John Rose

 

Karl Marx, Abraham Léon
und die jüdische Frage

(Sommer 2008)


John Rose: Karl Marx, Abram Leon and the Jewish Question, International Socialism 2:119, London, Sommer 2008.
Übersetzung aus dem Englischen: Rosemarie Nünning.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für REDS – Die Roten..


Irgendwann zu Beginn unserer revolutionären „Laufbahn“ mussten sich jüdische Studenten der 1968er Generation mit dem jungen Karl Marx und seinem Aufsatz Zur Judenfrage von 1843 auseinandersetzen. Es war ein ehrfurchtgebietender Moment – fast ein politischer Mannbarkeitstest. (Hattest du ihn bestanden, dann warst du zumindest für die intellektuellen Barrikaden bereit, wenn auch noch nicht unbedingt die physischen.) Sich durch das hohe Niveau Hegel’scher Abstraktionen zu kämpfen, war nervenzehrend genug. Wenn du den Text mehr oder weniger verstanden hattest, konntest du feststellen, dass es sich um eine robuste, sogar herausragende Verteidigung der jüdischen Emanzipation handelt. Gleichzeitig jedoch scheint Marx den Juden feindlich gesinnt zu sein und die jüdische Geschichte auf eine Frage der Ökonomie zu reduzieren. Er schreibt:

Suchen wir das Geheimnis des Juden nicht in seiner Religion, sondern suchen wir das Geheimnis der Religion im wirklichen [gemeint ist der „ökonomische“] Juden. [1]

Noch schlimmer: Der Artikel scheint mit antisemitischer Polemik nur so gepfeffert zu sein. Und der Grund für all das ist, dass Marx die Werte des neuen Wirtschaftssystems, das wir als Kapitalismus bezeichnen, anscheinend mit „jüdischen“ Markt- oder Geldwerten gleichsetzt.

Das war also eine eigenartige und sehr unbefriedigende Erfahrung. Es gab jedoch ein Gegenmittel. [2]

Zu den großen Innovationen der 1968er Jahre gehörte auch die Veröffentlichung von Abraham Léons Buch Die jüdische Frage. Dieses erstaunliche Dokument war seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen gewesen. Der marxistische Wissenschaftler Maxime Rodinson beförderte es wieder zutage – symbolischerweise an der Universität Sorbonne in Paris.

Abraham Léon führte eine kleine (trotzkistische) revolutionär-sozialistische Gruppe im von den Nazis besetzten Belgien an. Er wurde von ihnen verfolgt, gefangen genommen und in Auschwitz ermordet. Bemerkenswerterweise schrieb er unter diesen Kriegsbedingungen sein Manuskript. Ein Hauch von Genie wie bei Karl Marx und von Heldentum wie bei Che Guevara umweht Léon.

Léon knüpfte an das Zitat aus Marx’ ursprünglichem Essay an und entwickelte eine dynamische und ehrgeizige Studie der jüdischen Geschichte, in der er die wachsende historische Handelsfunktion der jüdischen Gemeinden von der Antike bis zur Moderne zur Wurzel des Überlebens der Juden erklärt. Tatsächlich verdankt sich Léons Behauptung viel mehr dem „erwachsenen“ Marx und der theoretischen Struktur in Marx’ Buch „Das Kapital“ als dem Aufsatz, den Marx in seinen frühen Hegelianerjahren schrieb. Marx erwähnt in den drei Bänden von „Kapital“ die Juden so gut wie gar nicht. In einer seltenen und berühmten Bezugnahme, die ich unten diskutiere, geht er davon aus, dass die Juden an den Rand gedrängt sind. Das ist der Ausgangspunkt für Léon. Er argumentiert, die jüdische Handelsgemeinschaft sei ab dem 13. Jahrhundert vom Aufstieg des Kapitalismus ausgeschlossen gewesen, trotz ihrer langen Geschichte – oder gerade wegen dieser Geschichte, da sie von den neuen christlichen Kaufleuten in den sich entwickelnden nationalen Marktwirtschaften als potenzielle Konkurrenten gesehen wurde.

Ich glaube, diese Ansätze erfordern einige Ergänzungen. Léon hat an keiner Stelle Marx’ Ursprungsessay diskutiert. Marx selbst hat nie erklärt, warum er seine dort entwickelte Argumentation aufgab. Zudem hat die neuere Forschung, angeregt in den vergangenen Jahren durch das Aufkommen einer Wissenschaft des Judentums, ergeben, dass Juden einen bescheidenen Beitrag zum Aufstieg des Kapitalismus leisteten. Es lässt sich sogar mit aller Vorsicht und in kritischem Geist die Behauptung aufstellen, dass die Verbindung, die der junge Marx zwischen der wirtschaftlichen Rolle der Juden und der so spät erst in Deutschland einsetzenden Moderne herstellt, die Position von Léon ergänzen und verfeinern kann. [3]

Wegen der intensiven ideologischen und häufig vorurteilsbeladenen Behauptungen und Gegenbehauptungen zu diesem Thema ist bei der Untersuchung der Beweise im Kontext eines komplexen theoretischen Bezugsrahmens Vorsicht angesagt. Was folgt, sollte deshalb als erste Annäherung gesehen werden. Lasst uns zunächst die Originalschriften von Marx und Léon genauer untersuchen.
 

Marx’ „Judenfrage“

Auch auf die Gefahr grober Vereinfachung hin, lässt sich Marx’ Essay auf die Analyse seiner zwei Hauptkonzepte und ihrer Verbindung miteinander reduzieren: Emanzipation und Judentum. Dabei ergibt sich das Problem, dass diese beiden Konzepte zwei unterschiedliche Bedeutungen in sich tragen können.

Marx’ Vorstellung von der Emanzipation der Juden entspricht grob der Gewährung der Bürgerrechte und der Aufhebung der Diskriminierung durch die Französische Revolution von 1789. Eine ähnliche Revolution erwartete er in den zusammenbrechenden halbfeudalen Fürstentümern, die das damalige Deutschland bildeten. Marx verteidigt die Emanzipation gegen Angriffe durch den führenden „linken“ Hegelianer Bruno Bauer wie folgt:

Die Zersetzung des Menschen in den Juden und in den Staatsbürger, in den Protestanten und in den Staatsbürger, in den religiösen Menschen und in den Staatsbürger, diese Zersetzung ist keine Lüge gegen das Staatsbürgertum, sie ist keine Umgehung der politischen Emanzipation, sie ist die politische Emanzipation selbst […] von der Religion […]. [4]

Religion wird zur Privatangelegenheit des Einzelnen. Deshalb sollte das Individuum im öffentlichen Raum unabhängig von seiner Religion Anspruch auf Gleichberechtigung haben.

Marx sieht in dieser politischen Emanzipation jedoch eine sehr beschränkte Form der Freiheit. Sie stellt einen Fortschritt dar, aber die „politische Emanzipation ist die Reduktion des Menschen, einerseits auf das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, auf das egoistische unabhängige Individuum, andrerseits auf den Staatsbürger, auf die moralische Person“. [5] Das ist eine entfremdete Emanzipation – eine Spaltung in der menschlichen Natur einer Person und der Verlust sich potenziell erweiternder menschlicher Kräfte.

Der Mensch wurde daher nicht von der Religion befreit, er erhielt die Religionsfreiheit. Er wurde nicht vom Eigentum befreit. Er erhielt die Freiheit des Eigentums. Er wurde nicht von dem Egoismus des Gewerbes befreit, er erhielt die Gewerbefreiheit. [6]

Dieser Absatz führt unmittelbar zu den beiden Bedeutungen des Judentums. Die erste Bedeutung ist die uns allen bekannte: religiöses Bewusstsein. (Marx betrachtete das Jüdische nie als ethnische Identität oder als Nationalismus – siehe Fußnote 11.) Die zweite Bedeutung bezieht sich auf die Handelsaktivität, und das stellt uns heute vor Schwierigkeiten. Mit anderen Worten meinte Marx mit dem letzten Satz des obigen Zitats auch umgekehrt, dass der Mensch „Gewerbefreiheit“ erhielt, also jüdisch werden konnte.

