Phil Marshall

Islamische Fundamentalismus

Unterdrückung und Revolution

(Teil 1)

 

[Einleitung]

Der islamische Fundamentalismus bietet ein Rätsel dar. Hier ist eine Bewegung mit einer zutiefst reaktionären Ideologie – gegenüber Frauenrechten, Arbeiterrechten und allen sozialistischen Ideen feindselig. Aber hier ist auch eine Bewegung, die von großen Massen der Unterdrücktesten im Nahen Osten als ihren Verfechter, als die entschlossenste anti-imperialistische Kraft in der Region, betrachtet wird.

Einerseits ist die fundamentalistische Bewegung offen elitär und autoritär. Andererseits hat sie viele Moslems davon überzeugt, sie drücke die Interessen der Massen aus. So hat trotz seiner rücksichtslosen Unterdrückung der einheimischen Opposition das Chomeini-Regime in Iran Unterstützung zu Hause und im Ausland gewinnen können, auf der Basis, daß er dem Imperialismus entgegengetreten hat. In Ägypten sind fundamentalistischen Gruppen die wichtigste Opposition zum prowestlichen Mubarak geworden, während in Libanon die fundamentalistischen Milizen im militärischen Kampf gegen Israel die Schrittmacher gewesen sind. In Tunesien, in Algerien, in Marokko, in Syrien und in den Golfstaaten betrachten die lokalen herrschenden Klassen die fundamentalistische Strömung als die gefährlichste einheimische Opposition, während unter den Palästinensern mit ihrer langen Tradition des säkularen Nationalismus fundamentalistische Führer in der letzten Zeit eine größere Zuhörerschaft gewonnen haben.

Die Bewegung ist mit Widersprüchen durchlöchert. Ein Ergebnis ist die Entwicklung von sehr unterschiedlichen Reaktionen im Nahen Osten und im Westen. Für einige stellt der islamische Fundamentalismus jetzt eine wichtige anti-imperialistische Kraft dar, womit die Linke sich eng solidarisch erklären sollte. Für andere ist er „faschistisch“ und man sollte seine Anhänger mit Verachtung betrachten. Was soll denn unsere Haltung sein? [1]

Dieser Artikel schaut die Ursprünge, die Entwicklung und den gegenwärtigen Charakter des islamischen Fundamentalismus an und überlegt, wie Marxisten sich ihm gegenüber benehmen sollten. Es hat eine Debatte unter Akademikern über die Terminologie gegeben. Soll man über den „Fundamentalismus“, über den „Islamizismus“ [Islamicism], über den „islamischen Aktivismus“, über den „islamischen Radikalismus“ oder über den „militante Islam“ reden? [2] Ich habe entschieden beim Wort „Fundamentalismus“ zu bleiben, aber es enger zu definieren als die meisten Akademiker und Journalisten, für die der Begriff alles von den Bewegungen des 18. Jahrhunderts um die religiöse Reinigung bis zu den heutigen herrschenden Gruppen in den Golfstaaten einschließt. [3] Die fundamentalistische Strömung braucht ein viel vorsichtigere Definition als eine Erscheinung des 20. Jahrhunderts, die wesentlich eine Reaktion auf den vom Imperialismus geschaffenen Problemen ist; eine, worin eine kleinbürgerliche Führung versucht hat, Bewegungen aufzubauen, die fähig sind, den Staat zu ergreifen und Programme der „islamische“ Reform durchzuführen.

Was soll der Umfang eines Artikels sein, der auch unter dieser Definition eine Erscheinung anschaut, die sich auf große Gebiete vom Nahen Osten, von Afrika und von Asien auswirkt? Ich habe auf der Erfahrung von Ägypten und Iran konzentriert. Für einige Akademiker sind diese Länder so verschieden, daß man sie kaum vergleichen kann. [4] Eigentlich sahen die beiden die frühsten islamischen Reaktionen auf den Imperialismus und die beiden haben Massenbewegungen der religiösen Opposition erzeugt. Die Moslemische Brüderschaft in Ägypten war die erste wirkliche islamisch-fundamentalistische Organisation, während in Iran Chomeini und seine Unterstützer die ersten Fundamentalisten waren, die erfolgreich die Macht ergriffen. Ereignisse in diesen Ländern sind für Fundamentalisten anderswo entscheidend gewesen – indem man die Wurzeln der Bewegung in diesen Ländern anschaut, läßt sich viel entdecken, das seine Anziehungskraft weiter entfernt erklärt.

Es gibt auch die wesentliche Frage der Methode. Es hat keinen systematischen Versuch gegeben, den islamischen Fundamentalismus von einem marxistischen Standpunkt zu analysieren. [5] Um sich an die Frage zu wenden, ist es deshalb notwendig an Marx’ einzige Stellungnahme zur Religion zu erinnern.

 

 

Marx über Religion

Bürgerliche Analysten haben oft die marxistische Haltung vereinfacht und vulgarisiert. Sie haben Marx’ Feindseligkeit gegenüber religiösen Ideen und Institutionen nur als einen Ausdruck seiner Überzeugung dargestellt, die religiösen Ideen seien nur das Produkt der Versuche der herrschenden Klassen, die Masse der Bevölkerung zu betäuben. Aber für Marx war die Rolle der Religion viel komplizierter. Sie war nur durch das Begreifen seiner widersprüchlichen Funktionen und seiner Rolle in den spezifischen materiellen Bedingungen zu verstehen.

Marx behauptete: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen“. [6] Die Religion, argumentierte er, sei ein gesellschaftliches Produkt, nicht etwas, das von außerhalb des Bereichs des menschlichen Daseins hineinkomme, wie religiöse Gläubige behaupten wollen. Weil der Mensch nicht die auf sein Dasein von der Klassengesellschaft auferlegten Beschränkungen hätte überwinden können, drücke die Religion seine Entfremdung aus – sie erzeuge die Vorstellung, das Schicksal des Menschen liege außer seiner Kontrolle, ein falsches Bewußtsein.

Normalerweise werde die Religion am kräftigsten von den herrschenden Ideen in der Gesellschaft, von den Ideen der herrschenden Klasse gestaltet. So sei die Hauptrolle der Religion, argumentierte Marx, die Ideen und die Institutionen zu heiligen, die diese Klasse dienen. In diesem Sinne sei die Religion als Ideologie eine Kraft im Klassenkampf. Aber das bedeute nicht, die Religion funktioniere als einen ideologischen Mechanismus, der sich immer bloß benutzen lasse, um die Masse der Bevölkerung zu verwirren, zu verleiten oder zu mystifizieren. In jeder Gesellschaft, wo die Religion die Unterstützung der Masse der Unterdrückten und der Ausgebeuteten besitze, können aufständische und sogar revolutionäre Bewegungen schnell eine religiöse Färbung annehmen; sie können das Streben nach der Veränderung ausdrücken und die herrschende Ideologie den Bedürfnissen der Massen anpassen.

Die Fähigkeit der Religion, ein Werkzeug der Unterdrückung zu sein, aber gleichzeitig die Streben der Unterdrückten auszudrücken, wurde von Marx verdeutlicht:

Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. [7]

Für Marx funktioniere die Religion wie das „Opium“ – ihre Wirkungen seien ähnlich mit denen eines Rauschgifts. Als „das Opium des Volks“ könne sie die Massen helfen, das Elend zu dulden, indem sie ihnen ermögliche, Träume über die Zukunft zu teilen. Indem sie sie veranlasse, den Trost in einer anderen Welt zu suchen, beraube die Religion die Massen der Fähigkeit gegen die von der Klassengesellschaft auferlegte Ungleichheit zu kämpfen. Aber unter bestimmten Umständen könne das „Opium“ – die Hoffnung eines besseren Lebens – helfen, das Streben für radikale Veränderung auszudrücken. Es könne sogar die Lust verursachen, zurückzukämpfen. Wie Paul Siegel es darstellt, religiöse Ideen „können erregen wie auch verdummen“. [8]

Religiöse Ideen, wie alle Ideen, sind höchst anpassungsfähig [flexibel]: Was ihre Form und ihren Inhalt bestimmt, ist ihr gesellschaftlicher Zweck – und was ihren gesellschaftlichen Zweck bestimmt, ist die unterliegende Interesse der Klassen, die sie ausdrücken.

