Dave Crouch

Der Islam und die Politik der Bolschewiki

(April 2006)


Ursprünglich veröffentlicht in International Socialism 2:110, London, April 2006.
Übersetzt aus dem Englischen von Rosemarie Nünning,
in Zusammenarbeit mit David Paenson.
Erste deutsche Veröffentlichung hier, November 2006.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für REDS – Die Roten.


Angesichts des drohenden Fiaskos im Irak hat das politische Establishment die Reihen fest geschlossen, um an der Heimatfront den Islam zum Sündenbock zu stempeln. Am Tag der Londoner Bombenattentate im Juli 2005 gab der damalige Labour-Außenminister Jack Straw den Ton für einen erneuten Angriff vor, indem er jede Verbindung mit dem Irakkrieg einfach abstritt. Solidarität mit Muslimen in der Antikriegsbewegung wurde von bekannten linksliberalen Kritikern, den nützlichsten Verbündeten der Rechten, angegriffen. [1] Die Reaktion auf die rassistischen Karikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands Posten, die in der europäischen Presse nachgedruckt wurden, hat das Ausmaß der Islamophobie in so genannten liberalen Kreisen offenbart – und die Konfusion bei den Linken.

Gegenstand der Polarisierung in der revolutionären Linken war die Haltung zum islamischen Kopftuch, dem Hidschab. Gilbert Achcar von der französischen Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) nimmt eine Position irgendwo in der Mitte ein. Er kritisiert Genossen seiner eigenen Partei und auch andere französische Linke, die sich dem Verbot des Hidschabs nicht entgegenstellen, gleichzeitig wirft er der britischen Socialist Workers Party (SWP) vor, ein Wahlbündnis „mit einer islamisch-fundamentalistischen Organisation wie der Muslim Association Großbritanniens“ einzugehen. [2] Achcar scheint ein großes Zugeständnis an die Behauptung der Rechten zu machen, der Islam unterscheide sich von allen anderen Religionen, wenn er sagt, dass der Koran linke „befreiungstheologische“ Interpretationen, wie sie uns im Christentum begegnet sind, nicht zulasse. Achcar zufolge hält der Koran die Muslime in reaktionärem Denken gefangen. [3]

Dabei gibt es zahlreiche Beispiele für die Entstehung linker Organisationen bei Anhängern des Islams. Malcolm X hatte wesentlichen Einfluss auf die Führer der revolutionären Black Panther Party in den 1960er Jahren, während die Führer der iranischen Mudschaheddin in ihrem Guerillakampf gegen den Schah für eine Verschmelzung von Marxismus und Islam eintraten. Auch die herrschende Klasse islamischer Länder experimentierte immer wieder mit linker Rhetorik, um ihre Popularität zu erhöhen. Der „islamische Sozialismus“ wurde beispielsweise 1973 von den Führern des Militärputsches in Afghanistan ebenso verkündet wie von Ministerpräsident Sulfikar Bhutto während seines Nationalisierungsprogramms in Pakistan Mitte der 1970er Jahre.

Wenn also auch Muslime – erwartungsgemäß – revolutionäre Ideen haben können, wie sieht dann die historische Erfahrung prinzipienfester marxistischer Organisationen aus, die versucht haben, sie für den Sozialismus zu gewinnen? In dieser Diskussion finden Lenins Bolschewiki und ihre Gestaltung der Revolution nach 1917 unter den Völkern des ehemaligen russischen Reiches, wo mit rund 16 Millionen Menschen zehn Prozent der Bevölkerung Muslime waren, wenig Beachtung. Mit diesem kurzen Artikel soll ein Beitrag geleistet werden, diese Lücke zu füllen. Ich werde zeigen, dass sich die bolschewistische Politik von 1917 bis Mitte der 1920er Jahre grundlegend von der Hexenjagd unterschied, die Stalin ab 1927 gegen den Islam entfesselte; dass die Bolschewiki in diesen Anfangsjahren praktizierende Muslime mit offenen Armen in die Kommunistische Partei aufnahmen, und dass sie eine breit angelegte Einheitsfrontpolitik mit islamischen Organisationen verfolgten.

Mein Ziel ist, Lenins Vermächtnis vor den Verunglimpfungen der Rechten zu retten und aus den Erfahrungen der Bolschewiki einige Lehren zu ziehen. Dabei geht es für eine kleine und angeschlagene revolutionäre Linke, die nach dreißig Jahren des Abschwungs langsam aus der Isolation auftaucht, um sehr viel mehr. Alex Callinicos von der Socialist Workers Party hat darauf hingewiesen: „Das Kopftuchthema ist in der Tat ein Symptom für die sehr reale Aufgabe, unsere Bewegung auf die Menschen am unteren Ende der europäischen Gesellschaft auszudehnen, die nicht nur wirtschaftliche Ausbeutung, sondern auch rassistische Unterdrückung erfahren, und von denen viele gerade aus diesem Grund stark an ihrem muslimischen Glauben festhalten.“ [4] Wenn wir Arbeiter wegen ihrer Kleidung oder ihres Glaubens ablehnen, stellen wir uns selbst ins sektiererische Abseits. Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass die Linke eine internationalistische Pflicht hat, gemeinsam mit den Muslimen gegen Rassismus und Imperialismus zu kämpfen.

Dabei geht es auch um ein sehr persönliches Thema, deshalb sollte ich etwas über meinen eigenen Glauben sagen: Als Junge zogen mich die Zeremonien der Anglikanischen Kirche an, die ich regelmäßig besuchte. Trotzdem kann ich mich nicht an irgendeine religiöse Überzeugung erinnern, bis ich Anfang zwanzig war, als ich das starke Gefühl entwickelte, mein Schicksal liege in der Hand eines höheren Wesens. Rückblickend betrachtet, war das wohl eine Widerspiegelung der persönlichen Wirren, in denen ich mich befand, der damals erlebten Armut und Hoffnungslosigkeit. Ich war sehr wütend auf die Gesellschaft und hätte durchaus von einer religiösen Sekte angezogen werden können, von Gewalt oder religiös begründeter Gewalt. Stattdessen fand ich heraus, dass der Marxismus eine bessere Möglichkeit zum Verständnis der Welt und einen Leitfaden zu ihrer Veränderung bietet.
 

Das Christentum unter den Bolschewiki

Befragt nach der Sowjetunion, werden religiöse Menschen in der Regel gleich eine Liste unstreitiger Verbrechen abspulen, die Stalin gegen jede Art von Glauben begangen hat. Zu häufig jedoch werfen sie dabei alle Sozialisten in einen Topf. In Wirklichkeit hatte der Stalinismus nicht das Geringste mit der Politik der Bolschewistischen Partei zu Lenins Zeiten zu tun, oder mit den Anfangsjahren ihrer Herrschaft in Russland. Als Erstes muss festgehalten werden, dass das Parteiprogramm zwar klar atheistisch ausgerichtet war, Atheismus aber niemals als Voraussetzung für die Parteimitgliedschaft galt. Für die Bolschewiki war Religion Privatsache eines jeden Bürgers. Im Jahr 1905 verfasste Lenin eine Schmährede gegen diejenigen, die den Atheismus in das Parteiprogramm aufnehmen wollten, und betonte: „Durch keine Broschüren, durch keine Propaganda kann man das Proletariat aufklären, wenn es nicht durch seinen eigenen Kampf gegen die finsteren Mächte des Kapitalismus aufgeklärt wird.“ [5]

Sozialisten gehen also davon aus, dass Menschen, wenn sie zum ersten Mal in Kontakt mit sozialistischen Organisationen treten, religiösen Überzeugungen anhängen, die sie nur verlieren werden, wenn sie sich ihrer eigenen Macht, die Welt zu verändern, gewiss werden. Marx hatte seinem berühmten Ausspruch von der Religion als „Opium des Volkes“ die Einsicht vorangestellt, dass Religion auch eine Sprache bieten kann, in der Menschen über die Realität ihrer Unterdrückung sprechen und ihr Bedürfnis, sich dieser Unterdrückung zu widersetzen, zum Ausdruck bringen:

Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. [6]

Lenin war sich darüber im Klaren, dass es politischem Selbstmord gleichkommen würde, darauf zu pochen, dass Arbeiter vor Eintritt in eine revolutionäre Partei ihre religiösen Ideen aufgeben. Im Gegenteil forderte er auf, Gläubige für die Partei „zielstrebig“ zu gewinnen: „… wir sind unbedingt gegen die geringste Verletzung ihrer religiösen Überzeugungen“, schrieb er 1909. Er bezeichnete alle, die es dennoch taten, als „Abc-Schützen des Materialismus“:

Die soziale Unterdrückung der werktätigen Massen, ihre scheinbar völlige Ohnmacht gegenüber den blind waltenden Kräften des Kapitalismus, der den einfachen arbeitenden Menschen täglich und stündlich tausendmal mehr der entsetzlichsten Leiden und unmenschlichsten Qualen bereitet als irgendwelche außergewöhnlichen Ereignisse wie Kriege, Erdbeben usw. – darin liegt heute die tiefste Wurzel der Religion. [7]

Die russischen Marxisten begriffen auch, dass sich die Radikalisierung von Arbeitern in ihren religiösen Anschauungen spiegeln konnte. In seiner Autobiografie erinnert sich Trotzki an die Streikwelle Ende der 1890er Jahre, als Arbeiter in der Ukraine mit der russisch-orthodoxen Kirche brachen und zu anderen Religionsgemeinschaften wie den Baptisten übertraten, die „einen Kampf mit der offiziellen orthodoxen Kirche“ führten. Für sie bedeutete es oft „eine kurze Etappe auf dem revolutionären Weg“. [8] Eine ähnliche Beobachtung stand hinter Lenins Vorschlag von 1903, eine Zeitung herauszugeben, die sich an Mitglieder christlicher Sekten richten sollte, von denen es seinerzeit in Russland über zehn Millionen gab. „Versuchsweise“ erschienen 1904 neun Ausgaben von Rasswet (Sonnenaufgang). [9]

