Tony Cliff und Colin Barker

 

Revolte der Arbeiter

 

VI. Das Eigengewicht der Bürokratie

 

Die zunehmende Zentralisierung der Gewerkschaften

Um eine Einkommenspolitik – oder Lohnbeschränkung – durchzuführen, wäre es zuallererst notwendig, große Veränderungen in der Struktur und Funktion der Gewerkschaften zu erreichen:

Die Einführung jeder formalen Einkommenspolitik würde in bedeutender Weise die Macht, das Wirken und die Haltung der Gewerkschaften beeinflussen. [1]

Insbesondere müßte, da der Umfang der individuellen Lohnverhandlungen nicht den einzelnen Gewerkschaften und Unternehmen überlassen werden könnte, die Position der TUC sehr verstärkt werden. Die Macht der Gewerkschaft müßte in größerem Maße in den Händen der TUC zentralisiert werden, die in der Lage sein müßte, für alle zu sprechen und ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

Es wird sicherlich die Verweisung der gegenwärtigen kollektiven Verhandlungsmaschinerie auf den zweiten Platz in der Hierarchie bedeuten, da die wichtigen Entscheidungen, in Bezug auf die Größe der allgemeinen jährlichen Lohnerhöhungen an anderer Stelle getroffen werden Das bedeutet auch daß die hauptsächliche Fähigkeit vieler Gewerkschaftsführer, nämlich als Unterhändler zu agieren, weniger wichtig sein wird, was konsequente Auswirkungen auf ihre soziale Stellung hat. [2]

Jedoch als Ersatz für diesen Verlust werden ihnen vielleicht einige Entschädigungen angeboten:

Es würde sicherlich eine Anzahl der einflußreichsten und am meisten respektierten Gewerkschaftsführer bedürfen, die von ihrer Stellung als Gewerkschaftssekretär einen Schritt aufwärts in eine höhere Stellung, vielleicht in die Regierung, machen. [3]

 

 

Zunehmende Zusammenarbeit mit dem Staat

Mit der Machtzentralisation in der TUC – einem Vorgang der seinen Anfang bereits mit dem Entwurf für die Überprüfung der Löhne nahm – wird, wenn die Einkommenspolitik wirksam werden soll, ein erhöhtes Bedürfnis vorhanden sein, die Gewerkschaften immer näher an die Staatsmaschinerie heranzuziehen.

Diese engere Verbindung der Gewerkschaften mit dem Staat wird jedoch nichts neues sein, sonder vielmehr die Fortsetzung einer Entwicklung, die schon lange Zeit vorher begann. In den Jahren 1931/32 gab es nur einen Regierungsausschuß, in dem der Generalrat der TUC gemäß der Richtlinien für Ausschüsse vertreten war; in den Jahren 1934/35 führten diese Richtlinien schon 6 solcher Ausschüsse [4], und die Anzahl ist seitdem ständig gewachsen. Besonders der zweite Weltkrieg brachte eine Veränderung in der Beziehung zwischen den Gewerkschaften und dem Staat:

Bis zum 2. Weltkrieg war dem Gewerkschaften kein festes Recht auf Zugang zur Regierung eingeräumt. Die lange Dauer des Krieges und die noch länger andauernden Probleme der Nachkriegs-Wirtschaft ermutigten zur Einrichtung eines solchen Rechtes.In der Tat vollzog sich die Kontaktaufnahme oft in entgegengesetzter Richtung. Häufig war es der Premierminister oder einer seiner Minister, die die Gewerkschaftsführer zu sprechen wünschten. [5]

Nachdem die Tories 1951 an die Macht kamen, zeigten die Gewerkschaftsführer jedoch nicht den geringsten Wunsch, ihre Rechte auf Zugang zur Regierung oder ihre Politik der Zusammenarbeit abzuschwächen. So erklärte der Generalrat der TUC:

Es ist seit langem unsere Praxis, zu versuchen, mit jeder Regierung, die an der Macht ist, freundschaftlich zusammenzuarbeiten und durch Konsultationen mit Ministern und mit der anderen Seite der Industrie praktische Lösungen für die sozialen und ökonomischen Probleme, denen sich dieses Land gegenübersteht, zu finden. Es braucht daher kein Zweifel über die Haltung der neuen Regierung gegenüber zu bestehen. [6]

