Luxemburg beteiligte sich kaum an diesen Fragen, weder in der polnischen noch in der deutschen Partei. Ihr Biograph Nettl schreibt:

Zu irgendwelcher Zeit wurde eine formelle Entscheidung der Partei (seitens der SDPKL) beschlossen, daß sie sich überhaupt nicht um organisatorische Fragen kümmern sollte, daß sie überhaupt nicht an den offiziellen Konferenzen bzw. Kongressen teilnehmen sollte. [26]

Auch, weil ihre Gedanken viel mehr auf die Aufgabe der Propaganda konzentriert waren, besorgte sie viel weniger die Unterscheidung zwischen dem der Disziplin der Parteiorganisation untergeordneten Parteimitglied und den Anhänger bzw. Sympathisanten der Partei, die für Lenin so äußerst wichtig war, wie ihre Warnung vor der Aufrichtung „einer absoluten Scheidewand“ zwischen den Parteimitgliedern und der „umliegenden Schicht“ zeigte.

Daher sollte laut Luxemburg der Einfluß der Partei über das Proletariat hauptsächlich durch ihre Ideen, ihr Programm und ihre Parolen ausgeübt werden vielmehr als durch die Kraft ihrer Organisationen oder ihre Initiierung von Aktionen, während in Lenin diese beiden Elemente eher in einem Gleichgewicht standen.

Es ist wichtig diese Unterschiede zwischen Luxemburg und Lenin, obwohl sie wichtig sind, in Perspektive zu halten. Man hat versucht vorzuschlagen, daß Luxemburgs Abweichung von Lenin über das Wesen der Partei sie in irgendeiner grundsätzlichen Weise von der Hauptrichtung des revolutionären Marxismus im 20. Jahrhundert trennte – daß sie eine demokratische, fast liberale Version des Marxismus vertrat im Gegensatz zur diktatorischen Unnachgiebigkeit Lenins. Bertram D. Wolfe, einer der Hauptbefürworter dieser Ansicht, schreibt in seiner Einleitung zu The Russian Revolution and Marxism or Leninism?:

Obwohl sie [Lenin und Luxemburg] beide „revolutionäre“ Sozialisten benannt wurden, lagen wegen ihrer verschiedenen Veranlagungen sowie ihrer unterschiedlichen Haltungen zum Wesen der sozialistischen Führung und zur Initiative und Selbstaktivität der Arbeiterklasse Welten zwischen ihnen. [27]

Das Argument hier besteht darin, daß Luxemburgs Einwände gegen Lenins „Ultrazentralismus“ grundsätzlich waren, während ihre Übereinstimmung als revolutionäre Sozialisten etwas Zufälliges oder Oberflächliches war. aber diese ist eine grobe Verdrehung, die begangen wird, um Luxemburg im ideologischen Kampf des Kalten Kriegs anzuwerben. Es wird gerade im Dokument schlüssig widerlegt, das Wolfe als seinen Hauptbeweis vorlegt, d.h. in Zur russischen Revolution. [28]

Die Bolschewiki haben gezeigt, daß sie alles können, was eine echte revolutionäre Partei in den Grenzen der historischen Möglichkeiten zu leisten imstande ist ... In der letzten Periode ... ist das wichtigste Problem des Sozialismus ... nicht diese oder jene Detailfrage der Taktik, sondern: die Aktionsfähigkeit des Proletariats, die revolutionäre Tatkraft der Massen, der Wille zur Macht des Sozialismus überhaupt. In dieser Beziehung waren die Lenin und Trotzki mit ihren Freunden die ersten die dem Weltproletariat mit einem Beispiel vorangegangen sind, sie sind bis jetzt immer noch die einzigen, die mit Hutten ausrufen können: Ich hab’s gewagt!

Die ist das Wesentliche und Bleibende der Bolschewiki-Politik. In diesem Sinne bleibt ihnen das unsterbliche geschichtliche Verdienst, mit der Eroberung der politischen Gewalt und der praktischen Problemstellung der Verwirklichung des Sozialismus dem internationalen Proletariat vorangegangen zu sein und die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in der ganzen Welt mächtig vorangetrieben zu haben. In Rußland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Rußland gelöst werden, es kann nur international gelöst werden. Und in diesem Sinne gehört die Zukunft überall dem „Bolschewismus“. [29]

Außerdem leistete Rosa Luxemburg einige Monate, nachdem sie diese Worte geschrieben hatte, die konkreteste Form der praktischen Solidarität mit Lenin, indem sie sich an der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands beteiligte. [30]

Rosa Luxemburg war eine Denkerin von großem Format und Unabhängigkeit. Als solche gab es unvermeidlich Differenzen mit Lenin über viele theoretische und taktische Fragen; aber das, was sie mit Lenin teilte – totales Engagement für den revolutionären Marxismus und den internationalen Klassenkampf des Proletariats –, war viel grundsätzlicher. Sie debattierten miteinander heftig, sicherlich, aber innerhalb eines gemeinsamen Rahmens, und überhaupt nicht in der Weise, wie sie beide gegen Bernstein und den späteren Kautsky kämpften. Nur auf der Basis eines Verständnisses dieses gemeinsamen Rahmens, ihres gemeinsamen Anfangspunktes, kann man ihre Meinungsverschiedenheiten über das Wesen und die Rolle der Partei richtig begreifen und schätzen.