Die unsektiererische Herangehensweise der Bolschewiki an das Christentum wurde durch den Generalstreik in Petersburg im Januar 1905 auf die Probe gestellt. Dieser gipfelte in einen Marsch von 200.000 Arbeitern, die dem Zaren am 9. Januar eine Bittschrift überreichen wollten, und unter denen am Ende Soldaten ein Massaker anrichteten. Die Bewegung wurde von dem Priester Georgi Gapon angeführt, der allgemein für einen Polizeispitzel gehalten wurde. Die Bolschewiki beteiligten sich trotzdem an der Demonstration, und anschließend bemühte Lenin sich ernsthaft um ein Treffen mit Gapon, um mit ihm zu sprechen und ihn vielleicht sogar für die Partei zu gewinnen. [10] Gapon war ein russisch-orthodoxer Priester, und die Kirche war eng an den Zarenstaat gebunden, bis hinunter auf die unterste Dorfebene. Einige ihrer Priester führten Pogrome gegen Juden an und organisierten die Schwarzhundertschaften, Banden, die Arbeiter angriffen und jeden Gegner des Regimes. Die Tatsache, dass der Zarismus die orthodoxe Kirche als Waffe ihrer Klassenherrschaft benutzte, machte die Bolschewiki jedoch nicht blind gegenüber der Tatsache, dass viele einfache Russen aus ganz anderen Gründen orthodoxen Anschauungen anhingen.

Als die Bolschewiki im Oktober 1917 zur Macht kamen, erklärten sie den Sowjetstaat für nichtreligiös, aber nicht für antireligiös. Im Dezember wurde die russisch-orthodoxe Kirche entmachtet und verlor ihre Eigentumsrechte. Geburtsregister, Heirat, Scheidung und Bildung wurden zu nichtreligiösen Aufgaben des Staats erklärt. Kirchen wurden umgewandelt in Schulen, Wohngebäude, Klubs und so weiter, gleichzeitig hatten religiöse Gruppierungen das Recht, bei den zentralen und örtlichen Beamten Eingaben für die Nutzung eines beliebigen Gebäudes als Gebetshaus zu machen. Schulen waren säkular, aber nicht antireligiös.

Eine Verfügung zu erlassen, war eine Sache, die Kirche in der Praxis zu entmachten, eine andere. Es gab Orte, an denen die religiös-orthodoxen Gefühle hochkochten, und hier und da kam es zu Zusammenstößen zwischen Gemeinden und Bolschewiki über die Frage der Kontrolle von Kircheneigentum. Die allgemeine Unterstützung in der Bevölkerung für die orthodoxe Kirche erhielt 1921 jedoch einen deutlichen Dämpfer, als ihr Patriarch Tichon sich weigerte, Kirchenschätze zu verkaufen, um Auslandsgelder zur Linderung der Hungersnot, von der Millionen Menschen betroffen waren, aufzubringen. In diesem Zusammenhang wurden rund 45 Priester exekutiert, weil sie Widerstand gegen Trotzkis Kampagne zur Enteignung von Kircheneigentum organisierten. Diese harte Politik muss aber unbedingt im Zusammenhang mit der Hungersnot gesehen werden, nicht als böswilliger Angriff auf die Kirche. [11]

Einige christliche Kirchen blühten unter den Bolschewiki sogar auf. Die Anhängerschaft der evangelikal-protestantischen Bewegung – zu der etliche konfessionelle Organisationen gehörten wie die Baptisten, Evangelikalen Christen, Pfingstler und Adventisten – stieg im ersten Jahrzehnt der sowjetischen Herrschaft von etwa 100.000 auf über eine Million. Diese Evangelikalen nutzten die in der sowjetischen Verfassung festgeschriebene Freiheit der religiösen Propaganda und missionierten umfangreich und mit Nachdruck. Sie veröffentlichten eine Vielzahl religiöser Schriften, unterhielten Bibelschulen zur Ausbildung von Priestern, organisierten Wohlfahrtsprogramme und bildeten Landwirtschafts- und Fabrikgenossenschaften. [12]

Ein Grund für den Aufstieg des Evangelismus war die erstaunliche Entscheidung Trotzkis im Oktober 1918 (ratifiziert durch die Regierung einige Monate später), Menschen, die den Waffendienst nachweislich wegen ihrer religiösen Überzeugung ablehnten, stattdessen medizinischen Ersatzdienst ableisten zu lassen. Diese Anweisung kam gerade in dem Moment, als der Bürgerkrieg voll in Gang kam. Paul Steeves, ein Wissenschaftler, der die russischen Evangelikalen studiert hat und den Bolschewiki feindlich gesinnt ist, stellt fest, dass keinesfalls ein direkter und ursächlicher Zusammenhang zwischen Pazifismus und der Ausweitung der Bewegung hergestellt werden könne. Er beobachtet allerdings gerade bei den Baptisten, dass „die spezielle Zeitphase [1917–1926], als pazifistische Ansichten in der Leitung der Russischen Baptistenunion vorherrschten, zusammenfällt mit der Zeit der außerordentlich großen, wachsenden Beteiligung an der baptistischen Bewegung“. [13] Mit anderen Worten, junge Männer traten den Evangelisten bei, um dem Militärdienst zu entgehen. Dennoch entschied sich die bolschewistische Führung, diesen Preis für die Aufrechterhaltung des Prinzips der Religionsfreiheit zu bezahlen.

Gleich nach der Revolution und der Machtübernahme machte sich Lenin Gedanken über zu scharfe atheistische Propaganda: „Im Kampf gegen religiöse Vorurteile muss man außerordentlich vorsichtig vorgehen; großen Schaden richtet dabei an, wer in diesem Kampf das religiöse Gefühl verletzt. Der Kampf muss auf dem Wege der Propaganda, der Aufklärung geführt werden. Wenn wir den Kampf mit scharfen Methoden führen, können wir die Massen gegen uns aufbringen“, erklärte er im November 1918. [14] Im Jahr 1921 überzeugte Lenin das Zentralkomitee der Partei davon, eine Direktive zu erlassen, um Parteimitglieder, die seinen Rat missachteten, maßregeln zu können: „Es muss unbedingt alles vermieden werden, das Einzelnationen Anlass geben könnte zu denken – und unseren Feinden zu behaupten –, dass wir Menschen wegen ihrer religiösen Überzeugungen verfolgen.“ [15]

Dennoch gab es Fälle, in denen kommunistische Gruppierungen darauf aus waren, bewusst religiöse Gefühle zu verletzen. Der Kommunistische Jugendbund organisierte zum Beispiel am 6. Januar 1923 ein „Rotes Weihnachten“ mit Prozessionen von Studenten und Arbeiterjugendlichen, die sich als Narren verkleidet hatten, die Internationale sangen und Puppen religiöser Persönlichkeiten verbrannten. Solche Ereignisse waren aber die Ausnahme und wurden von der bolschewistischen Führung heftig verurteilt. [16] Zudem war die atheistische Propaganda außerordentlich erfolglos, was mit dem Abebben der revolutionären Welle nach dem russischen Bürgerkrieg und der Niederlage der deutschen Revolution zu erwarten war. Die Bolschewiki hielten einen erfolgreichen Kampf gegen die Religion nur mit der Entstehung eines „nowyi byt“ (neuen Seins) für möglich, was hieß: saubere, warme und gesunde Lebensumstände, Elektrifizierung, entwickelte Landwirtschaft, steigender Lebensstandard. Mitte der 1920er Jahre jedoch kämpften sie immer noch mit den verhängnisvollen Folgen von sieben Jahren Krieg.

Lenins Aufsatz „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus“ wurde im März 1922 veröffentlicht, und die erste Ausgabe von Besboschnik (Der Gottlose) folgte noch im selben Jahr. Es war die erste längerlebige atheistische Massenzeitung. Diese und andere Publikationen hatten jedoch keinen wirklichen Einfluss: Schon bald waren ihre Herausgeber verzweifelt auf Materialsuche. Im Jahr 1925 wurde der „Bund der Gottlosen“ von einer kleinen Gruppe entmutigter Atheisten gegründet, er war in seinen Anfangsjahren jedoch wirkungslos. Als Stalin im Jahr 1929 faktisch jede Religionsausübung verbot, benannte er sich in „Bund der streitbaren Gottlosen“ um. Und erst jetzt stieg die Mitgliedszahl des Bunds sprunghaft an: Im Jahr 1931 verzeichnete er bereits fünf Millionen Mitglieder. [17]
 

Islam und der Zusammenbruch des Zarenreichs

Muslime hatten unter dem russischen Imperialismus schwer gelitten. Die Wut darüber kam nach der Einführung der Wehrpflicht in Mittelasien im Ersten Weltkrieg an die Oberfläche, als im Sommer 1916 bei einem Massenaufstand 2.500 russische Kolonialisten ihr Leben verloren. Dem Aufstand folgte die blutige Unterdrückung: Die Russen metzelten rund 83.000 Menschen nieder. Die Krise des Zarismus radikalisierte deshalb im Jahr 1917 Millionen Muslime, die Religionsfreiheit und Nationalrechte einforderten. Am 1. Mai 1917 fand der Erste Gesamtrussische Kongress der Muslime in Moskau statt. Unter den 1.000 Delegierten befanden sich 200 Frauen. Nach hitzigen Diskussionen stimmte der Kongress für den Achtstundentag, die Abschaffung privaten Grundbesitzes, die Einziehung großer Anwesen ohne Entschädigung, gleiche politische Rechte für Frauen und das Ende von Polygamie und Purdah (das Verbergen von Frauen vor der Öffentlichkeit hinter einem Schleier oder Vorhang). Mit diesem Kongress waren die russischen Muslime weltweit die Ersten, die Frauen von den herkömmlichen Beschränkungen in islamischen Gesellschaften jener Zeit befreiten. [18]

Der Islam war unter dem Zarenreich keineswegs ein monolithischer Glaube. Die Tartaren und Kirgisen zum Beispiel kannten die Tradition der Verschleierung von Frauen nicht. In Mittelasien, wo es den Schleier und die Abschottung von Frauen gab, stammten diese Praktiken häufig aus der Zeit nach der russischen Kolonisierung und waren vor allem unter städtischen Frauen in eher wohlhabenden Familien üblich. [19] Eine intellektuelle Strömung innerhalb des Islams in Mittelasien, die Dschadiden oder „Erneuerer“, sollten für die Revolution von großer Bedeutung werden. Sie versuchten ihr muslimisches Erbe im Licht der russischen Eroberung neu zu interpretieren.

