Eberhard Becker

 

Karl Marx und Friedrich Engels
über
Gewerkschaften und ökonomischen Kampf

 

IV. Marx’ Politik gegenüber den Gewerkschaften

In den von Marx und Engels verfaßten Beschlüssen der Londoner Delegiertenkonferenz, in die die jahrzehntelangen Erfahrungen in der Arbeiterbewegung eingehen, wird der Zusammenhang zwischen ökonomischem Kampf und politischem endgültig bestimmt:

In Erwägung,

daß es im Eingang der Statuten heißt: „Die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse ist der große Endzweck, dem jede politische Bewegung unterzuordnen ist als Mittel“, ...

daß der Kongreß von Lausanne (1867) erklärt hat: „soziale Emanzipation der Arbeiter ist untrennbar von ihrer politischen Emanzipation“, ...

daß die Erklärung des Generalrats über das angebliche Komplott der französischen Internationalen am Vorabend des Plebiszits (1870) folgende Stelle enthält: „Nach dem Wortlaut unserer Statuten haben alle unsere Zweige in England, auf dem Kontinent und in Amerika unzweifelhaft die ausdrückliche Aufgabe, nicht nur Mittelpunkte für die streitbare Organisation der Arbeiterklasse zu bilden, sondern in ihren bezüglichen Ländern ebenfalls jede politische Bewegung zu unterstützen, die zur Erreichung unseres Endziels dient, – der ökonomischen Emanzipation der Arbeiterklasse; ...“

daß die Arbeiterklasse gegen diese Gesamtgewalt der besitzenden Klasse nur als Klasse handeln kann, indem sie sich selbst als besondere politische Klasse konstituiert, im Gegensatz zu allen alten Parteibildungen der besitzenden Klassen;

daß diese Konstituierung der Arbeiterklasse als politische Partei unerläßlich ist für den Triumph der sozialen Revolution und ihres Endziels – Abschaffung der Klassen;

daß die Vereinigung der Einzelkräfte, welche die Arbeiterklasse bis zu einem gewissen Punkt bereits durch ihre ökonomischen Kämpfe hergestellt hat, nun auch als Hebel für ihren Kampf gegen die politische Gewalt ihrer Ausbeuter zu dienen hat, -

aus diesen Gründen erinnert die Konferenz alle Mitglieder der Internationalen:

daß in dem streitenden Stand der Arbeiterklasse ihre ökonomische Bewegung und ihre politische Betätigung untrennbar verbunden sind. [43]

Diese Darstellung zeigt nicht mehr die unmittelbare Identität von ökonomischem Kampf und politischem, wie dies im Kommunistischen Manifest noch fast der Fall ist: Sie zeigt deren Einheit. Dort hatte es nur geheißen: „Die Kommunisten kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung.“ [44]

In den Beschlüssen der Londoner Delegiertenkonferenz dagegen kommt zum Ausdruck, daß der ökonomische Kampf „bis zu einem gewissen Punkt“ als Hebel für den Kampf gegen die politische Gewalt dienen kann. Dies im Verein mit dem Gedanken, daß die ökonomische Emanzipation der Zweck der politischen Bewegung ist, läßt klar erkennen, daß Marx einerseits dem ökonomischen Kampf eine begrenzte politische Funktion zusprach im Hinblick auf die politische Machtergreifung des Proletariats – daß er andererseits letztere als bloßes Mittel zur ökonomischen Befreiung der Arbeiterklasse ansah. Die Hauptbedeutung im revolutionären Kampf erhält die Partei.

Gerade die Einsicht, daß der ökonomische Kampf nicht schon selbst revolutionären Kampf darstellt und daß daher die Gewerkschaften nicht per se politische-revoltutionäre Organisationen sind, steht im Einklang damit, daß auch und gerade die Trade Unions sich der IAA anschließen konnten. In einem Artikel, der sich gegen die Behauptung Max Hirschs wendet, die IAA sei von den englischen Trade Unions isoliert, zählt Marx zahlreiche Gewerkschaften auf, die mit ihr zusammenarbeiten. [45]

Zwar hatte auch der junge Engels schon festgestellt:

In einzelnen Fällen ist es versucht worden, die Genossen eines Gewerks über ganz England zu einer großen Verbindung zu vereinigen und über mehrere Male – zuerst 1830 – eine allgemeine Arbeiterassoziation des ganzen Reichs mit besonderer Organisation jedes Gewerks in sich zu vereinigen. Diese Assoziationen hielten sich indes nie lange und kamen selten auch nur für den Augenblick zustande, da nur eine außerordentliche allgemeine Aufregung im Stande ist, eine solche Verbindung möglich und wirksam zu machen. [46]

Hier schlägt sich der nur kurzfristig bestehende politische Elan, der aus dem ökonomischen Kampf entstehen kann, direkt in der nur kurzfristig bestehenden Organisationsform großer Trade Unions nieder. Später, als sie sich um so festere Organisationen konstituiert hatten, schlug sich die gleiche Tendenz als mangelnde politische Aktivität nieder.

Marx hat die internationale Organisation der Arbeiterbewegung, in der auch Gewerkschaften vertreten waren, selbst zum Mittel der Einflußnahme auf die Trade Unions gemacht. In seinen Vorträgen vor den Mitgliedern des Zentralrats hat er ausgeführt:

Gleichzeitig und ganz unabhängig von der allgemeinen Fron, die das Lohnsystem einschließt, sollte die Arbeiterklasse die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, daß sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; daß sie zwar die Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert; daß sie Palliativmittel anwendet, die das Übel nicht kurieren. Sie sollte daher nicht ausschließlich in diesem unvermeidlichen Kleinkrieg aufgehen ... Sie sollte begreifen, daß das gegenwärtige System bei all dem Elend, das es über sie verhängt, zugleich schwanger geht mit den materiellen Bedingungen und den gesellschaftlichen Formen, die für eine ökonomische Umgestaltung der Gesellschaft notwendig sind. Statt des konservativen Mottos: „Ein gerechter Lohn für ein gerechtes Tagewerk!“ sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: „Nieder mit dem Lohnsystem!“ [47]

Als Beschluß legte er den Mitgliedern u.a. folgende Formulierung vor

Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkt des Widerstandes gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems. [48]

(Ähnliche Ausführungen enthalten Engels’ Artikel: Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk, MEW19, S.247ff., Das Lohnsystem, MEW19, S.251ff., und Die Trade Unions I, II, MEW19, S.254ff.)

Ein weiteres Beispiel der Einflußnahme auf den ambivalenten Charakter der Gewerkschaften über das Mittel der internationalen proletarischen Partei., der IAA, stellt der Passus in den Instruktionen für die Delegierten des Zentralsrats dar:

Die Gewerksgenossenschaften haben sich bisher ausschließlich mit dem lokalen und unmittelbaren Kampf gegen das Kapital beschäftigt und haben noch nicht völlig begriffen, welche Kräfte sie im Kampf gegen das System der Lohnsklaverei selbst darstellen. Sie haben sich deshalb zu fern von allgemeinen sozialen und politischen Bewegungen gehalten ... Abgesehen von ihren ursprünglichen Zwecken müssen sie jetzt lernen, bewußt als organisierende Zentren der Arbeiterklasse zu handeln, im großen Interesse ihrer vollständigen Emanzipation. Sie müssen jede soziale und politische Bewegung unterstützen, die diese Richtung einschlägt. Wenn sie sich selbst als Vorkämpfer und Vertreter der ganzen Arbeiterklasse betrachten, muß es ihnen gelingen, die Außenstehenden in ihre Reihen zu ziehen. [49]

Obwohl in der IAA Partei und Gewerkschaft nicht organisatorisch getrennt waren, läßt sich die Funktion der IAA als Gesamtverband als proletarische Organisation mit Parteicharakter unter der Führung Marxens ansehen, die die in ihr organisierten Trade Unions ständig vorwärts zu treiben suchte und ihnen konkrete Richtlinien gab.

 

 

Anmerkungen

43. K. Marx, F. Engels, Beschlüsse der Delegiertenkonferenz der IAA, abgehalten zu London vom 17. bis 23.9.1871, MEW 17, S.421f

44. K. Marx, F. Engels, Kommunistische Manifest, a.a.O., S.492

45. K. Marx, Die Verbindung der IAA mit den englischen Arbeiterorganisationen,(1868), MEW 16, S.331f

46. F. Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse, a.a.O., S.433

47. K. Marx, Lohn, Preis, Profit, a.a.O., S.152

48. a.a.O.

49. K. Marx, Instruktionen, a.a.O., S.197f.

 


Zuletzt aktualisiert am 17.8.2001