 

 

3. Der Hintergrund zu Luxemburgs Ansichten

Wenn es stimmt, wie wir argumentiert haben, daß Lenin und Luxemburg von den gleichen grundsätzlichen Voraussetzungen anfingen, wie denn kann man ihre sehr reellen Differenzen über die Frage der Partei erklären? Erklärungen, die sich auf Luxemburgs Veranlagung beziehen, bringen uns nicht sehr weit. Egal welche anlagebedingte Abneigung auch immer sie vielleicht gegen Lenins Methoden fühlte, war sie eine ausreichend disziplinierte Revolutionärin, so daß sie ihre persönlichen Gefühle hätte überwinden können, falls sie es für politisch notwendig gehalten hätte, genau wie Trotzki es 1917 machte. Noch weniger kann man sie irgendwelcher intellektuellen Schwäche ihrerseits zuschreiben, denn es gab sehr wenig Übertreibung dabei, als Franz Mehring sie beschrieb als den „genialsten Kopf, der bisher unter den wissenschaftlichen Erben von Marx und Engels hervorgetreten ist“. [31]

Die wirklichen Wurzeln der Differenzen zwischen Luxemburg und Lenin lagen in den unterschiedlichen Situationen, in denen sie arbeiteten. Obwohl Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie sowie Massenstreik die russische Arbeiterbewegung als Thema nahmen, ist es deutlich, daß Luxemburg sehr wohl mit einem Auge auf der deutschen Situation hatte und an die deutsche Erfahrung dachte. Im Massenstreik ist diese Orientierung ausdrücklich, aber auch im früheren Werk finden wir, daß, wenn sie ein konkretes Beispiel der Gefahren des Überzentralismus und der konservativen Tendenzen der Führung will, sie die deutsche Sozialdemokratie und ihre Anpassung zum Parlamentarismus zitiert. [32] Vor allem ist es die deutsche Situation, die ihre Vorstellung der Partei gestaltete; und die Bedingungen, die vor der deutschen und der russischen Arbeiterbewegung standen, hätten kaum unähnlicher sein können.

An erster Stelle, Tratte Luxemburg, als sie nach Deutschland kam, einer schon bestehenden Massenpartei – der größten und erfolgreichsten sozialistischen Partei, die die Welt je gesehen hatte – mit Hunderttausenden von Mitgliedern, Tausenden von lokalen Organisationen, etwa 80 Tageszeitungen und mehreren Jahrzehnten des Kampfes hinter sich bei. Lenin mußte aber eine Partei von Null auf aufbauen. Daher, während Lenin sehr ernst all die praktischen (und deshalb theoretischen) Probleme der Organisation, der Effizienz und des Professionalismus nehmen mußte, konnte Luxemburg das alle als Gegebenes annehmen. Genau wie die Partei sich organisieren sollte, war nie eine Frage innerhalb der SPD, und es gibt keine Beweise dafür, daß sie je überhaupt ernsthaft über Details der Organisation dachte. In dieser Hinsicht hätte der Gegensatz zu Lenin nicht vollständiger sein können.

An zweiter Stelle war die Tatsache daß die SPD und die mit ihr verbundenen Gewerkschaften schon eine fortgeschrittene Stufe der Bürokratisierung in einem Lande erreicht hatten, das das Vaterland der Bürokratie und der Ordnung war. Wie wir schon in dieser Studie bemerkt haben, unterhielt die deutsche Arbeiterbewegung eine riesige Schicht von privilegierten und sitzenden Funktionären, deren Parole „Organisation“ als ständige Ausrede dafür diente, Aktion zu vermeiden. Entweder war die Organisation noch nicht stark genug für Aktion, oder aber die Aktion würde die Organisationen gefährden. Dieses betrachtete Rosa Luxemburg deutlicher und früher als jeder andere Marxist, sicherlich lange vor Lenin, und sie reagierte gewaltig dagegen. Es war gerade deswegen, um durch diesen Morast des konservativen Funktionärentums [der konservativen Bürokratie] durchzubrechen, daß sie so stark die spontane Kreativität der Massen förderte.

Außerdem waren es gerade Spontaneität und Kampf, die in der deutschen Arbeiterbewegung fehlten. Das Niveau der Streiktätigkeit in der deutschen Arbeiterklasse während der ersten Jahre des Jahrhunderts war sehr niedrig. In den sechs Jahren 1900-1905 gab es durchschnittlich 1.171 Streiks pro Jahr, woran sich durchschnittlich 122.606 Streikende beteiligten (was heißt, daß durchschnittlich bloß 104 Streikenden an einem Streik teilnahmen). [33] Das steht im Gegensatz zu den Zahlen für Rußland, wo mit einer viel kleineren Arbeiterschaft es 87.000 Streikende im Jahre 1903 gab; 2.863.000 Streikende im Jahr 1905 (1.843.000 von ihnen nahmen an politischen Streiks teil); und 550.000 politische streikende im Jahr 1912. [34] Daraus kann man sehen, daß die deutsche Arbeiterbewegung trotz ihrer großen sozialistischen Partei und ihrer prächtigen Organisationen relativ schwach und passiv im elementaren Klassenkampf gegen die Unternehmer war, während in Rußland, wo es keine Massenpartei gab und wo gewerkschaftliche Organisationen kaum existierten, die Arbeiter große Schlachten gegen die Bossen sowie den Staat kämpften. Es stand im Wesen einer Revolutionärin wie Luxemburg, gerade wie es im Wesen Lenins stand, die ganze Betonung auf dem fehlenden Schlüsselelement in der Situation zu legen – was für sie die Spontaneität und die Massenaktion von unten war. Daher konnte Lenin, der die Spontaneität als Gegebenes annahm, schreiben: „Gebt uns eine Organisation von Revolutionären und wir werden Rußland umstürzen“, [35] während Luxemburg effektiv sagte: „Gebt uns die Spontaneität der Massen und wir werden die Revolution haben.“