Zu Marx’ Zeiten wurde wie selbstverständlich Judentum mit Geld und Handel in Verbindung gebracht. Wie Mendes-Flohr und Reinharz in ihrem Buch The Jew in the Modern World, auf das sich heute alle universitären Seminare zur Wissenschaft des Judentums beziehen, sagen: „Das deutsche Wort Judentum meinte in der damaligen Sprache immer auch den Handel.“ [7] Wenn wir das heute lesen, fühlen wir uns damit unwohl. Es ist fast unmöglich, die antisemitischen Konnotationen daraus zu entfernen. Aber Marx meinte in Wirklichkeit, dass das Judentum die Gesellschaft jetzt in einem solchen Ausmaß beherrschte, dass „der praktische Judengeist zum praktischen Geist der christlichen Völker geworden ist“ und „die Christen zu Juden geworden sind“. [8]

Das Judentum erscheint so als Symbol einer aufbrechenden und missverstandenen Moderne, die von Handel und Geld beherrscht wird. In einem von vielen berühmten Absätzen seines Aufsatzes schrieb Marx:

Welches ist der weltliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz.

Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.

Nun wohl! Die Emanzipation vom Schacher und vom Geld, also vom praktischen, realen Judentum wäre die Selbstemanzipation unsrer Zeit. […]

Die Judenemanzipation in ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation der Menschheit vom Judentum. [9]

Dieser Absatz kann mit Fug und Recht als Weckruf für die Emanzipation der Juden gelesen werden.

Der Markthandel würde nicht mehr das jüdische Alltagsleben beherrschen. Jeder und jede, Juden wie Nichtjuden, wären emanzipiert von einem Wirtschaftssystem, das vom Markt beherrscht wird. Selbst Julius Carlebach, einer der neueren und klügsten in einer langen Reihe von Wissenschaftlern, die darauf beharren, dass Marx antisemitisch war, kam zu dem Schluss:

Marx war entschlossen, das Judentum zu einem abstrakten Element wie Arbeit zu erheben, und er beabsichtigte nicht, den einzelnen Juden Schaden zuzufügen, indem er nach der Auflösung des Judentums rief, ebenso wenig wie er Angriffe auf Arbeiter forderte, wenn er nach der Aufhebung der Arbeit rief. [10]

Carlebach erkennt ebenfalls an, dass sich Marx mit einem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem auseinandersetzt, das abgeschafft werden muss. Schafft ein bestimmtes Wirtschaftssystem ab, und die Arbeiter werden frei sein. Sie werden dann tatsächlich nicht mehr Arbeiter im kapitalistischen Sinne, sondern freie Produzenten sein. Schafft ein von Juden dominiertes Wirtschaftssystem ab, und die Juden werden frei sein. Sie werden dann tatsächlich nicht mehr jüdisch sein müssen. Marx hielt es für selbstverständlich, dass es in einer freien Gesellschaft Religionsfreiheit gibt, aber auch, dass in einer freien Gesellschaft die Religion langsam verschwindet.

Übrigens räumte Marx entgegen anderen Behauptungen seine eigenen jüdischen Ursprünge durchaus ein. David Leopold hat ein besonders faszinierenden Beispiel ausgegraben, wo Marx auch auf sein jüdisches Erbe als Faktor für seine intellektuelle Kreativität verweist. Bauer hat die Juden beschuldigt, ein „Dorn im Auge“ zu sein. Marx antwortet in Die heilige Familie:

Ein Dorn, der mir – wie das Judentum der christlichen Welt – von der Stunde der Geburt im Auge sitzt, sitzen bleibt, mit ihm wächst und sich gestaltet, ist kein gewöhnlicher, sondern ein wunderbarer, ein zu meinem Auge gehöriger Dorn, der sogar zu einer höchst originellen Entwickelung meines Gesichtssinnes beitragen müßte. [11]

Der junge Marx war nicht der Erste, der Judentum mit der Vorherrschaft des Geldes gleichsetzte:

Marx’ frühere Dämonisierung der Geldwirtschaft wurde angeregt […] durch niemand anders als Moses Hess […] Marx scheint für seine besonders „antisemitischen“ Beleidigungen Inspiration aus den Arbeiten des späteren „Vaters des zionistischen Sozialismus“ und Vorläufers des jüdischen Nationalismus im Allgemeinen gezogen zu haben. [12]

Carlebach bietet uns einen Eindruck von Heß’ Schriften: Es sei die „welthistorische Mission“ der Juden, „die Menschheit in Raubtiere zu verwandeln, und sie haben ihre Mission vollendet“; „Geld ist soziales Blut, aber entäußertes, vergossenes Blut“. Solches „entäußerte, vergossene Blut“ der Menschheit wird symbolisch konsumiert (in der Kommunion), so dass in der modernen jüdisch-christlichen „Krämerwelt“ der Symbolismus zur Realität wird. [13]

Bis zu welchem Ausmaß dominierte das Judentum aber tatsächlich die sich ausdehnende „Geldwirtschaft“? Diese Frage ist weiterhin Gegenstand größter Kontroversen.

Marx’ Anhänger wie Kritiker stimmten überein, dass Wirtschaftsaktivitäten der Juden öffentliche Auswirkungen hatten. Es ist nicht notwendigerweise antisemitisch anzunehmen, dass sie die Art und Weise beförderten, wie der Markt das morsche Netz halbfeudaler Fürstentümer, aus dem die deutsche Wirtschaft vor der Vereinigung bestand, sprengten.

Deshalb erklärt Hal Draper, einer der prominentesten Verteidiger von Marx’ Aufsatz, wie die Juden „durch das christliche Verbot ihres Zugangs zur Landwirtschaft, zu den Handwerksgilden und freien Berufen in eine ungleichgewichtige Wirtschaftsstruktur gezwungen wurden“. [14] Das wiederum hatte gleich dreifach Folgen für die sozioökonomische Struktur der jüdischen Gemeinde: Erstens „spielte die Oberschicht der Juden eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der postfeudalen Gesellschaft, insbesondere angesichts ihres kleinen Anteils an der Gesamtbevölkerung“. Zweitens gab es eine „große Schieflage in der Wirtschaftsstruktur des Judentums zugunsten der Mittelsmänner und Finanzberufe, einschließlich der Masse der armen Hökerjuden, die als Hausierer oder Kleinhändler arbeiteten“. Und drittens gab es die „relativ deutliche Sichtbarkeit der wirtschaftlichen Funktion der Juden – wenn zum Beispiel die Junker (deutsche Feudalherren und Feudalbeamte) Juden als Krediteintreiber und Zwangsvollstrecker einsetzten und auf diese Weise den Profit einstrichen, während die Juden den Ruf als „Blutsauger“ ernteten. [15]

Auch Carlebach erkennt:

Wie andere Gruppierungen des Mittelalters wurden Juden als eine sozioökonomische Einheit gesehen […] Die preußischen Monarchen definierten den Wert der Juden als Unternehmer und Erneuerer der Industrie. Sie wollten Wirtschaftswachstum, Außenhandel und Finanz- wie Industrieinvestitionen. Dazu gestattete der preußische Große Kurfürst […] den Juden, sich in Preußen anzusiedeln und […] betrachtete den Protest der christlichen Kaufleute gegen die neuen, aggressiven Handelsmethoden der Juden im Gegensatz zu ihren eigenen gediegenen, altbewährten Methoden – als eindeutige Bestätigung seiner Absichten. [16]

Mit anderen Worten benutzten die preußischen Herrscher die jüdische Elite gleichzeitig als Mittel zur Unterstützung des sich entwickelnden Kapitalismus und als Puffer gegen die aufsteigende preußische kapitalistische Bourgeoisie. Dieses Arrangement mag für die preußische Aristokratie sehr bequem gewesen sein, war aber außerordentlich gefährlich für die Juden. Ohne Zweifel beeinflusste dies den sich entwickelnden modernen Antisemitismus, in dem Juden mit Geld und Macht gleichgesetzt wurden. Die wilden antisemitischen Aufstände gegen jüdische Kaufleute in Frankfurt am Main in den Jahren 1614/15 waren eine Vorwegnahme eben dieser Gefahr. [17]

Die meisten Juden blieben im 18. Jahrhundert sehr arm. In einem Standardtext der zeitgenössischen jüdischen Studien wird die Rasanz des Aufstiegs der deutschen jüdischen Mittelschicht des 19. Jahrhunderts festgestellt: „Ironischerweise waren es die schimpflichen Berufe der Hausierer, Lumpenhändler und kleinen Wucherer, die den Boden für diesen Wandel bereiteten.“ [18]