In der Tat zeigte die Politik der Gewerkschaftsführer oft sehr gut diese Verbindung. Oft waren ihre Ansichten denen der Tory-Regierung viel näher als denen vieler Gewerkschaftsmitglieder, wie es ein absolut nicht unfreundlicher Kommentator bemerkte:

Die TUC-Führer, angeführt von Deakin von der Transport- und Allgemeinen Gewerkschaft, Tom Williamson von der Allgemeinen und Kommunalarbeiter-Gewerkschaft und Will Lawther von den Bergarbeitern, sorgten dafür, daß die vorsichtige und gemäßigte Politik, die sie unter der Labour-Regierung verfolgt hatten, auch unter den Konservativen beibehalten wurde. Unter anderm sicherten sie, daß Resolutionen, die jede Form der Lohnbeschränkung ablehnten – wie sie regelmäßig dem Kongress vorgebracht wurden von Gewerkschaften, in denen Kommunisten vorherrschten – mit einer angemessenen Mehrheit niedergestimmt wurden. [7]

Trotz der Tatsache, daß die konservative Regierung keine emotionale Bindungen an die Gewerkschaften hatten, stieg die Zahl der Regierungsausschüsse, in denen die Gewerkschaften vertreten waren, von 60 im Jahre 1949 auf 81 im Jahre 1954. [8] Die bekanntesten dieser Ausschüsse waren die beiden allgemeinen beratenden Ausschüsse, die dem Arbeitsminister zugeordnete Nationale Beratende Versammlung und die Nationale Beratende Versammlung für die Industrie. [9]

Wer auch immer in der Regierung sitzt, die Gewerkschaften haben direkten Zugang zu Regierungsausschüssen. 1946 konnte Arthur Deakin sagen:

Was die Ministerien betrifft stehen uns alle Türen offen und werden in einer solchen Weise behandelt, wie das mit irgendeiner anderen Regierungspartei nie möglich gewesen wäre. [10]

Aber die Situation änderte sich nicht als die Tories an die Macht kamen:

Die Konservativen ließen das System nach 1901 fast unverändert weiterbestehen, obwohl die Kontakte mit den konservativen Ministern nicht mehr so freundschaftlich wie während der Labour-Regierung verliefen. Während die TUC die Regierung in keiner wichtigen ökonomischen Meinungsverschiedenheit zu überzeugen vermochte, bestanden weniger Differenzen bei alltäglichen Routinearbeiten. Aber die Ansichten der Gewerkschaften wurden abgehört. „Wenn ich mit dem Minister sprechen möchte,“ sagte ein Gewerkschaftsführer 1957, „nehme ich nur den Telefonhörer ab.“ [11]

Dieser Vorgang des Zusammenwachsen von Gewerkschaftsführern mit dem Staat kann nur durch die Einführung der Einkommenspolitik verstärkt werden, die eine noch aktivere Zusammenarbeit von Seiten der Gewerkschaftsführung verlangt.

 

 

Zunehmende Unfähigkeit der TUC-Funktionäre

Die Integration der Gewerkschaftsführung in den Staat ist eine Sache; aber die Vergrößerung ihres Einflusses auf den Staat ist eine andere. Ohne Zweifel versucht die TUC angemessen mit Staatsbeamten und Ministern zu verhandeln, aber die Macht ihrer Stimme ist bemerkenswert gering wegen all der Angemessenheit und Süße ihres Tones:

Die wachsende Enttäuschung des obersten Gewerkschaftsgremiums kann aus einer Studie der Berichte, die seine speziellen Ausschüsse für den Kongreß anfertigten, ersehen werden. Hier kann man das Versagen des Wirtschaftsausschusses bei der Beeinflussung der Haushaltsplanung nachlesen; der Produktionsausschuß stellt seine Kritik am Regierungsplan für die Gebiete mit großer Arbeitslosenzahl unter Beweis; und der Erziehungsausschuß berichtet von seinen nicht erfolgreichen Versuchen, die Ausführung des Crowther Reports zu sichern. Aber das Nachlassen an Einfluß kann am deutlichsten auf dem Gebiet der Sozialversicherung und der Fürsorge gesehen werden, auf Gebieten, die für die Gewerkschaften von großer Bedeutung sind, und auf denen die vergangenen Errungenschaften der Gewerkschaftsführer sehr groß gewesen sind. [12]

So versäumte es die TUC, darauf zu drängen, daß Gewerbeaufsichtsbeamte auf eine angemessene Anzahl erhöht werden, trotz einer andauernden hohen Unfallrate am Arbeitsplatz, sie versäumte es, Zugeständnisse für die vor 1948 Verletzten zu bekommen, usw. Viele dieser Versäumnisse entbehren nicht der Armseligkeit:

Das Labour Gesetz für Nationale Gesundheit gab dem Minister die Befugnis, Hilfsmittel für die körperlich Behinderten zu beschaffen. Folglich wurden Motordreiräder für diejenigen Behinderten, denen beide Beine fehlten, angeschafft. Während der letzten Jahre wurden kleine Spezialautos für die Behinderten entworfen, und sie wurden von dem Nationalen Gesundheitsdienst den Kriegsbeschädigten zur Verfügung gestellt. Die nachfolgenden Tory-Minister weigerten sich jedoch, dieses Zugeständnis auf die Invaliden auszudehnen. Die TUC wies darauf hin, daß Dreiräder weniger verläßlich als Autos sind, und im Falle einer technischen Störung die Behinderten für lange Zeit zur Unbeweglichkeit verurteilt sind ... Trotz der Ungerechtigkeit und Härte und den unbedeutenden Kosten, die erforderlich wären, um diesem Mißstand abzuhelfen, hat das Auftreten der TUC keine Wirkung gehabt. [13]

Auf dem Kongreß 1963 erklärte George Woodcock stolz, daß die TUC vom Trafalgar Square in die Ausschußräume gezogen sei; das absolute Versagen, irgendeinen tatsächlichen Einfluß in diesen Ausschußräumen zu gewinnen, ist nur zu deutlich. Einer organisierten Kraft wäre es ein leichtes gewesen, innerhalb von fünf Minuten Wagen für die Invaliden zu bekommen, Es kann kein Zweifel bestehen über die großzügige und zustimmende Reaktion, die ein Aufruf zur Unterstützung dieses Zweckes bei vielen Arbeitergruppen hervorgerufen hätte. Aber die TUC ist schon seit langem von der Arbeiterklasse abgeschnitten, und ein solcher Aufruf zur Aktion wäre heute undenkbar.

 

 

Zunehmende Bürokratisierung der Gewerkschaften

Es ist wohlbekannt, daß die Männer an der Spitze der Gewerkschaft sehr oft für ihre Dienste am Staat zum Ritter geschlagen werden. Einigem werden Posten in den Aufsichtsräten als auch in den verstaatlichten wie in den privaten Industriezweigen und der Bank von England gegeben. Von den 35 Mitgliedern des TUC-Generalrats ist nur ein einziger ein „layman“, d.h. kein hauptamtlicher Funktionär. Und es kommen immer mehr bezahlte hauptamtliche Funktionäre hinzu – nicht nur um die TUC-Hierarchie zu überwachen, sondern um die unteren Ebenen in den Gewerkschaften zu besetzen.

In der Gewerkschaft der Seeleute und in der Gewerkschaft der Stiefel- und Schuharbeiter haben hauptamtliche Branchensekretäre der Gewerkschaftsabteilung einen anerkannten Rang in der Funktionärshierarchie mit genau den gleichen Privilegien wie andere hauptamtliche Funktionäre. (Im Englischen bezeichnet das Wort Branche nicht wie im Deutschen einen Industriezweig, sondern die Basisgruppen der Gewerkschaften. Sie kann je nach Größe einen oder mehrere Betriebe umfassen.) Es gibt auch viele Sekretäre, die ganztags in der Druckerei-, Buchbinder-, Papierarbeiter-, Allgenmeinen und Kommunalarbeitergewerkschaft tätig sind. Das gleiche trifft auch für die Gewerkschaft der Bergarbeiter zu. [14] Insgesamt erreichte die Zahl der hauptamtlichen Funktionäre im Jahre 1959 die Summe von 2.600. [15] Besonders seit Wilson an der Macht ist, ist der Trend, die Zahl der hauptamtlichen Funktionäre in den Gewerkschaften zu erhöhen, noch weiter gestiegen.