Die Dschadiden formulierten eine harsche Kritik an der mittelasiatischen Gesellschaft der Jahrhundertwende und machten sie verantwortlich für den „Verfall“ und die „Entartung“ ihrer Gemeinde, da sie vom „reinen“ Islam abgewichen sei. Allerdings bedeutete der „reine“ Islam für die Dschadiden eine rationalistische Interpretation der religiösen Schriften, was modernes Wissen, das die Nationen mächtig und reich machte, voraussetzte. Ihre Vordenker waren gleichzeitig fasziniert vom Fortschritt und der Technologie, und sie waren bemüht, ihre Gesellschaft auf den Pfad des Islams zu führen. Diese antifeudalen Mittelschichtintellektuellen wollten Religion aus dem Unterricht entfernen und Frauen eine viel aktivere Rolle in der Gesellschaft zuweisen. [20]

Die Dschadiden orientierten sich deshalb am „fortschrittlichen“ und modernen Westen und lehnten sich gegen die islamische Geistlichkeit auf, die ihrer Auffassung nach die muslimische Gesellschaft zurückhielt. Sie identifizierten sich mit dem russischen Liberalismus und begrüßten folglich 1914 den Krieg gegen den Zarismus. Als jedoch die Leichenberge anwuchsen, wandten sich die Dschadiden von ihrem früheren Ideal ab. Ein weiterer Schlag kam 1918, als Trotzki die Geheimabkommen zu den Plänen des westlichen Imperialismus veröffentlichte, das Osmanische Reich unter sich aufzuteilen.

Inzwischen nannten sich die Dschadiden „Jungbucharier“, in Anlehnung an die Jungtürken, die die türkische Revolution von 1908 angeführt hatten (Buchara war ein Religions- und Kulturzentrum in Mittelasien). Abdurauf Fitrat, der einflussreichste Dschadid jener Zeit, schrieb im Jahr 1919, die Pflicht zur Vertreibung der Engländer aus Indien sei „ebenso groß, wie die Seiten des Korans vor dem Zertrampeln durch ein Tier zu bewahren … eine Aufgabe so groß wie die Vertreibung eines Schweins aus einer Moschee“. Der Bolschewismus wurde zu einer anziehenden Alternative für viele Dschadiden, die „in die vom Sowjetregime aufgebauten neuen Organe der Regierung strömten“. [21] Das Muslimische Kommissariat in Moskau hatte die Oberaufsicht über Russlands Politik gegenüber dem Islam; kaum als Kommunisten beleumundete Muslime erhielten führende Positionen in der Organisation. [22]

Die Dschadiden waren nicht die einzigen Muslime des einstigen Zarenreiches, die sich vom Bolschewismus angezogen fühlten. Es gab breite Diskussionen unter Muslimen über die Ähnlichkeit islamischer Werte mit sozialistischen Prinzipien. Anhänger des „islamischen Sozialismus“ appellierten an Muslime, Sowjets zu bilden. Volkstümliche Parolen lauteten: „Religion, Freiheit und nationale Unabhängigkeit!“ und „Lang lebe die Sowjetmacht, lang lebe die Scharia!“ [23]

Einen Einblick in die Einstellungen jener Zeit gibt Mohammed Barkatullah, zunächst Professor in Japan, dann ab 1919 Berater der afghanischen Monarchie, die sich für den Krieg gegen die Briten rüstete. Barkatullah bereiste weite Teile Mittelasiens (damals als Turkestan bezeichnet) und verbreitete seine Schrift „Bolschewismus und die islamische politische Welt“. Ein Exemplar fiel dem britischen Geheimdienst in Indien in die Hände, der es aus dem Persischen übersetzte. Es lohnt sich, etwas ausführlicher daraus zu zitieren:

Nach der langen dunklen Nacht der zaristischen Selbstherrschaft geht die Morgendämmerung der menschlichen Freiheit am russischen Horizont auf, und Lenin ist die Sonne, die diesen glücklichen Menschheitstagen Licht und Glanz spendet … Die Verwaltung der ausgedehnten Gebiete Russlands und Turkestans ist in die Hände der Arbeiter, Bauern und Soldaten gelegt worden. Unterscheidungen nach Rasse, Religion und Klasse sind aufgehoben … Aber der Feind dieser reinen, einzigartigen Republik ist der britische Imperialismus, der darauf hofft, die asiatischen Nationen im Zustand ewiger Knechtschaft zu halten. Er hat Truppen nach Turkestan verlegt, um den jungen Baum vollkommener menschlicher Freiheit zu fällen, in dem Moment, da er Wurzeln schlägt und kräftig wird. Die Zeit ist für die Mohammedaner der Welt und die asiatischen Nationen gekommen, die hochherzigen Prinzipien des russischen Sozialismus zu verstehen und sie ernsthaft und mit Begeisterung anzunehmen. Es ist ihre Aufgabe, die Kardinaltugenden, wie sie von diesem neuen System gelehrt werden, zu ergründen und zu erfassen, und zur Verteidigung der wahren Freiheit sollten sie sich den bolschewistischen Truppen anschließen, um die Angriffe der Usurpatoren und Despoten, der Briten, zurückzuschlagen. Sie sollten unverzüglich ihre Kinder in russische Schulen schicken, damit sie die modernen Wissenschaften, die edlen Künste, angewandte Physik, Chemie, Mechanik und so weiter erlernen. Oh Muslime! Hört auf diese heilige Verkündung! Antwortet dem Ruf der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, den der Bruder Lenin und die Sowjetregierung an euch richten!“ [24]
 

Muslime und Sowjets

Religionsfreiheit war für die unterdrückten Völker der ehemaligen russischen Kolonien ein wesentlicher Bestandteil der nationalen Freiheit. Das Ziel der bolschewistischen Politik bestand darin, so weit wie möglich Wiedergutmachung für die Verbrechen des Zarismus an nationalen Minderheiten und ihren Religionen zu leisten. Dabei ging es nicht nur um eine Frage einfacher Gerechtigkeit und grundlegender Demokratie, sondern auch darum, dass auf diese Weise die Klassenunterschiede unter den Muslimen in den Vordergrund rücken konnten. Nationale Autonomie und Unabhängigkeit von Russland wurden so zu einem entscheidenden Bestandteil sowjetischer Politik. In einer Erklärung der jungen Sowjetregierung „an alle werktätigen Mohammedaner Russlands und des Ostens“ vom 24. November 1917 hieß es:

„Muslime Russlands … ihr, deren Moscheen und Gebetshäuser von den Zaren und Unterdrückern Russlands verwüstet wurden, deren Überzeugungen und Sitten mit Füßen getreten wurden: Euer Glaube und eure Sitten, eure nationalen und kulturellen Einrichtungen sind für immer frei und unantastbar. Wisset, dass eure Rechte wie die aller Völker Russlands unter dem mächtigen Schutz der Revolution stehen …

Ein umfangreiches Programm mit dem Titel „korenisatsia“ oder „Indigenisierung“ wurde aufgelegt, das heute als „positive Diskriminierung“ bezeichnet würde. Als Erstes wurden die russischen und kosakischen Kolonisten und ihre Ideologen in der russisch-orthodoxen Kirche kaltgestellt. Die Vorrangstellung der russischen Sprache wurde aufgehoben, und in den Schulen, Regierungen und Verlagen durften wieder Regionalsprachen benutzt werden. Einheimische nahmen führende Positionen im Staat und den kommunistischen Parteien ein und wurden bei Stellenbesetzungen vor den Russen bevorzugt. Universitäten wurden eingerichtet, um eine neue Generation nichtrussischer Führer auszubilden. [25]

Heilige islamische Denkmale, Bücher und Gegenstände, die von den Zaren geraubt worden waren, wurden an die Moscheen zurückgegeben: Der Heilige Koran von Oman wurde im Dezember 1917 in Petrograd feierlich einem muslimischen Kongress überreicht. [26] Der Freitag wurde als Tag der muslimischen Religionsfeiern zum offiziellen Feiertag in ganz Mittelasien. [27]

Die Einführung des Schariagesetzes hatte während der Februarrevolution von 1917 zu den Kernforderungen der Muslime gehört. Und als sich der Bürgerkrieg 1920/21 dem Ende näherte, wurde in Mittelasien und dem Kaukasus ein paralleles Rechtssystem geschaffen, in dem die islamischen Gerichte in Übereinstimmung mit den Schariagesetzen neben den sowjetischen Rechtsinstitutionen Recht sprachen. Die Menschen sollten die Wahl zwischen religiöser und revolutionärer Gerichtsbarkeit haben. Eine Schariakommission wurde im sowjetischen Justizkommissariat als Oberaufsicht eingerichtet. Im Jahr 1921 wurde regionalen Abteilungen der Sowjetregierung eine Reihe von Ausschüssen beigeordnet, um die russische Gesetzgebung den Verhältnissen in Mittelasien anzupassen, wodurch Kompromisse zwischen den beiden Systemen zum Beispiel in der Frage der Heirat Minderjähriger oder der Polygamie ermöglicht wurden.