Eine überraschende Quelle hat unabsichtlich dieses Argument bekräftigt. Dem neokonservativen Historiker und Schriftsteller Niall Ferguson wurden als Erstem Einsicht in die privaten Unterlagen der Rothschilds gewährt – der zweifellos berühmtesten Bankiersfamilie mit internationalen Verbindungen, deren Wurzeln in das jüdische Ghetto Frankfurts am Main im 18. Jahrhundert zurückreichen. Er verfasste eine beeindruckende zweibändige Geschichte der Rothschilds. Als Marx seinen Aufsatz schrieb, dominierte die Familie Rothschild bereits das europäische Bankensystem. James Rothschild insbesondere finanzierte die Einführung des Eisenbahnsystems in Frankreich, des mächtigsten Symbols der aufkommenden industriellen Wirtschaftsordnung. Ferguson weist auf einen Absatz bei Marx hin, der der nachdrücklichen Formulierung „die Emanzipation der Menschheit vom Judentum“ folgt: Marx zitiert Bauers Behauptung, dass der „Jude, der in Wien zum Beispiel nur toleriert ist, durch seine Geldmacht das Geschick des ganzen Reichs [bestimmt]“ [19] , und Ferguson weist nach, dass Bauer sich damit auf Rothschild bezieht.

Marx bezieht sich auf diese Personifizierung der „jüdischen Wirtschaftsmacht“. Für Bauer rechtfertigte das die Verweigerung politischer Rechte für die Juden, während Marx argumentierte, die Juden hätten Anspruch auf politische Rechte. Er formulierte dies besonders bündig in einer späteren Polemik gegen Bauer in Die heilige Familie:

Der Jude hat ein um so größeres Recht auf diese Anerkennung seiner „freien Menschlichkeit“ [der Menschenrechte], als die „freie bürgerliche Gesellschaft“ durchaus kommerziellen jüdischen Wesens und er von vornherein ihr notwendiges Glied ist. [20]

Heinrich Heine, das poetische Genie und ein weiterer junghegelianischer Genosse von Marx aus jüdischer Familie, hat uns eine faszinierende Einsicht in James Rothschild, den „Robespierre der Finanzen“ hinterlassen:

[…] ich sehe in Rothschild einen der größten Revolutionäre, welche die moderne Demokratie begründeten. [..] Richelieu, Robespierre und Rothschild […] bedeuten die graduelle Vernichtung der alten Aristokratie. [Sie] sind die drei furchtbarsten Nivelleurs Europas. […] Rothschild [..] zerstörte die Oberherrschaft des Bodens, indem er das Staatspapierensystem zur höchsten Macht emporhob, dadurch die großen Besitztümer und Einkünfte des Bodens belehnte. Er stiftete freilich dadurch eine neue Aristokratie, aber diese, beruhend auf dem unzuverlässigsten Elemente, auf dem Gelde, kann nimmermehr so nachhaltig mißwirken, wie die ehemalige Aristokratie, die im Boden, in der Erde selber, wurzelte. Geld ist flüssiger als Wasser, windiger als Luft, und dem jetzigen Geldadel verzeiht man gern seine Impertinenzen, wenn man seine Vergänglichkeit bedenkt … er zerrinnt und verdunstet, ehe man sich dessen versieht. [21]
 

Abraham Léon und „die jüdische Frage“

Die große Neuerung bei Abraham Léons Argumentation besteht darin, dass er eine detaillierte geschichtliche Analyse der jüdischen Handelsgemeinschaften vorlegt, indem er das Konzept einer „Volksklasse“ verwendet, das in Marx’ Ursprungsessay nur angedeutet wird. Seine Analysen nehmen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studien zum Judentum über ein halbes Jahrhundert vorher vorweg und stürzen die zionistische Vorstellung von einer „weinerlichen“ jüdischen Geschichte in Europa, die aufgrund des tief verwurzelten Antisemitismus nur Jahrhunderte jüdischen Leidens erkennt. [22] Schließlich gibt er eine Antwort auf die Frage, wie die jüdischen Menschen zu Städtern wurden.

Ein interessanter Ausgangspunkt ist das sogenannte Exil der Juden zur Zeit der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahre 70 u. Z. Tatsächlich ist das „Exil“ ein Mythos, weil damals bereits im Römischen Reich und darüber hinaus eine blühende Diaspora bestand: „Die Mehrheit der Juden lebte außerhalb der römischen Provinz Judäa.“ [23] Léon argumentiert, dass diese Diaspora bereits zu verstädtern begann, durch „kommerziellen Wohlstand“ geprägt war und zunehmend von Kaufleuten geführt wurde. [24] Die jüdische Gemeinde bildete ein Drittel der halben Million Einwohner Alexandrias, der größten Handelshafenstadt der antiken Welt, ehe sie von Rom abgelöst wurde [25] , und jüdische Handelsgemeinschaften waren manchmal so erfolgreich, dass es in städtischen Gegenden zu Übertritten zum Judentum kam, während die jüdische Bauernschaft in der „heidnischen“, dann zunehmend christlichen und später islamischen Landbevölkerung aufging. Viele Phönizier und Karthager wurden Juden und brachten „ihre Handelskünste“ mit ein. [26] Die Ausdehnung des Islams über das Mittelmeergebiet und darüber hinaus verstärkten die Rolle des jüdischen Handels: „Jüdische Händler dienten als wichtige Mittler in einer Welt, die durch Islam und Christentum geteilt war […]. Im 9. Jahrhundert u. Z. hatte sich Hebräisch zur führenden internationalen Sprache entwickelt.“ [27]

Ibn Hurdadbih, Leiter des Post- und Geheimdienstes des Kalifen von Bagdad Mitte des 9. Jahrhunderts, beschrieb eine Gruppe internationaler jüdischer Händler, die als „radanitische Juden“ in die Geschichte eingingen. Sie reisten über weite Strecken vom „Frankenland“ (in etwa das heutige Frankreich) bis zum Kaspischen Meer (an der Nordküste des heutigen Irans). Entlang dieser gutbereisten Handelszone lagen jüdische Kolonien, die den Handel mit Forstprodukten, Pferden und Häuten, Schwertern und Sklaven beiden Geschlechts aus dem Westen gegen die Luxusgüter des Ostens betrieben. [28] Jüdischer Wohlstand und politischer Einfluss in dieser Zeit wirkten sich auf das Reich der Chasaren aus. Dessen Elite konvertierte sogar Ende des 9. Jahrhunderts zum Judaismus, um ihre politische Unabhängigkeit zu bewahren und sich in das jüdische Handelsnetz zu integrieren. [29]

Die frühfeudale Zeit in der europäischen Geschichte war „eine Periode größten Reichtums für die Juden. Handels- und Wucherkapital hat große Ausdehnungsmöglichkeiten in der feudalen Gesellschaft. Die Juden werden von Königen und Prinzen beschützt und ihre Beziehungen mit den übrigen Klassen sind in der Regel gut“. [30] Als eher unerwarteter Zeuge schreibt Abba Eban, der ehemalige israelische Außenminister und geschult in den Klassikern, in seinem Bestsellerbuch Das Erbe: Die Geschichte des Judentums, unter Karl dem Großen, der gebieterischen europäischen Herrschergestalt des frühen Mittelalters, „genossen die Juden Schutz wegen der Dienste, die sie im Handel und im Finanzwesen leisteten“. Zu dieser Zeit waren „die ersten aschkenasischen Juden Wirtschaftspioniere, Männer mit großem merkantilen Unternehmungsgeist. Andererseits waren sie gelehrten Studien sehr ergeben […]“. [31]

Léon schlussfolgerte daraus: „Man kann also nicht sagen, dass die Juden sich als Juden trotz ihrer Zerstreuung, sondern gerade aufgrund derselben erhalten haben.“ [32]

Als sich dann jedoch der Merkantilkapitalismus [33] zu entwickeln begann und europäische Nationalstaaten langsam Gestalt annahmen, wurde die Händlerrolle der Juden durch das Aufkommen des lokalen Handelsmanns bedroht:

Mit dem 11. Jahrhundert beginnt in Westeuropa eine Periode intensiver wirtschaftlicher Entwicklung. Das erste Stadium dieser Entwicklung ist gekennzeichnet durch die Entstehung einer ständischen Industrie und einer einheimischen Handelsbourgeoisie […] Durch die Entwicklung der Städte und einer einheimischen Handelsklasse werden die Juden völlig aus dem Handel verdrängt. Sie werden zu Wucherern […]. Der relative Überfluss an Geld erlaubt es dem Adel, das Joch der Wucherer abzuschütteln. Die Juden werden nach und nach aus allen Ländern vertrieben. […] In einigen Städten […] beschäftigen sich die Juden hauptsächlich damit, dem Volk […] Kredite zu geben. Zu kleinen Wucherern abgesunken […], werden die Juden oft zu Opfern blutiger Aufstände. [34]

Ein gutes Beispiel dafür ist die Vertreibung der Juden im Jahr 1290 aus England, wo sie die offiziellen Bankiers des Königs waren. [35] Das spektakulärste Beispiel jedoch ist die Vertreibung aus Spanien und die offizielle „Jagd“ der spanischen Inquisition auf sie. Spanien, das Amerika „entdeckt“ hatte, beherrschte den neuen Merkantilismus. Léon sagt weiter, dass die Spanien und das übrige Westeuropa verlassenden Juden von Osteuropa, insbesondere Polen und Teilen Russlands, aufgenommen wurden, da hier die feudalen Strukturen überlebten und gestärkt wurden. Sie konnten sich einer besonderen „autonomen inneren Struktur“ erfreuen [36] und die Landgüter in Abwesenheit der Landherren sogar selbst führen.

Das ist mit der wichtigste Grund, warum die Mehrheit der Juden auf der Welt bei Einbruch der Moderne in Polen, Russland und anderen Gegenden Osteuropas lebte. Léons innovativer Ansatz ist vor allem deshalb wichtig, weil er den Ursprung des Zionismus in dieser sehr besonderen Geschichte der osteuropäischen jüdischen Gemeinden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ansiedelt. [37]

Eine Folge von Léons Ansatz war allerdings, die Juden vom Aufstieg des Kapitalismus zu trennen. Jüdische Kaufleute konnten kaum die „Träger einer neuen Produktionsweise“ sein. [38] Léon stützt sich insbesondere auf einen Satz von Marx in „Das Kapital“, einer seltenen Bezugnahme auf Juden, in dem Marx unterstellt, Juden in den osteuropäischen Provinzen seien wirtschaftlich an den Rand gedrängt worden. Marx diskutiert hier, dass Handelsvölker historisch außerhalb der Gesellschaft standen: „Die Handelsvölker der Alten existierten wie die Götter des Epikur in den Intermundien der Welt oder vielmehr wie die Juden in den Poren der polnischen Gesellschaft.“ [39]

Léon beschäftigte sich allerdings nie mit dem Paradox, dass Marx seine anfängliche Beschäftigung mit dem Judentum später nicht fortgesetzt hat.
 

Wie Europa zu Beginn der Moderne die jüdischen Händler wieder zuließ

Léon schreibt richtigerweise, es sei „ungenau, in den Juden die Begründer des modernen Kapitalismus zu sehen. Die Juden haben sicherlich zur Entwicklung der Tauschwirtschaft in Europa beigetragen, aber ihre spezifische wirtschaftliche Rolle endet genau dort, wo der moderne Kapitalismus anfängt.“ [40] Er besteht aber auch ohne Einschränkung darauf, dass die „Handelswirtschaft also die Juden vertreibt […]. Der Jude, ‚der Bankier des Adels‘, ist schon Ende des Mittelalters in Westeuropa völlig unbekannt […]. Das ist der totale Niedergang.“ [41]

Das ist sehr irreführend, weil die Handelswirtschaft die besondere Handelsrolle der Juden in der Zeit vor dem modernen (also industriellen) Kapitalismus wiederbelebte. In seiner bahnbrechenden Studie European Jewry in the Age of Mercantilism 1550–1750 zeichnet Jonathan Israel ein ähnliches Bild wie Léon mit Blick auf das Mittelalter, verweist aber auch auf die Rückkehr des jüdischen Händlers. Es ist bekannt, dass Oliver Cromwell im Jahr 1655 die Rückkehr der Juden ins revolutionäre England befürwortete, „um zu tauschen und zu handeln“. [42] Das führte in Verbindung mit der enormen Ausbreitung des europäischen und atlantischen Marktes zum Wiederaufleben ihrer Handelsrolle:

Ebenso wichtig – vielleicht sogar wichtiger – als die Belieferungsverträge mit dem Heer war die wachsende Bedeutung der Juden für die Staatsfinanzen und allgemein den internationalen Geldverkehr. Diese beruhte im Wesentlichen auf Amsterdams Funktion als Europas wichtigstem Markt für Edelmetallbarren und Geld gepaart mit der Dominanz der Juden über den mitteleuropäischen Handel mit Gold, Silber und anderen Metallen. Sie entwickelte sich auch aus dem besonderen Bedarf der Juden nach regierungsseitigen Zuwendungen und Zugeständnissen wie auch ihrer außergewöhnlichen Anfälligkeit für Druck der Regierung […]. Entscheidend allerdings waren das weitreichende, um nicht zu sagen umspannende und engmaschig geknüpfte Finanznetz und die Fähigkeit, in sehr kurzer Zeit häufig nur auf Treu und Glauben riesige Summen aufbringen und Geld schnell von einem Teil Europas zu einem anderen transferieren zu können. [43]

Im Zentrum dieses Systems standen die „Hofjuden“ – Bankiers des Adels:

Mit der Zeit häuften die Hofjuden nicht nur Reichtümer und Ehren an, sondern entwickelten einen kaum zu übertreffenden Lebensstil. Zunehmend wurden sie von vielen – wenn auch nicht allen – lästigen Beschränkungen und Beschneidungen, die der christliche Staat dem Juden auferlegte, ausgenommen. [44]

Wir haben bereits gesehen, dass Draper und Carlebach Juden als Wirtschaftseinheit beschrieben. Jonathan Israel untersuchte die enge Sozial- und Wirtschaftsstruktur, die sich auf die merkantile Ökonomie des Metallgeldes stützte:

Die vertikalen Bindungen […] verliehen der jüdischen Gesellschaft ihren inneren Zusammenhalt – die Zusammenarbeit im Handel und das beschützende Netz, das unausgesprochen den jüdischen Einrichtungen, Wohltätigkeits- und Wohlfahrtsorganisationen zugrunde lag, waren von sehr viel größerer Bedeutung als jede gelegentliche Spannung zwischen Reichen und Armen. An der Spitze der Pyramide stand die Elite der Finanziers, Hofjuden und fürstlichen Agenten; es folgte die sehr viel größere Zahl der vermögenden Kaufleute, Fabrikanten […], sodann als Drittes die Hausierer, Straßen-, Altkleider- und andere Kleinhändler, die vermutlich die größte Zahl ausmachten; viertens und weniger zahlreich, aber doch ein beträchtlicher Teil der jüdischen Ernährer, die Handwerker und Kunstgewerbetreibenden; und am Fuß der Pyramide gab es schließlich die Not leidende Masse der Landstreicher, Bettler und andere Arbeitslose. [45]

Jüdische Emanzipationsreformer wie Moses Mendelssohn waren entschlossen, diese mittelalterliche, kastenähnliche Struktur zu durchbrechen. [46] Dieses „Durchbrechen“ wurde unvermeidlich unter dem Druck der französischen Revolution, die die Religions- und Berufsbeschränkungen für die Juden aufhob, und unter dem heftigen Druck für innere Reformen, um die Autorität der orthodoxen Rabbiner in der jüdischen Gemeinde zu brechen.

Wir benötigen zweifellos eine vielschichtigere und nuanciertere Analyse des jüdischen Beitrags zum Kapitalismus und seiner Wirtschaft. Das soll jetzt anhand derselben Fallstudien versucht werden.
 

Die spanische Inquisition

Der folgenschwere und grauenhafte Prozess der spanischen Inquisition für die Juden und natürlich auch das übrige Europa wurde von den Geschichtswissenschaftlern, die sich mit den hier behandelten Themen beschäftigt haben, vernachlässigt. Dabei war sie das strategische Sprungbrett der katholischen Monarchen bei der Vereinigung Spaniens und für die Entwicklung zu Europas bedeutendster See- und Handelsmacht Ende des 15. Jahrhunderts. [47] Die Inquisition hatte die Aufgabe, jede Opposition auszumerzen, auch die der spanischen Muslime im Süden. Vornehmlich und bis zur blinden Besessenheit beschäftigte sie sich jedoch mit Juden, einschließlich der zum Christentum übergetretenen Conversos.