 

 

Ursprünge des Islams

Der marxistische Ansatz hat immer religiöse Bewegungen in ihrem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang betrachtet, mit einem Verständnis, daß wie die objektive Welt [real world] aus widersprüchlichen Erscheinungen besteht, so auch die Welt der Ideen, einschließlich der religiösen Ideen. In diesem Sinne sind einige der mit dem islamischen Fundamentalismus verwickelten Probleme weit davon, ohnegleichen zu sein. Aber eine Erklärung des Wachstums der fundamentalistischen Strömung braucht ein Verständnis der wesentlichen Merkmale des Islams und des Charakters der Gesellschaft des Nahen Ostens.

Islam entstand in den Städten von Arabien während des 7. Jahrhunderts. Diese Städte waren städtische Inseln in einem ländlichen Meer – Arabien des 7. Jahrhunderts war eine vorwiegend nomadische Gesellschaft. Islam war das Produkt eines Veränderungsprozesses, der auf die Städte Mekka und Medina, zwei Handelszentren wirkte, die immer wichtiger wurden, als sich die zwei Reichsblöcke, die das Gebiet kontrollierten – die von Byzanz und von Persien – ständig schwächten. Ab Ende des 6. Jahrhunderts waren mekkanische Händler, obwohl nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung, zu den Wohlhabendsten in Westarabien geworden und ein paar Familien hatten großen Reichtum zusammengeschart. Das Aufkommen des Privateigentums zerriß das gesellschaftliche Leben, als die auf dem kollektiven Eigentum begründeten beduinischen Werte von einer Handelsklasse übergangen wurden, die wenig Zeit für die nomadische Betonung auf dem Kommunalismus, auf der Solidarität, auf der Gleichheit und auf der gemeinsamen Verantwortung hatte. [9]

Das Ergebnis war die zunehmende Feindseligkeit gegenüber den führenden Händlern unter einer Bevölkerung, die immer noch Hochachtung für die alten Werte erwartete. Unter den Entfremdetesten waren Mitglieder des mächtigsten mekkanischen Stamms, der Quraysch, die nicht am Reichtum der neuen Elite Teil hatten. Muhammad ibn Abdallah war ein Mitglied dieser Gruppe, ein Waisenkind, dessen frühes Leben unter Verwandten verbracht wurde, die erbittert über das Verhalten ihrer erfolgreichen Verwandten waren. Obwohl Muhammad eine reiche Frau heiratete und schließlich ein wohlhabender Händler wurde, war seine Hauptsorge, als er 610 u.Z. das Predigen anfing, den Unrechten der mekkanischen Gesellschaft abzuhelfen. Er bat die Mekkaner dringlich, einen einzigen Gott zu akzeptieren, dessen Prophet, Muhammad geschickt worden sei, um das göttliches Gesetz zu vermitteln, und der das Verhalten des Menschen an einem „Jüngsten Tag“ prüfen würde.

Ein großer Teil von Muhammads Predigten – später als den Koran niedergeschrieben – richtete sich auf die mekkanischen reichen Handelsherren und er forderte ihnen auf, ihre traditionelle Verpflichtung als Führer zu erfüllen, indem sie sich um die Interessen der schwächeren Mitglieder des Clans [Stamms] kümmerten. [10] Das bedeutete nicht, Muhammad und seine Anhänger – die ersten Moslems [11] – lehnten den Handel ab. Muhammad wollte das mekkanische System reformieren, nicht stürzen. Er war selbst Händler und sah die Welt durch die Augen eines Geschäftsmanns. Watt bemerkt: „der Koran ist tief mit Handelsausdrücken durchdrungen, nicht bloß im erläuternden Material [illustrative material] sondern in der Bildung einiger seiner Hauptlehren.“ [12] Muhammads Lehren widerspiegelten die Beschäftigungen eines sozialbewußten mekkanischen Geschäftsmanns. Die von ihm aufgebauten Bewegung war eine verbessernde Strömung, aber immer noch eine, die aus die herrschende Klasse der mekkanischen Gesellschaft hervortrat. Ihr weiterer Fortschritt war eine Ergebnis der Entwicklungsstufe dieser Gesellschaft.

 

 

Der islamische Staat

Obwohl die mekkanische Gesellschaft unter die Herrschaft einer neuen Handelsklasse fiel, fehlte ihr jede zentrale Behörde. Es gab kein Rechtssystem, keinen politischen noch verwaltenden Apparat. [13] Das bedeutete, Muhammads Predigen war nicht nur eine Anforderung der gesellschaftlichen Reform, sondern eine Bedrohung für die Elite der Stadt, für die die Annahme des Muhammadschen Anspruchs auf die Prophetschaft auf eine Zugeständnis [concession] der absoluten Macht hinauslaufen würde. In Wirklichkeit schlug Muhammad die Gründung eines von ihm selbst regierten mekkanischen Staats vor. [14]

Die Händler fingen an, die Moslems unter Druck zu setzen und Muhammad wurde gezwungen, einen alternativen Stützpunkt zu suchen, indem er den Nachbarstädten sein Talent als einen Schiedsrichter und einen Vermittler in Clan- und Stammesstreiten anbot. Er versuchte und scheiterte damit, in die nahe gelegene Siedlung Taif umzuziehen, aber 622 wurde er eingeladen, sich nach Medina 500 Kilometer nach Norden umzusiedeln. Die Gemeinde hier war nach Jahren von Konflikten zwischen sich bekämpfenden Clans in einer Lage der großen Spannung. Muhammad ging davon aus, eine vereinheitlichte auf seinen Anhängern gestützte Gruppe aufzubauen und begründete die umma, die nach einem Historiker „eine Art Einheitsfront“ war. [15] Anfangs war sie eine kleine Gruppe, aber mit ihrer Verpflichtung, die innere Ordnung unter dem Gesetz Gottes zu verteidigen und den Zustand Moslem über die Stammestreue zu stellen, wuchs sie ständig.

Die umma organisierte eine Reihe Angriffe gegen Karawanen, die den Höhepunkt in einem großen Sieg erreichten, nach dem Muhammad die Beute unter den Mitgliedern der umma verteilte. Als eine immer reichere disziplinierte Gruppe beherrschten die Moslem bald Medina. Das hatte grundsätzliche Konsequenzen. Engineer macht die Bemerkung: „Diese Vereinbarung (die umma) brachte nicht nur eine Gemeinde zum Bestehen, sondern legte die Grundlage eines Staates.“ [16] Der „Staat“, der sich auf Muhammads persönlicher Autorität und auf einem Gesetz gründete, das als über den konkurrierenden Clans stehend betrachtet wurde, ermöglichte die Integration der Mediner und eröffnete die Möglichkeit der territorialen Ausdehnung. In weiteren Schlachten mit den Mekkanern schlugen Muhammads Streitkräfte die Opposition in die Flucht. Eine Reihe arabischer Städte und Stämme erklärte sich für Muhammad und innerhalb acht Jahre nach seiner Aussiedlung aus Mekka baten die Stadtführer um den Frieden. Mekka – das Zentrum der regionalen Wirtschaft – wurde zum Zentrum eines schnell wachsenden islamischen Reichs.

