Kevin Corr und Andy Brown

 

Die Arbeiteraristokratie
und die
Wurzeln des Reformismus

(Teil 2)

 

Eric Hobsbawm: der Vorwärtsmarsch der Arbeiteraristokratie?

Nach dem Krieg blieb die These der Arbeiteraristokratie zentral zu den meisten marxistischen Darlegungen der Wurzeln des Reformismus im allgemeinen und des Niedergangs des Klassenkampfs in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Insbesondere zwei Historiker entwickelten das, was sie als die klassischen marxistische Position über die Arbeiteraristokratie betrachteten. diese waren Eric Hobsbawm während der 1940er und 1950er Jahre und John Foster während der 1970er Jahre. Beide benutzten ihre historische Analyse für bestimmte politische Zwecke in ihrer eigenen Ära. Keiner der beiden überwand erfolgreich die grundsätzlichen Fehler in der These, obwohl Foster eine raffiniertere Verteidigung als alle andere Autoren entwickelte.

Eric Hobsbawms Schriften über die Arbeiteraristokratie in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg sind zurecht beschrieben worden als „die Quelle, woraus die meisten neueren Autoren ihr ursprüngliches Interesse gezogen haben“. [72] Trotz ihres zweifellos beträchtliches Einflusses hat man anscheinend wenig über die Gründe überlegt, warum Hobsbawm das Thema ausführlich behandelt hatte. Eine Möglichkeit besteht darin, daß bis Ende der 1940er Jahre Hobsbawm und die anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe „Geschichte“ der Kommunistischen Partei vielleicht von der Tatsache, daß die Hoffnungen aus dem Radikalismus der Kriegszeit zunichte gemacht worden waren, und der „Schrumpfung der radikalen Volksbewegung von 1947-8“ beeinflußt worden sind. [73] Das hat vielleicht Hobsbawm dazu ermutigt, Trost im Studium einer ähnlichen Periode des Niedergangs in der Geschichte der Arbeiterbewegung zu suchen. Die Eindämmung des Radikalismus auf dem Rücken des Aufschwungs nach dem Krieg, der die Hegemonie der Konservativen während des nächsten Jahrzehnts und die darausfolgende Umgestaltung der Politik auf einer fest sozialdemokratischen Achse scheint sicherlich, den Niedergang des Chartismus und die Periode des Reformismus im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts genau 100 Jahre früher einigermaßen zu widerspiegeln.

Hobsbawm betrachtete sich auch als Verteidiger der marxistischen Tradition gegen ihre Gegner im Kalten Krieg. Diese Verteidigung nahm die Gestalt von zwei Aufsätzen an, „Tendenzen in der britischen Arbeiterbewegung seit 1850“, der 1949 veröffentlicht wurde, und „Die Arbeiteraristokratie“, der 1954 veröffentlicht wurde. Sicherlich betrachtete er sich im letzteren als bewußter Verteidiger des Begriffs „Arbeiteraristokratie“ als Teil einer erneuten Bekräftigung der Gültigkeit der marxistischen Analyse der britischen Arbeiterbewegung. Am Ende seines 1954er Aufsatzes diskutiert er, wie der Begriff als Teil eines breiteren polemischen Angriffs auf dem Marxismus angegriffen wurde, und zitiert speziell das 1953er Werk von H. Seton-Watson, Das Muster der kommunistischen Revolution, als Beispiel davon. Seton-Watson hatte geschrieben: „Die Theorie der Arbeiteraristokratie ist ebenso künstlich wie die Theorie des Klassenkampfs innerhalb der Bauernschaft.“ [74] Hobsbawm beschrieb seine Besorgnis zu jener Zeit, „mich an Polemiken gegen diejenigen zu beteiligen, die aus antimarxistischen Gründen die Existenz oder den analytischen Wert des Begriffs „Arbeiteraristokratie“ während des 19. Jahrhunderts in Frage stellten“. Er bringt seine Aufsatz zum Schluß, indem er sagt: „Ich hoffe, dieser Aufsatz hat gezeigt, daß, insofern es das 19. Jahrhundert betrifft, [die Arbeiteraristokratie] auf festen Grundlagen in der ökonomischen und politischen Wirklichkeit beruht.“ [75]

Die 1950er Jahre waren weitgehend die Periode des langen Wirtschaftsaufschwungs, des breit verkündeten „Endes der Ideologie“, der keynesianistischen Nachfragelenkung und des Wohlfahrtskapitalismus. Die Vorstellung, daß der altmodische Marx eine Bedeutungslosigkeit sei, wurde im Bereich Soziologie in der These der Verbürgerlichung zusammengefaßt, laut der vergleichsmäßig gutbezahlte Handarbeiter Mitglieder der Mittelschicht würden. Gerade in dieser Debatte über den Reformismus können wir die Intervention Hobsbawms plazieren. Er versuchte, die Argumente die Argumente weg von dem, was er als Marxist als idealistische Vorstellungen über Status und Werte betrachtete, die sich mit dem Überbau befaßten, zurück zu einer dialektischeren und materialistischeren [dialektisch-materialistischeren] Basis der wirklichen Löhne, Bedingungen und Arbeitsstunden zu ziehen.

Die Verbürgerlichungsthese stellt fest, in der fortgeschrittenen im allgemeinen kapitalistischen Gesellschaft ein Teil der Arbeiterklasse wohlhabend werde und, was die Werte und den Status betrifft, sich mit der Mittelschicht zusammenschmelze. Sie ist also ein Argument über das Verschwinden der Arbeiterklasse. Entweder muß man ein willkürliches Niveau des Wohlstands postulieren, oder man bedarf einer Definition des Begriffs „Klasse“, der sich auf Status bezieht, oder man braucht eine Kombination der bediene. Das Schlüsselmerkmal ist eine nichtmarxistische Definition des Begriffs „Klasse“ und die Behauptung: „Wir sind jetzt alle Mitglieder der Mittelschicht.“ Was auch immer Vorzüge oder seine Schwächen als analytischer Begriff oder kausale Erklärung sind, handelt es sich beim Begriff „Arbeiteraristokratie“ überhaupt nicht um das Verschwinden der Arbeiterklasse. Hobsbawm selbst hat den Punkt treffend gemacht: „Der Arbeiteraristokrat trägt vielleicht einen Zylinder und denkt über Geschäftsfragen wie sein Arbeitgeber, aber als die Streikposten gegen den Chef aufgestellt wurden, wußte er, was er machen sollte.“ [76]

Das alles zeigt, daß die Frage der Arbeiteraristokratie nicht nur eine Debatte über das ganze Muster der kapitalistischen Entwicklung im 19. Jahrhundert umfaßt, sonder ist auch für aktuelle Argumente politische relevant. Wie McLennan es darstellt: „Anders als z.B. der Fall der englischen bzw. Französischen Revolutionen oder auch die Entstehung der englischen Arbeiterklasse bezieht sich die Theorie der Arbeiteraristokratie auf den modernen Kapitalismus.“ Er fügte hinzu: „Sie sollte deshalb eine vollere Prüfung der marxistischen Kategorien sein als frühere historische Fragen.“ [77] Gerade diese Beziehung zum modernen Kapitalismus gibt den Debatten über die Form und die Funktionen einer Arbeiterelite eine so scharfe politische Schneide und eine fortdauernde Bedeutung für Sozialisten. Von Marx’ Zeiten durch Engels und Lenin zu den Zwischenkriegsjahren und der Periode des Kalten Kriegs faßten diese Debatten bei jeder Etappe scharfe Differenzen über die Natur des Reformismus und den angeblichen Verrat der Arbeiterklasse durch ihre Führung um. Hobsbawm selbst war davon sehr wohl bewußt. Im Jahre 1979, während er bis dann sehr vorsichtig jeden Einsatz für eine ausschließliche oder primäre Rolle der Arbeiteraristokratie bei der Erklärung des Reformismus vermied, war er deutlich darüber: „Der erste Punkt, der bei jedem Überblick über die Arbeiteraristokratie gemacht werden sollte, besteht darin , ihren wesentlich politischen Ursprung und Charakter zu betonen. In der Vergangenheit hat es meiner Meinung nach ständig nicht um die Schichtung der Arbeiterklasse an sich gehandelt, sondern um die politische oder ideologische Implikationen solcher Schichtung.“ [78]

Hobsbawms Ansicht über seine eigene Arbeit war, daß sie genau eine Intervention in eine aktuelle politische Polemik war. Indem er den begriff „Arbeiteraristokratie“ verteidigte, wollte Hobsbawm die marxistische Methode in der Geschichtsschreibung sowie die wichtigen Punkte des Marxismus verteidigen, wie er sie betrachtete. Hobsbawms Analyse beinhaltete eine Anzahl wichtiger Punkte, die alle kritisierbar sind. Sie sind folgende: Es existierte eine erkennbare und definierbare Arbeiteraristokratie; sie stünde über der Masse der Arbeiter; sie sei irgendwie von der Bourgeoisie bestochen worden und habe eine überlegene Position auf Kosten der übrigen Arbeiterklasse halten können; sie handelte als mächtige Kraft innerhalb der Arbeiterklasse (während der wirkliche Radikalismus unter dem nichtaristokratischen Sektor zu finden gewesen sei).