Einige Schariastrafen wie das Steinigen oder Handabschlagen wurden verboten. Entsprechende Entscheidungen eines Schariahgerichts mussten durch höhere Justizorgane bestätigt werden. Einige Schariagerichte setzten sich über das sowjetische Recht hinweg und weigerten sich, auf Antrag einer Ehefrau die Scheidung auszusprechen, oder setzten die Zeugenaussage von zwei Frauen mit der eines Mannes gleich. Im Dezember 1922 wurde deshalb ein Dekret erlassen, das die Berufung an sowjetischen Gerichten auf Antrag einer der Streitparteien ermöglichte. Trotzdem wurden 30 bis 50 Prozent der Gerichtsfälle von Schariagerichten behandelt, in Tschetschenien sogar 80 Prozent. Außerdem war das System keine Einbahnstraße: Es gab Fälle, wo Sowjetbeamte vom Schariagesetz beeinflusst wurden und Männer bestraften, die Alkohol getrunken oder ein Haus mit einer unverschleierten Frau betreten hatten. [28]

Ein parallellaufendes Bildungssystem wurde ebenfalls eingerichtet. Im Jahr 1922 wurden die Ansprüche auf bestimmtes islamisches Besitztum (waqf = fromme Stiftung) der muslimischen Verwaltung unter der Bedingung übertragen, dass es für Bildung verwendet werde. Als Folge entstand ein ausgedehntes System von Madrassen, religiösen Schulen. Im Jahr 1925 gab es 1.500 Madrassen mit 45.000 Schülern im kaukasischen Staat Dagestan, im Gegensatz zu gerade einmal 183 Staatsschulen. Im November 1921 gab es in Mittelasien über 1.000 sowjetische Schulen, verglichen mit der potenziellen Schülerzahl nahmen sich die 85.000 Schüler allerdings bescheiden aus. [29]

Als Folge der bolschewistischen Politik spaltete sich die islamische Bewegung in rechts und links. Die Historiker scheinen übereinzustimmen, dass sich die meisten muslimischen Führer bedingt für den Arbeiterstaat aussprachen, weil sie davon überzeugt waren, dass ihnen die Sowjetmacht am ehesten Religionsfreiheit gewähren würde. [30] Den Bolschewiki gelang es deshalb, Bündnisse mit der kasachischen panislamischen Gruppe Usch-Schus (die 1920 der kommunistischen Partei beitrat) zu schließen, mit den persischen panislamischen Guerillas innerhalb der Dschengelis, und mit den Waisiten, einer mystischen Sufibruderschaft. In Dagestan konnte die Sowjetmacht vor allem dank der Partisanen des Muslimführers Ali-Hadschi Akuschinski errichtet werden. In Tschetschenien konnten die Bolschewiki Ali Mataew für sich gewinnen, das Oberhaupt eines mächtigen Sufiordens, der das Tschetschenische Revolutionskomitee leitete. [31]

Für den Kampf in Mittelasien setzte Moskau nichtrussische Truppen ein, vielfach bestehend aus Muslimen. [32] Tataren, Baschkiren, Kasachen, Usbeken und turkmenische Einheiten standen hier den antibolschewistischen Invasoren gegenüber. Über 50 Prozent der Soldaten der Roten Armee an der Ostfront und der turkestanischen Front des Bürgerkriegs waren Tataren. In der Roten Armee im Kaukasus zählten die „Schariaschwadrone“ des kabardinischen Mullahs Katkachanow zehntausende von Mitgliedern. Der tatarisch-bolschewistische Führer Mir-Said Sultan Galiew schrieb: „Während des Bürgerkriegs waren Dörfer und sogar ganze Stämme von Bergvölkern zu beobachten, die an der Schlacht gegen die Truppen Bicharahows und Denikins an der Seite der Sowjetkräfte teilnahmen, einzig und allein aus religiösen Motiven: ‚Die Sowjetmacht gewährt uns größere religiöse Freiheit als die Weißen [Konterrevolutionäre]‘ erklärten sie.“ [33]

Einige Muslime zogen revolutionäre Schlussfolgerungen und traten kommunistischen Parteien bei. Trotzki stellte 1923 fest, dass in einigen Südrepubliken sogar 15 Prozent der Parteimitglieder an den Islam glaubten. Er nannte sie die „grobschlächtigen revolutionären Rekruten, die an unsere Tür hämmern“. In bestimmten Gegenden Mittelasiens bestand die kommunistische Partei aus bis zu 70 Prozent muslimischen Mitgliedern. Sie brachten Reste ihrer religiösen Sitten und ihres Glaubens mit: Mitte der 20er Jahre trugen sogar Ehefrauen hochrangiger kommunistischer Parteimitglieder in Mittelasien den Schleier. [34]

Der Historiker Adeeb Khalid stellte fest, dass nach der Gründung der Kommunistischen Partei Turkestans „allem Anschein nach Dschadiden sofort in die Partei strömten“. [35] Es hatte allerdings harter Arbeit bedurft, die russischen Chauvinisten in Mittelasien zu bekämpfen, die nach 1917 auf den revolutionären Zug aufgesprungen und unter Missbrauch der Parole „Arbeitermacht“ gegen die örtliche, überwiegend bäuerliche Bevölkerung vorgegangen waren. Zwei Jahre lang war die Region durch den Bürgerkrieg von Moskau abgeschnitten, und diese selbst ernannten „Bolschewiki“ hatten freie Hand, die einheimische Bevölkerung zu drangsalieren. Infolgedessen brach die Basmatschi-Bewegung aus – ein bewaffneter islamischer Aufstand. Lenin sprach von der „gewaltigen, gesamthistorischen“ Bedeutung, die Angelegenheit zu regeln. Im Jahr 1920 befahl er, „alle ehemaligen Mitglieder der Polizei, der Arme, der Sicherheitskräfte, Regierung und so weiter in Straflager zu verbringen, all die Geschöpfe der Zarenzeit, die die Sowjetmacht umschwärmen“. [36] Als Teil dieser Säuberung wurde in Mittelasien parteipolitisch ausschließlich von den Russen die „Aufgabe religiöser Vorurteile“ verlangt: Im Jahr 1922 wurden über 1.500 russische Mitglieder wegen ihrer orthodox-religiösen Überzeugungen aus der Partei in Turkestan ausgeschlossen, aber kein einziger Muslim. [37]
 

Stalins Angriff auf den Islam

Die Bemühungen der Bolschewiki, Religionsfreiheit und nationale Rechte zu garantieren, wurden ständig durch die sehr schwache Sowjetindustrie – und folglich die Schwierigkeit, grundlegende Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen – untergraben. Verzweifelte Armut drückte das Regime nieder. Bereits im Jahr 1922 musste Moskau die Subventionen für Mittelasien kürzen, und viele Staatsschulen mussten schließen. Lehrer gaben ihre Arbeit auf, weil ihnen die Gehälter nicht mehr ausgezahlt wurden. Auf diese Weise wurden gemeindefinanzierte muslimische Schulen zur einzigen Alternative: „Wer kein Brot liefern kann, wird sich hüten, den Brotersatz wegzunehmen“, sagte der Bildungskommissar Anatoli Lunatscharski. Den Schariagerichten wurden 1924 sämtliche Staatshilfen gestrichen. Allerdings hatten bereits wirtschaftliche Faktoren dazu beigetragen, dass Muslime ihre Beschwerden nicht mehr vor Gericht brachten. Wenn sich zum Beispiel ein Mädchen weigerte, eine arrangierte oder polygame Ehe einzugehen, hatte es geringe Chancen, sich selbst zu ernähren, weil es keine Arbeit gab und keine Möglichkeit, woanders zu leben. [38] In Russland selbst erlitt die Stellung der Frau auf Grund der Arbeitslosigkeit einen Rückschlag, und das Unvermögen des Staats, angemessene Mutterschaftsrechte zu gewährleisten, trieb Frauen zurück ins Heim und ließ die traditionelle Familie wieder auferstehen.

In dem Bemühen, Macht zu bündeln und die staatliche Kontrolle zu stärken, entdeckte die wachsende stalinistische Bürokratie, dass der russische Nationalismus bei Betonung der Kontinuität zwischen Stalinismus und den Zaren ein mächtiges Werkzeug sein konnte, die Arbeiter der größten nationalen Gruppierung, sprich: der russischen, an das Regime zu binden. Deshalb griff Stalin immer häufiger „nationalistische Abweichungen“ in den nichtrussischen Republiken an und förderte die Wiedergeburt des russischen Chauvinismus. Unterstützer fand er unter der großen Zahl ehemaliger zaristischer Beamter, auf die sich die Bolschewiki in der Armee und überall in Staat und Wirtschaft notgedrungen hatten stützen müssen. Im Jahr 1922 warnte Lenin, die Bolschewiki stünden kurz davor, „im Meer des großrussischen chauvinistischen Gesindels … wie eine Fliege im Milchtopf zu ertrinken“.

Vor dem Hintergrund der Erstarkung dieser Tendenzen ab Mitte der 1920er Jahre beschlossen die Stalinisten, einen Vollangriff auf den Islam einzuleiten. Unter dem Vorwand des Kampfs gegen „Kriminalität auf Grund überkommener Sitten“ stellten sie „Frauenrechte“ in den Mittelpunkt ihrer Kampagne, und in Usbekistan und Aserbaidschan vor allem das Schleiergebot. Die Parole lautete „Hudschum“, was in den Sprachen Mittelasiens so viel wie „Angriff“ oder „Sturm“ hieß. Nach zwei Jahren weitgehend unwirksamer Propaganda trat der „Hudschum“ am 8. März 1927, dem Internationalen Frauentag, in seine Massenaktionsphase. Auf Großveranstaltungen wurden Frauen aufgefordert, den Schleier abzulegen: Kleine Gruppen einheimischer Frauen sollten zur Bühne gehen und ihre Schleier in die Freudenfeuer werfen.