Die Juden, die zwei Prozent der spanischen Bevölkerung ausmachten, wurden 1492 vertrieben. Zehntausende jedoch zogen die Taufe der Vertreibung vor. Das beunruhigte die spanischen Autoritäten. Meinten die Konvertierten es ernst? Die „neuen Christen“ integrierten sich sehr schnell in die religiöse, politische und ökonomische Hierarchie des neuen Spaniens. In Kastilien waren die Conversos sowohl in vielen Stadträten der wachsenden Städte als auch in den katholischen Hierarchien vor Ort sehr einflussreich. In Aragon beherrschten konvertierte Beamte die königliche Verwaltung Ferdinands. Der königliche Schatzmeister, ebenfalls ein Converso, förderte die Finanzierung von Columbus’ erster Reise nach Amerika; zur Mannschaft gehörten Conversos und sogar praktizierende Juden. Heute herrscht unter Wissenschaftlern Einigkeit, dass die meisten Übertritte zum Katholizismus ernst gemeint waren. Es gibt jedoch zwei Einschränkungen: Erstens führte die Gewalttätigkeit der Inquisition in einigen Conversofamilien zur Wiederbelebung dem Judentum freundlich gesinnter religiöser Gefühle. Zweitens entwickelte sich das „Bewusstsein“ eines Conversos als eine Art Hybride aus Christentum und Judaismus. [48]

Wir sehen hier, wenn man so will, einen Blitzableiter für die Krise des Judentums in den Anfängen des Kapitalismus. Das Judentum war zweifellos nicht führend in Bezug auf Spaniens maritime und imperiale Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig aber war das Judentum auch nicht erfolgreich ausgeschlossen, als das spanische Reich versuchte, das übrige Europa zu überrollen und die Meere zu beherrschen.
 

Shakespeares Jude: Shylock

Nach einer linken Standardinterpretation wurde der jüdische Geldverleiher Shylock durch den althergebrachten christlichen Antisemitismus in seinen trostlosen und engen Status gepresst. In der neu anbrechenden Zeit des Merkantilismus verstärkte sich der Prozess mit dem Aufkommen stolzer und abenteuerlustiger christlicher Kaufleute wie Shakespeares Antonio, dem Kaufmann von Venedig. Shakespeare gestattet in seiner Genialität allerdings konkurrierende Interpretationen, wobei jede wegen der sehr vielschichtigen, widersprüchlichen und sich schnell verändernden Welt zu Beginn des 17. Jahrhunderts plausibel erscheint.

Um das zu erkennen, hilft ein einfaches linguistisches Manöver: Was geschieht, wenn wir das Wort „Geldverleiher“ durch „Bankier“ ersetzen? Geht es in Shakespeares Stück auch darum? Schließlich sind „Kaufmann“ und „Bankier“ häufig austauschbare Wirtschaftsfunktionen. Das kann innerhalb der Beschränkungen des Theaterstücks nicht hinreichend untersucht werden. Aber mit Hilfe einer legitimen Übung kann die Behauptung gegen die realen historischen Umstände, in dem das Stück geschrieben wurde, getestet werden.

Tawney illustriert in seinem Klassiker Religion and the Rise of Capitalism, wie der englische Protestantismus die Bedeutung von Wucher oder Geldverleih veränderte und ihn gerade in dem Moment modernisierte, als Shakespeare schrieb. In der neueren Studie God and the Moneylenders hat Norman Jones die empirischen Details herausgearbeitet, um diese Behauptung zu stützen:

Die großen Geldmänner Londons zur Zeit Jakobs I. verknüpften Spekulation und Geldverleih, um riesige Profite einzustreichen, wobei sie in einer Nation, die noch keine Banken hatte, die Rolle der Bankiers einnahmen. [49]

Diese Männer, wie der Kaufmann mit dem schönen Namen Sir Baptist Hicks, entwickelten sich in Shakespeares England bereits zu den neuen Aristokraten und Regierungsbeamten. Noch verblüffender ist, was dem realen Kaufmann von Venedig seinerzeit widerfuhr: Christliche Kaufleute verloren die Schlacht, die jüdischen Kaufleute zu kontrollieren. Mit der besonderen venezianischen Charta von 1589 wurden die Rechte der jüdischen Kaufleute erheblich ausgeweitet, allerdings nicht bis zur formellen Gleichstellung. Zum Ende des 17. Jahrhunderts lag ein Sechstel von Venedigs Schiffsflotte in der Hand von Juden. [50]
 

Spinoza

Zu jeder ernsthaften Untersuchung des Beitrags der Juden zum Aufstieg des Kapitalismus muss ihr intellektueller oder ideologischer Beitrag gehören. Spinoza ist einer der führenden Philosophen der Aufklärung. „Niemand kam in der Zeit von 1650 bis 1750 auch nur annähernd an Spinozas Bekanntheitsgrad als Hauptkritiker der Grundlagen der Offenbarungsreligionen, von angeeigneten Ideen und von Tradition und Moral heran.“ [51] Er trug zur Klärung der ideologischen und abergläubischen Last und Hürden für die Entfaltung der Wissenschaft als wesentliche Komponente des Kapitalismus bei, insbesondere in seiner späteren industriellen Phase. Er trug auch dazu bei, die Fundamente für eine wissenschaftliche Untersuchung der Gesellschaft selbst zu legen.

Spinozas Leben symbolisiert geradezu diese bedrohlichen Zeilen in Marx’ Judenfrage, in der Marx das Judentum mit Geldmachen gleichsetzt und in der Emanzipation von beidem die Voraussetzung für das Streben nach allgemeiner Freiheit sieht.

In einer seiner besten Studien bietet Spinoza eine faszinierende Beschreibung des Bruchs des Philosophen mit dem Judaismus wie den Kaufmannsaktivitäten seiner Familie in Amsterdam. Sie waren ursprünglich portugiesische Conversos gewesen, die ihre jüdischen Bindungen nach der Auswanderung wieder aufleben ließen und sehr erfolgreiche internationale Händler wurden. Spinoza kämpfte bereits damit, diesen Bruch zu vollziehen, der letzte Auslöser war jedoch die Krise, in die das Familienunternehmen wegen der Blockade des holländischen Handels durch England gestürzt wurde. [52]

Isaac Deutscher bestand jedoch darauf, Spinoza und sogar Marx in die jüdische Tradition zu stellen. Sie sind nach Deutscher „nichtjüdische Juden“, abtrünnige Juden, die das Judentum überwanden aber gleichzeitig einer jüdischen Tradition angehörten:

Sie waren […] außergewöhnlich insofern, als sie als Juden an der Grenze zwischen unterschiedlichen Zivilisationen […] gelebt haben […]. Ihr Denken reifte dort heran, wo die verschiedenartigsten kulturellen Einflüsse sich kreuzten und wechselseitig befruchteten […]. Dieser Zustand hat sie befähigt, sich in ihrem Denken über […] ihre Zeit […] zu erheben, neue Horizonte geistig zu erschließen und weit in die Zukunft vorzustoßen. [53]

Ähnlich auch der Wegbereiter der jüdischen Aufklärung, Moses Mendelssohn, mit seinem Versuch der „Ehrenrettung“ Spinozas. Für ihn war dies eine Voraussetzung für das Überleben des Judentums in der modernen Welt. [54] Ob er damit Erfolg hatte, ist nicht wirklich wichtig. Die Tatsache, dass der moderne Fürsprecher der alten Religion dem Philosophen des Atheismus diese Ehre erweisen musste, spricht für sich selbst.
 

Die Juden in Polen

Abraham Léon hatte völlig recht mit seiner Darstellung, wie Polen Juden wie ein Magnet anzog, die mit der Entstehung neuer nationaler Märkte vor der Verfolgung quer durch Europa flüchteten. Dennoch integrierte Polen die Juden nicht einfach in seine Feudalstruktur. Das Paradox hier besteht darin, dass nach außen hin die polnische Landwirtschaft vorübergehend zu einem wichtigen Bestandteil der westeuropäischen Merkantilwirtschaft wurde, während sich die Feudalstruktur nach innen immer stärker und unterdrückerischer in der Bauernschaft verankerten. [55] Die Juden zog es in den weniger entwickelten Osten des Landes, wo der Landadel unangefochten herrschte. Westeuropa wollte billiges polnisches Getreide, das über das ostpolnische Flüssenetz transportiert werden konnte. Jüdische Migranten begannen sich in den zahllosen Kleinstädten und Dörfern niederzulassen, die den Großgrundbesitzern gehörten. [56] Es entwickelte sich das „Arendasystem“ heraus, bei dem der polnische Adel seine Güter an jüdische Verwalter verpachtete.