Hobsbawm versuchte, die Merkmale der Arbeiteraristokratie deutlich zu definieren, um sie von der Masse der Arbeiterklasse zu unterscheiden. Er bot folgende Kriterien an:

Erstens das Niveau und die Regelmäßigkeit der Belohnung eines Arbeiters; zweitens seine Aussichten auf soziale Sicherheit; drittens seine Arbeitsbedingungen, einschließlich der Weise, wie er von Vorarbeitern und meistern behandelt wurde; viertens seine Verhältnisse mit den gesellschaftlichen Schichten über und unter ihm; fünftens seine allgemeinen Lebensbedingungen; letztens seine Aussichten auf künftigen Aufstiege sowie die seiner Kinder. [79]

Hier können wir sehen, daß die erste, zweite, fünfte und zum großen die letzte Kriterien sich auf Löhne und Belohnung beziehen, mit anderen Worten, mit der materiellen Basis, die Hobsbawm so gern beweisen wollte. Aber es gibt ein beträchtliches Problem mit der Vermutung, daß es irgendeine neue Schicht gegeben hätte, die nach 1850 durch höhere Löhne gekennzeichnet wurde. Bestimmte Arten Handwerker während der ersten Hälfte des Jahrhunderts waren ebenso begünstigt im Vergleich mit anderen Arbeitern wie die „Arbeiteraristokraten“ während der Periode nach 1850. [80] John Breuilly schrieb:

Ein Haupteinwand gegen den Ansatz [von Hobsbawm] besteht darin, daß es immer Lohnunterschiede innerhalb der Arbeiterklasse gibt und daß diese immer ein Kontinuum bilden. Warum sollte man eine Arbeiteraristokratie für eine bestimmte Periode identifizieren und warum sollte man Belohnungsdaten benutzen, um einen Gegensatz zwischen einer Arbeiteraristokratie und den anderen zu beweisen eher als eine Reihe von Abstufungen von den Höchstverdienenden zu den Niedrigstverdienenden? [81]

Die Schwierigkeit des Versuchs, zu zeigen, daß zu irgendwelchem Punkt im Lohnkontinuum es einen entscheidenden Bruch zwischen Arbeiteraristokraten und Nichtaristokraten gibt, wurde tatsächlich von Hobsbawm eingestanden, als er darüber sprach, wie die Unterscheidung zwischen solchen Arbeitereliten und die relativ großen Gruppen von „anständigen“ regelmäßig eingestellten Arbeiter „verschwommen“ sei. Außerdem, gab er zu, „falls der Begriff einer Arbeiteraristokratie verletzbar wäre, bildete diese Verschwommenheit seine Achillesferse.“ [82]

Die Konzentration auf Lohndaten ist verständlich, da sie leicht zugänglich sind und sie es Hobsbawm ermöglichten, Vergleiche zwischen verschiedenen Berufen und verschiedenen Regionen zu machen, die mit anderen weniger quantifizierbaren Materien nicht möglich gewesen wären. Aber die Weise, wie er diese Daten benutzt, ist sehr grob. Im Grunde genommen verglich er das Lohnniveau ohne jede Rücksicht auf die Produktivität. Als er während des 19. Jahrhunderts schrieb, machte Henry Mayhew folgende aufschlußreiche Beobachtung über Vertrauen auf Lohndaten, wenn es sich nicht auf die Quantität der vom Arbeiter unternommenen Arbeit bezieht:

Der Punkt wird ständig außer acht gelassen von den Ökonomen, die den Lohn eines Zimmermanns oder eines Maurers oder eines Schusters als so viel pro Woche zitieren, ohne davon zu träumen, daß es notwendig ist, die Quantität der für das Geld ausgetauschten Arbeit zu erklären. Die Absolute Menge des Lohns erzählt uns nur das, was der Unternehmer den Arbeitenden geben muß; während die Menge Arbeit erzählt uns, was der Arbeitende dem Unternehmer geben muß: und die eine ist ebenso notwendig als die andere für das gerechte Verständnis der Sache. [83]

Während vielleicht Marx’ Schriften über Ausbeutung und Mehrwert dem Mayhew unbekannt waren, sind sie sicherlich nicht dem Hobsbawm unbekannt, der wirklich sehr wenig über die Frage der Produktivität und des Herausholens von Mehrwert zu sagen hat.

Es gibt sehr wenige Beweise dafür, daß auch für die sogenannten Arbeiteraristokraten es überhaupt eine große Sicherheit der Einstellung gab. Mayhew errechnete für London Mitte des 19. Jahrhunderts, daß in vielen Fachbereichen nur etwa ein Drittel der Arbeiter zu einem bestimmten Zeitpunkt vollbeschäftigt war, während ein weiteres Drittel teilbeschäftigt war und die übrigen arbeitslos waren. [84] Hobsbawm gab das zu, indem er in seinem ursprünglichen Artikel argumentierte, gerade diese Unsicherheit habe dazu geführt, daß Aristokraten in der Baumwollindustrie so hartnäckig ihre privilegierten Positionen in einer Industrie verteidigten, wo so viele andere Arbeiter schlechter dran waren. Man fragt sich, genau wie ausgeprägt eine Schicht war, woraus deren Mitglieder offenbar so leicht in die Masse der Arbeiter in ihrer Industrie zurückfallen könnten. Genauso mußten die sogenannten Aristokraten eindeutig gewerkschaftliche Organisation benutzen, um ihre Positionen zu verteidigen, was wieder darauf andeutet, daß die Spaltung [Trennung] zwischen Aristokraten und Nichtaristokraten alles andere als deutlich definiert war. Die Vermutung, daß durch ihre Enthaltung von einer organisierten und wirksamen Verteidigung der eigenen Position die Arbeiteraristokraten die Lage der niedrigeren Schichten hätte verbessern können, ist unbegründet, moralistisch und fehlt an einem konkreten Verständnis des Klassenkampfs.

Ein Versuch wurde gemacht, diesem moralischen Argument eine materielle Basis zu geben mit der Behauptung, die Arbeiteraristokraten seien bestochen geworden. Wie die Bestechung funktionierte, wurde von den Autoren der Nachkriegszeit vertuscht [beschönigt]. Moorhouse betonte Elemente dieses Problems, als er Hobsbawms ursprüngliche Behauptung in Frage stellte, daß es einen strukturellen Interessenkonflikt zwischen den Aristokraten und den übrigen Arbeitern gegeben habe, da sie ihre ökonomischen Vorteile auf Kosten anderer Arbeiter hätte gewinnen müssen. James Hinton ging noch weiter als Hobsbawm, als er schrieb: „Insofern die Metallarbeiter erfolgreich dabei waren, einen permanenten Vorteil für sich zu erringen, verurteilten sie die Ausgeschlossnen zu einem ebenso permanenten Nachteil.“ [85] Trotzdem schien es, wie Moorhouse andeutete, wirklich bemerkenswert unmarxistisch zu behaupten, daß, wenn die sogenannten Aristokraten auf ihr verhältnismäßig hohes Lohnniveau (errungen anscheinend als Ergebnis irgendwelcher Bestechung) verzichtet hätten, dieses Geld irgendwie gleich unter den ungelernten Arbeitern wäre verteilt worden. Es klingt hier wie Westons „Eherne Lohngesetz“ mit seiner Betonung einen festen Lohnniveau innerhalb der Grenzen des Sozialprodukts eher Marx’ Lohn, Preis und Profit.

Moorhouse traf sicherlich einen wirksamen Punkt während seines Angriffs auf Hinton und Hobsbawm, als er argumentierte, er „hätte gedacht, daß es für Marxisten axiomatisch sei, daß das Lohnniveau ein Produkt des Klassenkonflikts ist“. [86] Die Vermutung, daß der Klassenkampf keine Rolle spiele, würde anscheinend wirklich die Ideologie der herrschenden Klasse über einen gerechten Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk zu verstärken und würde auch heißen, anzunehmen, daß in irgendwelcher unerklärten Weise (wenn wir gewerkschaftlich Organisation unberücksichtigt lassen) die „gierigen Aristokraten“ mehr als ihren „gerechten Anteil“ des nationalen Kuchens genommen hätten. Auch im eigenen Rahmen sollte jede marxistische Darlegung der Arbeiteraristokratie sicherlich die Voraussetzung enthalten, daß alle ökonomischen Privilegien, die für die „Aristokratie“ zusammenkämen, auf Kosten der Unternehmer wären. Die Tatsache, daß viele Marxisten das nicht machen, ermöglicht es Autoren wie Moorhouse den Marxismus als Ganzen abzuschreiben bloß auf der Basis von Schlußfolgerungen, die sich auf diese Frage beziehen.