Der Autor einer neu erschienenen Geschichte des Hudschums weist darauf hin, dass in den Anfangsjahren der Sowjetmacht den Bolschewiki nicht im Traum der Gedanke gekommen wäre, Muslimfrauen zur Ablegung ihres Schleiers zu ermutigen – geschweige denn, sie zu zwingen:

Zusammenfassend betrachtet, waren vor 1926 die angeblich vom Schleier ausgehende gesellschaftliche Gefahr und die nachteiligen Auswirkungen bestenfalls zweitrangiger Natur. Die Parteilinie vor 1926 besagte recht eindeutig, dass dies [die Entschleierung] für die Politik von Schenotdel [der Frauenabteilung] keine wesentliche Rolle spielen sollte. Eher im Gegenteil: Viele Bolschewiki in Amtpositionen argumentierten ausdrücklich gegen die Entschleierung, weil sie verfrüht oder, schlimmer noch, eine Ablenkung sei, die lediglich den Parteiinteressen schaden würde. [39]

Der Führer der Roten Armee, Michail Frunse, erklärte im Mai 1920 den 118 Delegierten des ersten Kongresses der Turkestanischen Frauen – die alle verschleiert waren –, dass ihr Parandschi (der schwere Pferdehaarschleier, der fast bis zum Boden reicht) in den Augen der Sowjetbehörden nichts Negatives über sie oder ihre politischen Ansichten aussage. Im Bürgerkrieg würden diese Schleier sogar militärischen Zwecken dienen: Die Delegierten könnten zur Befreiung Turkestans beitragen, erklärte er, und ergänzte: „Unter dem Parandschi schlägt ein ehrenwertes Herz, unter dem Parandschi kann der Revolution ergeben gedient werden, und der Parandschi verbirgt manchmal einen mutigen Pionier der Roten Armee.“ [40] Im Jahr 1923 waren Parteiführer in Mittelasien gegen diejenigen vorgegangen, die zur Entschleierung der usbekischen Frauen aufriefen, da sie sich des „Linksabweichlertums“ schuldig gemacht hätten. Noch im August 1925 porträtierte der Hauptredner einer allusbekischen Schenotdelversammlung die Entschleierung als eindeutig unbolschewistisch, er argumentierte, die „wirtschaftliche und materielle Sicherheit von Frauen ist der entscheidende Weg zur Lösung der ‚Frauenfrage‘“. Ein Bolschewik musste sich zudem „gegen die Auffassung der Dschadiden wenden, die unter Frauenbefreiung in erster Linie das Abwerfen des Schleiers verstanden, statt der Förderung der vollständigen politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frauen“. [41]

Dagegen stellte der Hudschum die marxistische Praxis auf den Kopf: Statt Frauen zu ermutigen, ihre Unabhängigkeit zu erweitern, indem ihnen die Möglichkeit zu Studium, Arbeit und Leben außerhalb der althergebrachten Familie geboten wurde, war der Hudschum darauf angelegt, sie mittels hartnäckiger Propaganda zu überzeugen, wobei Polygamie, Minderjährigenheirat und Brautpreis gesetzlich verboten wurden. Mit der Kampagne sollte auf einen Schlag die Umgestaltung der Sexualbeziehungen und des Familienlebens erreicht werden. Die Partei setzte auf eine Kampagne, obwohl sich in den Reihen der Partei kaum einheimische Frauen befanden, die sie hätten anführen können. Im Jahr 1926 war die Mitgliedschaft der Kommunistischen Partei Usbekistans zu 93,5 Prozent männlich; im Juli 1927 gab es nur 426 usbekische Frauen in der Partei, die weniger als ein Viertel der gesamten weiblichen Mitgliedschaft repräsentierten. Die damalige Gesamtbevölkerung in der Republik betrug 5 Millionen Menschen. [42]

Von der überwiegenden Mehrheit der einheimischen Bevölkerung wurde der Hudschum unweigerlich als von außen aufgezwungener Akt russischer Kolonisierer gesehen. Und zu alledem wählte Moskau als Anführer des Hudschums zwei russische Männer, die dafür bekannt waren, zu den „großrussischen Chauvinisten“ zu gehören, wie Lenin sie besorgt bezeichnet hatte“. [43] Bei solchen Bürokraten hatte die Sorge um muslimische Frauen wenig zu tun mit ehrenwerten Ideen von Befreiung; vielmehr machten sie sich Gedanken über die nicht ausgeschöpfte Quelle Frau als Arbeitskraft. [44] Die Kampagne fand vor dem Hintergrund tief greifender ethnischer Spannungen zwischen den Russen und der einheimischen Bevölkerung Mittelasiens statt. Der Autor einer wertvollen Geschichte des Nationalismus jener Zeit stellt fest:

Die meisten Konflikte wurden natürlich nicht mit Gewalt ausgetragen. Häufiger waren Akte symbolischer Gewalt. Angesichts der Auseinandersetzung über das Recht, die zentralasiatischen Republiken als sein Eigen zu betrachten, erhielten symbolische Fragen besonderes Gewicht … Die am häufigsten gemeldeten symbolischen Gewalttaten bestanden darin, dass Russen Muslimen Schweinefett auf die Lippen rieben oder sie zwangen, Schweinefleisch zu essen.

Der voluntaristische Irrsinn des Hudschums, eines Vorboten von Stalins Zwangskollektivierung, wurde zur Katastrophe für die Frauen und für die Kommunistische Partei. [45] Zunächst scheiterte die Abschaffung des Schleiers: Die übergroße Mehrheit der Frauen, die ihren Schleier öffentlich abgelegt hatten, legten ihn sehr schnell wieder an – eine Tatsache, die in fast allen internen Parteidokumenten zugegeben wird. Dann gab es einen Gegenschlag gegen die Kampagne, die sich in einer Welle von Angst, Feindschaft und schließlich Gewalt äußerte. Die Teilnahme an Gebeten und Versammlungen in Moscheen nahm erheblich zu, es kam zu einem weitverbreiteten Abzug muslimischer Kinder, vor allem von Mädchen, aus sowjetischen Schulen, und zu erhöhten Austritten einheimischer Jugendlicher aus dem Jungkommunistenbund. Auf den Straßen waren unverschleierte Frauen zunehmender Schikane und öffentlicher Schändung ausgesetzt. In einigen Dörfern wurden Frauen von männlichen Jugendbanden vergewaltigt, und eine wachsende Zahl wurde ermordet, nicht selten von der eigenen Verwandtschaft. Mitte 1928 erreichte die Gewalt ihren Höhepunkt. Jede Person, egal ob männlich oder weiblich, die auch nur entfernt mit der „Kulturrevolution“ identifiziert wurde, geriet ins Visier. Tausende kamen dabei um. Wenn die Mörder gefasst und bestraft wurden, wurden sie nicht selten von der örtlichen Bevölkerung als Märtyrer gefeiert. [46]

Die wichtigsten Historiker zum Thema Hudschum stimmen darin überein, dass infolge dieses Angriffs der Islam in der Sowjetunion erstarkte. Statt eines sechsmonatigen Feldzugs zur Ausrottung des Schleiers, wie ursprünglich geglaubt, brauchte die Partei Jahrzehnte, um ihr Versprechen auf Abschaffung des Parandschis zu erfüllen. Es dauerte bis in die 1950er und 1960er Jahre, bis der Schleier in Mittelasien auf den Straßen zur Seltenheit wurde. Als Usbekistan 1991 aus der UdSSR ausscherte, kam der Schleier als Symbol der nationalen Unabhängigkeit und ohne jeden Staatseingriff sehr schnell wieder in Mode. [47]
 

Theorie und Praxis

Wenn rechte Kritiker der Bolschewiki mit deren demokratischer Geschichte im Umgang mit Religion konfrontiert werden, beharren sie in der Regel darauf, dass Lenin lediglich Zeit schinden wollte und seine wahren Absichten verbarg, weil das Regime noch schwach war. Tatsächlich aber gab es in dieser Frage eine starke Kontinuität zwischen Lenins Schriften und seiner politischen Praxis vor der Revolution und in den anschließenden Jahren. Die kommunistischen Parteien begannen erst ab Mitte der 1920er Jahre mit dieser Tradition zu brechen, als die konterrevolutionäre Reaktion einsetzte. Zum Ende des Jahrzehnts hatten sie dem Leninismus endgültig den Rücken gekehrt.

Wäre es den Bolschewiki lediglich darum gegangen, die religiösen Minderheiten mit Tricks zur Unterstützung der Sowjetmacht zu gewinnen, dann wäre es nicht notwendig gewesen, nach Ende des Bürgerkriegs Schariagerichte und Religionsschulen zuzulassen. Die Einrichtung paralleler Rechts- und Bildungssysteme bedeutete einen erheblichen Abzug von den Mitteln des zentralen Staatsapparates, ebenso das breit angelegte Programm der „positiven Diskriminierung“, über das Einheimische bevorzugt Arbeit erhielten, die kyrillische Schriftsprache aufgegeben, russische Kolonisten umgesiedelt und ganze Fabriken in entfernte Regionen des ehemaligen Reichs verlagert wurden. Hätten die Bolschewiki die geheime Absicht gehegt, gegen jeden Menschen mit religiösen Auffassungen vorzugehen, dann machte es wenig Sinn, ab 1918 den religiös motivierten Pazifisten das Recht zur Wehrdienstverweigerung einzuräumen.