Juden wurden so zu den wichtigsten Mittelsmännern […] eines riesigen, sich über ganz Europa erstreckenden Handelsverkehrs […]. Während sie die Landwirtschaftsprodukte zur Verschiffung nach Holland und noch weiter verkauften, betrieben sie gleichzeitig den Handel mit westlichen Tuchen, Salz, Wein und Luxusgütern wie Gewürzen und Geschmeide. [57]

Im Jahr 1648 brachen in der Ukraine Unruhen aus. Über die Hälfte der Ländereien in der Ukraine wurden mittels des jüdischen Arendasystems für die abwesenden polnischen Landherren verwaltet. Angeführt von Chmielnicki, einem Adligen niedrigen Ranges, erhob sich die ukrainische Bauernschaft gegen die polnische Herrschaft und ihre jüdischen Handlanger. Angestiftet und unterstützt wurden die Bauern von Kosaken und Krimtataren. Das Ziel war der polnische Adel, die katholischen Geistlichen und die Juden, die die größten Verluste erlitten, da sie zahlreicher als die anderen waren. Das Arendasystem begann schließlich zu erlahmen. Der polnische Feudalismus verkümmerte und gab so Ende des 18. Jahrhunderts den Weg frei für die Teilung Polens durch Russland, Preußen und Österreich. Die Mehrheit der jetzt verarmten Juden landete so im russischen Zarenreich. [58]
 

Der Aufstieg des Hauses Rothschild

Die Wurzeln der Bankiersfamilie Rothschild reichen tief in das jüdische Ghetto in Frankfurt am Main:

Kam im 18. Jahrhundert ein Reisender nach Frankfurt und überquerte die Mainbrücke […], konnte er kaum die Judensau übersehen. Dieses Bild an der Mauer des Brückenturms stellte auf obszöne Weise eine Gruppe von Juden dar, die sich vor – oder eher unter und hinter – einer wilden Sau erniedrigen. [59]

Goethe, der meistgefeierte literarische Sohn der Stadt, schrieb, dieses Bild sei nicht „durch einen Privatunwillen, sondern aus öffentlicher Anstalt verfertigt worden“. Ferguson schreibt:

In dieser hartnäckigen und systematischen Diskriminierung lag jedoch mehr als bloß ererbtes Vorurteil. Ein wichtiger Faktor war, dass die nichtjüdischen Kaufleute die wirtschaftliche Konkurrenz fürchteten, die, wie sie glaubten, von einer emanzipierten jüdischen Bevölkerung ausgehen würde. Die Tatsache, dass ein Elendsviertel wie die Judengasse Mathematiklehrer und Ärzte hervorbringen konnte, sagt uns etwas Wichtiges über ihre Kultur: Sie war nicht so abgegrenzt, wie sie schien. […].

Ungeachtet – vielleicht teilweise wegen – der harten Bedingungen, in der die Frankfurter Juden lebten, waren sie in kultureller Hinsicht alles andere als eine Unterklasse. [60]

Aus dieser Welt trat im Jahr 1790 Mayer Amschel Rothschild hervor, ein Antiquitätenhändler mit einem wachsenden Kreis an Lieferanten und Kunden, denen er gelegentlich Kredite gewährte. Um das Jahr 1797 war er einer der reichsten Juden Frankfurts, und den Hauptteil seines Geschäfts bildete das Bankenwesen, wobei er Geschäfte nicht nur mit Städten in ganz Deutschland, sondern auch mit Wien, Amsterdam, Paris und London machte. [61] Der größte Umbruch in seinem Leben kam mit der Einführung bei dem Erbprinzen Wilhelm von Hessen-Kassel, einem der reichsten deutschen Fürsten, der die „Dienste“ seiner hessischen Armee an den Meistbietenden, „gewöhnlich Großbritannien“ verkaufte. [62] Rothschild wurde faktisch Wilhelms „Hofjude“. [63]

Als Napoleons revolutionäre französische Armee Wilhelm und seinen „Hof“ aus der Frankfurter Gegend vertrieb, half Rothschild dem jetzt exilierten Wilhelm dabei, einen Teil seines Vermögens zu verschleiern.

Ein besonderer finanzieller Schritt trug dazu bei, dass die Rothschildfamilie sich in eine wesentliche Komponente des industriell-wirtschaftlichen Komplexes entwickelte, der jetzt in Europa mit England an der Spitze entstand. Rothschild hatte einen seiner Söhne, Nathan, in das Herz der neuen industriellen Maschine geschickt: nach Manchester in England. Nathan kaufte Textilien, die dort billiger als andernorts hergestellt wurden, und schickte sie zum Verkauf an seinen Vater und seine Brüder. [64] Nathan übernahm auch die Verwaltung der englischen Investitionen des im Exil lebenden Wilhelm. [65] Das erleichterte „Nathan den Übergang vom Kaufmann in Manchester zum [Londoner] City-Bankier“ [66] – genauer gesagt zu Großbritanniens führendem Bankier. Er war „schlicht der reichste Mann in Großbritannien und deshalb, angesichts der britischen Führungsposition in der Wirtschaft, fast sicher der reichste Mann der Welt“. [67]

Ferguson schreibt ihm zu, den Grundstein für den internationalen Anleihemarkt gelegt zu haben. [68] Faktisch bauten „die Brüder [Rothschild] dieses System der internationalen monetären Kooperation auf, das später routinemäßig Zentralbanken bewerkstelligen sollten, und worauf sich der Goldstandard stützen würde“. [69]
 

Die Doppelrevolution

Ferguson ist sehr einfühlsam hinsichtlich der Quelle der Rothschild’schen Macht und zitiert hierzu den frühen Rothschild-Biografen von Gentz: „Dabei bedarf es trotz aller hervorragenden persönlichen Eigenschaften außerordentlicher Umstände, welterschütternder Weltbegebenheiten.“ [70] Das hatte nichts mit „Judenmacht“ zu tun. Im Gegenteil, sagt Ferguson, leitete sie sich aus der Emanzipation ab, die die Doppelrevolution gewährte. Diese bestand aus den wirtschaftlichen Veränderungen als Motor der englischen industriellen Revolution, die sich über das ganze europäische Festland auszubreiten begann, und dem weitreichenden Kampf für Mehrheitsdemokratie, angestoßen durch die französische Revolution von 1789, wozu eben auch volle demokratische Gleichberechtigung für Juden gehörte und die sich ebenfalls über Europa verbreitete und natürlich auch über den Ärmelkanal nach England.

Eine neue historische Epoche brach an mit der Möglichkeit einer Ausdehnung und Transformation menschlicher Ressourcen und menschlichen Potenzials, wie es für alle vorherigen Generationen undenkbar gewesen war.

Abraham Léon schrieb einst über die „kaufmännische und handwerkliche Struktur des Judentums, das Erbe einer langen historischen Entwicklung“. [71] Ohne jede Frage hat dieses Erbe zur Herausbildung der neuen Epoche beigetragen, obwohl wir auch „intellektuell“ neben „kommerziell und kunsthandwerklich“ stellen sollten. Die Doppelrevolution schuf die internationale Bankiersfamilie Rothschild als Teil eines bereits bestehenden und sich weiter entwickelnden Bankenwesens. Der Dichter Byron feierte im Jahr 1823 in Don Juan Englands berühmtestes Bankiers-„Doppelpack“ und machte sich zugleich lustig über sie:

Wer hält des Erdballs Wage? Wer armirt
Das Volk Madrids, hemdlose Patrioten,
Daß Alt-Europa krächzt und lamentirt?
Wer schickt von Pol zu Pol der Herrschaft Noten?
Wer ist es, der das Rad der Staatskunst schmiert?
Vielleicht der Schatten Napoleon’schen Mutes?
Jud’ Rothschild und sein Mitchrist Baring thut es. [72]

Die Doppelrevolution garantierte den Juden nicht nur die modernen Freiheiten, sondern trug dazu bei, dass Juden einen herausragenden Beitrag zur europäischen Zivilisation leisteten, wovon die „Reichtumsschaffung“ nur ein Teil war.