 

 

Islam dehnt sich aus

Westarabien war jetzt mit einer starken Zentralbehörde vereinigt, die sich auf Muhammad beruhte, und nach seinem Tode 632 u.Z. auf seinen Nachfolgern, den Kalifen. Während der Charakter des Staates zum Teil theologisch war, widerspiegelte die Natur seiner Entwicklung die Prioritäten seines mächtigsten Bestandteils – einer Handelsklasse, für die der Islam die politischen Strukturen und den ideologischen Rahmen lieferte, die notwendig waren, um die Triebkraft der wirtschaftlichen Tätigkeit zu erhalten.

Ihr Reich breitete sich mit betäubender Geschwindigkeit aus – innerhalb zwölf Jahre faßte er einen großen Teil von Nordafrika, Syrien, Irak und Iran um. Das war eine Ergebnis der Wirksamkeit des islamischen Staats den zwei zerfallenden [crumbling] Reichen gegenüber, die die Mehrheit des Nahen Ostens und Nordafrikas unter ihrer Kontrolle hielten. Aber der Fortschritt war nicht nur ein Ergebnis militärischer Siegen: Im Zusammenhang der byzantinischen (römischen) und der persischen Herrschaft wurden die islamischen Streitkräfte als Befreier betrachtet. [17] Am Anfang hat der islamische Reich eine relativ mäßige Steuerbürde auf die eroberten Gebiete auferlegt, er hat nicht das Land der Bauern besetzt oder weggenommen und er hat sie nicht gezwungen, ihre Religion zu ändern.

Aber religiöse Ideen, wie Marx stets darauf hinwies, haben kein von der Gesellschaft unabhängiges Leben. Moslemische Versionen der islamischen Geschichte behaupten, die neue Religion habe die Millionen neuer Bekehrten gewonnen, die die umma eine große Kollektive [Sammlung] der Gläubigen gemacht habe, die Muhammads Lehren aus Mekka und Medina akzeptierten. Eigentlich wurde Islam selbst innerhalb zwei Jahrzehnten nach Muhammads Tod vom Charakter der eroberten Gesellschaften gestaltet.

Um ihren Griff auf dem Reich zu erhalten, haben seine arabischen Herrscher bald zwangsweise einberufene [conscript] Heeren aufgestellt, Sklaven beschäftigt, Land Beschlagnahmt und eine unbeschränkte Herrschaft auferlegt. Inzwischen integrierten sie sich ständig in den Strukturen der von ihnen kontrollierten Gesellschaften und, als das Charakter der islamischen herrschenden Gruppe sich änderte, so änderte sich auch der Inhalt der islamischen Ideen: die Vorstellung der Brüderschaft z.B. schwächte sich , als Araber (Leute aus Arabien) im Vergleich mit Nichtarabern begünstigt wurden. Es gab eine schnelle Reaktion unter den unterworfenen Völkern mit Aufständen gegen die arabische Herrschaft, besonders in Irak und in Persien. [18]

Innerhalb einiger Jahrzehnten nach Muhammads Tod hörte Islam auf, die großenteils homogene [undifferenzierte] Ideologie zu sein, die als eine befreiende Kraft betrachtet wurde. Jetzt gab es viele Islams: den Islam der herrschenden Dynastie, den der lokalen herrschenden Gruppe und den der Bewegungen und Sekten, die die Freiheit für die Masse der unter dem neuen kaiserlichen Joch leidenden Bevölkerung suchten.

 

 

Markt und Moschee

Für ein Tausend Jahre ab Muhammads Zeit bis zur Ankunft des Imperialismus wurde der Nahe Osten von einer Reihe relativ stabiler Reichen kontrolliert. Die herrschende Ideologie war die der Dynastien, die die Nachfolge von Muhammad beanspruchten. Jeder Kaiser, oder sultan, war ein absoluter Herrscher, jeder beanspruchte seine Autorität von Gott und stellte sich als Verteidiger des islamischen Gesetzes dar und jeder rief auf die Unterstützung der ulama, der islamischen Gelehrten, die ein religiöses Establishment bildeten, die einige Merkmale mit der Geistlichkeit des mittelalterlichen Europas teilte. Die ulama hatten die Kontrolle über Moscheen, Priesterseminaren, große Landstücke und ein Einkommen von den Gläubigen. Sie waren ein wesentlicher Teil der Struktur der Privilegien. Sie arbeiteten auch die islamische Ideologie und das Gesetz heraus und arbeiteten in den Gerichten und Schulen. Die Ulama wurden zu den Ideologen des Reichs.

Die Masse der Bevölkerung hatte ihren eigenen Islam – den Sufismus. Diese mystische Bewegung verleibte viele vorislamische religiöse Glauben und Praktiken ein. Wie die Sekten des mittelalterlichen christlichen Europas drückten die Sufibrüderschaften die Unzufriedenheit der verarmten Massen aus, die die Religion ihrer Herrscher als die Ideologie der Unterdrückung betrachteten. Mortimer bemerkt, Sufi-Aktivisten seien „Verfechter der Massen gegen ein korruptes oder aristokratisches Establishment [gewesen], mit dem die ulama zu eng verbunden wurden.“ [19]

Aber ein wesentlicher Teil der herrschenden Ideologie, der Kern des orthodoxen Islams, blieb die mit der Handelsklasse verbundenen Ideen. Für Jahrhunderte war der Marktplatz die Hauptinstitution der Wirtschaft des Nahen Ostens. In Europa ermunterten die Umstände die Landwirtschaft von bäuerliche Landwirte und der von ihnen produzierte Überfluß wurde von feudalistischen Landbesitzern aneignet, die die politische Macht monopolisierten. Im Nahen Osten bestanden ähnliche Bedingungen nur in Ägypten. Anderswo beschränkte die Mangel an Ackerland und die Unzulänglichkeit des Regens den bäuerlichen Ackerbau. Die regionale Wirtschaft wurde vom Fernverkehr [long-distance trade] beherrscht, worin Händler Rohstoffe und Manufakturen aus Asien, aus Afrika, aus Europa und aus dem Nahen Osten selbst austauschten. Die arabische suq oder der iranische bazaar waren das Zentrum der wirtschaftlichen Tätigkeit.

Weil das städtische Leben von Händlern und Verwaltern beherrscht wurde, hatte die am engsten mit ihnen identifizierte Ideologie eine gründlichen Auswirkung [profound impact] auf die Region als Ganze. Das ließ sich sogar in der physischen Form bemerken, weil in jeder Stadt die Moschee innerhalb oder in der Nähe der suq oder des bazaars lag. Diese Ideologie – der orthodoxeste Islam – war nicht nur der Handelsklasse sympathisch, sie war eine rationale Grundlage für das Geschäft. Der Marktplatz war die Lage der vom Koran geheiligten wirtschaftlichen Tätigkeit. Die islamischen Prinzipien und das Gesetz waren ein Teil des Geschäftslebens. Krämer, Händler und Handwerker sahen sich als Verteidiger der orthodoxen islamischen Praxis, empfahlen die Frömmigkeit und die Beobachtung des sharia-Gesetzes und lieferten wesentliche finanzielle Unterstützung für die Moschee, für die Unter-ulama, für Schulen und Priesterseminaren. [20]

Das Verhältnis zwischen dem Marktplatz und der Moschee war ein Teil der konservativen Ideologie des Reichs – aber sie hatte die besondere Funktion, die Privilegien der Handelsklasse zu legitimieren. Die Ideologie, die zuerst die Interessen einer ausdehnenden Handelsklasse ausgedrückt hatte, hatte ein institutionelles Verhältnis mit den gleichen gesellschaftlichen Schichten.