Das heißt nicht, dass es unter den Bolschewiki keine Auseinandersetzungen über ihre Haltung zur Religion gab, was sich eng verband mit Debatten über die nationale Frage. Viele Bolschewiki, auch Mitglieder der Führung, waren mit Lenin und Trotzki nicht einverstanden, setzten sich in den Anfangsjahren jedoch nicht durch. Diese Genossen machten keinen Unterschied zwischen dem Nationalismus des Unterdrückers und dem der Unterdrückten, oder der Religion des Unterdrückers und der der Unterdrückten. Ihnen galt jede Religion als Feind. Sehr früh begriff Lenin, dass diese abstrakte Opposition gegen nationale und religiöse Rechte leicht in das Fahrwasser eines wieder auflebenden russischen Chauvinismus geraten konnte.

Die Meinungsverschiedenheiten spitzten sich zu, nachdem Lenin und Stalin sich über die nationale Frage entzweiten. In diesem Streit ging es um entscheidende politische Prinzipien [48] und er wurde auf einer geschlossenen Versammlung führender Bolschewiki der äußeren Republiken in Moskau im Juni 1923 bis ins Kleinste ausgefochten. Das Thema Religion, vor allem der Islam, zog sich wie ein roter Faden durch die Diskussion. Immer wieder verbanden die Ultralinken, die Ordschonikidse unterstützten (der wiederum Stalins Position vertrat), ihren Angriff auf Lenins Nationalitätenpolitik mit Kritik an der „liberalen“ Haltung der Partei zur Religion. Zum Beispiel griff der Krimtatare Firdjews den turkestanischen Führer Chodschanow an, weil dieser davon sprach, eine „lebendige Moschee“ in Mittelasien neben den Dschadiden schaffen zu wollen. Und er griff die an kommunistische Beamte im Osten gerichtete Forderung der Bolschewiki nach Erlernen der Regionalsprachen als „neue Form der Unterdrückung“ der nationalen Mehrheit – also der Russen – an. [49]

In Chodschanows Rede wurde sehr deutlich, wie auch er von der Idee beeinflusst war, dass die Verkündigungen der Partei zur nationalen Frage lediglich „außenpolitische Spiele“ seien und nicht eine Frage des Prinzips. Die stenografische Mitschrift zeigt, dass Trotzki ihn an diesem Punkt sofort unterbrach, um die Sache richtig zu stellen. Dennoch zeigen Chodschanows Bemerkungen zur Religionspolitik in Turkestan nach wie vor die Bemühungen der Partei, Lenins Taktik anzuwenden:

Mit der Hilfe der liberalen Dschadiden beginnt eine lebendige Moschee zu erstehen. Der konkrete Kampf mit den klerikalen Elementen, den Ulemas [Religionsoberhäuptern], sollte sich in einem Kampf zur Einführung der Institution der kasii [oder Kadis – islamische Richter] ausdrücken. Dabei sollten unsere Dschadiden mit dafür sorgen, dass diese Posten durch Liberale und nicht durch Geistliche besetzt werden. Wir müssen die Einrichtung der offiziellen Volkskadis unter der kirgisischen Bevölkerung von Fergana fördern und Einfluss gewinnen, indem wir uns auf die linkeren Elemente stützen. Dann stellt sich noch die Frage, wie das waqf-Eigentum verwaltet werden soll. In diesen Fragen sind wir auf ein Bündnis mit linken Kräften der nicht parteigebundenen Intelligenz angewiesen, also mit den Liberalen. [50]

Auch Achundow aus Aserbaidschan sprach von einer Kampagne zur Diskreditierung der konservativen islamischen Eliten, indem „die mehr oder weniger liberalen Mullahs“ davon überzeugt werden sollten, während des Ramadans einen Appell zu verfassen, den Opfern der Hungersnot im Osten zu helfen, statt das Geld wie üblich an die religiöse Hierarchie fließen zu lassen. Auf diese Weise hofften die aserbaidschanischen Kommunisten, Chodschanows „lebendige Moschee“ abspalten und der Kontrolle der traditionalistischen islamischen Führer entziehen zu können. [51] Elderchanow aus Tschetschenien verwies seinerseits auf die verheerenden Konsequenzen, wenn religiöse und nationale Gefühle verletzt würden: „Zuckersüße Reden und ein Lächeln für die Arbeiter, während den Mullahs an den Bärten gezupft und die Steuern mit vorgehaltenem Bajonett eingetrieben wurden, weshalb nur 5 oder 6 Prozent des selbst gesteckten Ziels erreicht wurde; maßlose militärische Methoden, unter denen die friedliche Bevölkerung litt, während die Banditen in die Hügel flüchteten – all dies führte am Ende zur Feindschaft gegenüber der Sowjetmacht.“ [52]

Als Nachhall der rechten Kritik an der Politik der Bolschewiki behaupten heute einige Linke, die Bolschewiki hätten lediglich Zugeständnisse an nationale und religiöse Gefühle gemacht und seien wegen der besonderen Anforderungen des Bürgerkriegs von ihren marxistischen Prinzipien abgerückt. [53] Die geschichtlichen Dokumente beweisen eindeutig, dass dies in Bezug auf Lenin und Trotzki nicht stimmt, und die Bolschewiki, die nicht ihrer Meinung waren, stellten sich in dieser Auseinandersetzung auf die Seite Stalins. Noch wichtiger dabei ist, dass bei dieser nicht durchdachten Annahme, wonach die Bolschewiki ihre Prinzipien aufgegeben hätten, weil sie vorübergehend die Unterstützung auch von nicht mit ihnen übereinstimmenden Leuten brauchten, im Kern die Möglichkeit der Bildung von Einheitsfronten ausgeschlossen ist. In einer Einheitsfront sind Revolutionäre bereit, für eine bestimmte Sache zu kämpfen, unabhängig von darüber hinausgehenden Meinungsverschiedenheiten mit ihren Verbündeten, während sie gleichzeitig auf dem Recht auf unabhängige Organisation und unabhängige Politik bestehen. Die Vorstellung von einer Einheitsfront ausschließlich mit Menschen, die mit einem übereinstimmen – aus Angst vor der Aufgabe marxistischer Prinzipien – ist Kindergartenmaterialismus. [54]

Die Unterstützung der Bolschewiki für nationale Rechte war kein Blankoscheck für Abspaltung. Lenin formulierte die Notwendigkeit, die Politik an den konkreten Verhältnissen auszurichten, um die Einheit der Arbeiter unterschiedlicher Nationalitäten im Kampf gegen ihre eigene herrschende Klasse so stark wie möglich zu machen. In seinen Schriften über die nationale Frage schenkte Lenin der Religion nur wenig Beachtung. Wir dürfen aber als Ursache annehmen, dass Religionsfreiheit so offensichtlich eine wesentliche Forderung nationaler Bewegungen unter dem Zarismus war. [55]

Kurzgefasst lautete seine Haltung wie folgt: Kampf gegen jede religiöse Unterdrückung – unbedingt ja. Kampf für jede religiöse Entwicklung, für die „religiöse Kultur“ schlechthin – unbedingt nein. [56] Ob Marxisten aktiv die Forderung nach Religionsfreiheit aufgreifen, hängt von den konkreten Umständen ab, nicht von abstrakten Parolen. [57] Die scheinbare Toleranz der Bolschewiki gegenüber dem Schariagesetz war eine Anerkennung der Tatsache, dass der islamische Konservativismus nur dann zurückgedrängt werden konnte, wenn mit der großrussischen chauvinistischen Politik gebrochen wurde. Nur dann konnten die religiösen Eliten nicht mehr so leicht Menschen klassenübergreifend um die Moschee scharen, und die Klassenspaltungen in der muslimischen Gesellschaft könnten zu Tage treten.

Es gab häufig Differenzen zwischen der Politik, wie sie in Moskau von der bolschewistischen Führung verabschiedet worden war, und der Politik unerfahrener Genossen in entfernten Gegenden, wo der Chauvinismus unter Russen oder ultralinke Einstellungen unter einheimischen Aktivisten ständig Probleme bereiteten. [58] Den Mullahs an den Bärten zu zupfen entsprach ebenso wenig der Moskauer Politik wie die Verurteilung eines Manns durch ein sowjetisches Gericht, weil er Alkohol getrunken hatte. Aber religiöse Freiheit hieß nicht, kleinen Gruppen von frömmelnden Heuchlern das Recht einzuräumen, im Namen der Religion nach Belieben zu verfahren: Deshalb waren den extremeren Interpretationen des Schariagesetzes Beschränkungen auferlegt. Frauen von Schenotdel mussten mit ihrem Leben bezahlen, als sie versuchten, den weit verbreiteten abstoßenden Sexismus in isolierten islamischen Gemeinden zu bekämpfen.