Die meisten Juden in Osteuropa waren in wachsender Armut gefangen, aber

„die Juden der kleineren Gemeinden des Westens ergriffen mit beiden Händen die ihnen gebotenen Möglichkeiten, sogar wenn sie dafür den Preis einer nominellen Taufe zahlen mussten, wie es – zumindest um öffentliche Posten zu erhalten – vielerorts noch erforderlich war. […]

Viel augenfälliger als der jüdische Reichtum war aber die Blüte des jüdischen Talents in den Künsten, Wissenschaften und den akademischen Berufen. […] um 1848 [waren] der größte jüdische Denker und der erfolgreichste jüdische Staatsmann in ihre Reifejahre eingetreten: Karl Marx (1818–1883) und Benjamin Disraeli (1804–1881). […]

Die Doppelrevolution gab den Juden das größte Maß an Gleichheit, dessen sie sich je innerhalb der christlichen Welt erfreut hatten. Jene, die diese Gelegenheit ergriffen, wünschten nichts so sehr, als sich an die neue Gesellschaft zu „assimilieren“ […]. [73]
 

Marx und Kapitalismus

Der Kapitalismus hat keine Religion. Und ohne Zweifel wurzelt er in keiner spezifischen religiösen oder ethnischen Gruppe. Dennoch stellte Marx fest, dass der Kapitalismus mit seiner Entwicklung die Reformation herbeiführte, die das Christentum in zwei Flügel spaltete, den Katholizismus und den Protestantismus. In seinen späteren Schriften assoziierte Marx den Geldkult eher mit dem Protestantismus als dem Judentum. Er schreibt:

Der Geldkultus hat seinen Asketismus, seine Entsagung, seine Selbstaufopferung – die Sparsamkeit und Frugalität, das Verachten der weltlichen, zeitlichen und vergänglichen Genüsse; das Nachjagen nach dem ewigen Schatz. Daher der Zusammenhang des englischen Puritanismus oder auch des holländischen Protestantismus mit dem Geldmachen. [74]

In Das Kapital zeigt er, wie industrielle Produktion und Ausbeutung der Arbeitskraft den Handel als Motor des neuen Wirtschaftssystems verdrängt:

[…] der Handel [revolutioniert] hier nicht die Industrie, sondern die Industrie beständig den Handel. Auch die Handelsherrschaft ist jetzt geknüpft an das größre oder geringre Vorwiegen der Bedingungen der großen Industrie. Man vergleiche z. B. England und Holland. Die Geschichte des Untergangs Hollands als herrschender Handelsnation ist die Geschichte der Unterordnung des Handelskapitals unter das industrielle Kapital. [75]

Ebenso zeigt Marx auf, wie wichtig das Bankensystem für die Entwicklung des modernen Kapitalismus war: „Das Kreditwesen beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarkts“, gleichzeitig jedoch „beschleunigt der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche [von] Krisen […]. Diese Doppelseitigkeit ist es, die den Hauptverkündern des Kredits […] ihren angenehmen Mischcharakter von Schwindler und Prophet gibt. [76]
 

Juden und Kapitalismus

Eine Theorie kann kaum in zwei Sätzen zusammengefasst werden. Dennoch kam Leo Trotzki der Erfassung des jüdischen Dilemmas am Vorabend des nationalsozialistischen Holocausts mit Blick auf den Kapitalismus recht nah:

In der Epoche seines Aufstiegs holte der Kapitalismus das jüdische Volk aus dem Ghetto und benutzte es als Werkzeug seiner kommerziellen Expansion. Heute ist die verfaulende kapitalistische Gesellschaft bemüht, das jüdische Volk aus allen Poren herauszupressen. [77]

Natürlich wissen wir jetzt, dass der Kapitalismus sich nach dem Krieg nicht nur erholte, sondern auch seine längste Expansion der Geschichte erlebte. Assimilation in Amerika und Westeuropa, wo die große Mehrheit der Juden lebte, setzte sich beispiellos fort. Juden wurden hinsichtlich Gleichstellung und gesellschaftlicher Mobilität in jeder Hinsicht zur erfolgreichsten ethnischen Minderheit. Dennoch erinnern uns Trotzkis Bemerkungen an das Erbe des Holocausts. Er hinterließ eine so tiefe Narbe, dass er zur gewaltsamen Gründung eines jüdischen Staats in Palästina führte.

In dieser Frage können wir mit Fug und Recht Trotzkis Äußerungen übernehmen: Der Kapitalismus nahm das jüdische Volk und benutzte es als Werkzeug für seine ölimperialistische Expansion auf arabischem Boden. Tatsächlich hat Trotzki dagegen damals mit fast prophetischer Weitsicht eine Warnung ausgesprochen: „Die künftige Entwicklung der militärischen Ereignisse könnte sehr wohl Palästina in eine blutige Falle für […] die Juden verwandeln.“ [78]


Literatur

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Trotzki, Leo, On the Jewish Problem, Fourth International, Band 6, Nummer 12, Dezember 1945 [1940].



Anmerkungen

Ich danke Alex Callinicos, Moshe Machover, Sabby Sagall und Brian Klug für ihre Kommentare zu dem ersten Entwurf dieses Artikels, außerdem Neil Davidson und Mark Thomas von der Redaktion des Magazins International Socialism für ihre Kommentare zum zweiten Entwurf.

1. Karl Marx, Zur Judenfrage, in: Karl Marx/Friedrich Engels Werke (MEW) Band 1, Berlin 1988, S. 347.

2. Die Begegnung mit Tony Cliff, der aus einer jüdischen Familie stammte und an der Spitze der Internationalen Sozialisten stand, dem Vorläufer der heutigen Socialist Workers Party, war das zweite Gegengift. Er bereitete einen auch auf die physischen Barrikaden vor …

3. Eine Warnung vor dem Lesen von Marx’ junghegelianischen Arbeiten sei hier angebracht. Seine Begeisterung für Wortspiele erschwert diese Aufgabe deutlich. Siehe Leopold, The Young Karl Marx: German Philosophy, Modern Politics and Human Flourishing, Cambridge 2007, S. 8, ein ausgezeichnetes Buch über den jungen Marx. Friedrich Engels formulierte es freundlich und einfach: Der junge Marx schrieb „sehr schlecht“, eben wie ein „deutscher Philosoph“. Heinrich Heine übte wie auch Engels einen positiven stilistischen Einfluss aus – siehe weiter unten.

4. Marx, MEW 1, S. 357.

5. Marx, MEW 1, S. 370.

6. Marx, MEW 1, S. 369.

7. Paul Mendes-Flohr und Jehuda Reinharz (Hg.), The Jew in the Modern World, Oxford 1995, S. 327.

8. Marx, MEW 1, S. 373.

9. Marx, MEW 1, S. 372–373.

10. Julius Carlebach, Karl Marx and the Radical Critique of Judaism, London 1978, S. 178.

11. Karl Marx, Die heilige Familie, in: MEW 2, Berlin 1985, S. 93; Leopold, S. 172. Es ließe sich durchaus behaupten, dass Marx eine bestimmte jüdisch-kulturelle Identität in säkularen wie religiösen Gesellschaften ignoriert. Dennoch gibt es eine ebenso robuste Verteidigung von Marx als Produkt der jüdischen Assimilationsbewegung im Deutschland der 1840er Jahre; siehe Enzo Traverso, Die Marxisten und die jüdische Frage, Mainz 1995, S. 43–44; Hal Draper, Karl Marx’s Theory of Revolution, Band 1: State and Bureaucracy, New York 1977, S. 591–608. Der Abschnitt Marx and the Economic Jew Stereotype ist auch online zu finden. Fünfzig Jahre später bestand Marx’ Tochter Eleanor auf der jüdischen Identität ihres Vaters; siehe John Rose, Eleanor Marx, Socialist Worker, 10. Dezember 2005.