 

 

Ankunft des Imperialismus

Bis zum 16. Jahrhundert fing der Nahe Osten an, die Wirkung der wirtschaftlichen und politischen Änderungen in Europa zu spüren. Über die nächsten zwei Jahrhunderten hielt der europäische Kapitalismus die Reichen des Nahen Ostens auf dem Rückzug [kept on the retreat]. Die unterliegenden wirtschaftlichen Strukturen änderten sich nicht, weil es der Umfang der Tätigkeit war, der reduziert wurde, eher als sein Charakter. Aber mit dem Niedergang der größeren Städte, mit dem Verlust des Einkommens von der Besteuerung des Handels für die herrschenden Gruppen und mit der Reduzierung der militärischen Fähigkeit verloren islamische Herrscher an Boden. Die Korruption der Dynastien und die Kriecherei der ulama produzierten eine Reihe Bewegungen, die damit anfingen, einen „geklärten“ Islam gegen das Establishment zu benutzen. Diese waren nicht Massenprotestbewegungen sondern traten aus unzufriedene Teile der herrschenden Gruppen oder wie in Indien aus moslemischen von unterworfenen Völkern bedrohten Gemeinden hervor. [21] Obwohl einige dieser Bewegungen erfolgreich waren, indem sie die Kontrolle in Indien, in Nordafrika und sogar in Saudi Arabien gewannen, überlebten in den Herzländern des Osmanischen Reichs – in Ägypten, in der Türkei und in der Levante – die herrschenden Klassen. Aber bald wurden sie vom Stoß eines viel ernsthafteren Feinds – des erwachsenen europäischen Imperialismus – erschüttert.

Europäische Besatzung, die 1798 mit Napoleons Einfall in Ägypten anfing, hatte eine Auswirkung auf beinahe der ganzen Region. Der Nahe Osten war ein relativ homogener Block gewesen, eine Region, die großenteils von einer politischen Autorität (vom Osmanischen Reich) vereinigt wurde und die innerhalb einer gemeinen religiös-politischen Tradition arbeitete, die des Islams, des islamischen Gesetzes und der islamischen Institutionen. [22] Aber als Europa anfing, neue Märkte zu suchen, wurden die rückständigen wirtschaftlichen Strukturen des Nahen Ostens bald überwältigt. Die europäischen Mächte fingen an, den Osmanischen Reich untereinander zu verteilen, stellten „nationale“ Grenzen auf, die die eigenen Nationalstaaten widerspiegelten, und riefen ins Leben die wirtschaftliche Ausbeutung der Region, die anfing, sie ins Weltsystem zu integrieren.

Es gab verschiedene Reaktionen von den lokalen herrschenden Gruppen: Einige organisierten den bewaffneten Widerstand, andere leisteten den Scheinwiderstand [token resistance]. [23] In mehreren wichtigen Zentren der wirtschaftlichen Tätigkeit und der politischen Macht, besonders in Ägypten, in der Türkei und in Iran, versuchten die herrschenden Gruppen den imperialistischen Einfluß zu bekämpfen, indem sie den Westen nachahmten – sie modernisierten die Wirtschaft und reformierten den Staat. Aber alle Widerstandsversuche scheiterten schließlich. Bis der Mitte des 19. Jahrhunderts waren traditionelle wirtschaftliche und politische Strukturen unter Druck: Kapitalistische Methoden ersetzten die traditionelle Manufaktur, die Landwirtschaft wurde durch die westliche Nachfrage nach Agrarprodukte für den Markt beeinflußt und der Handel wurde umgestaltet, um europäische Bedürfnisse zu bewältigen.

Die Kolonisierung brachte auch einen Angriff auf die politischen und gesellschaftlichen Strukturen seitens der Europäer oder seitens lokaler herrschender Gruppen unter starkem imperialistischem Einfluß: Die Verwaltung wurde reformiert, das Rechtssystem wurde modifiziert, oft in den Interessen der europäischen Handelsgemeinden, und das Schulwesen wurde unter Druck gesetzt. Die Gesellschaft des Nahen Ostens als Ganzes war auf dem Rückzug und die Religion, die für die Moslems die Integrierungskraft der ganzen Region gewesen war, war hilflos den Zusammenbruch zu verhindern.

 

 

Erste Reaktion auf den Imperialismus: Ägypten und Iran

Man sieht die Reaktion auf den Westen am besten in den Erfahrungen von Ägypten und Iran, die beide vom Imperialismus tief getroffen wurden und die beide am Aufkommen einer anti-imperialistischen Strömung mitwirkten.

Der französische Einfall in Ägypten 1798 enthüllte die Labilität der herrschenden Gruppe und den Opportunismus des religiösen Establishments. Die Franzosen überwanden bald die osmanische (mamelukische [24]) Armee und fingen damit an, einen Teil der lokalen Elite zu suchen, womit sie kollaborieren könnten. Napoleon erklärte, die ulama seien die neuen Herrscher des Landes, und führende religiöse Personen zeigten sich darauf erpicht, zu kollaborieren. [25] Aber Großbritannien zwang die Franzosen dazu, bald zurückzuziehen, und in der folgenden chaotischen Periode wurde der Kampf um die Macht von Muhammad Ali, einem albanischen Söldner, gewonnen. Seine Überlebensstrategie dem Imperialismus gegenüber war die Nachahmung. Er reformierte den ägyptischen Staat und versuchte, die Landwirtschaft umzugestalten und eine auf der kapitalistischen Produktion gegründete moderne Industrie aufzubauen. Die Veränderung war schnell: Bis zu den 1820er Jahren produzierte Ägypten große Mengen Baumwolle für den Export, während Mühlen und Fabriken in den schnell wachsenden Städten gegründet wurden – ein Ergebnis davon war das Aufkommen der ersten modernen Arbeiterklasse der Region. [26]

Aber bis zu den 1850er Jahren waren Muhammad Alis Reformen in einer mißlichen Lage, großenteils als Ergebnis des europäischen Drucks. Der britische Kapitalismus dehnte sich in die Region aus und, als er neue Märkte fand, zerkrümelte die ägyptische Industrie. In den Handelszentren siedelten sich große Zahlen Europäer an, die einen privilegierten Status unter Vereinbarungen mit den europäischen Mächten besaßen, die als die Kapitulationen bekannt waren. Sie gründeten ein Monopol in einigen Handelsgebieten. Muhammad Alis Nachfolger wurden bald zu den westlichen Banken und Regierungen verschuldet. Als das Land 1876 offiziell bankrott erklärt wurde, wurde es klar, die Kontrolle war im Begriffe [control was about to], in die Hände der ausländischen Gläubigen zu übergehen.

Diese Entwicklungen halfen dazu, die erste ägyptische nationalistische Bewegung anzuspornen. Ihre Mitglieder waren hauptsächlich Verwalter, die in der Staatsbürokratie arbeiteten, und Offiziere [military men]. Sie waren vom Versuch beeinflußt worden, einen modernen Staatsapparat und einen nationalen Selbstbild nach dem westlichen Muster zu bilden. Sie wollten das Regime durch eine vom Westen unabhängig betrachtete Regierung ersetzen. Aus dieser Schicht trat die Gruppe hervor, die den 1882er Putsch organisierte. Der Offizier Ahmad Urabi ergriff die Macht, was bloß eine sofortige britische Besatzung zu beschleunigte.