Auf dem Kongress der Völker des Ostens in Baku im September 1920 riefen Sinowjew und Radek zu einem „heiligen Krieg“ (gasawat) gegen den westlichen Imperialismus auf. Ob diese Losung opportunistisch war, lässt sich nur beurteilen, wenn die damaligen politischen Umstände berücksichtigt werden. Die Bolschewistische Partei litt in dieser Zeit unter einem starken ultralinken Einschlag und chauvinistischer Infiltration in den ehemaligen Kolonien. Die Führung versuchte auch eine Sprache zu benutzen, die von Millionen verstanden wurde. Wer Menschen zum Kämpfen und Sterben für die Sowjetmacht auffordert und weiß, dass viele diese Entscheidung unter religiösen Vorzeichen treffen, kann kaum so tun, als ob dieser Krieg nicht zumindest teilweise für diese Menschen ein Religionskrieg ist. Gleichzeitig betonten Sinowjew und Radek wiederholt, dass dieser Krieg auch ein Klassenkrieg sei, in dem auch die reaktionären Mullahs bekämpft werden müssten: „So manches Mal habt ihr von euren Regierungen den Ruf zum heiligen Krieg vernommen, so manches Mal seid ihr unter dem grünen Banner des Propheten ausgezogen, aber alle diese heiligen Kriege waren nichts als Lug und Trug, sie dienten nur den Interessen eurer eigennützigen Herrscher. Ihr Bauern und Arbeiter aber bliebt auch nach diesen Kriegen in Sklaverei und Elend … Wir rufen euch zum heiligen Kriege für euer eigenes Wohl, für eure Freiheit, euer Leben!“ [59]

Als konservative Muslime sich den konterrevolutionären Kräften anschlossen, die das sowjetische Regime angriffen, wurde kein Federlesens gemacht. Der Imam Nadschmuddin Gotsinski führte im September 1920 einen bewaffneten Aufstand gegen die Bolschewiki in Dagestan an. Seine Einstellung entsprach der seines Vorgängers, Udschun Hadsch: „Ich flechte einen Strick, um daran Ingenieure, Studenten und all die aufzuknüpfen, die von links nach rechts schreiben“ (gemeint ist in lateinischer oder kyrillischer Schrift). Der Aufstand konnte erst nach großem Blutvergießen und nach der Gefangennahme Gotsinskis 1925 niedergeschlagen werden. [60]
 

Schlussfolgerungen

Unter Lenin und Trotzki stand die bolschewistische Führung zu ihrem marxistischen Verständnis, wonach die revolutionäre Partei vor allem in Worten, nicht aber in Taten atheistisch sein müsse. Dagegen hatte der Staat nichtreligiös, aber nicht antireligiös zu sein. Religionsgemeinschaften wurden mit der Revolution beachtliche Freiheiten gewährt, hingegen wurde der Handlungsfreiraum für die Religion des Zarenreiches wegen ihrer engen Bindung an die ehemalige herrschende Klasse am ehesten beschränkt. Gläubige, einschließlich der Muslime, die sich selbst als Revolutionäre betrachteten, wurden gerne in die bolschewistischen Reihen aufgenommen. Nichtkommunistische Gläubige, die die Revolution unterstützten, besetzten Führungspositionen im Staatsapparat. Einige wichtige muslimische Organisationen traten als Verband den kommunistischen Parteien bei oder kamen den Bolschewiki bei der Verteidigung der Revolution zu Hilfe.

Die Forderung von Muslimen nach Religionsfreiheit war untrennbar verflochten mit der Forderung nach nationalen Rechten. Die Bolschewiki kämpften an der Seite der Muslime, um den zaristischen und russischen Kolonialisten diese Rechte abzuringen, ebenso wie den kommunistischen Ultralinken. Für diese Rechte wurde als Teil der Revolution gekämpft und sie wurden im Rahmen der Revolution gewonnen – nicht als Zugeständnis eines antireligiösen Regimes, das nur darauf wartet, über Gläubige herzufallen. Die Angriffe auf diese Rechte gingen von den russischen Chauvinisten des früheren Regimes aus, unter denen sich viele Militaristen befanden, die nach dem Bürgerkrieg in den Staatsapparat strömten und nach und nach in Stalin den Führer der Konterrevolution sahen. Diese Elemente wurden allerdings gestärkt durch starke ultralinke Strömungen unter den Bolschewiki selbst, die Lenins Herangehensweise ablehnten und nur Verachtung für nationale oder religiöse Rechte empfanden. (Die meisten dieser Genossen kamen später durch das Stalinregime um.)

Der islamische Schleier war für die Bolschewiki unter Lenin kein Thema. Der Hauptangriff auf den Schleier wurde 1927 von den russischen Chauvinisten und Stalinisten geführt. Es war ein beängstigender Vorbote der Zwangskollektivierung einige Jahre später. Zwangsentschleierung war eine stalinistische Politik, die den Leninismus auf den Kopf stellte. Wenn Sozialisten heute also für das Recht muslimischer Frauen in Europa eintreten, den Hidschab zu tragen, wenn sie zusammen mit Muslimen gegen die Besatzung des Iraks, Palästinas und Afghanistans demonstrieren, wenn sie das Recht von Muslimen verteidigen, gegen diese Besatzung auch gewaltsamen Widerstand zu leisten, und wenn sie mit Muslimen in Einheitsfrontbündnissen wie der neuen Linkspartei Respect zusammenarbeiten, dann halten sie eine Tradition hoch, die auf Lenin und Trotzki zurückgeht.

 

 

Footnotes

1. Nach den Juli-Ereignissen schrieb Yasmin Alibhai Brown über das „schiere amoralische Übel“ der „sich selbst hassenden Psychoperversen“, „Islamfaschisten und Killern“ mit „irren Augen“ (Let Us Not Grace these Bombers with a Cause [Zeichnen wir diese Bombenattentäter nicht auch noch mit einem Grund für ihre Taten aus], Independent, 11. Juli 2005). Polly Toynbee warf der SWP vor, Mitläufer eines „primitiven islamischen Extremismus“ zu sein (In the Name of God, Guardian, 22. Juli 2005); und Nick Cohen, der immer eine Beschimpfung parat hat, sagte, die liberale Linke sei „Mitläufer einer psychopatischen extremen Rechten geworden“ (I Still Fight Oppression [Ich kämpfe weiterhin gegen Unterdrückung], Observer, 7. August 2005).

2. Marxists and Religion: Yesterday and Today, in: International Viewpoint, März 2005, und über www.marxsite.com/Marxism%20and%20Religion.pdf.

3. Der Nahe Osten im Spiegel des Marxismus, Rede auf „Marxism“, dem jährlichen Kongress der Socialist Workers Party in London, Juli 2004. Achcar erklärte dort, dass Christentum und Islam sehr unterschiedlichen Ursprungs seien – Ersteres sei aus einer verfolgten Sekte heraus entstanden, der Islam dagegen von einer Gruppierung begründet, die sich sehr schnell zum Beherrscher eines mächtigen Reiches aufgeschwungen habe, weshalb der Koran sich linker Interpretation entziehe: „Es dürfte äußerst schwierig sein, irgendeine Stelle im Koran aus linker, radikaler Sicht zu deuten. Deshalb sagen sie, dass Gott euch in Klassen geboren hat, weshalb gesellschaftliche Klassen natürlich sind und nicht unterdrückt werden können. Über die Frauenfrage muss ich gar nicht erst sprechen … hier führt der Koran zu einer durch und durch reaktionären Politik.“ Ein marxistischer Ansatz zur Erklärung des Islams beginnt dagegen mit den materiellen Umständen in der Gesellschaft, nicht mit Schriften wie dem Koran.

4. Building on the Success of the London ESF, International Socialist Tendency (IST) Discussion Bulletin, London, Januar 2005.

5. W. I. Lenin, Sozialismus und Religion, in: Lenin, Werke, Bd. 10, Berlin 1982, S. 74.

6. Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Marx/Engels, Werke, Bd. 1, Berlin 1988, S. 378.

7. Über das Verhältnis der Arbeiterpartei zur Religion, Lenin, Werke, Bd. 15, S. 408, 411.

8. Leo Trotzki, Mein Leben, Frankfurt am Main 1981, S. 102.

9. Tony Cliff, Lenin, Bd. 1: Building the Party, London 1986, S. 84–86.

10. Ebd., S. 157–158.

11. William B. Husband, Godless Communists: Atheism and Society in Soviet Russia, 1917-1932, Illinois 2000, S. 54–57.

12. Paul D. Steeves, Keeping the Faiths: Religion and Ideology in the Soviet Union, New Jersey 1991, S. 85/86. www.stetson.edu/artsci/russian/keepingthefaiths02.html.

Mit der Machtkonsolidierung Stalins wurden im April 1929 all diese Aktivitäten, die das Wachsen der protestantisch-evangelikalen Bewegung so gefördert hatten, verboten.

13. Russian Baptists and the Military Question, 1918–1929, in: Peter Brock und Thomas P. Socknat (Hg.), Challenge to Mars: Essays on Pacifism from 1918 to 1945, Toronto 1999, S. 21–40.

14. Lenin, Werke, Bd. 28, Berlin 1980, S. 176.

15. Zit. n. Steeves, a.a.O.

16. Husband, a.a.O., S. 58/59.

17. Siehe Husband, ebd., S. 59–66. Nach Artikel 17 des Gesetzes „zu religiösen Vereinigungen“: „Religionsgemeinschaften sind folgende Aktivitäten untersagt: a) die Schaffung von Hilfsfonds, Kooperativen, industriellen Vereinigungen und allgemein die Verwendung des ihnen zur Verfügung gestellten Eigentums für andere Zwecke als die der Befriedigung religiöser Bedürfnisse; b) materielle Hilfestellung für Mitglieder; c) das Organisieren gesonderter Kinder-, Jugend- und Frauengebets- oder anderer Veranstaltungen, oder allgemeiner Bibel-, Literatur-, Handwerks-, Arbeiter- oder Religionsstudiumstreffen, von entsprechenden Gruppen, Zirkeln, Abteilungen sowie auch das Organisieren von Ausflügen und Anlegen von Kinderspielplätzen, die Eröffnung von Bibliotheken und Lesesälen, und die Verwaltung von Pflegeheimen und Kliniken …“

18. Alexandre Bennigsen und Chantal Lemercier-Quelquejay, Islam in the Soviet Union, London 1967, S. 768; Richard Pipes, The Formation of the Soviet Union, New York 1954, S. 77.

19. Douglas T. Northrop, Hujum: Unveiling Campaigns and Local Responses in Uzbekistan, 1927, in: Donald J. Raleigh (Hg.), Provincial Landscapes: Local Dimensions of Soviet Power, 1917-1953, Pittsburg 2001, S. 125–145.

20. Adeeb Khalid, The Politics of Muslim Cultural Reform: Jadidism in Central Asia, Berkeley 1998.

21. Adeeb Khalid, Nationalizing the Revolution in Central Asia: The Transformation of Jadidsm, 1917–1920, in: Terry Martin und Ronald G. Suny, A State of Nations: Empire and Nation Making in the Age of Lenin and Stalin, Oxford 2001.