Hobsbawm betrachtete seine politisch gemäßigten Arbeiteraristokraten als fast von der Masse der Arbeiterklasse unter ihnen abgeriegelt. [87] Es ist merkwürdig, daß eine Schicht, die von denjenigen unten angeblich so isoliert und ihnen gegenüber so verächtlich war, immer noch das Tempo ihrer politischen Entwicklung hätte steuern können sowie als wirksame Bremse auf ihrer Militanz hätte handeln können. Die Voraussetzung der Mäßigung in der „Arbeiteraristokratie“ ist allerdings fraglich. Die von Hobsbawm identifizierte Schicht war in vieler Hinsicht weit davon entfernt, gemäßigt zu sein. Wenn überhaupt, neigte sie dazu, an der Spitze der radikalen Politik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert zu sein. Genauso gibt es Jahre wenige Beweise während der 1850er und 1860er für eine radikale Opposition gegen das System unter den Schichten unter den sogenannten Aristokraten. So früh wie 1850 bemerkte Mayhew ein Maß davon, was Marx Entfremdung genannt hätte, unter den niederen Schichten, den Mayhew aber als Neigung zum Konservatismus beschrieb. Als Mayhew sich vom Studium des Schneidergewerbes zum Studium der Kohlebeförderer im Hafen bewegte, schrieb er:

Es schien, als ob wir in einem neuen Land wären und unter einer anderen Rasse. Die Handwerker waren fast allesamt begeisterte Politiker ... Sie fangen damit an, ihre Klasse nicht bloß als eine isolierte Truppe von Arbeitenden zu betrachten ... Die ungelernten Arbeiter sind eine andere Klasse von Menschen. Bislang sind sie so unpolitisch wie Lakaien, und anstatt gewaltige demokratische Meinungen zu haben, haben sie anscheinend überhaupt keine politischen Meinungen oder, wenn sie irgendwelche haben, führen sie eher zur Aufrechterhaltung des Bestehenden eher als zur Vorherrschaft der Arbeitenden. [88]

Gewerkschaften nach 1850, die zum großen Teil auf „Arbeiteraristokraten“ bestanden, gaben sicher nicht ihre Unabhängigkeit noch die Streikwaffe auf. Noch akzeptierten sie blind die Unvermeidlichkeit der Kräfte des freien Marktes. Während es stimmt, daß es in dieser Periode mehr Beweise davon gibt, was man Schlichtung nennen könnte, gibt es auch Beweise von einer ganzen Menge von relativ kleinen aber bitteren Auseinandersetzungen sowie von denjenigen im größeren Ausmaß wie dem 1852er Streik der Metallarbeiter und dem 1859er Streik der Bauarbeiter. Die letztere Auseinandersetzung war keineswegs innerhalb eines beschränkten sektionellen Bewußtseins aufgehalten. Vielmehr führte die breite Unterstützung, die sie gewann, zur permanenten Gründung der Londoner Gewerkschaftsrats, um die Verallgemeinerung der Unterstützung für bestimmte Branchen in Auseinandersetzungen mit ihren Meistern zu ermöglichen. Noch waren die Aktivitäten der Arbeiterklasse auf ökonomische Kämpfe beschränkt. Es gibt beweise für Agitation unter Facharbeitern zur Unterstützung der polnischen Aufstände gegen die russische Unterdrückung und besonders in den 1860er Jahren zur Unterstützung des Nordens im Amerikanischen Bürgerkrieg. [89] Das heißt natürlich nicht, daß es keinen Rückgang des Klassenkampfs nach 1850 gab – diese Schlachten lassen sich kaum mit der Massenbewegung des Chartismus vergleichen und hatten nicht das gleiche Format wie der Generalstreik von 1842. Die Beweise für die veränderte Stimmung und die reduzierten Ambitionen sind zwingend. Der viel zitierte Bericht über 1870 von Thomas Cooper aus Lancashire faßte den Prozeß zusammen:

In unserer alten Chartistenzeit waren die Arbeitenden von Lancashire zwar zu Tausenden in Fetzen bekleidet und vielen von ihnen fehlte es oft an Nahrung. Aber ihre Intelligenz wurde demonstriert überall, wohin man fuhr. Man betrachtete sie in Gruppen, als sie die große Doktrin der politischen Gerechtigkeit diskutierten – daß jeder Erwachsene zurechnungsfähiger Mann das Stimmrecht haben sollte bei der Wahl der Männer, die die Gesetze machen sollten, womit er regiert werden sollte; oder sie hielten ernste Auseinandersetzung über die Lehren des Sozialismus. Jetzt sieht man keine solche Gruppen in Lancashire. Aber man hört gut bekleidete Arbeitende, die von Genossenschaften und ihre Anteil darin oder über gemeinnützige Bausparkassen reden. [90]

Diese Mischung aus Nostalgie und Selbstgefälligkeit widerspiegelte nicht nur Coopers eigene Aufgabe der chartistischen Überzeugungen zugunsten der Gladstoneschen Liberalismus, sondern auch die einer ganzen Schicht von Aktivisten der Chartistenbewegung. Nichtsdestotrotz ist es eine Sache, den revolutionären Klassenkampf aufzugeben, aber eine ganze andere Sache, die Philosophie des Kapitalismus zu akzeptieren. Die fachorientierten Gewerkschaften haben deutlich das nicht gemacht. Wenn überhaupt, blieben sie für fast vierzig Jahre der Rückgrat des Widerstands gegen die Unternehmer und ihre politische Ordnung, während die angeblich radikaleren niederen Schichten bestimmt nicht die Führung in der Militanz übernahmen bis zu den großen Kämpfen am Ende der 1880er Jahre. Anhänger der These der Arbeiteraristokratie argumentieren genau das Gegenteil davon und gehen so weit, daß sie die Arbeiteraristokraten für die Mangel an Klassenkampf beschuldigen.

Die Betonung der Hobsbawmschen Arbeit wird später beträchtlich revidiert. Das vorherrschende Milieu unter der Linke während der 1970er Jahre war ein, das versuchte, mit der politischen Praxis des Eurokommunismus Schritt zu halten. In der Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung bestand die Haupttrend darin, solche Versuche wie Hobsbawms abzulehnen, die die Erfahrung der Arbeiterklasse in den tagtäglichen materiellen Bedingungen bei der Arbeit verwurzeln wollten. Die Tendenz war, solche Versuche als grob und reduktionistisch abzutun und den angeblich raffinierten Analysen der Kultur, der Ideologie und der Hegemonie gegenüberzustellen. Zweckmäßige Synthesen von Gramscis Gefängnisschriften und Lenins Was tun? wurden hergestellt, um einen Rückzug von den Methoden der marxistischen Geschichtsschreibung zu rechtfertigen. Diese faßten normalerweise eine höchst wählerische und oft unaufrichtige Anwendung der Quellen ohne Bezug auf den Zusammenhang, worin Gramsci oder Lenin schrieben, oder auf die spätere Entwicklung ihres Denkens.

Die Wirkung einer solchen Stimmung in der britischen Geschichtsschreibung sollte eine Anzahl von Studien produzieren, die, obwohl sie manchmal einen Schuld an Hobsbawm ausdrückten, eigentlich zu ganz andere Erklärungen der Arbeiteraristokratie führten. Studien von Gray, Cossick und anderen konzentrierten sich auf Aspekte der Ideologie, fast ohne jegliche Beziehung mit den materiellen Bedingungen, die sie verursacht hatten.