Urabi vertrat ein neues ägyptisches Kleinbürgertum aber er hatte andere Unterstützer. Unter denen waren die Klasse der einheimischen Landbesitzer, die in den Vordergrund seit der Niederlage der mamelukisch-osmanischen Herrscher hervorgetreten waren, und die traditionellen kleinbürgerlichen Schichten, woraus Urabis eigene Generation der Freiberufler und der Offiziere aufgekommen waren. Die traditionelle Stadtwirtschaft litt schwer unter der Wirkung des Imperialismus, besonders unter Zustrom ausländischer Waren und unter Nachteilen gegenüber den westlichen unter den Kapitulationen arbeitenden Händlern. Die Wut zielte sich auf das Regime, auf Regierungsbeamte, auf Landbesitzer und auf die ulama, die mit dem Westen kollaboriert hatten. Befürworter der Krämer und der Handwerker waren niedrige ulama oder Theologen wie Al-Shaikh Husain al-Marsafi. Ahmed bemerkt:

Marsafis Hinsicht nach käme das erste Zeichen der Dekadenz in der islamischen Zivilisation mit dem unbeherrschten Luxusleben, das die Führer der Gemeinde lebten. In Ägypten wurde dadurch die ganze Gemeinde vernichtet. Die alten Handwerke z.B. wurden wegen der „Modewaren“ zerstört, die die Märkte überschwemmten. Auch wenn die Ägypter nicht ohne sie leben könnten, wäre es nicht in ihrer Interesse, die Industrien selbst zu importieren, eher als die fertigen Güter? ... Es sei dringend notwendig, Marsafis Hinsicht nach, Ägypten sollte ihre Abhängigkeit von ausländischen Waren reduzieren, seine Industrien entwickeln und seine uralten Handwerke wieder beleben. [27]

Marsafi glaubte, Ägyptens Herrscher und die ulama hätten das Land schlecht bedient – es sei notwendig die echte islamische Ethik [Moral] wiederherzustellen und Ägypten eine Regierung zu geben, die von seinem Verhältnis mit dem Westen ungefährdet sei. Solche Hinsichten waren nicht uneinig mit denen von Personen wie Urabi. Eigentlich ergänzten sie die Ideen der Nationalisten, die keineswegs gegenüber islamischen Idealen feindselig waren. Die neue Bewegung mißtraute die westlichen Methoden, die die traditionelle ägyptische Gesellschaft auflösten – obwohl sie sie reformieren eher als ablehnen wollten. Sie drückte die Wut derjenigen, die der Besatzung unterworfen waren, und ihre Demütigung und ihren Zorn über die Kollaborierung einheimischer europäisierter Herrscher aus. Sie faßte sowohl säkulare als auch religiöse Elemente um, ein Ausdruck der Formen des Nationalismus, die die Region für beinahe ein Hundert Jahre dominieren wurde.

In Iran war die Erfahrung mit dem Imperialismus weniger traumatisch als in Ägypten. Hier herrschte ein schwaches Zentralregime ein von Stamm- und Regionalloyalitäten zersplittertes Land. Es wurde von den ulama unterstützt, die offizielle Regierungsstellen erfüllten, lokale Positionen als Gebetsleiter und Richter [judicial figures] eingeschlossen. Auf den niedrigeren Stufen arbeitete die Mehrheit der ulama außer der direkten Kontrolle der Regierung, indem sie ihr Einkommen von waqf-Ländereien (geschenkten Ländereien) und von Steuern und Beiträgen bekamen, besonders von den Krämer- und Handwerkerschichten, die kollektiv als den bazaar bekannt waren. [28]

Es gab keine europäische Besatzung von Iran, obwohl während des 19. Jahrhunderts Großbritannien sowie Rußland starken Einfluß auf die einheimische Politik ausübten. Wie in Ägypten versuchte das Regime, den Staat zu modernisieren, aber hatte keine Politik für die wirtschaftliche Entwicklung. Iranische Fabrikanten und Krämer fingen bald an, gegen die Wirkung der zunehmenden Flut der europäischen Produkte zu protestieren, und ihre Ängste wurden viel verstärkt, als während der 1860er Jahre der Schah den Verkauf von Konzessionen an ausländische Geschäftsmänner anfing. Die kleinen Gruppen von Technokraten und Freiberuflern, meistens säkulare Liberale, protestierten auch. Alle wollten iranische Kontrolle über wirtschaftliche und politische Angelegenheiten sehen und Reformen vom Regime erzwingen. 1892 spitzte sich die Sache zu, als der Schah einem britischen Geschäftsmann eine weitere Konzession über die Produktion, über den Verkauf und über den Export des Tabaks zusprach. Die Enttäuschung explodierte in einem Aufstand, wo die Handelsklassen und die Handwerker sich mit der Bourgeoisie und einem großen Teil der ulama in Massenprotesten vereinigten, die den Schah erzwangen, zurückzutreten.

Der Schlüssel zum Erfolg der Bewegung war die Verbindung zwischen dem bazaar und den ulama. Bis sie von den neuen wirtschaftlichen Formen des Westens bedroht waren, hatten das religiöse Establishment und die traditionellen Handelsklassen kein formelles Verhältnis gehabt. Die ulama waren sehr eng mit der traditionellen herrschenden Klasse integriert worden, mit der Qajar-Dynastie, mit Großgrundbesitzern und mit dem Militär. [29] Aber die von der kapitalistischen Eindringung in Iran erschaffenen Zwänge und die Haltung der Autokratie trieben die ulama zum bazaar, womit das religiöse Establishment in ihren mittleren und niedrigen Stufen enge Verbindungen hatte. Nach Keddie:

Die ulama hatten starke Bindungen mit dem bazaar (auf Persisch bazaaris), die bazaar-Elite der im Fern- und internationalen Verkehr beschäftigten Handelsherren und die größeren Gruppen der in Zünften organisierten Handwerker-Ladenbesitzer des bazaars eingeschlossen. Die ulama und die bazaaris gehörten oft den gleichen Familien; viel von den Einkommen der ulama kam von Beiträgen, die meistens von den bazaaris bezahlt wurden. Die Zünfte feierten oft religiöse oder teils religiöse Zeremonien, wofür die ulama notwendig waren; und die Frömmigkeit und die religiöse Observanz waren unter den Zeichen des Rufs und der Führung im bazaar. [30]

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wuchsen die ulama und der bazaar enger zusammen, bis der Tabakprotest ein halbformelles nationales Bündnis schuf, das der Kern der Bewegung war, die 1906 die Konstitutionelle Revolution produzierte, die den Schah dazu zwang, Reformen, die ein majlis (Parlament) einschlossen, zu gewähren. Das Charakter der Bewegung ähnelte der, die die Opposition zum Regime in Ägypten organisiert hatte. Sie verband das Kleinbürgertum der Verwalter und der Intellektuellen mit dem bazaar, zog Ideen der säkularen Reform und den traditionalistischen Islam zusammen und drückte die Opposition zu den Ausschweifungen des Imperialismus und die Abneigung gegen die lokale herrschende Klasse aus.

Während das europäische Herrschaft die ganze Gesellschaft beeinflußte, hatte es seine größte Auswirkung auf die traditionelle Handelsklassen. Das wurde im Muster des anti-imperialistischen Aktivismus widerspiegelt; viele der deutlichsten und am besten organisierten Aktivisten waren säkulare Liberale, aber es war die Teilnahme des zahlreicheren traditionellen Kleinbürgertums und der ulama mit ihrem eigenen langfristigen gegenseitig engen Verhältnis, die endlich eine wirksame Opposition produzierte.