22. Jeremy Smith, The Bolsheviks and the National Question, 1917-1923, London 1999, S. 131.

23. F. M. Mukhametshii, Musul’mane Rossii, Moskau 2001, S. 48/49.

24. Diese Arbeit wird in Khalid erwähnt, Nationalizing, a.a.O. Ich bin Irina Lester dankbar, dass sie für mich den vollständigen Text aus den Eingeweiden der British Library hervorgezaubert hat.

25. Einzelheiten siehe in: The Seeds of National Liberation, International Socialism 94, London 2002, S. 115-142. Siehe auch mein Aufsatz Lewje i prawa malych narodow, Swobodnaja Mysl-XXI, Nr. 7, 2004, www.postindustrial.net.

26. Abdurahman Avtorkhanov, Imperija Kremlija, Vilnius 1988, S. 99.

27. Alexander G. Park, Bolshevism in Turkestan, 1917–1927, New York 1957, S. 214.

28. Dieser und der vorhergehende Absatz stützen sich auf Park, ebd., S. 229–234; F. M. Mukhametshii, a.a.O., S. 45–48; Vladimir Olegovich Bobrovnikov, Musul’mane Sewernowo Kawkasa, Moskau 2002, S. 217–234; Northrop, Veiled Empire: Gender and Power in Soviet Central Asia, New York 2004, S. 77–78, 274–275; Gregory J. Massell, The Surrogate Proletariat: Moslem Women and Revolutionary Strategies in Soviet Central Asia: 1919–1927, Princeton 1974, S. 202–203.

29. Marie Bennigsen Broxup, Russia and the North Caucasus, in: Marie Bennigsen Broxup (Hg.), The North Caucasus Barrier: The Russian Advance Towards the Muslim World, London 1992, S. 7; Terry Martin, The Affirmative Action Empire: Nations and Nationalism in the Soviet Union, 1923–1939, New York 2001, S. 130; Park, ebd., S. 242–243.

30. Massell, a.a.O.; Alexandre Benningsen und S. Enders Wimbush, Muslim National Communism in the Soviet Union: A Revolutionary Strategy for the Colonial World, Chicago 1979; Khalid, The Politics, a.a.O.

31. Bennigsen und Wimbush, a.a.O., S. 222–223; Bobrovnikov, a.a.O., S. 218; Bennigsen Broxup, a.a.O., S. 6; Avtorkhanov, a.a.O., S. 99.

32. Es muss festgehalten werden, dass in einem großen Teil der Literatur über die Anfangsjahre der bolschewistischen Herrschaft und in der bolschewistischen Literatur selbst das Wort „Muslim“ verkürzt für Nationalität oder Geografie verwendet wird, nicht als Beschreibung für Anhänger einer Religion: Selbst Trotzki spricht vom „muslimischen Nationalismus“ (Wospitanije molodeschi i natsionalnji wopros, Prawda, 1. Mai 1923). Darin spiegeln sich Vorstellungen jener Zeit, aber auch die Neuheit von Nationalstaaten in Mittelasien. Das Buch von Bennigsen und Wimbush wird durch diese Konfusion erheblich beeinträchtigt.

33. Mir-Said Sultan Galiev, The Tartars and the October Revolution and The Methods of Anti-religious Propaganda Among Muslims (1921), beide nachgedruckt in Bennigsen und Wimbush, a.a.O., S. 138–157. Aus den muslimischen Gebieten Russlands gingen einige brillante kommunistische Führer hervor – wie Sultan Galiew. Als Sohn eines Lehrers trat er den Bolschewiki im November 1917 mit knapp 23 Jahren bei und wurde einige Monate später Leiter des Muslimischen Kommissariats. Er war ein Vielschreiber und begnadeter Redner. Aus der neueren Geschichte kennen wir nationale Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, die sich „sozialistisch“ oder „marxistisch“ genannt haben: Sultan Galiew ist der intellektuelle Vater dieser Idee. (Ahmed Ben Bella aus Algerien beispielsweise beruft sich gerne mit Stolz auf ihn.) Sultan Galiew argumentierte, die nationalen Befreiungsbewegungen des Ostens seien von Natur aus antiimperialistisch, sozialistisch und revolutionär. Seine Verschmelzung von Marxismus, Nationalismus und Islam bedeutete ohne Frage eine große Abweichung vom Bolschewismus, aber er entwickelte sie unter besonderen Umständen und auf Grund der Niederlage der Russischen Revolution. Er war das erste hochrangige Opfer der wachsenden stalinistischen Bürokratie.

34. Leo Trotzki, Tasks of Communist Education, in: Problems of Everyday Life, New York, 1994, S. 118; Avtorkhanov, a.a.O., S. 102, Northrop, Hujum, a.a.O.

35. Khalid, The Politics, a.a.O., S. 288.

36. Zit. n. Hélène Carrère d’Encausse, The Great Challenge: Nationalities and the Bolshevik State, 1917–1930, New York 1992, S. 183. Bennigsen und Lemercier-Quelquejay stellen fest, dass die Sowjetregierung im Zentrum bemüht war, Muslime jeder politischen Färbung zu gewinnen, was in der Peripherie eindeutig nicht der Fall war“; Islam in the Soviet Union, a.a.O., S. 83.

37. Park, a.a.O., S. 209.

38. Ebd., S. 242; Massell, a.a.O., S. 196–198, 258–259.

39. Northrop, Veiled Empire, a.a.O., S. 78.

40. Ebd., S. 80–81.

41. Ebd., S. 81. Vor der Revolution waren es die dschadidischen Reformer gewesen, die für die Entschleierung im Rahmen einer allgemeinen Aufwertung des Status der Frauen eingetreten waren.

42. Northrop, Hujum, a.a.O., S. 129 und Fußnote 11.

43. Massell, a.a.O., S. 227–228.

44. Ebd., S. 165–171.

45. Bedauerlicherweise erkennt Richard Stites, einer der wichtigsten Historiker über die Frauenbefreiung in Russland, nicht, dass der Hudschum Bestandteil von Stalins „Thermidor (Konterrevolution) in der Sexualpolitik“ war. Richard Stites, The Women’s Liberation Movement in Russia: Feminism, Nihilism and Bolshewism 1860-1930, Princeton 1978, S. 340.

46. Massell, a.a.O., S. 275–284; Northrop, Hujum, a.a.O.

47. Northrop schreibt: „Der Feldzug gegen den Schleier stärkte gewissermaßen noch dessen Anziehungskraft, in jedem Fall nahm die Zahl der verschleierten Frauen kurzfristig zu …“; Hujum, a.a.O., S. 145.

48. In International Socialism 94 bin ich näher darauf eingegangen, a.a.O.

49. Tainy Nazional’noj Politiki ZK RKP: Stenografitscheskij Ottschet Sekretnowo IV Soweschtschanija ZK RKP, 1923g, Moskau 1992, S. 256/257.

50. Ebd., S. 113. Sinowjew hob in seinem Schlusswort zum Ende der viertägigen Konferenz Chodschanows Rede lobend hervor (S.223).

51. Ebd., S. 163–163.

52. Ebd., S. 197.

53. Siehe zum Beispiel Hannah Sells Artikel Islam and Socialism, in: Socialism Today, Nr. 87, London, Oktober 2004, oder die deutlich schwächeren Artikel von Gerry Byrne in Solidarity, Nr. 46, 47, 48 und 50, London 2004.

54. „Hinter dieser anscheinend revolutionär motivierten Angst vor einer ‚Annäherung‘ lauert die politische Passivität … eine Illusion von einem ernsthaften politischen Kampf.“ (Leo Trotzki, On the United Front, in: The First Five Years of the Communist International, Bd. 2, New York 1974, S. 96.

55. Beispielsweise erwähnt Lenin den Kampf der polnischen Bauern „für die Nationalität, die Religion, für die ‚polnische‘ Erde“ (Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, in: Lenin, Werke, Bd. 20, Berlin 1984, S. 459, Fn.) und den Drang des Frühkapitalismus, Gebiete in einen Nationalstaat zu pressen, indem „alle alten, mittelalterlichen, ständischen, englokalen, kleinnationalen, konfessionellen und sonstigen Schranken“ niedergerissen werden (Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage, ebd., S. 31). Trotzki sprach vom „muslimischen Nationalismus“ (siehe Fn.31).

56. In Anlehnung an Lenin, Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage; ebd., S. 20.

57. Siehe beispielsweise die Debatte über konfessionelle Schulen zwischen Nick Grant und Ger Francis im Vorkonferenzbulletin der Socialist Workers Party, Nr. 2 und 3, London 2005.

58. Siehe Fußnote 35.

59. Aufruf des Kongresses der Ostvölker, in: Die Kommunistische Internationale. Organ des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, Nr. 15, nachgedruckt in: Der Kongress der Völker des Ostens in Baku (1920), Arbeitsgruppe Marxismus, Wien 2004. Der Kongress war von allerlei Problemen geplagt, auf die ich hier aber nicht eingehen kann. Im Jahr 1922 korrigierte der 4. Kongress der Kommunistischen Internationale seine auf dem 2. Kongress angenommene Politik und billigte vorübergehende Bündnisse mit panislamischen Organisationen gegen den Imperialismus; Edward Hallett Carr, The Bolshevik Revolution 1917–1923, Bd. 3, London 1971, S. 476.

60. Bennigsen Broxup, The Last Ghazawat: The 1920–1921 Uprising, in: The North Caucasus Barrier, a.a.O., S. 112–145. Nach Bennigsen Broxups Darstellung ist zu vermuten, dass die ultralinke Politik örtlicher Bolschewiki Gotsinskis Aufstand noch zusätzlich anfachte.

 


Zuletzt aktualisiert am 8 February 2010