Hobsbawm selbst wurde beträchtlich von diesen politischen Veränderungen beeinflußt. Als immer noch treues Mitglied der Kommunistischen Partei folgte er der Veränderung zur politischen Praxis des Eurokommunismus und zur theoretischen Betonung auf Gramscischen Vorstellungen, wie die Eurokommunisten sie interpretierten. Das heißt nicht, daß Hobsbawm das, was er während der 1950er Jahre geschrieben hatte, oder sein Festhalten an der „klassischen“ leninistischen Vorstellung der Arbeiteraristokratie als solcher leugnete. Aber seine Schriften der 1970er Jahre implizierten eine beträchtliche Modifizierung seiner früheren Ansichten. So früh wie 1970 begann Hobsbawm in einem Artikel mit dem Titel: „Lenin und die Arbeiteraristokratie“ (der als Teil einer Sammlung zur Erinnerung am hundertsten Jahrestag von Lenins Geburt),sich von der Leninschen Theorie des Imperialismus zu distanzieren, mindestens insofern ihre Implikationen für eine Arbeiteraristokratie verstanden wurden. Er fragte: „Konnte die Vorteile einer solchen kollektiven Ausbeutung völlig auf einer privilegierten Schicht des Proletariats in den Metropolen beschränkt werden?“ [91]

Bis 1979, als die eurokommunistische Wind durch die westlichen Kommunistischen Parteien tobte, war Hobsbawm viel expliziter geworden. Er schrieb: „Erstens, und im Gegensatz dazu, was einige angenommen haben, haben meine eigene Schriften über das Thema nie das leninistische Argument akzeptiert entweder als die Haupt-‚Erklärung‘ für den ‚reformistischen‘ Charakter der britischen Arbeiterbewegung oder für das 20. Jahrhundert überhaupt.“ [92] In einer Anmerkung zu einem Aufsatz mit dem Titel: „Die Arbeiteraristokratie neubewertet“, ging er noch weiter: „Meine Texte haben meiner Meinung nach vorsichtig jedes Engagement für die ausschließliche oder vorrangige Erklärung des Reformismus, auch in den Jahren 1850–1914, durch das bestehen einer Arbeiteraristokratie vermieden.“ [93] Er erklärte weiter, warum seine Uneinigkeit mit der Leninschen These nicht so deutlich oder polemisch wie möglich in seinen ursprünglichen Studien über die Frage, die während der 1950er Jahre geschrieben wurden, ausgedrückt worden war. Das schrieb er zu „Gründen, die zur Zeit gut schienen“, sowie zur Tatsache, daß sein Anliegen hauptsächlich die Verteidigung des Marxismus gegen seine Angreifer gewesen sei.

Bis zu dieser Etappe war anscheinend alles, was Hobsbawm in seinem 1954er Studium zu verteidigen bereit war, die Ansicht, daß es „im Großbritannien des 19. Jahrhunderts eine Arbeiteraristokratie existierte und daß sie politisch gemäßigt war“. [94] Das alle scheint sich der Ansicht Moorhouses anzunähern, daß die Anwendung der Vorstellung einer Arbeiteraristokratie „so riesig und nebulös [verworren]“ geworden war, „daß sie alle tatsächliche Anwendbarkeit verliert“. [95] Am mindesten muß man fragen, wenn das Hobsbawms schließliche Beurteilung war, worum ging das ganze Getue. Es scheint sicherlich weit von seiner früheren Ansicht entfernt, daß die Privilegien einer Arbeiteraristokratie zum großen Teil auf der Unterordnung anderer Arbeiter beruhte. In seinem ursprünglichen Aufsatz hieß es: „Die verhältnismäßig günstigen Bedingungen, die sie bekamen, waren zum großen Teil auf Kosten ihrer weniger begünstigten Mitarbeiter, nicht bloß auf Kosten der übrigen Welt, die Großbritannien beherrschte.“ [96] In den beiden Fällen hat Hobsbawms Beurteilung der Sache anscheinend mehr mit dem vorherrschenden politischen Klima zu tun als mit wesentlichen Änderungen in der Forschung oder Methodologie.

Hobsbawms Versuche, zu zeigen, daß eine deutliche arbeiteraristokratische Schicht entstanden sei, waren daher ernsthaft fehlerhaft. Es gab keine überzeugenden Beweise dafür, daß es mehr als die höheren Ebenen eines Lohnkontinuums war, das ein ständiges Merkmal des Kapitalismus ist. Keine Rücksicht wurde auf Produktivität oder auf die Ausbeutungsrate dieser Aristokraten genommen. Wenn man die Lage näher untersucht, waren sie weit davon entfernt, vor den Angriffen der Bossen immun zu sein, und die Methoden, die sie zu ihrer Verteidigung benutzten, waren denjenigen bemerkenswert ähnlich, die von Nichtaristokraten benutzt wurden. keine Beweise wurden angeboten, um zu erklären, wie eine Bestechung verwaltet oder auf eine kleine Schicht beschränkt werden sollte. Jede Vermutung, daß die arbeiteraristokratischen Privilegien auf kosten der übrigen Arbeiterklasse aufrechterhalten würden, war Behauptung eher als Beweismaterial und stehen in krassem Widerspruch mit der marxistischen Erklärung der Produktionsverhältnisse. Die Vermutung, daß Arbeiteraristokraten entweder selbst des Kampfes enthalten oder als Bremse auf den Kämpfen anderer Arbeiter handeln [wirken], steht keine ernsthafte Untersuchung davon halt, welche Kämpfe tatsächlich während der Jahre des Rückgangs in der Mitte des 19. Jahrhunderts stattfanden.

 

 

John Foster: zur Verteidigung von Lenin

Das Werk, das am engsten Lenins Gebrauch der Arbeiteraristokratie als Erklärung annahm und das unmittelbar aus den ersten Aufsätzen Hobsbawms entstand, ist Klassenkampf und die industrielle Revolution [2*] von John Foster. Er argumentierte kühner als alle anderen modernen Historiker, daß es tatsächlich eine identifizierbare Arbeiteraristokratie gegeben habe, die für politische Änderungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts verantwortlich gewesen sei. Er bringt auch eine raffiniertere Erklärung als Hobsbawm vom Verhältnis zwischen der Arbeiteraristokratie und den Schichten unter ihnen.

Der erste Punkt, den man über Foster machen soll, ist ein einfacher, aber trotzdem ein wichtiger. Fosters Anwendung von quantitativen Forschungsmethoden ist äußerst beeindruckend und die genaue Darstellung der Einzelheiten ermöglichte es ihm, ein sehr raffiniertes Argument aufzubauen, das die Muster der Heirat, der Unterbringung, der ethnischen Herkunft, der Berufe und anderer Faktoren innerhalb der Arbeiterklasse umfaßte. Er bat auch eine faszinierende Analyse des Kleinbürgertums und der Bourgeoisie in Oldham an. [97] Die Qualität von Fosters Forschung wird von fast all seinen Kritikern anerkannt. [98] Ferner hat Foster neue Gebiete erschlossen, indem er die Verbindung des Arbeitsprozesses, den er als zentral für die Bildung der Arbeiteraristokratie betrachtete, und anderen Aspekten des gesellschaftlichen und politischen Lebens ausarbeitete. Diese Verbindung wurde zentral zur Arbeit von späteren Historikern wie Gray, Crossick und besonders Joyce [99], dessen Einleitung eine umfangreiche Erklärung der zentralen Rolle des Arbeitsprozesses und der Weise enthielt, wie er jeden Aspekt des Lebens der der in Fabriken beschäftigten Arbeiterklasse während des dritten Viertels des 19. Jahrhunderts dominierte. Noch gab Foster eine mechanische Darstellung ab, die nicht die menschliche Vermittlung außer Betracht ließ. Er konzentrierte sich auf die Menschen, die Geschichte machten, auf z.B. die Aktivitäten der Führer der Arbeiterklasse in Oldham und den verschiedenen politischen Sachen, die sie über viele Jahre hinweg mobilisierten. [100] Das Buch ist ein feines Beispiel der marxistischen Geschichtsschreibung und eine faszinierende Darstellung eines Teils der Geschichte der Arbeiterklasse in Großbritannien.

Die Anwendung der örtlichen Untersuchung als mittel, um allgemeinere historische Fragen zu forschen, war auch bahnbrechend, mindestens im Zusammenhang der Diskussion der Arbeiteraristokratie. Aber es gibt Probleme mit diesem Ansatz, oder mindestens mit Fosters Anwendung davon. Stedman-Jones hat die Probleme skizziert, wenn man die Oldhamer Erfahrung außer seinem nationalen Zusammenhang betrachtet und Foster scheint tatsächlich Elemente mit nationaler Bedeutung herunterzuspielen. [101] Genauso gibt es das Problem darüber, wie typisch Oldham war als Modell für die Entwicklung der Arbeiterklasse im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts. Fosters Argument wurde sehr genau um Oldham aufgebaut und läßt sich schwer aufrechterhalten, auch in den beiden anderen von ihm selbst angewandten Städten. Diese Schwierigkeit würde jedoch in einer oder anderer Form bei jeder örtlichen Untersuchung entstehen, und wenn man überhaupt den Wert solcher Untersuchungen akzeptiert, dann muß man damit leben. [102] Ferner gibt es gute Gründe für die Wahl von Oldham. Was seine industrielle Entwicklung und die damit verbundenen gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Änderungen betrifft, ist es sehr sinnvoll, ein Beispiel zu nehmen, wo die Textilindustrie (in bezug auf Spinnen sowie Weben) zu einer frühen Zeit hochentwickelt war, die Kohleindustrie höher entwickelt war als anderswo und die Entwicklung einer Maschinenbauindustrie eng mit anderen allgemeineren Änderungen in den Metallberufen verbunden war. [103]