 

 

Afghani und Geburt des Nationalismus

Die ägyptischen und iranischen Bewegungen wurden durch eine ideologische Strömung verbunden, die ihren wirksamsten Ausdruck in einem Menschen fand: in Jamal al-Din al-Afghani, einem Schiiten aus Iran, der die ganze islamische Welt durchreiste. Er agitierte für die Gründung einer islamischen Bewegung in den Sunni-Ländern – in Afghanistan, in Ägypten, in der Türkei und in Iran.

Afghani lehnte nicht die ganze imperiale Erfahrung ab, sondern argumentierte, Moslems sollten mit den Methoden des Westens zu Hause werden, um besser einen Kampf für die nationale Unabhängigkeit zu führen und schließlich einen unabhängigen islamischen Block zu schaffen. Er fing an, „irgendein moslemisches Land zur Kraft und zur Führung zu erregen, so daß die islamische Gemeinde die zivilisierten Länder der Welt überholen, den Osten vereinigen und seinen Geist von den Fesseln des Aberglaubens befreien könnte“. [31] Seine Kritiken der lokalen Herrscher, der ulama und der Kolonialmächte führten zu Zusammenstößen mit Regimen wie dem in Ägypten, wovon er 1879 verbannt wurde, und in Iran, wovon er 1891 verdrängt wurde.

Afghani unterschied sich von allen früheren moslemischen Gegnern des Westens durch sein Bestehen darauf, die islamische Welt könnte sich von der europäischen Herrschaft befreien, indem sie zu ihren religiösen Prinzipien zurückkehrte. Er argumentierte:

Die Schismen und Spaltungen, die in moslemischen Staaten vorgekommen sind, entstehen nur aus dem Versäumnis von Herrschern, die von den festen Prinzipien abgehen, worauf der islamische Glaube sich aufbaut, und die sich vom durch ihre frühen Vorväter gefolgten Weg verlaufen ... Wenn diejenigen, die den Islam regieren, zu den Regeln ihres Gesetzes zurückkehren und ihr Verhalten darauf gestalten, was von frühen Generationen von Moslems in die Praxis umgesetzt wurde, wird es nicht lange sein, bevor Gott ihnen umfangreiche Macht gibt und ihnen Kraft erleiht, vergleichbar mit der, die von den orthodoxen Kalifen ausgeübt wurde, die Führer des Glaubens waren. [32]

Afghani bestand darauf, die Wiederbehauptung einer islamischen Identität sei notwendig, wenn die Menschen der moslemischen Länder unabhängig vom Westen werden sollten. So forderte er die Wiederherstellung der islamischen Urwerten an, und ihre Wiedereinführung in die moslemische Gesellschaft in einer Weise, die sie gegen fremde Kräfte verstärken würde. Er argumentierte stark gegen die Idee der moslemischen „Nationalstaaten“, die sich von anderen Staaten oder Völkern auf einer ethnischen Basis unterschieden, und forderte einen „Pan-Islam“ an – die Vereinigung von Ländern mit einer islamischen Tradition.

Die Bedürfnis für „würdige Herrscher“ lief durch Afghanis ganzes Denken. In diesem Sinne war seine politische Vision eine von einem höchst autoritären System. Die Veränderung von unten spielte in seiner Strategie keine Rolle. Er begünstigte heimliche Methoden, den Geheimbund und das Untergrundnetzwerk. So half er während der 1880er und der 1890er Jahre dabei, das Bündnis der ulama, der bazaaris und der säkularen Reformer gegen den Schah zu befestigen. In Ägypten half er dabei, eine heimliche Bewegung von Intellektuellen, Freiberuflern und Offizieren zu organisieren. Trotz dieser heimlichen Haltung zur Tätigkeit hatten seine Schriften eine große öffentliche Leserschaft [audience] und haben religiöse Persönlichkeiten wie Marsafi beeinflußt.

Afghanis Haltung war eine radikale neue Richtung, aber sie widerspiegelte die immer noch unvollständige Entwicklung der Region. Der Kapitalismus war in vielen Teilen des Nahen Ostens eingedrungen, aber hatte noch nicht vollentwickelte lokale Bourgeoisien produziert mit dem Ehrgeiz, die nationale Entwicklung zu unternehmen. Angesichts der kolonialen Besatzung und der Kollaborierung der lokalen Eliten führte der kleinbürgerliche Nationalismus die Bewegung gegen den Imperien [anti-imperial movement].

 

 

Islam auf dem Rückzug

Afghani legte die ideologischen Wurzeln nieder, die sowohl den modernen Nationalismus und den islamischen Fundamentalismus produzieren wurden. Keine von diesen Bewegungen entwickelte sich fließend. Im Fall des Fundamentalismus insbesondere gab es viele Vorschritte und Rückzüge, die meistens von der Politik des Imperialismus und von der Wirkung neuer Massenbewegungen vorgeschrieben wurden. Sein Aufkommen und seine folgende Entwicklung lassen sich am besten sehen, wenn man das Muster seiner Entwicklung in Ägypten und Iran anschaut.

Die beiden Länder wurden von den „islamischen Modernisten“ beeinflußt, die Afghanis Ideen aufnahmen, besonders vom Ägypter Muhammad Abduh und vom Syrer Raschid Rida. Die ganze modernistische Strömung betonte den Reform als die richtige Reaktion auf dem Imperialismus, eine Vorstellung, die den in den Zentren der wirtschaftlichen Tätigkeit wie Ägypten neu entstehenden politischen Kräften sympathisch war. Die britische Besatzung Ägyptens hatte mit dem Unterdrucksetzung der traditionellen Handelsklassen angefangen, aber bis zum Ausbruch des Krieges 1914 hatte sie beispiellosen Wohlstand für einige Landbesitzer und für eine neue Bourgeoisie gebracht. [33] 1914 erklärte Großbritannien Ägypten zum Schutzgebiet [Protektorat], pumpte Truppen hinein und berief 1,5 Mio. Ägypter zwangsweise in ein Arbeitskorps ein. Während die Mehrheit der Ägypter unter nehmender Armut litten, machten die Landbesitzer große Profite von der Baumwolle und ägyptische Fabrikanten profitierten vom Füllen der durch eine Verlangsamung der westlichen Importen verursachten Lücken. Der Krieg brachte das ägyptische Kapital auf die Bühne [put on the map] und gab einer neuen Elite Selbstvertrauen. [34]

Bürgerliche Interessen vertraten sich durch die Wafd (Delegation) Partei, die ab 1918 Großbritannien herausforderte, Ägypten die Unabhängigkeit zu gewähren. Das prominenteste Mitglied der Partei war Saad Zaghlul, der sehr viel von Afghani beeinflußt wurde und der jetzt die säkulare Strömung im Afghani’schen Denken zu ihren logischen Folgerungen brachte, indem er die Mehrheit des islamischen Elements aufgab, das weniger annehmbar für eine Klasse war, die sich von den traditionellen am tiefsten von islamischen Ideen und Institutionen beeinflußte Handelsschichten entfernte. Die Interesse der Wafd in der ägyptischen nationalen Entwicklung führte sie dazu, Afghanis Pan-Islamismus aufzugeben. [35]

Die Periode nach dem Krieg sah auch das Aufkommen einer Massenbewegung der Arbeiterklasse. Die ersten Streiks waren 1899-1903 meistens unter ausländischen Arbeiter stattgefunden. [36] Aber bis zum Ausbruch des Krieges gab es ein Dutzend Gewerkschaften meistens unter die Führung von nationalistischen Intellektuellen, die die Arbeiterklasse als einen wichtigen neuen Stützpunkt betrachteten. 1914 führte Großbritannien das Kriegsrecht ein und im wesentlichen hörte die Gewerkschaftstätigkeit auf, aber, als 1917 eine Massenbewegung gegen den Kolonialismus ausbrach, waren die Arbeiter in der Mitte der Ereignisse. Nach mehreren Jahren von Massenprotesten, die Streiks einschlossen, gab Großbritannien begrenzte Unabhängigkeit zu. Bis 1924 war die Wafd an der Macht. [37]

Die ägyptischen Ereignisse von 1919-21 produzierten die erste anti-imperialistische Bewegung, die nicht wenigstens indirekt zur islamischen Tradition kehrte. Eine neue Form der Massenaktion trat hervor, die das entwickeltere Charakter der ägyptischen Gesellschaft widerspiegelte. Die traditionellen Klassen der Krämer und der Handwerker hatten nicht verschwunden, aber ihr gesellschaftliches Gewicht hatte sich vermindert. Als der industrielle Kapitalismus sich entwickelte, traten der bürgerliche Nationalismus und die selbstbewußte proletarische Tätigkeit in die Mitte der Bühne.