Nehmen wir beispielsweise den Fall ETU (Electnical Trade Union). Auf der Zweijahres-Konferenz im Mai 1965 beschloß die ETU folgendes:

  1. Den Exekutivrat mit hauptamtlichen statt mit ehrenamtlichen Funktionären zu besetzen – und diese neuen Mitglieder des Exekutivrates sind alle fünf Jahre statt wie vorher alle zwei Jahre neu zu wahlen. (Vorschnift 9) [16]
  2. Branchensekretäre sollen hauptamtliche Funktionäre werden (Vorschrift 21) [17]
  3. Gleichzeitig wurden die Gebietsausschüsse, die es bis zur Konferenz 1965 gegeben hatte, aufgelöst. Diese Gebietsausschüsse bestanden aus Delegierten der verschiedenen Branchen, und ivon diesen Ausschüssen – nicht vom Exekutivrat – bekamen die Shop Stewards ihre Vollmachten. [18]

Wie auch Les Cannon, der Präsident der ETU feststellte:

Die Grundentscheidung ... bestand darin, horizontale Organisationsformen in den Gewerkschaften aufzugeben, um sie durch eine vertikale Struktur zu ersetzen. [19]

Ein Delegierter, der Les Cannon und seinen Freunden widersprach, faßte die Arbeit des Exekutivrats wie folgt zusammen:

Der Exekutivrat ruft nach einem hauptamtlichen Exekutivrat. Das wird bedeuten, daß wir das oberste Gremium, das in der Gewerkschaft Politik betreibt, für fünf Jahre statt wie bisher für zwei Jahre zu wählen haben. Der Exekutivrat wird nicht nur die Politik bestimmen, sondern er wird sie auch ausführen und wichtige Verhandlungen führen. Das einzelne Mitglied des Exekutivrats wird kraft dieses Amtes der Seniorfunktionär werden, der die Gebietsfunktionäre in einem großen Regionalbüro zu beaufsichtigen hat. Durch sinnvolles Zusammensetzen von Branchen und das Einstellen eines hauptamtlichen Branchensekretärs, wird dieser Aufbau des erdachten Exekutivrats zusammen mit seinen Vorschlägen, die Gebietsausschüsse aufzulösen, eine vollkommene Beherrschung aller die Politik betreffenden Fragen und nationalen und kommunalen Lohnverhandlungen von der Spitze her sicherstellen. [20]

Auch die AEU unternahm bei ihrer Nationalausschußsitzung im Juni 1965 den Versuch, die Branchensekretäre in hauptamtliche Sekretäre umzuwandeln. [21]

In welch geringem Maße viele Funktionäre in den Gewerkschaften überhaupt einer Kontrolle von seiten der Mitglieder unterliegen, wird aus der Tatsache deutlich, daß nur eine kleine Anzahl bei der Wiederwahl durchfiel. Über einen Zeitraum von 30 Jahren haben nur 3% von ihnen dieses unglückliche Schicksal erleiden müssen. [22] Der weiße Kragen und die Aktenmappe des Funktionärs, zusammen mit der Tatsache, daß er keiner Wahl entgegensehen muß, geben ihm oft das Gefühl, daß er nicht ein Mitglied der Arbeiterklasse, sondern der Mittelklasse ist. Wie eine Studie, die auf Interviews mit hunderten von Funktionären beruht, feststellt:

Wir versuchten, die Gefühle der Gewerkschaftsfunktionäre in Hinblick auf das Prestige ihrer Arbeit zu messen, indem wir sie baten, ihre eigene Arbeit und die Posten der allgemeinen Sekretäre in eine Liste mit 30 Berufen einzusetzen, und zwar an der Stelle, die ihrer Meinung nach der allgemeinen Einschätzung ihres sozialen Prestiges entspricht. Die Frage wurde von 79% der Befragten beantwortet und von diesen setzten 64% ihren allgemeinen Sekretärsposten dem eines Amtsarztes oder eines Firmendirektors gleich oder schätzten ihn sogar höher ein. 36% setzten ihn irgendwo zwischen Anwalt und Volksschullehrer. 10% halten ihren eigenen Posten für gleich- oder sogar mehr bedeutend als den einem Staatsbeamten (executive grade); 69% stellten sich zwischen einem Pfarrer einer protestantischen Sekte und einem Volksschullehrer; und 21% irgendwo unterhalb des Volksschullehrers. [23]

Die meisten hauptamtlichen Funktionäre rechnen sich selbst zu den Inhabern von Mittelklasse-Posten (und zählen ihre Generalsekretäre ungefähr zu Spitze der sozialen Stufenleiter) ... [24]

Es ist daher nicht überraschend, daß nur sehr wenige Gewerkschaftsfunktionäre in die Reihen der Gewerkschafter zurückkehrten, nachdem sie, aus welchen Gründen auch immer, ihren Posten aufgegeben hatten:

Hauptamtliche Funktionäre:
Stelle nach Aufgabe des Funktionärspostens [25]