Bei seiner Identifizierung der Arbeiteraristokratie und bei seinem Versuch, die Mechanismen zu erklären, die es ihr ermöglichten, eine privilegierte Position zu halten, war Foster beträchtlich raffinierter als die wesentlich beschreibenden Formeln, die in der frühen Arbeit Hobsbawms angeboten wurde, und unterschieden sich von Engels’ Konzentration auf Kontrolle über den Beruf [Fach]. Nachdem er die Beharrlichkeit der Stratifizierung und des Sektionalismus innerhalb der Arbeiterklasse in allen Perioden und die Realität der Lohnunterschiede, die sie begleiten, anerkannte, benutzte Foster Autorität bei der Arbeit als die Schlüsselidee, die erklärt, warum die Arbeiteraristokratie anders ist als eine Sektion der Arbeiter, die einfach besser bezahlt werden: „Definitionsgemäß wird fast jede aufgeteilte (oder stabile kapitalistische) Gesellschaftsstruktur Gruppen von hochbezahlten Arbeiter zeigen, die versuchen, sich gesellschaftlich von den anderen zu unterscheiden.“ [104] Was dann notwendig sei, besteht darin, „die dialektisch neuartigen Elemente zu isolieren“, die den Abgang im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts charakterisierten und erklärten. Foster fuhr fort und beschrieb die Entstehung einer ganz neuen „Unteraufteilungsformation“, die er sehr präzise erörtert. Was die Chronologie betrifft, behauptete Foster, „nur in der Mitte des Jahrhunderts ist es möglich, über eine reine Arbeiteraristokratie zu reden“. [105] Was ihre Position innerhalb der Arbeiterschaft betrifft, identifizierte Foster spezifische Gruppen von Arbeitern, die als „Botenjungen und Deuter“ des Kapitals handelten, „bereit und fähig dazu, technisch formulierte Instruktionen von oben durchzuführen“. [106] Diese mit Autorität über niedrigere Arbeiterschichten versorgte Schicht handelt als Erzwinger der Disziplin, Schrittmacher und Bremse auf der Militanz in der gesamten Arbeiterklasse. Foster war ganz explizit über die Funktion der Arbeiteraristokratie. Für ihn war sie die Erklärung des Wendepunkts in der Geschichte der Arbeiterklasse des 19. Jahrhunderts. „Das Wesen der Arbeiterklasse [bestand im] aktiven Prozeß, wodurch die Klassenorganisation der Arbeit[erklasse] von antikapitalistischen Elementen gesäubert und für den Reformismus und die Spontaneität sicher gemacht wurde.“ [107] Letztens glaubt Foster, daß die Schaffung der Arbeiteraristokratie die bewußte Reaktion der Bourgeoisie auf der politischen Krise der 1830er und 1840er Jahre gewesen sei. [108]

Es gibt mehrere Frage, die man über Fosters These stellen muß. Sie ist sehr straff aufgebaut und die Elemente sind wechselseitig voneinander abhängig, und deswegen läßt sich die ganze unterminieren, wenn man seine Bestandteile als unzulänglich zeigt. Hält die These „Schrittmacher/Autorität bei der Arbeit“ als Erklärung einer privilegierten Schicht stand? War diese Schicht eine ganz neue Erscheinung? War ihre Aufbau eine bewußte bürgerliche Strategie? Handelten die Schrittmacher als wirksamer Block auf Militanz?

Eine weitere Frage entsteht aus Foster beharrliche Anwendung der Leninschen Interpretation der Arbeiteraristokratie. Foster folgt Lenin, indem er glaubt, sie sei eine Merkmal des Imperialismus. So datiert Foster den Imperialismus zurück, um die Periode 1850-75 zu decken. Sein Argument hier beruhte auf den Export des Kapitals und überzeugt nicht, teilweise deswegen, weil sein Argument über die Wichtigkeit der Kapitalexporte für die britische Wirtschaft nicht zulänglich war [109], und teilweise deswegen, weil, auch wenn es stimmte, es schwierig zu sehen ist, wie es der Leninschen Beschreibung des „wahren“ Imperialismus auf mehr als einer oberflächlichen Ebene entsprach. Lenin selbst war kategorisch darüber, daß der Imperialismus erst „1898–1900“ angefangen hätte. [110] Obwohl es stimmte, wie Lenin sagte, daß England bestimmte Merkmale des Imperialismus viel früher als das zeigte (nämlich ein riesiges Kolonialreich und eine Monopolposition im Handel), machen diese an sich es nicht möglich, die Definition des Imperialismus so weit zu fassen, um die Periode 1850-75 zu decken. Lenin beschrieb den Imperialismus als verfallenden Kapitalismus, während Foster über seine dynamische Jugend schrieb.

Die Vorstellung, daß das Schrittmachen der Schlüssel zur Entstehung einer ganz neuen Unteraufteilung gewesen sei, ist zweifelhaft. E.P. Thompson, der über die Periode 1790-1830 schrieb, sagte, daß es häufig war im Bergbau, in der Keramik, und in der Eisenverarbeitung war und ziemlich weit verbreitet im Baugewerbe. Obwohl in der Textilindustrie das Schrittmachen häufig war, war es sicherlich nichts Neues, da es seit Jahrzehnten bestanden hatte. [111] Genauso implizierte es nicht die Art Autorität und soziale Kontrolle, die Foster ihm zuschrieb. Daß die Menschen unter der Autorität des Schrittmachers normalerweise Mitglieder der eigenen Familie waren, unterminiert die Vorstellung einer Elite, deren Beziehung zur Masse der Arbeiterklasse antagonistisch oder mindestens verschieden [getrennt] gewesen sei. [112] Im Maschinenbau war der Zusammenfall des Schrittmachens und der Entstehung einer Arbeiteraristokratie leichter aufrechtzuerhalten, aber Foster vernachlässigte anscheinend die Tatsache, daß die Arbeiter sich solcher Organisation der Arbeit widersetzten und sie nicht besonders häufig erzwungen wurde. [113] Der größte Maschinenbaufabrik in Oldham, das Plant & Hibbert-Werk, war anscheinend nicht typisch für die Industrie als Ganze in wichtigen Weisen, besonders im Ausmaß der Stückarbeit. [114] Im Kohlebergbau war die Sache noch problematischer. Die Mitte des 19. Jahrhunderts sah keine bedeutende technische Änderungen, die die Einführung [Gründung] einer Gruppe von Schrittmachern benötigte. Fosters Wahl der Gewichtsprüfer als die Arbeiteraristokraten im Kohlebergbau ist fehl am Platz. Die Gewichtsprüfer wurden allgemein anerkannt als die Funktionäre der Bergarbeiter, nicht die Meister. Die Besitzer der Bergwerke widersetzten sich ihnen, sie wurden von den Arbeitern gewählt und sie waren oft führende Militanten in den Gruben. Fosters eigene Behauptung vorausgesetzt, daß die Arbeiteraristokraten „gegen und nicht für die Werktätigen als Ganze“ handelten, scheinen sie Gewichtsprüfer als eine sehr merkwürdige [seltsame] Wahl. [115] Ferner, was die Sache des Schrittmachens betrifft, entsprach die rolle nicht der der Gewichtsprüfer. Das System der Gewichtsprüfer wurde sehr langsam eingeführt, nicht bis die 1870er Jahre in Ashton und erst 1902 in Nordostlancashire. [116] Es waren die Hauer, nicht die Gewichtsprüfer, die den Schritt machten, und sie waren es, die anscheinend am passendsten die Rolle erfüllen würden, die Foster ihnen zuzuschreiben versuchte. In der Tat, als er über spätere Ausdrücke der Arbeiteraristokratie schrieb, schaute Foster Selbst auf die Hauer. Sein Problem hier bestand darin, daß diejenigen, die die Kohle hauten, nicht die Militanz bremsten und handelten nicht als Agenten des Kapitals – ganz im Gegenteil. [117]

Förster argumentierte, daß auf der Basis eines getrennten materiellen Interesses und einer privilegierten Rolle bei der Arbeiter eine soziale Trennung des Aristokraten vom Nichtaristokraten wippt der Entwicklung von verschiedenen Subkulturen entstanden sei. Er deutete auf eine „Kultur der Verbesserung“ unter den Aristokraten hin – die Abstinenzbewegung, die Genossenschaft, die Sonntagsschule, den Methodismus und die Erwachsenenausbildung – und stellte sie einem anderen Lebensstil der nichtaristokratischen Arbeiter gegenüber: der Kneipe, der Oranierloge, dem Dialekt und dem allgemein verschwenderischen Verhalten. Die detaillierteste Kritik dieser Vorstellung der sozialen Trennung wurde von Joyce angeboten. Nach ihm berührte die Kultur der Verbesserung relativ wenige, während die Gewohnheiten des Saufens und des Wettens anscheinend beharrlich und weitverbreitet durch die ganze Arbeiterklasse waren. Joyce benutzte Zahlen für Blackburn mit ihrer Basis in Textilien und Bury mit ihrer Maschinenbauindustrie und entdeckte keinen großen Unterschied im Muster der Stimmenabgabe zwischen den Fach- oder Aufsichtssektoren und den Ungelernten. Es gab sicherlich Unterschiede innerhalb der Arbeiterklasse, aber:

Die Unterschiede zwischen Facharbeitern und Hilfsarbeitern blieben als bloßer Sektionalismus, so alt wie die Zeit und wahrscheinlich als langlebig ... Das ist Welten entfernt von irgendwelcher Art der inneren Zerrissenheit zwischen dem „Aristokraten“ in seinem Abstinenzlerverband, seinem- Arbeiterinstitut [3*] und seiner Sonntagsschule und der „Untermasse“ in ihren Kneipen und Hilfskassen, die von der „Anständigkeit“ des „unternehmerfreundlichen“ Aristokraten entfremdet war. [118]

Es gibt eine Gemeinschaft der Interessen und Einstellungen im etablierten Proletariat: „Das was Fabrikarbeiter gemeinsam hatten, ist wichtiger zum Verständnis der Klassenverhältnisse als das, was sie trennte.“ [119] Joyce behauptete, „die Unterschiede [zwischen Arbeitern] waren oft sehr gedämpft, oft völlig unerkannt, in den Stunden außerhalb der Arbeit, und er bezweifelte Fosters Beweise über Genossenschaften und Hilfskassen auf dieser Basis. [120]

So war Fosters Identifizierung der Arbeiteraristokraten, obwohl ein Fortschritt über die früheren Analysen Hobsbawms, immer noch äußerst problematisch. Ferner war seine Identifizierung, der Weise, wie die Bestechung funktionierte, verwirrt. Er argumentierte nicht, daß die Bestechung im Status und der Autorität bestand, die mit einer bestimmten Position im Arbeitsprozeß und in den Produktionsverhältnissen verbunden waren. Diese Art Erklärung (auch einschließlich den Implikationen, die die Autorität im Arbeitsplatz für den Status in der Gemeinschaft außerhalb der Arbeit, für die Anständigkeit , für die Selbstachtung usw. hätte haben können) wäre für Foster zu idealistisch. Er argumentierte, die Autorität bei der Arbeit habe mit sich materielle Belohnungen getragen. Foster benutzte ein Beispiel von hochbezahlten Maschinenbauer (das er als „fast eine wortwörtliche Veranschaulichung von ... Lenin“ beschrieb) und argumentierte, daß hohe Löhne der Autorität bei der Arbeit folgten. [121] Was er wie Lenin und Hobsbawm nicht erklärte, war, warum das der Fall sein sollte. „Die Bestechung wurde in einem Sinne vor Ort durch den Markt als Reaktion auf die Verhandlungen der Gewerkschaften verteilt.“ [122] Ein solcher Mechanismus sieht verdächtig wie den aus, wodurch alle Löhne bezahlt werden, nicht bloß die der Arbeiteraristokraten. Foster argumentierte, daß bloß die Arbeiteraristokratie von solcher Verteilung profitierte, obwohl, warum nur diese dünne Kruste Vorteile ohne eine Allgemeine Steigerung des Lohnniveaus bekam, nicht deutlich ist (und scheint im Lichte der Lohnstatistiken für das 19. Jahrhundert nicht haltbar).

Obwohl Foster ein besser dokumentiertes Argument als Hobsbawm lieferte, konnte er nicht drei Schlüsselelemente seines Arguments begründen. Erstens ist die von Lenin genommene Verbindung zwischen dem Bestehen einer Arbeiteraristokratie und imperialistischen Superprofiten hoch tendenziös im Zusammenhang der 1850er Jahre. Zweitens ist die Identifizierung der Arbeiteraristokraten aufgrund ihrer Autorität bei der Arbeit problematisch auch in den Industrien, wo das Argument am stärksten ist, und in anderen ist sie fast erfunden. Wenn man diese als Definition annehmen würde, ist es nicht klar, was der Unterschied zwischen Arbeiteraristokraten einerseits und Aufsehern und Vorarbeitern andererseits ist. Drittens wird der soziale oder ideologische Einfluß der Arbeiteraristokraten nicht begründet, noch trotz Fosters weitreichender Forschung über Eheschließungs- und Wohnmustern begründet er ihre Trennung von anderen Schichten der Arbeiterklasse. Der Mechanismus der Verteilung der Bestechung wird, obwohl nicht als Frage von untergeordneter Bedeutung wie bei Lenin und Hobsbawm behandelt, unzulänglich erklärt, nicht am wenigsten wenn er versäumt, deutlich zu machen, warum sie nur für eine dünne Kruste von Arbeiteraristokraten gilt.

 

 

Fosters Arbeit war zweifelsohne ein Meilenstein in der marxistischen historischen Analyse. Auch Hobsbawms war zu ihrer Zeit ein Meilenstein gewesen. Die beiden hatten explizit marxistische Analysen einer Erscheinung entwickelt, die als zentral zum Verständnis der Wurzeln des Reformismus in der britischen Arbeiterbewegung betrachtet wurde. Ihr Bestehen darauf, daß ein Verständnis des Produktionsprozesses und der Produktionsverhältnisse grundsätzlich zum Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen Klassen ist, bleibt ein Leitstern in der marxistischen Geschichtsschreibung, nicht am mindesten im Gegensatz zu späteren Behandlungen des Themas. Foster insbesondere brachte Fragen der Macht und der Organisation zum Vordergrund seiner Erklärung. Er suchte zurecht eine Verbindung zwischen dem Abgang im Klassenkampf und breitere allgemeine Änderungen in der politischen Ideologie, der Organisation und der Tätigkeit, die durch Umwandlungen in der wirtschaftlichen Basis der Gesellschaft bedingt werden sollten.

Ein richtiger methodologischer Ansatz ist aber keine Garantie dafür, daß die richtige Verbindungen gemacht wurden. Für Foster war die Arbeiteraristokratie das entscheidende Element in der Erklärung der Änderung im Klassenkampf, die stattfand. Das Argument dieses Artikels hat darin bestanden, daß in Wirklichkeit keine neue Schicht entstand, die materiell und gesellschaftlich von der übrigen Arbeiterklasse in einer Weise zu unterscheiden war, die von der seit langen etablierten Unterscheidung anders war. Die Gemeinschaft der Interessen blieb stärker innerhalb der Arbeiterklasse als die zwischen irgendwelcher höheren Schicht und den Bossen. Die Andeutungen darauf, daß irgendwelche Arbeiteraristokratie übertrieben gemäßigt oder dazu geneigt war, mit den Bossen zu kollaborieren, wird nicht von den Ereignissen bestätigt. Noch wird die Behauptung bestätigt, daß sie als Bremse auf die Militanz unter „niedrigeren“ Schichten handelte. Die Vorstellung, daß eine neue Form der gesellschaftlichen Kontrolle, die sich auf bestimmte Funktionen im Arbeitsprozeß stützte, um die Mitte des Jahrhunderts entstand, ist nicht bewiesen, auch in den Industrien, die am besten dem Argument passen.

Was eigentlich geschah, war eine Neustabilisierung und eine Umorientierung der kapitalistischen Wirtschaft, was eine Umorientierung der Politik der Arbeiterklasse verursachte, um der neuen Situation anzupassen. Kampfformen wurden für eine Zeitlang im Ausmaß beschränkt und weniger dazu fähig, Massenunterstützung in der ganzen Arbeiterklasse zu gewinnen. Die Niederlagen der 1840er Jahre, in Großbritannien sowie in Europa, spielten eine beträchtliche Rolle bei der Verstärkung des Abgangs.