Es gab ähnliche Entwicklungen in Iran. Der langsame Prozeß der Industrialisierung war vom Krieg und vom Einfall durch Großbritannien, Frankreich und Rußland zerrissen worden. Aber die Besatzung hatte auch die Zentralregierung geschwächt und die Bevölkerung besonders in den Städten radikalisiert. Regionalbewegungen im Norden und im Nordwesten erklärten ihre Autonomie, während eine Streikwelle fast die ganze kleine Arbeiterklasse hineinzog. Die städtische Bewegung forderte eine Republik und die kleine Kommunistische Partei Irans forderte noch gründlichere Veränderung an. Nur die Intervention des Offiziers, Reza Khan, der einen militärischen Angriff auf die Regional- und Arbeiterbewegungen anführte, verhinderte den Zusammenbruch des iranischen Staats. Wie in Ägypten hatte es einen Bruch mit früheren Massenprotesten gegeben, die einen islamischen Charakter hatten.

Reza Khan fing an, indem er sich mit republikanischen Haltungen identifizierte, aber bald erklärte er sich zum Schah und begann damit, eins der rückständigsten Länder der Region zu modernisieren. Er bildete einen neuen Staatsapparat und führte ein Modernisierungsprogramm ein, das sich um die Bedürfnisse sowohl der Bourgeoisie und der Handelsklasse bemühte. [38] Wie im ägyptischen Fall bestimmte der Versuch, die wirtschaftliche Entwicklung durch die Verstärkung der Lage des Kapitals zu verfolgen, die Tagesordnung. Der bazaar, obwohl immer noch eine große und einflußreiche Institution, wurde in seinem politischen Gewicht reduziert und die ulama spielten kaum eine Rolle in den Massenkämpfen. Eigentlich glänzten religiöse Führer durch ihre Abwesenheit, was ein starrer Gegensatz zu den Ereignisse der 1890er Jahre und zur Konstitutionellen Revolution 1906 war.

Sowohl in Ägypten als auch in Iran schien die Kombination der religiösen und der säkularen Elemente, die eine so prominente Rolle in der Gründung der islamischen modernistischen Strömung gespielt hatten, nicht mehr den entscheidenden politischen Einfluß auszuüben.

 

 

Anmerkungen:

1. Für Thomas Hodgkin zeigte die Erfahrung der iranischen Revolution das „revolutionäre“ Potential des Islams, die, argumentiert er, viel gemein mit dem Marxismus hätte. Er behauptete: „Der revolutionäre Islam versucht eine islamische Mustergemeinde auf einer weltweiten Basis zu gründen, wie Marxisten versuchen ein sozialistisches Gemeinwesen zu gründen.“ T. Hodgkin, The Revolutionary Tradition in Iran, in Race and Class, Bd.XXI, Winter 1980, S.234. Am entgegengesetzten Ende haben die Guerillas der iranischen Mudschahadin üblich das Chomeini-Regime als „faschistisch“ beschrieben.

2. Jeder Schriftsteller, der sich ans Thema wendet, hat anscheinend seine eigene Bezeichnung verwenden wollen. Für G.H. Jensen ist der richtige Begriff der „militante“ Islam; s. sein Buch, Militant Islam, London 1979. Für E. Sivan ist der passende Begriff „radikaler“ Islam; s. sein Buch, Radical Islam: Medieval Theology and Modern Politics. Für G. Keppel ist die Bewegung „islamizistisch [Islamicist]“; s. The Prophet and the Pharaoh. N. Keddie entscheidet sich für „islamistisch [Islamist]“; s. Waiting in the Wings: the Islamic Opposition, in The Middle East, August 1985, S.42.

3. Diejenigen, die sich für die Bezeichnung „fundamentalistisch“ entscheiden, wenden sie oft auf alle Individuen, Bewegungen und Regierungen an, die mit den islamischen Prinzipien verbunden sind. Für Hiro, den Autor eines neuen populären Werks über den Fundamentalismus, faßt der Begriff die iranische revolutionäre Bewegung, das Regime von Saudi Arabien und die afghanischen Guerillas um; s. sein Buch, Islamic Fundamentalism, London 1981.

4. Sivan bemerkt, die Länder des Sunni-Islams seien „großenteils eine Welt abseits von der der Schiiten“ (in Iran). E. Sivan, a.a.O., S.XI u. S.188.

5. Es hat kein Studium des islamischen Fundamentalismus von Autoren gegeben, die sich als „Marxisten“ identifizieren. Hodgkins kurzer Artikel bleibt der einzige Versuch auf der Linke die Ursprünge der Bewegung zu analysieren.

6. K. Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in Marx u. Engels, Ausgewählte Schriften, Bd.I, Berlin 1986, S.9.

7. ebenda, S.10.

8. P. Siegel, The Meek and the Militant, London 1986.

9. Watt bemerkt: „Während die reichen Handelsherren ihren persönlichen Reichtum vergrößerten, ließen sie auch ihre Verpflichtungen immer mehr unbeachtet ... Das Kapital, das die Basis ihrer frühsten Handelsbetriebe gebildet hatte, war wahrscheinlich der Gemeineigentum der Gruppe, wovon sie nur die Verwalter waren; aber die Profite gingen in die eigenen Taschen und bald gab es keinen Gemeineigentum mehr. Diejenigen in einer gesellschaftlich schwachen Lage, besonders Witwen und Waisen, wurden schamlos behandelt und unterdrückt.“ W. Montgomery Watt, Islam and the Integration of Society, London 1961, S.7.

10. Watt bemerkt: „Die früh-koranische Mitteilung schloß einen Versuch ein, den Übeln abzuhelfen, die aus den skrupellosen Gelderwerb des neuen Handelsindividualismus entstanden.“ Watt, a.a.O., S.45.

11. Islam ist ein arabisches Wort, das einen Zustand der Unterwerfung bedeutet; Moslems waren die, die sich (Allah) unterwerfen.

12. Watt, a.a.O., S.9.

13. Die Landwirtschaft war in Mekka unmöglich und es hatte keine Entwicklung der auf dem Land basierten Klassenverhältnisse wie im feudalistischen Europa gegeben. So waren keine Institutionen der Klassenherrschaft entstanden. Das einzige Regierungsorgan war ein Senat oder mal’a, der sich auf einstimmige Entscheidungen der Clan-Vertreter verließ; s. Ashgar Ali Engineer, The Origin and Development of Islam, New Delhi 1980, S.45-6.