Zusätzlich zu diesen allgemeinen Faktoren wurde Luxemburg auch von der spezifischen Situation in der SPD beeinflußt. Der offensichtliche erste Schritt zum Aufbau einer echten revolutionären Partei in Deutschland wäre die Bildung einer Fraktion innerhalb der SPD gewesen. Aber diese wäre äußerst schwierig gewesen, denn sie sehr wenig Unterstützung für ihre Ansichten bekommen hätte – auch Lenin hätte einen solchen Vorgang nicht vor August 1914 unterstützt. Die Autorität der beiden großen Führer der Partei, Kautsky als Theoretiker und Bebel als praktischer Organisator, war riesig – viel größer als die der einzigen vergleichbaren Persönlichkeit in Rußland, Plechanows – und der Einfluß, der Luxemburg in der deutschen Bewegung hatte, schuldete sie mindestens zum Teil ihren Toleranz für sie und der Tatsache, daß bis 1910 sie den Ohr Kautskys hatte. Außerdem brauchte sie ein Bündnis mit dem Zentrum, um gegen die Drohung des Bernsteinismus zu kämpfen.

Letztens gab es die Tatsache, daß wenn man eine Fraktion hat, die Frage einer Spaltung immer entsteht, und Luxemburg war völlig dagegen. Es ist möglich, daß sie dabei durch das Schicksal der Unabhängigen Sozialistischen Partei, eine ziemlich große Gruppe von Revolutionären, die 1891 von der SPD abspalteten und sie des Reformismus beschuldigte. So spät wie Januar 1917 argumentierte Luxemburg immer noch gegen eine Spaltung:

So löblich und begreiflich die Geduld und der bittere Groll sind aus denen heraus sich heute die flucht vieler der besten Elemente aus der Partei ergibt: flucht bleibt Flucht, uns ist sei ein Verrat an den Massen, die in der würgenden Schlinge der Scheidemann und Legien, der Bourgeoisie auf Gnade und Ungnade preisgegeben, zappeln und ersticken. Aus kleinen Sekten und Konventikeln kann man „austreten“, wenn sie einem nicht mehr passen, um neue Sekten und Konventikel zu gründen. Es ist nichts als unreife Phantasie, die gesamte Masse der Proletarier aus diesem schwersten und gefährlichsten Joch der Bourgeoisie durch einfachen „Austritt“ befreien zu wollen und ihr auf diesem Wege mit tapferem Beispiel voranzugehen. Das Hinwerfen des Mitgliedsbuchs als Befreiungsillusion ist nur die auf den Kopf gestellte Verhimmelung des Mitgliedsbuchs als Machtillusion, beides nur die verschiedenen Pole des Organisationskretinismus, dieser konstitutionellen Krankheit der alten deutschen Sozialdemokratie. [36]

 

 

4. Die Stärken und Schwächen ihrer Position

Wir haben gezeigt, wie Luxemburgs Betonung auf Spontaneität und ihre Vorstellung der Rolle der Partei durch ihre spezifische historische Situation bedingt wurden, aber Erklärung ist keine Rechtfertigung. Es ist auch notwendig, eine Schätzung ihrer Ansichten zu machen was ihre Fähigkeit betrifft, die Probleme zu lösen, die vor der Arbeiterklasse in ihrem Kampf um die Macht stehen. Wir sollten anfangen, indem wir ihre Vorzüge nennen, da ihre Ideen zu häufig von Marxisten einfach auf der Autorität von Was tun? abgetan worden sind.

Rosa Luxemburg hatte recht darüber, daß die wichtigsten Fortschritte im Bereich der Taktik und der Kampfmethoden nicht von einem Zentralkomitee bzw. einer Führung erfunden, sondern von Arbeitern selbst in der Hitze des Gefechts entdeckt und geschaffen werden. Das ist immer und immer wieder gezeigt worden, sowohl im großen Stil bei der spontanen einer neuen Art von Staat (der Pariser Kommune, der russischen Sowjets) als auch im bescheideneren Umfang bei Betriebsbesetzungen und der Innovation der mobilen Streikposten (britische Bergarbeiter und Bauarbeiter im Jahre 1972).

