Eberhard Becker

 

Karl Marx und Friedrich Engels
über
Gewerkschaften und ökonomischen Kampf

 

Einleitende Bemerkung der SVU-Redaktion

Das Vorurteil, daß der große Revolutionär Karl Marx etwas gegen die tägliche Kleinarbeit von Gewerkschaften im Kapitalismus hatte, ist sehr weit verbreitet. Sogar ein so bekannter Sozialgeschichtler wie Hans-Ulrich Wehler spricht in seinem kürzlich erschienen Werk Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849-1914 von der „unverhohlenen Aversion, mit der Marx und Lassalle den frühen Gewerkvereinen begegnet waren.“ (S.793) Wehler selbst spricht an anderer Stelle davon, daß Lassalle „jede gewerkschaftliche Aktivität als eitles Unterfangen“ ansah, die von Marx unterstützte und beeinflußte Eisenacher Sozialdemokratie dagegen eine „im Prinzip gewerkschaftsfreundliche Haltung“ einnahm (S.159). Dieses Vorurteil gegenüber Marx (und den Marxisten) zu widerlegen, wäre schon Grund genug, den folgenden Aufsatz, der von einem Mitglied des Heidelberger SDS 1969 geschrieben wurde, nochmals – leicht gekürzt – zu veröffentlichen. [1]

Bei der Wiederveröffentlichung des Aufsatzes geht es uns allerdings nicht nur um eine Ehrenrettung von Marx. Der Aufsatz arbeitet heraus, wie das gesellschaftliche Sein der Arbeiter – ihre Stellung in der kapitalistischen Produktion, die tägliche Ausbeutung durch das Kapital – sie zum Kampf und zur Organisation treiben und wie der Kampf gegen die tägliche Ausbeutung zum Ausgangspunkt eines politischen Klassenkampfes wird. Gewerkschaften sind nach Marx die „natürlichen“ Organisationszentren der Arbeiterklasse. Jede Trennung zwischen ökonomischem und politischem Kampf wäre daher auch eine künstliche.

Die Stärke des Aufsatzes liegt in der verständlichen Darstellung der Argumente, mit denen Marx sich gegen die Ablehnung des gewerkschaftlichen Kampfes durch die beiden Hauptströmungen der politischen Arbeiterbewegung auf dem Kontinent in den sechziger Jahren wandte – gegen den Anarchismus Proudhons in Frankreich und gegen die Lassalleaner in Preußen. Marxens politische Stellung gegenüber den damals gerade entstehenden Gewerkschaften ist allerdings nicht nur aus den logischen Kategorien seiner Kritik der politischen Okonomie abgeleitet, seiner Wert- und Arbeitswerttheorie, seiner Krisentheorie. Sie basiert mindestens ebenso auf der politischen Analyse aller wichtigen Streikbewegungen und Gewerkschaftskämpfe und deren politischen Auswirkungen, kurz auf den Erfahrungen der Klassenkämpfe selbst.

Diese Erfahrungen kommen in dem Aufsatz zu kurz. Die „Logik“ der immer weiteren Vereinigung der Arbeiter, der Ausschaltung der Konkurrenz untereinander war eine Erfahrung der revolutionären ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; die Aufforderung an die Gewerkschaften, die Beschränktheit des Kampfes um den Lohn zu überwinden und bewußt den Kampf gegen das Lohnsystem aufzunehmen, berücksichtigt schon die Auswirkungen der ruhigeren Gangart der Geschichte, insbesondere der englischen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Wechsel in der Tonlage von enthusiastischer Unterstützung zu scharfer Kritik am Konservativismus der Gewerkschaften in den Schriften von Marx und Engels ist anders nicht zu verstehen und bliebe im schlechten Sinn widersprüchlich.

Hier rührt auch eine zweite Schwäche des Aufsatzes her, nämlich die Tendenz, Marx und Engels eine geschlossene Theorie einer Avantgardepartei im leninistischen Sinn zu unterstellen, etwa beim Aufbau der Ersten Internationale (IAA), an dem beide führend beteiligt gewesen waren. Auch hier war Marx weiter als seine späteren Interpreten. Er hat seine Auffassungen aus der konkreten Analyse der damaligen Klassenkämpfe schrittweise tastend und gleichzeitig weit vorausschauend entwickelt. Der Kampf gegen das Sektierertum der Erben der Frühsozialisten, die den Kampf für eine sozialistische Gesellschaft nach einem frei erfundenen Konzept und losgelöst von den Kampferfahrungen der Arbeiterklasse auf dem Weg der bloßen Aufklärung herbeiführen wollten, bestimmte wesentlich die organisationspolitischen „Lehren“ von Marx und Engels.

Trotz dieser Vorbehalte gegen das unhistorische Zitieren halten wir den Aufsatz für eine gute Einführung in das marxistische Verständnis vom Wesen der Gewerkschaften.

Redaktion Svu

 

Anmerkung

1. aus Rotes Forum, Organ des Heidelberger SDS, 6/69

 


Zuletzt aktualisiert am 17.8.2001