Posten in der verstaatlichten Industrie

  48

Regierungsposten

  25

Leitungsposten im der privaten Industrie

  14

Posten in einer anderen Vereinigung

  11

Zurück zur Ebene des Vertrauensmannes (Shop Steward)

  13

Eigenes Geschäft oder Unternehmen

    7

Posten in der Labour Party

    4

Gewähltes Parlamentsmitglied

    4

Posten in anderen Organisationen

    9

Weiteres

    9

Unbekanntes

122

Summe

266

So denkt die Gewerkschaftsbürokratie, die sich über die einfachen Gewerkschaftsmitglieder erhoben hat und der Meinung ist, daß sie zu einer Gruppe mit höherem sozialem Ansehen gehört, kaum jemals daran,i n die breite Masse der Gewerkschafter zurückzukehren. In diesem Maße ist sie denjenigen, die sie angeblich vertritt, entfremdet. [26]

 

 

Zerfall der gewerkschaftlichen Grundorganisation

Ein weiterer Faktor, der zur Entfremdung der Funktionäre von den einfachen Mitgliedern beiträgt, ist die Tatsache, daß die Gewerkschaftsabteilung (GA), früher einmal der Kern, der die Masse mit der Führung verband, über die letzten Jahrzehnte radikal an Bedeutung abnahm. Dieser Zerfall der GA wurde durch eine Reihe von vermeidbaren Einflüssen hervorgerufen. Zum ersten hat die örtliche Gewerkschaftsgruppe sehr wenig oder überhaupt nichts mit der Festlegung der Löhne und der allgemeinen Arbeitsbedingungen zu tun, da ein großer teil der gemeinsamen Verhandlungen mehr zentralisiert wurde. Zum zweiten wird die Festlegung der Richtlinien für die Ausführung der allgemeinen staatlichen Übereinkommen immer mehr in dafür geschaffenen Ausschüssen von Vertrauensleuten oder Werksausschüssen vorgenommen als von den Branchen selbst; die einzigen Ausnahmen sind außerhalb der Bergbau- und Stahlindustrie diejenigen Stellen, an denen die Betriebe und Branchen identisch sind. Zum dritten ist die Funktion der Branchen als Zentrum für soziale Unterstützung zum größten Teil verschwunden, da der Staat eine immer größere Rolle auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, des Versicherungswesens usw. spielt. Viertens pflegte die Gewerkschaftsgruppe ein gesellschaftliches Zentrum zu sein, in dem man trinken und sich unterhalten konnte, aber auch das ist mehr und mehr zurückgegangen, da die Arbeiter weit von ihren Wohnungen entfernt arbeiten. So wie die Branche zerfallen ist, sind auch andere Organisationen, die auf der Grundlage dieser Branche gebildet wurden, wie Bezirksausschüsse und Gewerberäte auseinandergefallen. In vielen großen Gewerkschaften senden die einzelnen Branchen keine Delegierten mehr zu den Gewerkschaftskonferenzen oder Bezirkskomitees, sondern sie sind zusammengefaßt, um einen Delegierten auszuwählen. Dies schwächt die Branchen; und der Delegierte, der mehrere Branchen vertritt, hat notwendigerweise einen weniger direkten Kontakt mit denjenigen, die er vertreten soll.

Die Gewerkschaftsbranche ist die Basiseinheit, auf der sich die höheren Ebenen der Gewerkschaftsverwaltung aufbauen. Die Schwächung der Branche ist ein weiteres Element – sowohl als Ursache als auch als Wirkung – der zunehmenden Zentralisation der Gewerkschaften, damit verbunden ihre Bürokratisierung. Wenn das Zerfallen der Branchen die Wirkung der Kapitalzentralisierung und der Zentralisierung der kollektiven Verhandlungen auf nationaler ebene darstellt, verdeutlicht dieses Zerfallen der Branchen auch die Tendenz zur Zentralisation. Der Mangel an Macht und Aufgabe für die Branchen erzeugt Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit unter den Mitgliedern auf der Branchenebene und Gleichgültigkeit ist die Kehrseite der Medaille der Zentralisation.