Sie hatte recht darüber, daß der Klassenkampf in vollem Gange nicht die mechanische Trennung des Ökonomischen und des Politischen erlaubt, und ihre Formulierungen über diese Frage im Massenstreik sind viel dialektischer als einige der abstrakten Darstellungen im Was tun?. Wieder veranschaulichen Kämpfe der britischen Arbeiterklasse in der letzten Zeit das sehr wohl. Das Bestehen des Industrial Relations Act [1*] und des Lohnstopps der Konservativen Anfang der 1970er Jahre führten dazu, daß rein gewerkschaftliche ökonomische Arbeitskämpfe wie die 1972er Kämpfe der Docker gegen die Einführung von Containers, der 1973er Streik für Anerkennung der Gewerkschaft beim Con-Mech-Werk und der 1974er Bergarbeiterstreik sich unvermeidlich in politische Massenkämpfe gegen das Gesetz und gegen die Regierung umwandelten. Eigentlich, da moderne kapitalistische Regierungen immer mehr dazu gezwungen werden, in die Industrie einzumischen und Lohneinschränkungen zum Kern ihrer ganzen Strategie zu machen, sind der politische und der ökonomische Kampf der Arbeiterklasse enger verbunden als je zuvor und dieser Aspekt des Luxemburgschen Denkens ist zunehmend relevant geworden.

Luxemburg hatte recht, als sie vor den konservativen Tendenzen an der Spitze der sozialistischen Parteien und sogar in den Parteien als Ganzes warnte, die durch Isolation von den dynamischen Kräften verursacht werden, die unbeobachtet in den Tiefen der Arbeiterklasse am Werk sind. Lenin selbst, wie gesehen, erfuhr das innerhalb der Bolschewistischen Partei sowohl in 1905 als auch in 1917. Ein heutiger Marxist, Duncan Hallas, hat deutlich erklärt, wie das auch selbst im Werkstatt passieren kann:

Es passiert manchmal, daß auch die besten Militanten finden, daß sie von Ereignissen überholt werden und für eine kürzere oder längere Zeit eine Position annehmen, die rechts von vorher nichtmilitanten Arbeitern steht. Die Erfahrung ist aktiven Gewerkschaftern an der Basis bekannt. Parolen und Forderungen, die gestern nur für die Bewußtesten annehmbar waren, werden ganz plötzlich zu beschränkt für die Mehrheit, wenn ein Kampf über den erwarteten Punkt hinaus entwickelt. Unvermeidlich verursacht die größere Erfahrung und Wissen der Aktivisten eine bestimmte Vorsicht, die normalerweise passend ist, die aber in einer sich rasch verändernden Situation manchmal ein echtes Hindernis zum Fortschritt sein kann. [37]

Sie hatte auch recht, als sie der Leninschen Vorstellung, daß der Sozialismus in die Arbeiterklasse „von außen“ eingeführt werden müßte, die riesige Rolle und Errungenschaften der Spontaneität gegenüberstellte. Die Partei ist weder die Quelle aller Weisheit noch der allmächtige Leiter des Klassenkampfs, und es gibt ein Element der Wahrheit in der Beschuldigung, daß Lenin den Bogen in Richtung Voluntarismus überspannt hatte (obwohl, wie gezeigt, das auch in einem Sinne seine größte Errungenschaft war).

Also war Rosa Luxemburg bei mehreren Punkten näher an einer richtigen marxistischen Analyse als Lenin in der Zeit 1901-04. [38] Leider enthielt ihre Vorstellung auch entscheidende Schwächen, die im Verlauf der Geschichte deutlich enthüllt wurden. Es ist leicht, die Einseitigkeit ihrer Ansichten über die Spontaneität von Massenstreiks zu sehen. Während solche Streiks spontan ausbrechen können und häufig das auch machen, ist es nicht notwendigerweise der Fall, noch ist es immer ein Vorteil. Der britische Generalstreik von 1926 veranschaulicht das gut. die ganze Kraft, Energie und Initiative für den Streik kamen von unten, aber der Streik wurde eigentlich von der Führung, dem Generalrat des TUC [2*] geplant und aufgerufen, und der wichtigste Punkt dabei bestand darin, daß er im entscheidenden Moment von dieser Führung effektiv demobilisiert wurde. In den Monaten vor dem Streik bereitete die britische herrschende Klasse sehr vorsichtig auf politischer sowie militärischer Ebene für die Konfrontation vor. Offensichtlich würde in dieser Situation die marxistische Kritik nicht gegen die Vorstellung gerichtet werden, daß der Streik geplant werden könnte, sondern gegen den Generalrat, weil er es versäumt hat, ausreichend zu planen und vorzubereiten, als es bekannt wurde das der Feind dabei war. Aber das war ein relativ kleiner Fehler, und Luxemburg war leicht dazu fähig, ihn zu korrigieren. [39] Viel bedeutender ist die Tatsache, daß ihre Strategie bei der entscheidende Prüfung der deutschen Revolution selbst scheiterte.