Es gab um die Mitte des Jahrhunderts eine rasche Verbreiterung der Basis der Wirtschaft. Bis dann war Baumwolle bei weitem der fortgeschrittenste Wirtschaftssektor gewesen. Bis 1850 erhob eine neue Stufe der Industrialisierung das metallverarbeitende Gewerbe des Maschinenbaus, der Werften und des Hüttenwesens auf eine völlig neue Ebene. Das beseitigte, oder mindestens verminderte, die extreme Unausgeglichenheit zwischen der Baumwollindustrie und der übrigen Wirtschaft. Ab den 1850er Jahren sollten die periodischen Krisen eine viel verminderte Auswirkung auf die Wirtschaft als Ganze haben. Der Eisenbahnbau war das am offensichtlichsten wichtige Merkmal der neuen Verbreiterung der Basis des Kapitalismus:

Der Eisenbahnbau ist das, was vor allem anderen die kapitalistische Krise der ’30er und der frühen ’40er Jahre löste. Er verminderte die Auswirkung der konjunkturellen Krise, stimulierte die Produktion von Kohle, Eisen, Stahl und Maschinen und löste die Krise der Rentabilität. [123]

Zur gleichen Zeit, als der Aufschwung im Eisenbahnbau anfing, wurde das Verbot des Exports von Kapitalgütern aufgehoben, was weiter die Nachfrage im Maschinenbau, im Hüttenwesen und im Transport stimulierte und die schon vergrößerte Nachfrage, die aus der vollere Mechanisierung der Baumwollindustrie während der 1840er Jahre ergab, weiter vergrößerte. Der Kapitalismus konnte größere Stabilität und Sicherheit mit höheren materiellen Belohnungen anbieten. Reallöhne stiegen für die ganze Arbeiterklasse, obwohl in ungleichem Maße, während Preise fielen. Zugeständnisse wurden vom Kapital gemacht, um eine besser einverleibte Arbeiterklasse zu sichern, die einen neuen Grad der Zustimmung zu ihrer Position in der schließlich begründeten neuen wirtschaftlichen und politischen Ordnung zeigte. Es war nicht eine Arbeiteraristokratie, die vom steigenden Lebensstandard und von der Gesetzgebung wie dem Zehn-Stunden-Gesetz oder der Gesetzgebung der 1870er Jahre über Gewerkschaften profitierte, die beide ihren Einfluß auf die Ebbe des Klassenkonflikts ausübten.

Die Ausdehnung und die Diversifizierung der wirtschaftlichen Basis des Landes wurde von der effektiven Vervollständigung der Änderungen im Arbeitsprozeß begleitet. Natürlich sind solche Änderungen allmählich und ungleichmäßig und gehen zu verschiedenen Geschwindigkeiten in verschiedenen Industrien vor und sogar in verschiedenen Gebieten innerhalb der gleichen Industrie. Es ist unmöglich zu sagen, wann solche Änderungen „vollständig“ sind. Was deutlich ist, ist, daß bis 1850 die Bourgeoisie auf dem besten Weg war, die Kontrolle der Facharbeiter in den Hauptindustrien erfolgreich zu brechen und den Prozeß der Mechanisierung zu vervollständigen. Marx beschreibt den Prozeß im 1. Band des Kapitals. [124] Für ihn war die Anwendung des Maschinenwerkzeugs anstelle des Handwerkzeugs die spezifische Produktionsweise des kapitalistischen Systems. Das bewegte die Warenproduktion aus der vorherigen Ära des Handwerks und stellte sie in die Ära des gefestigten Industriekapitalismus. Die restliche Kraft der Arbeiter vom Typus Fachhandwerker wurde jetzt definitiv beseitigt. Die „formelle“ Unterordnung der Arbeit zum Kapital, worin es noch für Handwerker möglich war, zu existieren und in manchen Fällen zu blühen, wurde durch wirkliche Unterwerfung ersetzt. Der Prozeß war lang und wurde bitter angegriffen, zuerst von Webern, dann von Spinnern und der Reihe nach von Maschinenbauern [Metallarbeitern]. Die ausschlaggebende Niederlage der Amalgamated Society of Engineers [Gewerkschaft der Maschinenbauer und der Metallarbeiter] in der 1851er Aussperrung schlug den Handwerker in der Industrie nieder und ersetzte ihn ein und für allemal durch den Facharbeiter in einem gefestigten Fabriksystem. Das war ein Beispiel davon, was Marx als die Beseitigung der „handwerksmäßigen Tätigkeit als des regelnden Prinzips der gesellschaftlichen Arbeit“ [125] und die „Neustabilisierung des Arbeitsprozesses auf der Basis der großen Industrie“. [126] Die Kontrolle der Facharbeiter wird durch eine Arbeitsteilung ersetzt, die sich auf der Wechselwirkung von Maschinen, nicht auf der Zusammenarbeit von spezifischen Gruppen von Fachhandwerkern stützt.

Diese entscheidende Entwicklungen im Wirtschaftssystem, im Arbeitsprozeß sowie im Auswahl und im Umfang der Industrieproduktion, lieferte dem Reformismus des dritten Viertels des 19. Jahrhunderts eine Materielle Basis, die man im Gegensatz zu der von früheren Perioden stellen kann. Gerade diese legten vielmehr als die Entstehung einer Arbeiteraristokratie die Grundlage für einen relativ reibungslosen Übergang zu einer modernen Industriewirtschaft. Parallel zu den Umwandlungen an der Basis ging eine ähnliche allmähliche Ergreifung der Zügel der politischen Kontrolle seitens der Bourgeoisie. Joyce beschrieb diesen Prozeß als die „Heiligsprechung der Rolle des industriellen Eigentums in der Staatsmacht“. [127]

Die Konsequenzen davon für den Radikalismus in der Arbeiterklasse waren sehr deutlich. Frühere radikale Ideologien hatten nicht diesen Themenbereich gehabt. Die Maschinenstürmer von 1811 oder 1817 hatten ihre Anziehungskraft auf der Unabhängigkeit der kleinen gleichen Produzenten beruht, die von der vordringenden Fabrikproduktion bedroht waren. Die politische Form, die diese annahm, war äußerst vage, die als eine Vision „einer schlecht definierten Jakobiner-Republik“ [128] beschrieben wurde. Ihre Anziehungskraft dauerte beharrlich für eine überraschend lange Zeit, vielleicht durch die ganze chartistische Periode, und schmolz mit Vorstellungen zusammen, die aussah dem Fabrikleben der Baumwollspinner entstanden. Diese Vorstellungen gingen über die Grenzen einer rein Jakobiner- oder Handwerkeranschauung hinaus und kombinierten sich mit Owenschen Visionen des genossenschaftlichen Gemeinwesens der assoziierten Produzenten. Es war eine Periode, wo die die Politik der Arbeiterklasse aus dem Einfluß der Aufklärung, der Weigerung, der englischen Staatskirche anzuerkennen, des Jakobinertums und der Erfahrung der Handwerker sowie der frühen Fabrikarbeit. Diese war die Politik einer Übergangsperiode, die zum Teil zurück auf eine Zeitalter vor dem Kapitalismus schaute, die darum kämpften, wirksam mit seinen ersten Anzeichen zurechtzukommen, und die mindestens für eine Minderheit tastende Versuche machte, mit einem neuen Wirtschaftssystem und einer neuen gesellschaftlichen Ordnung umzugehen. Im allgemeinen aber hat dieser Radikalismus trotz den flüchtigen Einblicken in den Seiten von Harney Red Republican oder in O’Briens Konzentration auf der Ausbeutung [129] immer noch die Erfahrung des vollentwickelten Kapitalismus vor sich

Die Änderungen in der Mitte des Jahrhunderts bedeuteten, daß solche Politik ihre Relevanz und ihre Anziehungskraft verlor. Sie hatte auch unter massiven Niederlagen gelitten. Für Marx war es unmöglich, die Auswirkungen der Niederschlagung der revolutionären Welle in Europa zu unterschätzen. Kombiniert mit dem Scheitern des chartistischen Generalstreiks von 1842 und der Agitation, die mit Kennington Common in 1848 ihren Höhepunkt erreichte, kündigten diese Niederlagen [Rückschläge] das Ende der Relevanz der radikalen Politik in England an. Noch sollte man den Ausmaß der Repression vergessen, die vom Staat – jetzt fest in den Händen der Bourgeoisie – ausgeübt wurde. Die Verhaftungsrate der chartistischen Militanten war 1848 bedeutend höher all in 1839 bzw. 1842. [130]

Es ist nicht überraschend, daß alte Kampfmethoden unwirksam in der neuen Welt der mechanisierten Industrie schienen. Bestimmte Formen des Arbeitskampfs wurden jetzt ausgeschlossen und bestimmte Fragen waren gelöst worden. Die formelle Kontrolle über die Produktionsmittel, die zu den Kämpfen der Spinnen während der 1830er Jahre zentral gewesen waren, waren nicht mehr eine lebendige Frage im Zeitalter der wirklichen Unterwerfung der Arbeit unter dem Kapital. Der Kampf bei der Arbeit wurde zu einem Kampf über Löhne und die Bedingungen der Ausbeutung, die definitionsgemäß beschränkter im Ausmaß und normalerweise sektional sind. Auf diese Fragen wurde der Kampfgeist der Arbeiterklasse während der Arbeitszeit gerichtet.