12. Lars Fischer, The Socialist Response to Antisemitism in Imperial Germany, Cambridge 2007, S. 41–42. Fischer ist ein junger Wissenschaftler für Jüdische Studien und sympathisiert keineswegs mit Marx oder der marxistischen Methode. Dennoch versucht er Marx und seinen Aufsatz vor dem ständigen Missbrauch durch revisionistische deutsche Sozialdemokraten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu schützen. Fischer hat in seinem Buch auch eine bis dahin unbekannte Verteidigung von Marx’ Aufsatz durch Rosa Luxemburg veröffentlicht. Siehe ebenso Isaiah Berlin, der jüdisch-liberale Philosoph des 20. Jahrhunderts, der Marx’ angeblichen Antisemitismus kritisiert, Heß dafür lobt, den Zionismus „regelrecht erfunden“ zu haben, aber kein Wort über Heß’ „Antisemitismus“ verliert, Berlin 1959, S. 17–18.

13. Carlebach, S. 117, 123; Moses Heß, Über das Geldwesen [1845], in: Schriften, Berlin 1961. Der zionistische Sozialismus kann zumindest teilweise auch begriffen werden als Revolte gegen die hohe Sichtbarkeit von Juden in der europäischen „Geldwirtschaft“ des 19. Jahrhunderts. Siehe die Studie über Nachman Syrkin, Heß’ Anhänger und ein zionistisch-sozialistischer Pionier, in: Frankel, 1981, S. 288–328.

14. Draper, S. 597.

15. Draper, S. 598. Draper argumentiert in seinen Notizen zu Marx und dem Stereotyp vom Wirtschaftsjuden, S. 591–609, Marx spiegele lediglich die tiefverwurzelte Ansicht über Juden und die sich ausdehnende Geldwirtschaft der Zeit wider. Nur erklärt Draper nicht hinreichend, wie sich dieses Bild so festsetzen konnte.

16. Carlebach, S. 13, 53. Siehe auch Derek Penslar, Shylock’s Children: Economics and Jewish Identity in Modern Europe, Berkeley 2001, S. 46–47; Penslar zeigt, wie bequem es für die Behörden war, dass in den antisemitischen Fantasien die Juden für die schnelle Ausdehnung der Landspekulation im 19. Jahrhundert verantwortlich gemacht wurden.

17. Jonathan Israel, Radical Enlightenment: Philosophy and the Making of Modernity 1650–1750, Oxford 2002, S. 68; John Rose, Mythen des Zionismus, Zürich 2006, S. 83.

18. David Sorkin, The Impact of Emancipation on German Jewry: A Reconsideration, in: Jonathan Frankel and Steven Zipperstein, Assimilation and Community: The Jews in Nineteenth Century Europe, Cambridge 1992, S. 180.

19. Marx, MEW 1, S. 373.

20. Marx, MEW 2, S. 120.

21. Heinrich Heine, „Ludwig Börne. Eine Denkschrift. Erstes Buch“, in: Heines Werke, Band 5, Berlin und Weimar 1986, S. 190–191. Niall Ferguson, Die Geschichte der Rothschilds. Propheten des Geldes. Band 1: 1798–1848, Stuttgart und München 2002, S. 261. Zwischen Heines letzter Zeile und einer der bekanntesten Sätze aus Marx’ und Engels’ „Manifest der kommunistischen Partei“ drängt sich ein interessanter Vergleich auf: „Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.“ (MEW 4, Berlin 1972, S. 465)

22. John Rose, 2006, S. 71.

23. John M. G. Barclay, Jews in the Mediterranean Diaspora, Edinburgh, 1996, S. 4, Fußnote 1. Wo möglich verwende ich hier den theoretischen Rahmen Abraham Léons Judenfrage & Kapitalismus, München 1973, stütze mich aber auf neuere Quellen.

24. Léon, S. 13–19.

25. Josef Modrzejewski, The Jews of Egypt, Princeton 1995, S. 73.

26. Salo Baron, Arcadius Kahan u. a. (Hg.), Economic History of the Jews, Jerusalem 1975, S. 21.

27. Baron u. a., S. 28–29.

28. Chimen Abramsky u. a. (Hg.), The Jews in Poland, Oxford 1986, S.15–18.

29. Abramsky, S. 16.

30. Léon, S. 9–10.

31. Abba Eban, Das Erbe. Die Geschichte des Judentums, Frankfurt am Main und Berlin 1986, S. 138; Rose, 2006, S. 76–85.

32. Léon, S. 32.

33. Es ist zweckdienlich, hier davon auszugehen, dass das Konzept des „Merkantilkapitalismus“ dem des „Marktfeudalismus“ entspricht, wie es Chris Harman in seinem Buch A People’s History of the World verwendet (Verso, London und New York 2008).

34. Léon, S. 10.

35. Rose, 2006, S. 81.

36. Léon, S. 71.

37. Rose, 2006, S. 85–88.

38. Léon, S. 7.

39. Karl Marx, Das Kapital, Dritter Band, MEW 25, Berlin 1988, S. 342. In den Verlagsanmerkungen zu Epikur heißt es: „Nach Ansicht des altgriechischen Philosophen Epikur existieren die Götter in den Intermundien, den Zwischenräumen der Welten; sie haben weder auf die Entwicklung des Weltalls noch auf das Leben des Menschen irgendwelchen Einfluss.“ (ebenda S. 934). In der englischen Ausgabe heißt es zusätzlich: „Marx hatte Epikurs Konzepte für seine Dissertation studiert.“ Siehe auch Léon, S. 7.

40. Léon, S. 65.

41. Léon, S. 49.

42. Israel, S. 159.

43. Israel, S. 132. Rose, 2008, S. 89–90.

44. Israel, S. 142.

45. Israel, S. 141.

46. Israel, S. 132, Rose, 2008, S. 91.

47. Zur Bedeutung des spanischen Handelskapitalismus siehe Harman, 2008, S. 174, Fußnote 36.

48. Siehe Henry Kamen, The Spanish Inquisition: A Historical Revision, London 1997. Ich möchte Sebastian Balfour, Professor für Spanische Geschichte an der London School of Economics, dafür danken, dass er mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht hat.

49. Norman Jones, God and the Moneylenders, Oxford 1989, S. 200.

50. Robert Davis und Benjamin Ravid, The Jews of Early Modern Venice, Baltimore 2001, S. 18–19, 88–94, 95. Ich möchte Michael Rosen für die Diskussion über die außergewöhnliche Behauptung danken, dass die Forderung Shylocks nach einem „Pfund Fleisch“ von Antonio als Androhung einer Beschneidung betrachtet werden kann: Shapiro, 1996, S. 126–130. Shylock könnte damit gesagt haben: „Behandele mich als Gleichen oder ich werde dich in einen Juden verwandeln.“

51. Israel, S. 160.

52. Israel, S. 166–167.

53. Isaac Deutscher, Der nichtjüdische Jude. Essays, Berlin 1988, S. 60–61.

54. Israel, S. 658–659.

55. Ein anderes Beispiel für den „Marktfeudalismus“: Harman, 2008, S. 155–158. Siehe auch Kula, An Economic Theory of the Feudal System: Towards a Model of the Polish Economy, 1500–1800, London 1976.

56. Israel, S. 27–29.

57. Israel, S. 30; Rose, 2006, S. 85–86.

58. Rose, 2006, S. 87–88.

59. Ferguson, S. 54.

60. Ferguson, S. 53, 58.

61. Ferguson, S. 65.

62. Ferguson, S. 83.

63. Ferguson, S. 85.

64. Ferguson, S. 68–72.

65. Ferguson, S. 89.

66. Ferguson, S. 95.

67. Ferguson, S. 366.

68. Ferguson, S. 157.

69. Ferguson, S. 172.

70. Ferguson, S. 67.

71. Léon, S. 97.

72. George Gordon Lord Byron, Don Juan, Zwölfter Gesang, Zeno.org.

73. Eric Hobsbawm, Europäische Revolutionen, Zürich 1962, S. 391–392.

74. Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW 42, Berlin 1983, S. 158; Traverso, S. 43.

75. MEW 25, S. 346.

76. MEW 25, S. 457.

77. Leo Trotzki, Manifest der IV. Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution, 1940. Es handelt sich an einer Stelle des Zitats in deutscher Fassung um eine fehlerhafte Übersetzung, die hier korrigiert wurde; d. Übers.; Traverso, S. 200.

78. Leo Trotzki, On the Jewish Problem, Fourth International, Band 6, Nummer 12, Dezember 1945 [1940].


Zuletzt aktualisiert am 23.06.2010