In der langersehnten Deutschen Revolution von 1918-19 bewies sich Rosa Luxemburgs Spartakusbund (ursprünglich als Fraktion innerhalb der SPD gegründet) als die einzige konsequent revolutionäre Kraft in Deutschland. Nichtsdestotrotz war sie zahlungsmäßig, erfahrungsmäßig und in ihrem organisatorischen Zusammenhalt zu schwach, um die Ereignisse entscheidend zu beeinflussen. Vielmehr wurde er hin und her im revolutionären Sturm geblasen, unfähig dazu, eine zusammenhängende Strategie zu formulieren außer dem wiederholten Aufruf zur Massenaktion und „Alle Macht den Räten!“ Radek der las Botschafter der Bolschewiki in Berlin war berichtete, daß am Anfang der Revolution die Spartakisten nicht mehr als 50 organisierte Leute in Berlin hatten, [40] und auch bei der Konferenz, wo der Spartakusbund die KPD gründete, fühlte er sich dazu bewegt zu bemerken: „Ich fühlte mich immer noch nicht in Anwesenheit eine Partei.“ [41]

Sogar Rosa Luxemburgs begeistertester und unkritischster Anhänger Paul Frölich bestätigt dieses Bild der Schwäche (obwohl er nicht ihre schädigende Wirkung auf die Strategie erkannte): Als die Revolution kam, „war der [Spartakus]bund erst eine Föderation lokaler Gruppen, die in fast allen größeren Städten bestand, noch keine Partei.“ [42] Außerdem litt die KPD unter all den „Kinderkrankheiten“ einer jugendlichen Organisation. Luxemburg und der Vorstand wurden von einer beträchtlichen Mehrheit bei der Gründungsparteitag der KPD über die Frage der Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung überstimmt. (Die Bolschewiki hatten diese Art Linksradikalismus einen Jahrzehnt vor der 1917er Prüfung beseitigt.) Unfähig dazu, einen beträchtlichen Einfluß innerhalb der Arbeiterräte zu üben, wurde der Spartakusbund in ein instabiles Bündnis mit der USPD (Unabhängigen Sozialdemokraten, die 1917 von der SPD abgespalten hatten) und den Revolutionären Obleuten gezwungen und mußte dann versuchen, sich daraus zu befreien, als letztere Elemente schwankten. Letzten Endes wurde er trotz den Worten des eigenen Programms: „Der Spartakusbund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren, unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in ganz Deutschland“, von den Ereignissen überholt und in einen hoffnungslos verfrühten Aufstand geführt, der mit der Niederschlagung der Revolution und dem Mord an Luxemburg und Liebknecht endete.

Luxemburg war zweifelsohne von den Fehlern bewußt, die gemacht wurden, war aber machtlos, sie zu verhindern. Daher bezahlte sie für ihr Versäumnis, die fortgeschrittenen Arbeiter in einer disziplinierten unabhängigen Avantgarde-Partei zusammenzuschweißen, letzten Endes mit ihrem Leben. Daß sie diese Aufgabe nicht wie Lenin 1903 angefangen hatte, war vielleicht wegen unvermeidlicher historischer Faktoren, aber die Tatsache, daß sie es nicht später machte, war zum Teil eine bewußte Entscheidung. Nettl berichtet: „Die Spartakusführer entschieden bewußt, jeden ausdauernden Versuch zu unterlassen, ein Organisation im Jahre 1918 zu schaffen. Sie hielten, daß die revolutionären Möglichkeiten diesen zu einer unnötigen Zerstreuung der Anstrengung machten.“ [43]

Der andere große Fehler in Luxemburgs Strategie war ihre Unterschätzung der Fähigkeit der reformistischen Führer, die Arbeiterklasse zurückzuhalten und zu verwirren. Obwohl sie die erste war, die die theoretischen Implikationen des Bernsteinismus und der Passivität des kautskyanischen Zentrums zu merken, gelang es ihr nichtsdestotrotz nicht, die lähmende und spaltende Wirkung vorherzusehen, die diese Tendenzen auf die Arbeiterklasse haben würde, auch inmitten der Massenaktionen, nach denen sie sehnte. Im Jahre 1913 schrieb sie: „Sicher werden bremsende Führer schließlich von der stürmenden Masse auf die Seite geschoben werden.“ [44]

Aber in Wirklichkeit bewies sich das als nicht so einfach. Statt dessen konnten die Sozialdemokraten die alteingesessene Treue der Millionen Arbeiter ausnutzen, um die Revolution zu sabotieren. Wegen ihres Versäumnisses, dieses Problem früh genug zu begreifen, sah Luxemburg nicht das Bedürfnis, den Opportunismus organisatorisch – d.h. durch Paragraphen im Parteistatut, durch Spaltung usw. – wie auch durch politische Debatte zu bekämpfen.

 

 

5. Die theoretischen Wurzeln ihrer Fehler

Wir haben schon den Hintergrund zu Luxemburgs Ansichten gezeigt und man kann sehen, wie die Stärken und die Schwächen ihrer Position historisch bedingt wurden. Aber was ist mit den theoretischen Wurzeln ihrer Fehler? Für die Quelle dieser Fehler müssen wir uns an zwei miteinander verbundene Bereiche ihres Denkens wenden: ihre Analyse des Prozesses, wodurch das Proletariat sein revolutionäres Bewußtsein entwickelt, und ihre Vorstellung der Dynamik der Revolution selbst.