 

 

Druck auf die Funktionäre

Obwohl die Mehrheit der Gewerkschaftsfunktionäre in ihren politischen und gewerkschaftlichen Ansichten zum rechten Flügel gehören, und obwohl sie ständig versucht haben, dem Druck ihrer Mitglieder auszuweichen, können sie diesen Druck nicht gänzlich verhindern, besonders nicht auf dem Gebiet der Lohnfrage. Folglich waren sie normalerweise, wenn die Regierung Anforderungen an sie stellte, gänzlich unschlüssig und suchten auch, sich dem Druck der Regierung zu entziehen, um dem konzentrierten Angriff ihrer Mitglieder zu entgehen. Nur in diesen Licht können wir ihre Antwort auf George Browns Beharren, rechtzeitig vor Lohnforderungen zu warnen, verstehen, was die staatlichen Verhandlungen nur noch zu einer größeren Farce als bisher werden läßt, und der TUC die Rolle des „Lohnüberprüfers“ auferlegt.

 

 

Anmerkungen

1. Michael Stewart und Rex Winsbury, An Incomes Policy for Labour, Fabian Tract 350, Oktober 1963, S.14

2. a.a.O., S.18

3. a.a.O., S.27

4. V.L. Allen, Trade Unions and The Government, London 1961, S.32

5. a.a.O., S.12

6. TUC Report, 1952, S.300; zit. V.L. Allen, a.a.O., S.23

7. Henry Pelling, A History of British Trade Unionism,1963, S.235

8. V.L. Allen, Trade Unions in Contemporary Capitalism, The Socialist Register, 1964, S.157

9. V.L. A1len, Trade Unions and the Government, S.35

10. M.Harrison, Trade Unions and the Labour Party Since 1945, London 1960, S.294

11. M.Harrison, a.a.O., S.294-5

12. William McCarthy, The Future of the Unions, Fabian Tract 339, September 1962, S.23/24

13. W. McCarthy, a.a.O., S.25

14. H.A. Clegg, A.J. Killick u. Rex Adams, Trade Union Officers, Oxford 1961, S.21/22

15. H.A. Clegg, a.a.O., S.39

16. Abridged Report of the Second Biennial Conference, London 1965, S.46/58

17. Report, a.a.O., S.108/117

18. Report, a.a.O., S.79/95; zusätzlich bestand die Führung der ETU darauf daß die Vertretung bei der Konferenz auf der Basis eines Delegierten pro Branche, ungeachtet deren Größe, sein sollte. Es kommt vor, daß in Branchen mit ein bis dreißig Mitgliedern 46 delegierte 1.200 Mitglieder vertreten, während auf der anderen Seite nur 14 Delegierte 30.000 Mitglieder vertreten.(a.a.O., S.97) Außerdem kann der Exekutivrat über das Zusammenlegen oder Aufsplittern von Branchen entscheiden. Wenn also die Führung einige Delegierte mehr zu ihrer Unterstützung braucht, braucht sie einfach ein paar winzige Branchen mehr zu schaffen.

19. Report, a.a.O., S.8

20. Report, a.a.O., S.55/56

21. AEU Journal, Juli 1965

22. H.A. Clegg, a.a.O., S.79

23. H.A. Clegg, a.a.O., S.72/73

24. H.A. Clegg, a.a.O., S.90

25. H.A. Clegg, a.a.O., S.85

26. Was wir gesagt haben, sollte nicht als ein wahlloser persönlicher Angriff auf jeden einzelnen hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionär verstanden werden. Als Körperschaft aber werden die vollbeschäftigten Funktionäre immer weiter von ihren Mitgliedern durch eine Anzahl von einzelnen aber in Beziehung zueinander stehenden Einflüssen politischen Zwanges entfernt. Viele von ihnen handeln zweifelsohne in direkter Opposition zu den Frauen und Männern die sie vertreten sollen und stellen ihre Zusammenarbeit mit den Unternehmern vor die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder. Wir sind sicher, daß auch einige versuchen, diese Situation zu verhindern. Was aber in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist daß jede Opposition gegen die Einkommenspolitik, bei der Gewerkschaftsfunktionäre, seien es Rechte oder Linke, eine wichtige Rolle zu spielen scheinen, grundsätzlich mißverstanden wird. Wir nehmen an, daß keiner es wünschen würde, die Gewerkschaftsfunktionäre des linken Flügel, auf irgendeine Weise aus der sozialistischen Bewegung auszuschließen, aber ihnen Vertrauen zu schenken oder ihnen zu viel Beachtung entgegenzubringen, ist genauso lächerlich wie die Meinung, das Schicksal der Arbeiterbewegung in diesem Lande sei abhängig von den Aktivitäten einiger weniger sozialistischer Universitätsprofessoren.

 


Zuletzt aktualisiert am 8.7.2001