14. Gibb behauptete: „Sie (die mekkanischen Handelsherren) fürchteten die Wirkungen, die sein Predigen auf ihren wirtschaftlichen Wohlstand haben könnte. Außerdem erkannten sie schneller als Muhammad selbst, ihre Annahme seiner Lehre würde eine politische Autorität einer neuen und übermächtigen Art in ihre oligarchische Gemeinde einführen.“ H.A.R. Gibb, zitiert in Engineer, a.a.O., S.47.

15. Engineer, a.a.O., S.107.

16. ebenda, S.108.

17. Islam, in einem bestimmten Sinne, war ein gesellschaftliche Gleichmacher [leveller], insofern es keine feudalistischen Institutionen und die begleitenden krassen Ungleichheiten gab. Außerdem erkannte Islam nicht, mindestens theoretisch, Rasse oder Hautfarbe als unterscheidende Faktoren an und gewährte allen Gläubigen die gleiche Behandlung. Im Vergleich mit der persischen Gesellschaft oder mit den vom römischen Kaiser beherrschten Gebieten in Nordafrika war die islamische Gesellschaft viel gleichmacherischer und hatte deswegen eine riesige Anziehungskraft für die Unterdrückten anderer Gesellschaften.“ Engineer, a.a.O., S.157.

18. Auseinandersetzungen über die Verteilung des Reichtums und über die Führung der umma – tatsächlich über die Kontrolle des Reichs – brachen bald aus. Die wichtigste davon produzierte die schiitische Heterodoxie.

19. E. Mortimer, Faith and Power: The Politics of Islam, London 1982, S.54.

20. Der Orientalist Grunebaum bemerkt, nur wo man die Moschee und den Marktplatz zusammenfinde, könne man den Glauben in die Praxis umsetzen. „Nur in einer Stadt, d.h. in einer Siedlung, die eine für das Freitagsgebet taugliche (jami’) Zentralmoschee und einen Marktplatz (und am liebsten ein öffentliches Bad) beherbergt, kann man die Bedingungen des Glaubens ordentlich erfüllen.“ G.E. von Grunebaum, Medieval Islam, Chicago 1953, S.173.

21. Dazu zählen die Wahhabi-Bewegung in Saudi Arabien, die Sanusi von Nordafrika und die indischen Erweckungsbewegungen; s. Mortimer, a.a.O., Kap. 3.

22. Eigentlich war die Region zwischen zwei Hauptblöcken verteilt – zwischen dem Osmanischen Reich, das eine große Landstrecke [swathe of land] vom Atlantik bis zum Kaukasus kontrollierte, und dem Persischen Reich in der viel kleineren iranischen Region. Trotz der Unterschieden zwischen dem hauptsächlich sunnischen Osmanischen Reich und den hauptsächlich schiitischen Persern war die Bevölkerung der Region der Meinung, daß das ganze Gebiet durch eine gemeinsame Religion und Kultur integriert war.

23. In Algerien, z.B., organisierte Abd al-Kader einen bewaffneten Widerstand gegen den Franzosen. Aber keine Opposition gegen die Imperialisten dauerte mehr als ein paar Jahre.

24. Die Mameluken waren Mitglieder einer militärischen Kaste kirkassischer Herkunft, die Ägypten im Namen des osmanischen Sultans herrschten.

25. Bei Al Azhar, Kairos islamischer Universität und dem Zentrum der Gelehrsamkeit der sunnischen Welt, forderten shaikhs die Gläubigen auf, mit ihren neuen Herrschern zusammenzuarbeiten, und verurteilten den „Aufruhr“ gegen die Franzosen. Aber Ägypten war auch der Schauplatz eines kurzen Massenwiderstands gegen den Imperialismus, als Oktober 1798 es riesige Demonstrationen gegen den französischen Einfall gab. Die städtischen Armen und Handwerker füllten die Straßen von Kairo und laut einem arabischen Historiker „machten es [für eine Weile] für die Franzosen unmöglich, einen einzelnen Tag des Friedens in Ägypten zu haben“. J.M. Ahmed, The Intellectual Origins of Egyptian Nationalism, London 1960, S.3.

26. Es gab eine alte Tradition der Lohnarbeit in manchen Städten, aber die Fabrikproduktion kam nur mit Muhammad Alis Reformen an; s. R. Owen, The Middle East in the World Economy 1800-1914, London 1982, Kap.2.

27. Ahmed, a.a.O., S.22.

28. Die Safavid-Dynastie, die das Persische Reich für 300 Jahre ab dem 16. Jahrhundert herrschte, erlegte die „Zwölfer“-Strömung des Schiismus auf die iranische Bevölkerung auf und benutzte die Religion als Agentur der gesellschaftlichen Kontrolle. Sie gründete die Strukturen, die die höheren ulama zu einem Teil des Staatsapparats machten; s. N. Keddie, Roots of Revolution, Yale 1981, Kap. 1.

29. Floor weist darauf hin, daß unter der Qajar-Dynastie, die das Persische Reich von 1796 bis 1925 herrschte, die höheren ulama eine privilegierte und einflußreiche Position besetzten. „Eine ihrer Funktionen in der Gesellschaft bestand darin, die Herrschaft der politischen Elite zu legitimieren. Wegen dieser Funktion konnten sie die politische Macht beeinflussen, wenn nicht ausüben.“ M. Floor, Revolutionary Character of the Ulama, in N. Keddie (Hrsg.), Religion and Politics in Iran, Yale 1983, S.73.

30. Keddie, Roots of Revolution, S.32.

31. Ahmed, a.a.O., S.16.

32. Afghani in seinem Traktat Islamic Solidarity, in John J. Donohue u. John L. Esposito, Islam in Transition, New York 1982, S.23.

33. Bis 1911 hatte Großbritannien allein 43 Mio. Pfund in Ägypten investiert, hauptsächlich in der Bebauung der Baumwolle, die massive Expansion unter ägyptischen Anbauern, Händlern und, bis zum ersten Weltkrieg, ägyptischen Fabrikanten angespornt hatte; s. Tignor, State, Private Enterprise and Economic Change in Egypt, 1918–1952, Princeton 1984, S.21.

34. Vatikiotis bemerkt, die neuen Kapitalisten „vertraten den Kern einer einheimischer Land- und Handelsbourgeoisie, denen die Unabhängigkeit Macht und Status versprach.“ P.J. Vatikiotis, The Modern History of Egypt, London 1969, S.248.

35. Ein anderer Grund, warum die Wafd die islamischen Elemente in der modernistischen Tradition aufgab, war die Bedeutung von christlichen (koptischen) Grundbesitzern und Unternehmern in der Partei; s. Vatikiotis, a.a.O., S.252.

36. Zu dieser Zeit bestand ein großer Teil der kleinen ägyptischen Arbeiterklasse aus Griechen, Armeniern, Juden, Syrern und Italienern; s. J. Beinin, Formation of the Egyptian Working Class in MERIP Reports 94, Washington 1981, S.16.

37. Beinin bemerkt: „Die militanten Aktionen der Arbeiterklasse – die Drosselung der Bahngleisen, die Boykottierung und die Blockierung der Bewegung der Straßenbahn von Kairo, die Demonstrationen von streikenden Arbeitern – waren wichtige Faktoren (bei Großbritanniens Entscheidung, nationalistische Forderungen zu gewähren) ...“, Beinin, a.a.O., S.19.

38. Ausländische Konzessionen wurden abgeschafft, Staatsbanken wurden gegründet, um die einheimische Industrie zu finanzieren, die Investition wurde gefördert und iranische Waren wurden durch hohe Tarifbarriere geschützt. Außerdem wurden Handelsmonopolen zwischen der Regierung und den großen Handelsherren gegründet; s. Keddie, Roots of Revolution, Kap.5.

 


Zuletzt aktualisiert am 14.7.2001