Für die Hauptströmung der Sozialdemokratie betrachtete man das Bewußtsein als etwas, das sich durch einen harmonischen Prozeß der allmählichen Akkumulation ohne Widersprüche und ohne qualitative Sprünge entwickelte. Luxemburgs Betonung auf der Spontaneität der Massen stellte sie unter den westlichen Marxisten am weitesten von dieser orthodoxen Ansicht, aber sie brach noch nicht völlig den Kreis. Es war nicht so, daß sie die Höhen überschätzte, worauf die Arbeiter sich spontan erheben könnten, sondern daß sie die Gleichmäßigkeit überschätzte, womit dieser Prozeß stattfinden würde. Offensichtlich erkannte sie, daß einige Arbeiter fähiger und mutiger sind als andere, und daß einige ein höheres Niveau des sozialistischen Bewußtseins haben als andere. Was sie nicht völlig verstand, war die Tatsache, daß zwischen dem revolutionären Arbeiter, der den Kapitalismus stürzen will, und dem weniger fortgeschrittenen Arbeiter, der seine Bedingungen innerhalb des Kapitalismus verbessern will, es einen bestimmten Widerspruch gibt (obwohl keinen Unlösbaren); und daß auf der Basis dieses Widerspruchs Parteien entstehen, die behaupten, Partei der Arbeiterklasse zu sein, die aber in Wirklichkeit als bürgerliche Agenten innerhalb der Arbeiterbewegung arbeiten [funktionieren].

Es war wegen dieser Lücke in ihrer Theorie, daß sie es versäumte, die Notwendigkeit zu sehen, die fortgeschrittenen revolutionären Arbeiter getrennt und unabhängig zu organisieren, um ihren Einfluß innerhalb der Klasse als Ganzes zu steigern und sie für den Kampf gegen die opportunistischen und reformistischen Einflüsse auf der Klasse auszurüsten. Ihre Unterschätzung der negativen Wirkungen der schlechten Führer entsteht auch aus dieser Quelle. Denn, wenn die Arbeiterklasse sich nicht nur spontan, sondern auch gleichmäßig, dann wirklich „würden bremsende Führer von der stürmenden Masse auf die Seite geschoben werden“. [45]

Was Luxemburgs Vorstellung der Revolution betrifft, kann eine Bemerkung von Tony Cliff als unseren Anfangspunkt dienen:

Der Hauptgrund für Rosa Luxemburgs Überschätzung des Faktors der Spontaneität und ihre Unterschätzung des Faktors der Organisation liegt wahrscheinlich in der Notwendigkeit, im unmittelbaren Kampf gegen den Reformismus die Spontaneität als den ersten Schritt bei jeder Revolution zu betonen. Dieses eine Stadium im Kampf des Proletariats setzte sie vorschnell mit dem ganzen Kampf gleich. [46]

Wir können diese weiterentwickeln, indem wir sagen, daß Luxemburg dazu neigte, den Massenstreik (der oft mit dem spontanen Ausbruch von Revolutionen zusammenfällt) mit dem Höhepunkt der Revolution selbst zu identifizieren. Im Massenstreik schrieb sie, wie folgt:

Heute, wo die Arbeiterklasse sich selbst im Laufe des revolutionären Kampfes aufklären, selbst sammeln und selbst anführen muß und wo die Revolution ihrerseits ebenso gegen die alte Staatsgewalt wie gegen die kapitalistische Ausbeutung gerichtet ist, erscheint der Massenstreik als das natürliche Mittel, die breitesten proletarischen Schichten in der Aktion selbst zu rekrutieren, zu revolutionieren und zu organisieren, ebenso wie er gleichzeitig ein Mittel ist, die alte Staatsgewalt zu unterminieren und zu stürzen und die kapitalistische Ausbeutung einzudämmen ... Die frühere Hauptform der bürgerlichen Revolutionen, die Barrikadenschlacht, die offene Begegnung mit der bewaffneten Macht des Staates, ist in der heutigen Revolution nur ein äußerster Punkt, nur ein Moment in dem ganzen Prozeß des proletarischen Massenkampfes. [47]

Aber, in der Tat, der Generalstreik, egal wie groß, wie stark und wie militant er sein sollte, erhebt bloß die Machtfrage – sie löst sie nicht und kann sie nicht lösen. Nur die Vernichtung der alten Staatsmacht durch den Aufstand kann das machen. Und der Aufstand muß gerade aus seinem Wesen organisiert werden: Er muß eine vereinigte, gleichzeitige Aktion der entscheidenden Sektionen des Proletariats sein, die im voraus vorbereitet und für einen bestimmten Termin festgelegt worden ist. Seine Durchführung fordert deswegen eine alteingesessene Kommandokette mit Einfluß und Autorität, die durch die ganze Klasse durchlaufen. Mit anderen Worten, der Aufstand, wie wir durch unsere Analyse der Oktoberrevolution in Kapitel 3 gezeigt haben, läßt sich nur durch die Partei erfolgreich organisieren – und nicht durch eine Partei irgendeiner beliebigen Art, sondern durch eine disziplinierte Kampfpartei, die fähig ist, sich als eine Einheit zu bewegen.

Es würde nicht stimmen, wenn man sagte, daß Luxemburg nie die Frage des Aufstands in Betracht zog (sie schrieb eine kleine Broschüre darüber im Januar 1906 [48]), aber sie wird im Massenstreik bloß nebenbei erwähnt, und es gibt keine Beweise dafür, daß sie sich je direkt mit der Frage befaßte oder ihre Implikationen für das Wesen der Partei durchdachte. Hätte sie das gemacht, wäre sie dazu gezwungen worden, ihre propagandistische Vorstellung der Rolle der Partei zu überarbeiten [revidieren] (denn es ist gerade beim Aufstand, daß das Gleichgewicht zwischen Propaganda und Aktion sich entscheidend in Richtung des letzteren verschiebt), wie auch ihre Ansichten über Disziplin und Zentralismus. Lenin hatte im Gegensatz das Wesen seiner Organisation von Anfang an auf die Machtergreifung bezogen.