Politische Herausforderungen des etablierten Industriekapitalismus würden viel mehr als die Modelle [Sorten/Varianten] des Chartismus und des Owenismus benötigen, um ihnen eine Relevanz und eine Geschlossenheit zu geben. Diese war genau die Zeit, wo Marx damit anfing, sich im Leseraum des Britischen Museums zu vergraben. Stedman-Jones hat den Punkt getroffen, als er schrieb : „Die einheitliche Vision , die die britische Arbeiterklasse zusammengehalten hatte, wurde aufgelöst, besonders nachdem die industrielle Basis der gemeinsamen Aktion [d.h. den Handwerker] beseitigt worden war.“ [131] Man mußte sich jetzt an die Totalität [Ganzheit] des Wirtschaftssystems und die Frage des Eigentums richten. Im wesentlichen hieß die Erkenntnis, daß es keinen Weg um das neue Industriesystem gebe und daß schließlich die einzige Weise, sie zu beenden, darin bestand, es zu vernichten. Es heiß mit anderen Worten die Annahme irgendwelcher Art des Sozialismus, der nicht utopisch war und der nicht den ökonomischen Kampf vom politischen trennte. Die benötigte Wiederherstellung der Politik der Arbeiterklasse dauerte Jahrzehnte. Um eine Phrase von Foster (die er fälschlich auf das Oldham der 1830er Jahre anwandte) zu borgen: „Nur wenn der Kapitalismus selbst seine vollen Widersprüche zeigt, werden Menschen damit anfangen zu verstehen, warum und wie er zu stürzen ist.“ [132] Nur gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als der Kapitalismus in seine Krise des Imperialismus eintrat, sollte der Sozialismus wieder eine beträchtliche Resonanz in der Arbeiterklasse finden, besonders unter gerade die Schichten von Arbeitern, die so oft als arbeiteraristokratisch bezeichnet werden. Inzwischen in der Kluft zwischen dem Zeitalter des Chartismus und der Wiederbelebung des Sozialismus kann man die Relevanz der Theorie der Arbeiteraristokratie bloß geringfügig betrachten. Die Periode des Rückgangs im Klassenkampf und die Geburt des Massenreformismus wippt definierbaren ökonomischen Wurzeln läßt sich besser als das Ergebnis einer Umstrukturierung des Produktionsprozesses und der Neudefinierung und Neuorientierung der Politik der Arbeiterklasse im neuen Zusammenhang des etablierten Industriekapitalismus verstehen. Eine passende Antwort auf die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorherrschenden Umständen benötigte eine Verschiebung vom Bewußtsein der Chartisten sowie vom trade-unionistischen Bewußtsein des sektionalen oder Teilkampfs. sie mußte über die enge Form des Labourismus, der den Chartismus mit seinen Aspekten des Nationalismus, des Sexismus und des Rassismus ersetzte, hinausgehen. Sie mußte zur Art Bewußtsein, die von Lenin erklärt wurde, und zur Art Organisation, die von den Parteien der Kommunistischen Internationale erläutert wurde, übergehen.

 

 

Anmerkungen

72. H.F. Moorhouse, The Marxist Theory of the Labour Aristocracy, in Social History, Bd.3, Nr.1 1978, S.62.

73. B. Schwarz, The Communist Party Historians Group, in J. Clark u.a. (Hrsg.), Making Histories.

74. H. Seton-Watson, The Pattern of Communist Revolution, London 1953, S.341.

75. E.J. Hobsbawm, The Labour Aristocracy in Nineteenth Century Britain (1954), in Labouring Men, London 1964.

76. E.J. Hobsbawm, Trends in the British Labour Movement Since 1850 (1949), in Labouring Men, London 1964.

77. G. McLennan, Marxism and Methodologies of History, London 1981, S.206.

78. E.J. Hobsbawm, Debating the Labour Aristocracy, in Worlds of Labour, London 1979, S.214.

79. E.J. Hobsbawm, Labouring Men, S.273.

80. s. A.E. Musson, Class Struggle and the Labour Aristocracy 1830-60, in Social History, Nr.3 (1976).

81. J. Breuilly, Society for the Study of Labour History Bulletin, Nr.48, S.60.

82. E.J. Hobsbawm, The Labour Aristocracy Twenty-Five Years After, in Society for the Study of Labour History Bulletin, Nr.40 (1980), S.6.

83. E.P. Thompson u. E. Yeo, The Unknown Mayhew, London 1970, S.566.

84. ebenda.

85. J. Hinton, The Labour Aristocracy, in New Left Review 32 (1965), S.72.

86. H.F. Moorhouse, a.a.O., S.76.

87. s. z.B. G. Stedman-Jones, a.a.O., S.63.

88. H. Mayhew, London Labour and the London Poor, Bd.III, S.233; zit. in H. Pelling, The Concept of the Labour Aristocracy, in Popular Politics and Society in Late Victorian England, London 1968.

89. s. Socialist Review, Nr.55, Juni 1983, S.22-3.

90. T. Cooper, The Life of Thomas Cooper (1872), S.393; zit. in T. Harrison, a.a.O., S.19.

91. E.J. Hobsbawm, Worlds of Labour, S.216.

92. ebenda.

93. ebenda, S.249.

94. ebenda, S.216.

95. H.F. Moorhouse, The Significance of the Labour Aristocracy, Social History, Bd.6 (1981), S.213.

96. E.J. Hobsbawm, Labouring Men, S.322.

97. J. Foster, Class Struggle and the Industrial Revolution, London 1974.

98. Mit der möglichen Ausnahme von Musson, British Trade Unions 1800-1875, London 1972, und Pelling, Popular Politics and Society in Late Victorian Britain, London 1968, die weiter ihre eigene besondere liberale Interpretation der Arbeitergeschichte haben.

99. R.Q. Gray, The Labour Aristocracy in Victorian Edinburgh, Oxford 1976, und The Aristocracy of Labour in Nineteenth Century Britain 1850-1914, London 1981, G. Crossick, An Artisan Elite in Victorian Society: Kentish London 1840-1880, London 1978.

100. J. Foster, a.a.O., Kap.5.

101. G. Stedman-Jones, a.a.O., S.37.

102. R. Gray, The Labour Aristocracy in Victorian Edinburgh, Oxford 1976, S.7. Die Kritiken von Musson und anderen über das außergewöhnliche Wesen von Oldham und seine Unangebrachtheit als Beispiel stehen ihm nicht an im Vergleich mit dem eigenen eklektischen Empirizismus, der von Foster als der Ansatz eines „Spaniels bei einer Archäologischen Grabung“ charakterisiert wurde.

103. s. Einleitung zu Joyce, a.a.O.

104. J. Foster, a.a.O., S.212.

105. J. Foster, British Imperialism and the Labour Aristocracy, in J. Skelley (Hrsg.), 1926, The General Strike, London 1976, S.6.

106. J. Foster, Class Struggle and the Industrial Revolution, S.224.

107. J. Foster, British Imperialism and the Labour Aristocracy, a.a.O., S.31.

108. J. Foster, Class Struggle and the Industrial Revolution, S.211.

109. s. G. Stedman-Jones, a.a.O., S.66.

110. Lenin, Brief an Inessa Armand, zit. in A.M. Eckstein, Is there a Hobson-Lenin Thesis on late nineteenth century colonial expansion?, in Economic History Review XLIV (2), 1991 S.307.

111. s. z.B. E.P. Thompson, The Making of the English Working Class, S.243.

112. P. Joyce, a.a.O., S.51.

113. ebenda, S.52.

114. ebenda.

115. J. Foster, Class Struggle and the Industrial Revolution, S.31.

116. P. Joyce, a.a.O., S.52.

117. J. Foster, a.a.O., S.23.

118. P. Joyce, a.a.O., S.288-9.

119. ebenda, S.111.

120. ebenda, S.289.

121. J. Foster, Class Struggle and the Industrial Revolution, S.228.

122. J. Foster, British Imperialism and the Labour Aristocracy, a.a.O., S.18.

123. G. Stedman-Jones, Class Struggle and the Industrial Revolution, a.a.O., S.66.

124. Marx, Das Kapital, Bd.I, Teil IV, Kap.XIII, Berlin 1977, S.391ff.

125. ebenda, S.390.

126. ebenda, S.???.

127. P. Joyce, a.a.O., S.147.

128. G. Stedman-Jones, a.a.O., S.46.

129. ebenda, S.57.

130. J. Saville, 1848: The British State and the Chartist Movement, Cambridge 1987.

131. G. Stedman-Jones, a.a.O., S.67.

132. J. Foster, Class Struggle and the Industrial Revolution, S.124.

 

Anmerkungen des Übersetzers

2*. Auf englisch heißt das Werk Class Struggle and the Industrial Revolution.

3*. Auf Englisch heißt das Wort „mechanics’ institute“. Diese waren Einrichtungen, die aus der Arbeiterbewegung entstanden, um Weiterbildungsmöglichkeiten für Arbeiter anzubieten.

 


Zuletzt aktualisiert am 12.7.2001