Das Problem des Aufstandes und der Partei ist auch mit der Ungleichmäßigkeit im Bewußtsein der Proletariats in einer Weise verwandt, die für das Schicksal Rosa Luxemburgs und der Deutschen Revolution besonders relevant ist. Die Kehrseite der gleichen Münze, die dazu führt, daß einige Teile der Klasse den anderen hinterherhinken (und reformistische Parteien weiter unterstützen), ist der Anstoß, den die Revolution den fortgeschrittenen Arbeitern dazu gibt, den Versuch zu unternehmen, die Macht verfrüht zu ergreifen. Genau das passierte in der Russischen Revolution mit den „Julitagen“ und in der Deutschen Revolution mit den sogenannten „Spartakustagen“. In Rußland, wie in Kapitel 3 bemerkt, konnten die Bolschewiki sich klar dem Abenteuer widersetzen, es daran hindern, zu viel Schaden zu verursachen, ihre Organisation bewahren und auf die nächste Runde im Schlacht vorbereiten. In Deutschland wurde der Spartakusbund von den Ereignissen zur Katastrophe mitgerissen. Der Unterschied lag nicht in Lenins „Intelligenz“ bzw. „Realismus“ im Gegensatz zu Rosa Luxemburgs „revolutionärer Romantik“, sondern in der Tatsache, daß in Rußland eine abgehärtete Partei mit Autorität unter den fortgeschrittenen Arbeitern existierte, während sie in Deutschland fehlte.

 

 

6. Marx, Lenin und Luxemburg

Die Bezugspunkte für eine allgemeine Beurteilung der Luxemburgschen Theorie der Partei muß notwendigerweise Marx und Lenin sein. In vielen Hinsichten war Luxemburg viel näher an Marx als an Lenin. Sie teilte Marx’ Stärken, seine Opposition zum Sektierertum und seine Betonung auf der Massenaktivität der Arbeiterklasse. Sie teilte auch seine Schwäche: eine überoptimistische und verkürzte Ansicht des Prozesses, wodurch die Klasse an sich in eine Klasse für sich umwandeln würde – die Annahme, daß die objektive ökonomische Einheit der Arbeiterklasse spontan zu ihrer endgültigen politischen Einheit führen würde. Folglich teilte sie mit Marx eine bestimmte Tendenz zum Fatalismus im Bereich Organisation. Wir haben schon bemerkt, daß gegenüber Lenin sie nicht völlig falsch in den 1904er Polemiken war, aber Lenin konnte durch die Erfahrung des Jahres 1905 die Einseitigkeit seiner früheren Formulierungen korrigieren und so seinen entscheidenden Fortschritt über Marx festigen, während Luxemburg das nicht konnte. Hätte sie überlebt, um die Erfahrung der Deutschen Revolution zu assimilieren und zu überlegen, ist es möglich, oder auch wahrscheinlich, daß sie diese Korrektur errungen hätte.

Wie sie besteht, bleibt Rosa Luxemburgs Theorie der Partei und ihres Verhältnisse zur Arbeiterklasse eine nützliche Waffe in einer Arbeiterbewegung, die überall in der Welt unter Jahren der bürokratischen Vorherrschaft durch die Sozialdemokratie sowie den Stalinismus gelitten hat. Aber letzten Endes ist sie eine nützliche Waffe, nur insofern sie im Rahmen des Leninismus integriert wird. Als Alternative zum Leninismus muß man den Luxemburgismus als ungültig beurteilen.

 

 

Anmerkungen

1. Rosa Luxemburgs weitergehende Beteiligung an der Sozialdemokratischen Partei des Königreichs Polen (SDKPL) erklärt ihr besonderes Interesse an Rußland, da Polen damals Teil des Russischen Reichs war.

2. Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, in Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke (später RLWerke), Bd.1, 2. Hbd., Berlin 1979, S.422-44. Diese wurde auf Englisch unter dem irreführenden Titel Leninism or Marxism veröffentlicht, in Rosa Luxemburg, The Russian Revolution and Leninism or Marxism? (Hrsg. Bertram D. Wolfe), Ann Arbor 1971.

3. ebenda, S.424.

4. ebenda.

5. ebenda, S.424-5.

6. ebenda, S.426.

7. ebenda, S.427.

8. ebenda, S.428.

9. ebenda, S.429.

10. zit. ebenda, S.427.

11. ebenda, S.429.

12. ebenda, S.431.

13. ebenda, 432.

14. ebenda, S.434.

15. ebenda, S.440.

16. ebenda.

17. ebenda, S.441.

18. ebenda, S.443-4.

19. Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, in RLWerke, Bd.2, Berlin 1986, S.128.

20. ebenda, S.132.

21. Rosa Luxemburg, Zur russischen Revolution, in RLWerke, Bd.4, Berlin 1987, S.359-60.

22. Luxemburg, Organisationsfragen, in RLWerke, Bd.1, 2. Hbd., S.426.

23. Luxemburg, Massenstreik, in RLWerke, Bd.2, S.154-70.

24. Rosa Luxemburg, Entwurf zu den Junius-Thesen, RLWerke, Bd.4, S.46. Der Text des Entwurfs entspricht den veröffentlichten Text, s. ebenda, S.164, Anm.1.

25. Luxemburg, Massenstreik, in RLWerke, Bd.2, S.133.

26. J.P. Nettl, Rosa Luxemburg, Bd.1, London 1966, S.265.

27. Bertram D. Wolfe, Introduction, in Rosa Luxemburg, The Russian Revolution and Leninism or Marxism? (Hrsg. Bertram D. Wolfe), Ann Arbor 1971, S.1. Diese Ansicht hat einige merkwürdige und heterogene Anhängern, einschließlich Stalinisten, für die jede Kritik an Lenin der Ketzerei gleichkam und für die Luxemburgs Betonung auf der Spontaneität der Arbeiterklasse nicht bloß eine Abweichung, sondern auch eine Bedrohung darstellte. (Für eine Darlegung der Behandlung von Luxemburg durch sowjetische und osteuropäische Historiker s. Nettl, a.a.O., Bd.II, Kap. XVIII und Trotsky, Hands off Rosa Luxemburg, in Mary Alice Waters (Hrsg.), Rosa Luxemburg Speaks, New York 1970, S.441-50). Für ihre Behandlung durch verschiedene Anarchisten, Anarchosyndikalisten und „Luxemburgisten“, die versucht haben, Gruppen bzw. Organisationen unabhängig vom Stalinismus oder dem Trotzkismus s. Trotsky, Rosa Luxemburg and the Fourth International, ebenda, S.451-4. [Die Haltung der Stalinisten änderte sich nicht so sehr, nachdem sie von den ostdeutschen Stalinisten als Vorgängerin des Arbeiter- und Bauern-Staats, der DDR, adoptiert wurde, wie die umfangreichen Zitate aus den Schriften Lenins in den Fußnoten von Luxemburgs Gesammelten Werken zeigen jedes Mal, das sie Lenin kritisiert. – Anm.d.Übersetzers]

28. Diese Kritik an einigen Aspekten der bolschewistischen Politik in der Russischen Revolution wurde von Luxemburg im Gefängnis in 1918 geschrieben und nie während ihres Lebens veröffentlicht. Sie kam nicht ans Tageslicht, bis Paul Levi sie 1921 veröffentlichte, nachdem er aus der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen worden war.

29. Luxemburg, Zur russischen Revolution, in RLWerke, Bd.4, S.365.

30. Wolfes Behauptung, daß Luxemburg gegen die Gründung der Dritten Internationale war, beruht sich typischerweise auf der irreführenden Hebung einer taktischen Uneinigkeit über den richtigen Augenblick zu einer prinzipiellen Frage.

31. zit. in Paul Frölich, Rosa Luxemburg: Gedanke und Tat, Berlin 1990, S.184.

32. Luxemburg, Organisationsfragen, in RLWerke, Bd.1, 2. Hbd., S.433.

33. Diese Zahlen sind aus den Streikstatistiken gerechnet worden, die im Buch Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1870-1914, München 1975, S.132, erscheinen.

34. Zahlen aus Trotzki, Geschichte der russischen Revolution, Frankfurt/M 1973, S.38-9.

35. WO???

36. Rosa Luxemburg, Offene Briefe an Gesinnungsfreunde, RLWerke, Bd.4, S.235.

37. Duncan Hallas, The Way Forward in John Palmer u. Nigel Harris (Hrsg.), World Crisis, London 1971, S.266.

38. Für einen Marxisten, der eine ähnliche Ansicht hat s. Tony Cliff, Studie über Rosa Luxemburg, Frankfurt/M. 1969, S.41-3.

39. Man soll merken, daß, als 1910 die deutsche Arbeiterklasse in den Kampf für das gleiche Wahlrecht eintrat, Luxemburg selbst „forderte, daß der Parteivorstand einen großen Aktionsplan ausarbeiten sollte“. Paul Frölich, a.a.O., S.171.

40. s. J.P. Nettl, a.a.O., Bd.II, S.747.

41. ebenda, S¨752.

42. Paul Frölich, a.a.O., S.349.

43. J.P. Nettl, a.a.O., S.724.

44. Luxemburg, Das Offiziösentum der Theorie, RLWerke, Bd.3, Berlin 1984, S.321.

45. Wenn wir einmal diese grundsätzliche Schwäche begriffen haben, werden viele andere Fehler Rosa Luxemburgs klar – z.B. ihre Opposition zum Recht auf nationale Selbstbestimmung und zur bolschewistischen Politik: „Das Land den Bauern“. In diesen beiden Fällen war es die ungleiche Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins unter den Massen, die die Taktik der Bolschewiki diktierte, und in den beiden Fällen konnte Luxemburg das nicht begreifen.

46. Tony Cliff, a.a.O., S.38.

47. Luxemburg, Massenstreik, in RLWerke, Bd.2, S.148.

48. Rosa Luxemburg, In revolutionärer Stunde: Was weiter?, in RLWerke, Bd.2, S.11-36.

 

Anmerkungen des Übersetzers

1*. Ein Gesetz der Konservativen Regierung von 1970-74, das die Rechte der Gewerkschaften und besonders die Rechte der Gewerkschafter an der Basis streng einschränkte.

2*. Dachverband der britischen Gewerkschaften.

 


Zuletzt aktualisiert am 6.2.2002